Von Spar [Die Uneingeschränkte Freiheit Der Privaten Initiative]

Wider politischem Konsens und kultureller Einfältigkeit
Hinter jedem guten Debüt steckt ein guter Hype, oder die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative.



"das gute und das böse werden eins / mit dem plan planlos zu sein"
(schockwellen auf's parkett)


Noch vor kurzem hatte Sterne Sänger Frank Spilker in der taz das Fehlen einer politischen Stimme im aktuellen Hoch der deutschsprachigen Musik bemängelt, womit er namentlich sowohl oberflächlichen gute Laune Pop im Stil der Sportfreunde Stiller, als auch das plumpe proklamieren eines neuen Patriotismus wie MIA. ihn betreiben, meinte. Während man den skeptischen Blick auf das eigene Land bei amerikanischen Bands gern sieht, wird in Deutschland die neue Rechtschaffenheit bevorzugt. "Sozialdemokratische Musik von sozialdemokratischen Menschen", benannte dies Spilker, und beanstandete damit auch, dass sich diese eklektische Monotonie im Musikgeschäft immer mehr durchsetzt. Korporative Identität ist der Gral der Globalisierung, und nach eben einer dementsprechenden klanglichen Einheitlichkeit, streben in der heutigen Zeit auch eine Großzahl der, von der Medienmaschinerie hervorgebrachten Interpreten. Es geht darum den Wiedererkennungseffekt ihrer Musik beim Rezipienten beliebig oft auslösen zu können. Massenkompatibilität.

Dieses Sicherheitsbedürfnis bedienen Von Spar ganz bewusst nicht mit ihrem Debüt "Die Uneingeschränkte Freiheit Der Privaten Initiative". Thomas Mahmoud, Christopher Marquez und Jan Philipp Janzen, ersterer auch Stimme der Oliver Twist Band, letzterer gemeinsam mit Georg Brenner Urlaub in Polen, haben, wie auch immer man sich ihnen gegenüber positionieren wird, eine diskussionswürdige Kontroverse aufgetischt. Neubeschriftete Schubladen wie Electroclash und Electropunk werden geöffnet, Verweise zu The Rapture und sogar Prodigy werden nicht unbedingt verständlich gezogen, nur weil hier scheinbar jemand Punk, House, New Wave, Pop und Funk zu vermischen ersucht. Unter den drei Musikern wird der Geist von Punk und Dada als Hintergrund der Musik diskutiert, wobei man Ansätze beider Ideenwelten in den Songs auffinden kann. Ideologie als Grundstein guter Musik.

Vielleicht haben Von Spar aus der Not eine Tugend gemacht, als sie sich, aufgrund mangelhafter Möglichkeiten erlesene Fragmente adäquat nachzuspielen, darauf besonnen haben, zunächst am Computer Tracks mittels ausgewählter Samples aus allen Stilrichtungen zu konstruieren. Klischees aufbauen um sie zu demontieren und, einem selbst bestimmten Zeitgeist unterliegend, neu zu interpretieren. Diese abstrahierten Klänge, ein repräsentatives Profil der eignen wohnzimmerlichen Plattensammlungen, wird dann als Live Band versucht umzusetzen. Die Uneingeschränkte Freiheit Der Privaten Initiative, der Titelsong, mit seinen Breaks und unvermittelten Wendungen oder auch Bunsenwahrheiten, ein nach vorn zielendes Versatzstück mit Rock und sogar Free Jazz Elementen, machen dies deutlich. Das vielleicht beste Beispiel für die erwähnte Herangehensweise ist jedoch Schockwellen Auf's Parkett: in dem Stück mit dem treibenden, perkussiven Rhythmus, geht Mahmouds burlesker Gesang in B-52 Anspielungen über, während die schranzige Gitarre unerwartet My Sharona von The Knack aufzugreifen scheint. Der Gesang, mal hochgepitcht, mal am Computer dekonstruiert, ist ein eklatantes Merkmal der Band. Mahmoud agiert immer wieder am Rande der Hysterie, so scheint es, und lässt so, die von der Band ungeliebten Vergleiche mit den Fehlfarben oder den Goldenen Zitronen nicht nur auf inhaltlicher Ebene ins Auge fallen.

Agitprop mag ein sehr kurzlebiges und ungeliebtes Gebiet sein, welches von den gesellschaftlichen Diskrepanzen genährt wird, und nicht zwingend deren Beseitigung fordert. Von Spar glänzen, ähnlich früher Hamburger Schule Bands, mit dem schlagzeilenhaften Ausformulieren politischer Slogan. Einerseits nutzen sie dafür obligate Statements wie "Mach kaputt was dich kaputt macht", oder auch den Fehlfarben Seller "Geschichte wird gemacht" – auf der Platte originalgetreu von Peter Hein skandiert - andererseits stehen sie großen Bands in dieser Hinsicht in nichts nach: "Wir brauchen mehr Dynamit, Regie" rufen sie in Kopfsteinpflaster, "Geld tut nicht weh" wird im Titelsong propagiert, ein hysterisches "PanikPanikPanikPanik" durchzieht Schockwellen Auf's Parkett und Distelmeyers "Ich Maschine" wird in einem tagespolitischen Bezug mit der Ich AG der Agentur für Arbeit verbunden. Jeder dieser Aussagen würde sich auch auf einem T-Shirt gut machen, denkt man, während Von Spar im letzten Stück Bis Es Wehtut scheinbar gegen eben diese Art der Propaganda wettern: "Die Bösen haben keine Melodien, nur Parolen aus bunten Schlagzeilen". Dennoch gelingt es Von Spar vielleicht gerade auf diese Weise immer wieder aufs Neue den Kopf tanzbar zu machen, ist der Körper doch unlängst nach dem ersten Stück in pausenloser Bewegung.

Und vielleicht hatte Frank Spilker seine Kritik formuliert, wohl wissend, dass Von Spar in diesem Sommer zu einigen Diskussionen, nicht zuletzt auf politischer Ebene Anlass geben würden; im, von der ersten Sekunde an brodelnden Stück Ist Das Noch Populär?, singt er schließlich als Gast "Ein Bild ohne Worte, ein Bild ohne Gleichen, das Funkeln der Sterne, das Lächeln im Gesicht. Komisch wie schnell sich die Dinge verändern, ich sing es noch einmal, ich sing es für dich."
Schön, dass ihr dabei seid.
foto:



von spar
"die uneingeschränkte freiheit der privaten initiative"
lado 2004 cd
von spar

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Solea

Sie sind sich ihrer Vergangenheit bewusst, aber dennoch ist das für Solea kein Grund, in pathetische Überheblichkeit zu verfallen. Stattdessen würden sie lieber die ganze Welt umarmen.


"music is the reason"
(garrett klahn)


Solea haben eine Menge Spaß. Solea sind vier Freunde, die Musik machen und das Leben genießen wollen. Solea sind Sergie Loobkoff (Samiam), Garrett Klahn (Texas Is The Reason), Joseph Orlando und Scott McPherson (Sensfield), die kürzlich auf Tour in Deutschland waren und dazu auch mehrere Support-Shows für Dover spielten. Solea sind vier Männer, deren einziges Anliegen die Musik ist. Solea sind die beiden aufgedrehten Garrett und Sergie, die sich gegenseitig die Worte aus dem Mund nehmen und glücklich über den Umstand zu sein scheinen, endlich wieder gemeinsam auf Tour zu sein. Solea sind die beiden zurückhaltenden Joseph und Scott, welche das Gespräch verhalten aber doch mit freundlichem Ausdruck verfolgen.

Solea - Wie kam es zu dem Namen?
Sergie: "Solea kommt aus dem Lateinischen, was es genau bedeutet habe ich vergessen. Garrett kam auf die Idee, ich glaube, er ist auf den Namen über eine Miles Davis-Platte gekommen, oder?"
Garrett: "Ja, es ist ein Songtitel. Wir hatten auch andere Namen im Kopf, wie 'Amare' oder 'The Tide'. Aber 'The Tide' hat mir persönlich überhaupt nicht gefallen. Und bei 'Amare' hätten dann wohl die meisten Leute Amore verstanden, und das wollten wir nicht. Der Name sollte von Anfang an so auf die Leute wirken, wie er auch auf uns wirkt. Und vor allem sollte er einfach gut klingen, deshalb Solea."

Ihr habt dieses Jahr eine Handvoll Shows in den USA gespielt. Wie ist es gelaufen?
G.: "Recht gemischt. Die Shows waren ganz gut besucht, aber das Publikum ließ sich häufig nicht allzu sehr mitreißen. Einige schienen sehr offen für uns zu sein, andere wirkten eher gelangweilt von unseren Auftritten."

Ihr habt in den USA auch noch kein Label für die Veröffentlichung Eures Albums gefunden. Womit hängt das zusammen?
G.: "Für größere Labels sind wir vielleicht einfach schon zu alt. Ein paar Kerls, die Anfang bis Mitte Dreißig sind, so was ist einfach nicht interessant genug. Wir mögen zwar alle in Bands gespielt haben, die früher einen recht hohen Stellenwert hatten, aber das reicht nicht. Gewünscht sind junge, hippe Bands, mit denen sich die Konsumenten identifizieren können."
S.: "Und die kleineren Labels haben größtenteils Angst, dass wir zuviel Geld verlangen würden oder sie sonstigen Ansprüchen unsererseits nicht gerecht würden. Es ist außerdem für uns ziemlich entmutigend, gerade in den USA kein Label zu finden, während unsere Musik gerade in Japan sehr gut aufgenommen wird. Unser japanisches Label Bad News hat unser Album letztendlich auch finanziert und in Japan rausgebracht."

In Europa habt ihr eine Split-7’’ mit einer norwegischen Band namens Crash! über das Label Sound Fiction veröffentlicht. Wie kam es dazu?
S.: "Seit geraumer Zeit kann man sich auf unserer Website ein paar Soundfiles anhören und runterladen. Das Label kam per Email auf uns zu und fragte, ob es nicht zwei Songs in Europa als Split-7’’ veröffentlichen könne und wir haben zugestimmt. Um ehrlich zu sein, ich habe mir die andere Band niemals angehört und auch die 7’’ noch nie in Händen gehalten.Allerdings besitze ich auch keinen Plattenspieler. Ich glaube noch nicht einmal, dass ich jemanden kenne, der einen besitzt."
J.: "Ich kenne jemanden. Aber der hat nur Platten aus den Siebzigern und Achtzigern, neue Aufnahmen kauft er sich nicht. Ich wüsste auch nicht, wo man bei uns überhaupt noch Platten kaufen kann. Es ist eigentlich traurig, wie das Vinyl vernachlässigt wird. In Europa scheint das beliebter zu sein."

Ihr supportet derzeit Dover auf ihrer Deutschland-Tournee. Wie ist es, wieder vor Leuten zu spielen, die wegen einer ganz anderen Band gekommen sind und sich idR kaum für die Vorband interessieren?
G.: "Manchmal ist es frustrierend, wenn man einen Gig spielt und die Leute scheinen völlig gelangweilt zu sein, weil sie nur auf den Hauptact warten. Aber es macht definitiv auch eine Menge Spaß. Zumindest bei den Support-Shows für Dover hier in Deutschland waren die Reaktionen sehr gut. Wir haben vor tausend oder mehr Leuten gespielt und das Publikum war sehr sehr offen. Außerdem ist es toll, mit Dover zu touren, sie sind eine phantastische Band und sehr sympathische Menschen dazu."

Ihr werdet in der Presse immer wieder als Emo-Supergroup betitelt. Wie fühlt Ihr Euch mit dieser Zuschreibung? Entsteht dadurch für Euch auch ein gewisser Erwartungsdruck?
S.: "Die Journalisten brauchen eben immer etwas zu schreiben. Und wenn ein paar Leute aus verschiedenen Bands zusammenkommen, um Musik zu machen, dann heißt es: „Oh, eine Allstar-Band! Das muss etwas ganz Besonderes sein!“ Letztendlich dient es nur dazu, die Leser mit einer beeindruckenden Überschrift auf ihre Artikel aufmerksam zu machen. Aber wir sind wirklich nicht mehr als ein paar Freunde, die es genießen, miteinander Musik machen. Dass das ganze dann auf eine solche Ebene gehoben wird ist für uns recht unverständlich."
G.: "Ich kann das auch emotional absolut nicht nachvollziehen. Hey, in unserer Band spielt weder Bono noch Joe Strummer. Wir sind so verdammt weit weg davon, uns als Rockstars zu fühlen. Und das wollen wir auch gar nicht. Wir fühlen uns dementsprechend auch nicht unter Druck gesetzt. Wenn die Leute unsere Musik mögen, dann ist das schön, wenn sie unsere Musik nicht mögen, dann können und wollen wir das auch nicht ändern. Wir machen das nicht, um irgendwem gerecht zu werden, oder um etwas zu bieten, sondern einfach um der Sache willen. Nicht zuletzt deshalb sind wir immer wieder positiv überrascht, wenn es besonders gut läuft wie in Japan. Dort bekommen wir einen vergleichsweise enormen Zuspruch, mit dem niemand gerechnet hat."

Zwischen Euren Wohnorten liegen sehr große Distanzen. Wie häufig ist es für Euch möglich, zu proben?
G.: "Wir treffen uns nur, um Aufnahmen zu machen, oder auf Tour zu gehen. Vorher proben wir immer 3-4 Tage, aber ansonsten sehen wir uns nicht."

Wie gestaltet sich die Zeit dazwischen? Gibt es da nicht auch manchmal Kommunikationsprobleme bedingt durch die Entfernung?
S.: "Meistens hat einer von uns beiden eine Songidee und schickt diese dann dem anderen via Internet zu. So entwickeln sich dann meistens die Songs, die aber erst im Studio wirklich an Form gewinnen. Die anderen sind in diesem Prozess bis zu den Proben eher außen vor. Kommunikationsprobleme gibt es da eigentlich keine. Wir kommen in der Regel auf einen Nenner, besonders auf der musikalischen Ebene ergänzen wir uns einfach wunderbar, wir schwimmen sozusagen auf einer Wellenlänge."
G.: "Allerdings ist Sergie in musikalischer Hinsicht schon das etwas dominierende Element, man hört den Westcoast-Einschlag auf den Aufnahmen auch stark heraus."

Hängt mit der räumlichen Entfernung auch zusammen, dass Ihr bereits mehrere Drummer und Bassisten hattet?
G.: "Nun, besonders zu Beginn entwickelte sich Solea nur sehr langsam und manche von uns hatten noch andere Projekte am Laufen. Dann veränderte sich manches, wir konnten die Aufnahmen für das Album beginnen und dann kam irgendwann die schon etwas größere Japan-Tour. Sergie und ich sind quasi die Initiatoren der Band. Die Leute, die zu uns gestoßen sind, haben immer wieder gemerkt, dass sie nicht die Zeit dafür haben, mal nebenher ins Studio oder auf Tour zu gehen, oder dass Solea einfach nicht genau das Richtige ist."
S.: "Aber mit der jetzigen Konstellation sind wir sehr glücklich. Joseph war ja schon bei den Aufnahmen zum Album dabei, Scott ist vor der Japan-Tour zu uns gestoßen. Wir sind jetzt zum dritten Mal gemeinsam auf Tour, und alle haben das Gefühl, dass wir nicht nur ein paar Musiker sind, die gerade an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, sondern eine wirkliche Band. Wir vier sind Solea."
foto: solea


solea

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Morgan Spurlock [Super Size Me]

McDonalds.
Es ist buchstäblich überall, außer vielleicht in den Ländern die mein Land zu hassen liebt – wie Kuba und Libyen etwa.


"ich liebe es!"
(deutscher mcdonald's werbeslogan seit 2003)

Denjenigen, denen bewusst ist, wie perfekt McDonald's korporative Globalisierung veranschaulicht, stimmt die Popolarität traurig. Eines der traurigsten Beispiel für mich ist, dass die finnische Stadt, in der ich als Austauschschüler studierte, stolz verkündet, das sie das weltweit nördlichst gelegene “Mickey D’s” beherbergt. Seit vier Jahren boykottier eich McDonalds; aufgrund seiner bereits erwähnten symbolhaften korporativen Globalisierung, seines rekordverdächtigen Anteilhabens an der Umweltverschmutzung und der Unterstützung industrieller Landwirtschaft und für seine schlechten Richtlinien für angemessene Arbeitsbedingungen. Bislang neigte ich jedoch dazu, die Idee von Ernährung und Gesundheitserziehung – und in diesem Zuge die schlechte Ernährung und das mangelhafte Gesundheitsbewusstsein, welches McDonald's fördert - politisch zu betrachten. Ich werde mir Morgan Spurlocks "Super-Size Me" in wenigen Stunden ansehen, und wir werden sehen, wohin dieser Film tendiert…

Diese Zeilen schrieb ich vor etwa eineinhalb Monaten, und meine Reaktionen dieser Dokumentation gegenüber haben sich über den Sommer entwickelt. Vielleicht erinnere ich mich nicht mehr an jedes Detail, aber ich erinnere mich an den überwiegenden Eindruck: gelähmt und betrogen von einem kapitalistischen Markt zu sein, basierend auf dem amerikanischen Wunsch nach Überfluss. Dies sind schließlich die Vereinigten Staaten, wo alles groß ist: unser Land, unsere Ausgaben, unsere Häuser, unsere Autos – und warum nicht auch unser Appetit? "Super Size Me" entstand aus Spurlocks Interesse an den Nachrichten über zwei beleibte Jugendliche, welche McDonalds mitverantwortlich für ihren schlechten Gesundheitszustand machten. Doch Spurlock setzte sich nicht direkt mit den Nachforschungen über die Richtigkeit der Argumente beider Parteien in der Anklage auseinander, sondern beschäftigte sich mit der Frage, inwiefern wir von dem, was wir beim Heranwachsen unweigerlich mit Glück und Zufriedenheit verbunden haben, unbewusst geschädigt wurden. Vieles davon entstammt McDonald's: das Happy Meal, Ronald McDonald's strahlendes Gesicht oder ein herzhafter Big Mäc. Spurlock tat das unvorstellbare: er beschloss zu dokumentieren, wie sein leicht untergewichtiger Körper im perfekten Gesundheitszustand auf eine 30 Tage anwährende Diät, basierend auf der McDonald's Produktpalette, reagieren würde. Und er tat dies mit ein paar Grundregeln: drei komplette Mahlzeiten am Tag, ausschließlich von McDonald's; wenn er zwischendurch etwas zu sich nehmen wollte, musste es McDonald's anbieten; und am Ende, musste er jedes McDonalds Produkt mindestens einmal gegessen haben.

Mit der Unterstützung von zwei Ärzten und einem Ernährungsberater, welche jedes mögliche Vitalzeichen und jeden Laborwert auswerteten, begab sich Spurlock auf eine niemals zuvor vollzogene Reise. Er rechnete dabei mit einigen grundlegenden Reaktionen seines Körpers wie Verdauungsstörungen in den ersten Tagen. Unerwarteter waren Übelkeit und Erbrechen, Phasen der Depression und typische Entzugserscheinungen, einige Stunden nach dem letzten McDonald's Gericht. Womit er überhaupt nicht rechnete war, dass seine Ärzte ihm nach 21 Tagen dringend rieten, seine McDonald's Diät auf der Stelle abzubrechen, aufgrund von enorm empor schnellenden Laborwerten und einer schockierenden Gewichtszunahme von über neun Kilogramm.

Einige wird dieser Film nur ein wenig empören, andere missachten wahrscheinlich sein Wagnis mit dem Gedanken, wer außer ihm schon drei Mahlzeiten pro Tag bei McDonald's zu sich nimmt. Der nachdenkliche Moment des Films liegt in der Verbindung zu weitaus größeren Problemen meiner amerikanischen Gesellschaft, als Spurlocks Mahlzeiten bei “Mickey D's”. Es herrscht definitiv eine Akzeptanz gegenüber der ernährungsbezogenen Maßlosigkeit vor - angeregt durch die Maxi Menü Option, entwickelt von McDonald's und später auf alle anderen Fast Food Ketten übertragen. Auch ein kurzer Vergleich mit nicht-amerikanischen Proportionen ist erstaunlich: große Getränke mit raffiniertem Zucker und leeren Kalorien sind im Vergleich dreimal größer als in anderen Ländern; die kleine Portion amerikanischer Pommes Frites ist einer nicht-amerikanischen großen Portion ebenbürtig. Die ungesunde Ernährungsweise etabliert sich schon viel früher: Bilder einer Grundschul Cafeteria mit Zehnjährigen, denen eine große Auswahl an Junkfood angeboten wird, und die beherzt Pizza, Chips und Kuchen jedwedem Gemüse, Früchten oder Getreide vorziehen. Und was werden wir tun, wenn dies in unserer jungen Entwicklung Qualität repräsentiert? Uns weiterhin für Junkfood entscheiden! Wenn wir von den Fast Food Ketten gefragt und ermutigt werden, unsere Menüs auf Maxi anschwellen zu lassen, können wir uns jederzeit dagegen entscheiden – aber wie groß ist die Versuchung? Der Primat des Autos in unserer Kultur hat Gehen und Radfahren weitestgehend als Fortbewegungsmittel abgeschafft; Mit Ausnahme einiger Einzelfälle. Und eben genau diese subtile Aussage versucht Spurlock zu vermitteln: wenn unser Appetit stetig wächst, und uns kontraproduktive Entscheidungsmöglichkeiten präsentiert werden, und das Ändern unserer immanenten Gewohnheiten fast unmöglich erscheint, ist Nachgeben die einfachste Möglichkeit.

Vielleicht ist es bezeichnend, dass dieser Film auch etwas an meinem Leben verändert hat. Ich kam zu der Überzeugung, dass sich nicht nur in meiner Gesellschaft etwas ändern musste, sondern auch in meinem Leben. Vielleicht ist mir dies insbesondere aufgefallen, da ich seit ich denken kann, eher übergewichtig bin. Menschen haben unterschiedliche Stoffwechseltätigkeiten, und verbrennen die eingenommenen Kohlehydrate unterschiedlich gut. Dies ändert jedoch nicht die Wichtigkeit von Spurlocks Grundaussage, dass etwas indoktriniertes in dem Ernährungsbewusstsein und im Lebensstil unserer Gesellschaft verändert werden muss. Obwohl ich mich meines Erachtens nach richtig Verhalte, hatte ich immer noch die Möglichkeit meine Lebensführung zu verbessern. Nach dem Film kam ich zu diesem Eindruck, und ich begann mir gesündere Lebensmittel zu kaufen – ich beseitigte Limonaden und viele Snacks, während ich die Menge an Obst und Gemüse vergrößerte, ich begann damit am Tag mehr als doppelt so viel zu gehen als ich es gewöhnt war und aß einfach weniger. Und es funktionierte – meine Stimmung hob sich, mein Blutdruck wurde gesenkt und ich habe mehr Energie als zu Beginn des Sommers.

Wie die häufig übergangenen Gewohnheiten der amerikanischen Kultur, welche Michael Moore in seinen Filmen vorstellt, präsentiert auch Morgan Spurlock ein schwankendes Problem, aber eines, welches nicht völlig hoffnungslos erscheint. Und als jemand, der Hoffnung in unsere Gesellschaft setzt, hoffe ich, dass jene Dinge, die eher zu einer Unkultur beitragen, uns nicht länger verwirren werden.
text: Colin Lee; aus dem Amerikanischen von Martin Boehnert
foto:
julie soefer


morgan spurlcok
"super size me"
2005

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Sonic Youth [Sonic Nurse]

Sonic Youth sind in popkultureller Hinsicht prähsitorisch. Dennoch verlieren sie sich nicht in einem anachronistischen Alterswerk wie manch andere Künstler, die seit rund 25 Jahren im Musikgeschäft tätig sind.


"i don't mind if you sing a different song, just as long as you sing."
(paper cup exit)


Wahrscheinlich war ich gerade damit beschäftigt auf der elterlichen Couchgarnitur streichholzschachtelgroße Spielzeugautos mit einem Sound zu vertonen, den ich später als Human Beatbox kennen lernen sollte, als sich Sonic Youth 1981 in New York formierten. Mit "Sonic Nurse" hat das ehemalige Quartet, welches seit längerem durch den Jack-of-all-Trades Jim O’Rourke zu einem Quintett angewachsen ist, ihr neunzehntes Album herausgebracht. Ich schreibe die Zahl ganz bewusst aus. Eine solche Beständigkeit ist schließlich rar in der bunten Welt der Popkultur. Von den frühen Noise Eskapaden und der aufständischen, convoluten Energie scheint auf den ersten Blick wenig geblieben zu sein, sagen zumindest diejenigen, die schon seit dem 2000er Album "NYC Ghosts and Flowers" an Sonic Youth vermissen, was sie früher doch so schätzten; Unberechenbarkeit und Experimentierfreude.

Wenn man die Entwicklung der Band jedoch betrachtet, und besonders die Jüngste, so wirkt es, als würde sich eine schöpferische Phase abzeichnen, die sich von eben genanntem konzeptionellen Avantgarde hin zu filigraneren Arrangements und entspannteren Songstrukturen bewegt. Die Essenz der Stücke scheint bewusst nicht mehr in der konzentrierten Energie zu liegen, sondern in den transparenter und klarer gestalteten Strukturen, deren pointierte Details scheinbar allesamt die Augen des Betrachters auf sich aufmerksam machen wollen. Keine Spur von eklektisch produziertem nährwertarmen Fast Foods, wie vielerseits bemängelt wird. Und auch den kontrollierten Feedback Orgien haben die Dame und die Herren, die sich allesamt der Fünfzig nähern, sieht man einmal von Neuzugang O’Rourke ab, nicht entsagt. So gibt man sich fast den letzten beiden Minuten des Openers Pattern Recognition einer ausschweifenden Rückkopplung hin. Im wunderbaren Dripping Dream bedient man sich ebenfalls dieser, um sie wie einen roten Faden durch das ganz Stück ziehen zu lassen. Und sie ist es auch, die das vermeintliche Ende herauszögert, damit kurz darauf die gesamte Band das Stück weiter tragen kann.

Die Perspektive mag sich geändert haben, nicht das Bewusstsein. Das Verwischen des Klanges, das Vermengen mit Störgeräuschen zu einer kultivierten und dennoch verstörenden Kakophonie, wie zu "Daydream Nation" Zeiten, weicht durchsichtigeren Klangbildern und opulenten Entwicklungen innerhalb der Songs, wie dem siebenminütigen Stones, welches durch verliebte Melodienversunkenheit und einer rockenden Brücke zu überzeugen weiß. Diese Veränderung ist nicht zuletzt O’Rourke zuzuschreiben, der die kratzenden Gitarren Kaskaden nicht vertrieben hat, sondern sie gezielt Akzente setzen lässt. Stete Reproduktion würde früher oder später zum Stillstand und zur Überalterung führen, und wäre ein unveränderlicher Zwang des sich Neuerfindens nicht auch eine gewisse, wenn auch elitärere Art von Berechenbarkeit, und die geordnete, gereifte Entwicklung, wie schon in "Murray Street", ein ebenso ehrenwerterer Fortschritt und gleichsam ein honorables Alterswerk?

Ein guter Song braucht nicht mehr als drei Akkorde, höre ich Freunde immer wieder sagen, was aber auch eine schnelle Übersättigung und musikalische Ideenlosigkeit mit sich führt. Auch in dieser vermeintlichen Ruhe, auf welche sich Sonic Youth überraschender Weise gerade zu einer Zeit einlassen, in der Amerika einen so bigott konservativen Weg verfolgt, hat nichts damit zu tun, dass man sich solcher Strickmuster der Eingängigkeit wegen bedient. Und was den zukünftigen ex Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika betrifft, so heißt man ihn keineswegs für Gut, oder hat sich in eine Akzeptanzhaltung geflüchtet. "Skimming the tops of tall trees, through the clear light of free speech." Ähnlich den ebenfalls schleichend ergrauenden Beastie Boys, treten auch Sonic Youth textlich der derzeitigen Regierung ihres Landes entgegen, ohne dabei plakativ agitierend in Polit-, oder Protestsongs zu verfallen. Vielleicht steht der Charakter der "Sonic Nurse" auch sinnbildlich für eine helfende Schwester, die dem erkrankten Land und seinem Volk die nötige Unterstützung zur Selbstheilung geben kann.

Sonic Youth treten mit ihren letzten Veröffentlichungen weder auf der Stelle, noch involvieren sie gedankenlos zeitgenössische musikalische Trends, sondern bewegen sich in einem musikalischen Umfeld, in welchem sie mit Bands vergleichen werden, deren Musiker früher aufgrund von Platten wie "Daydream Nation" oder dem jüngeren "Goo" selbst zur Gitarre griffen. Und vielleicht hat auch der ein oder andere dieser Musiker damals noch Spielzeugautos auf dem heimischen Sofa hin und her geschoben.
foto:



sonic youth
"sonic nurse"
geffen 2004 cd
sonic youth

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600 Wörter [Sympathy For The Non-Smoker]

Wieviele Zigarten rauchst du am Tag?
Kommt darauf an, wieviele ich schaffe.





Es war einer dieser erleichternden Abende des rücksichtslos heißen Sommer 2003. Wir saßen im Schatten einer ermüdeten Birke und stillten den Hunger eines viel diskutierten Tages. Ein paar schlanke Pommes und ein tapfer der Hitze trotzender grüner Salat. Die Luft war jetzt wieder so, dass man sie ohne weiteres einatmen mochte, was nicht nur dem permanenten Überlebensdrang dienlich war, sondern auch mit einer wohltuenden Befreiung einher ging; Die Hitze während des Tages war so beschwerlich und erdrückend, die Luft eine erbarmungslose Last, dass man das Atmen am liebsten hätte einstellen wollen. Jonas setzte den noch beladenen Teller plötzlich auf dem Tisch ab und ließ seine Hände suchend in den Taschen seiner Jeans verschwinden.

"Essen ist mir jetzt zu mühsam", kommentierte er sein Verhalten. Wir hörten gerade Sympathy For The Strawberry von den Sonic Youth frisch und noisig aus der HiFi Anlage hinter uns. Das Wohnzimmerfenster stand offen, und gönnte uns eine gute Akustik. Ich sinnierte noch gedankenzerfahren über Anspielungen an das ähnlich betitelte Stones Stück, als Jonas tief den Rauch seiner Zigarette inhalierte und sich mühsam entspannt gegen die Rückenlehne von Nick - dem acht Euro Klappstuhl von Ikea - fallen ließ. Grün. Der Stuhl. Meiner war gelb. Ein paar locker formierte Vögel ließen sich über uns in der Baumkrone nieder, pfiffen dann und wann unmotiviert zu Thurston Moores Gitarre und plötzlich herrschte mehr provinzielles Idyll als ich ertragen konnte. Kleinstadt Dasein. Gelebte Utopie einer Bilderbuchwelt in all seinen Facetten.

"Wieviel Zigaretten rauchst du am Tag", fragte ich beiläufig. Neugierig.
"Kommt darauf an wieviele ich schaffe", entgegnete er mir, das Kinn auf dem ausgestreckten Daumen seiner rechten Hand balancierend, während die Zigarette - zwischen Zeige,- und Mittelfinger fixiert - ihren verführerischen Dunst in die Luft emittierte. Sein Ellenbogen ruhte auf den überschlagenen Beinen und nichts als unverwundbare Gelassenheit schien dieser Post-James-Dean-Habitus zu vermittelt.

Als Nichtraucher ist man ziemlich weltfern, dachte ich mir, und nahm einen großen Schluck aus meinem Wasserglas. In der Tat ist es so, dass man als Nichtraucher kontaktärmer aufwächst. Zumindest während der Jugend und Adoleszenz; also zu der Zeit, wo es wirklich darauf ankommt. Eine der Grundlagen meiner frei nach Darwin entwickelten Theorie des Aussterbens der Nichtraucher aufgrund Isolation durch mangelnde soziale Vernetzung. Als Nichtraucher kann ich nicht einfach auf Menschen zugehen, auch wenn sie aus der Ferne betrachtet ohne Frage Interesse wecken. Was soll ich ihnen sagen? Ziemlich heiß heute, was? Nein. Ein gewisses Niveau sollte ein solches Kleingeschwätz schon erstreben. Als Raucher muss man sich über solch fundamentale Grundsätze des Kennenlernens keine Gedanken machen. Man fragt nach Feuer oder sogar eloquent nach einer Zigarette, wobei letzteres stilvoll gehandhabt werden sollte, damit es weniger nach biederem schnorren, als vielmehr nach einer freundlich abgewägten Interessensbekundung ausschaut. Und während mein Gegenüber das Streichholz entzündet, kommt es gar unausweichlich zu einem situationsbedingten, intensiven Blickkontakt. Keine Spur von nichtrauchendem, geheucheltem Anbiedern. Raucher haben es in unserer Gesellschaft einfach besser, sieht man einmal von gelben Zähnen, Lungenkrebs und stinkenden Wohungen ab.

"Hast du je daran gedacht damit aufzuhören?"
"Das ist eine Kopfsache, weißt du", offenbarte mir Jonas, die Zigarette im Aschenbecher liebevoll versenkend. Gelassen blickte er in den blauen Himmel.
"Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie die Welt ohne Zigarette weitergehen soll."
Die nackte Ungewissheit die sich in seinem intensiven Blick widerspiegelte, zeugte von tiefer, existentieller Wahrheit.
"All diese Ex-Raucher, die sich irgendwann, aus irgendeinem Grund, sagten, sie würden es sein lassen, und mit eisernem Lächeln auf den Lippen daran festhalten dass es ihnen jetzt viel besser gehe; Das ist alles nichts als Propaganda."

Wenigstens stirbt er nicht einsam dachte ich mir, und stand auf, um eine neue Platte aufzulegen.
Text: Martin Boehnert
illustration: heiko windisch

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The Weakerthans [Kassel, 04.06.2004]

We don't hate Winnipeg.
Ein Abend mit den unvergleichlichen Weakerthans.





"and i'm leaning on this broken fence between past and present tense."
(aside)


Es hat geregnet. Am Fuße des ehemaligen Industriegebäudes einer Schwerweberei, säumen dreckige Pfützen den Weg zu dem Treppenhaus. An den Wändern hängen Reste alter Konzertplakate und die ein oder andere linke Parole darauf geschmiert, verdeckt Namen und Daten. Auf dem Treppenaufgang, vorbei an dem Hinweis, dass der Judoka Verband im Raum mit einer mir entfallenen Nummer sein Training absolviert, sieht man die üblichen Verdächtigen auf Konzerten; Menschen mit Bandshirts, deren Aufdruck einiges über sie selbst erahnen lässt. Mit Pünktlichkeit nimmt man es hier gelassen, selbst wenn sich die Türen im vierten Stock erst eine halbe Stunde nach Einlass öffnen. Nachdem man durch einen zeitgenössischen Hype daran erinnert wird, wie unkleidsam die alten Truckerkappen der späten Achziger Jahre waren, mit ihren Mesheinsätzen am Hinterkopf und den dick gepolsterten Frontpartien, die genügend Platz für Stadionbandenwerbung lassen, treten die vier Kanadier, die der Grund für die Zusammenkunft all der mit Leidenschaft erfüllten Musikliebhaber an diesem Abend sind, entspannt auf die Bühne.

And when tomorrow gets here where will yesterday be.
(Reconstruction Site)

Mit dem Sonett Manifest eröffnen die Weakerthans ihr Set, welches in den gut zwei Stunden, Stücke ihrer letzt jährigen Platte "Reconstruction Site" so wie der beiden Vorgänger Alben beinhalten wird. Die vier Musiker haben ganz offensichtlich Freude daran, in einem so kleinen Club wie der Kasseler Factory zu spielen, und hoffen, dass die Höhrer etwas von diesem Abend mit auf den Weg nach Hause nehmen. Der ehemalige Propaghandi Bassist John K. Samson, in einem schwarzen Constantines Tourshirt, ist ein Songwriter, ein Sänger und auch ein Poet. Seine schmächtige Figur erscheint äquivalent zu den bedeutsamen Wortgeflechten, die sich in seinem Kopf zu wunderbaren Kompositionen verbinden; Statements gegen die sozialen, politischen aber auch die kleinen privaten Ungerechtigkeiten unserer Zeit. Kaum eine Gruppe der letzten Jahre, versteht es so gut Intimität mit dem Publikum aufbauen, wie diese ausdrucksvolle und illustrative Band. Bei den gut einhundertfünzig Menschen im kleinen Theaterraum, kann man immer wieder ein behagliches Strahlen im Gesicht bemerken, wenn man sich während den Stücken umdreht. Mit Wohlbehagen goutiert man die musikalische Brillanz, die im Gegensatz zu den Alben mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug, sowie diesem liebevoll eingebetteten Kinderspielzeug, der Röhnröhre, im Stück Elegy for Elsabet, geschwungen von Gitarrist Stephen Carroll, umgesetzt wird. "Winter dies the same way every spring."

"How I don’t know what I should do with my hands when i talk to you.
How you don’t know where you should look, so you look at my hands."
(Pamphleteer)

Er möchte nicht, dass man es bemerkt, und doch kann man das permanente Kauen von Kaugummis während des Auftritts, als selbsttherapeutischen Ausgleich für sein Laster erahnen; Samson ist leidenschaftlicher und intensiver Raucher, und nur für das Gitarrenspiel sind seine Finger so lange das Konzert wärt, zigarettenlos. Und ein bisschen schaut er ja aus wie Ray Bolger, der Schauspieler der die Vogelscheuche aus dem amerikanischen Märchen der Zauberer von Oz spielt; kantig, hager, und mit den strohblonden, kurzen Haaren, die sein Gesicht noch schärfer wirken lassen. Und ein bisschen hat man auch das Gefühl ihn in den Arm nehmen zu müssen, wenn er gelegentlich die Augen beim singen schließt, seine Gesichtszüge ernst aber nicht angespannt wirken, nur um dann doch in einem erleichterten Lächeln die Geschichten von Hoffnung und Verzweiflung zu erzählen.

"When I get a new guitar, you can have this one and sing me a lullaby.
Sing me the alphabet. Sing me a story I haven’t heared yet."
(My Favourite Chords)

Auf den Fingern zu pfeifen ist eine kleine Kunst für sich, und Samson kann es genauso wenig wie ich, doch bemüht er sich, den gut gemeinten Ratschlägen aus dem Publikum zu folgen, als er für die Zugabe zunächst allein auf die Bühne zurückkehrt. Dennoch schafft er es nicht den erhofft schrillen Ton erzeugen zu können; "It’s just one of those things, you failed to learn in your childhood, and wont get it anymore." Er wirkt zufrieden, als er One Great City, spielt, in welchem immer wieder die kontroverse Zeile "I hate Winnipeg" vom Publikum unterstützt wird. Winnipeg, Samson und Carrols Heimatstadt, deren kulturelle Innovationen er so leidenschaftlich zu unterstützen ersucht. Dem ungeachtet erzählt das Lied episodenhaft von den immer wiederkehrenden Alltagsdramen seiner Bewohner; Kleinstadtbetroffenheit. John P. Sutton, Bassist der Kanadier, versichert mir nach dem Konzert, dass es ihm eine große Freude war, in einem so kleinen Club zu spielen, vor allem mit dem Gedanken, an die beiden Großveranstaltungen die in den nächsten Tagen folgen würden. Die Musik der Weakerthans ist zu zerbrechlich, als ob sie auf einer voluminösen Bühne ihre intime Schönheit entfalten könnte. Schließlich erklärt sich ihr Name nicht umsonst aus Ralph Chaplins Gewerkschaftslied Solidarity Forever mit der Zeile "What force on earth could be weaker than the feeble strenght of one, but the union makes us strong".
foto: kirstie shanley

the weakerthans
kulturfabrik salzmann

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Olli Schulz Und Der Hund Marie [Kassel, 04.06.2004]

Ein Mann und sein Hund.
In der Zwischenwelt von Singer/Songwriter und Stand-Up Comedian.



"und bruce spielt wieder ohne e-street band."
(weil die zeit sich so beeilt)

Waldorf und Stadler sitzen seit jeher fest in ihrer roten Loge und machen es keinem der darbietenden Schauspieler auf der großen Muppetbühne leicht, sie angemessen zu unterhalten. Eine urbanere Analogie dieser beiden stets sarkastischen Handpuppen stand auf dem Olli Schulz und der Hund Marie Konzert direkt vor mir: ein langhaariger, dunkel bekleideter Freund des harten Gitarrenrock, und sein Koteletten bestückter Kompadre aus dem Rockabilly Lager mit Flammen auf dem Hemd und Fifties Grease Frisur.

Der Hamburger Olli Schulz reiste ohne Hund Marie an, da die beiden kein Auto besitzen, und so nur die Hälfte der Band als Beifahrer auf Tour gehen konnte. Olli Schulz tauchte letztes Jahr plötzlich, auf dem nicht mehr länger als Geheimtipp gehandelten Label Grand Hotel Van Cleef auf, und überraschte mit frischen Liedern über den Alltag und allem was man damit verbindet. Musiktechnische Versiertheit sollte man bei diesem jungen Herrn jedoch vergebens suchen, vielmehr weiß er zu erzählen. Zwischen den Liedern sprach er mit dem Publikum über seine Ansichten was das persönliche und öffentliche Zeitgeschehen betrifft, und freute sich ausdauernd über den Olli Schulz T-Shirt Träger in der ersten Reihe. So erklärte er, dass er sich als Jugendlicher einmal auf einem Tracy Chapman Konzert wieder fand, und dort aufgrund seiner lauten Äußerungen sowohl vom dortigen Publikum als auch von der Band aufgefordert wurde, diese zu unterlassen. Ganz jugendlicher Anarchist, entgegnete er gelassen: "Ich bin Punkrock. Ich kann machen was ich will."

Auch die Fans, besonders die, welche sich mit einem autoreifengroßen Piercing in der Brust als Hardcore betrachten, aber nichts mit den eigentlichen Wurzeln zu tun haben, verachtete Olli Schulz an diesem Abend gelassen. Nichtsdestotrotz sollte er sich am nächsten Tag auf dem von allen Medien angepriesenen Rock am Ring Festival, vor einer Vielzahl eben dieser Zuschauer behaupten. Eine zweifelhafte Ehre, die ihm aufgrund des Absagens der dänischen Band Kashmir zu Teil wurde. Er möchte gern etwas Provokatives auf der dortigen Bühne machen, gab er an, aber er würde sich am Ende doch nicht trauen seinen wunderbaren Reim „Rock am Ring, lutsch mein Ding“ ins Mikrofon zu brüllen. Schade. Es hätte dem gemäßigten Anarcho-Liedermacher gut gestanden. Dennoch gefiel es ihm sichtlich in seinen zum Programm gehörenden Anekdoten, Wortspielen und Lügengeschichten ("Und das ist alles gar nicht wahr.") vermeintliche Alternative Stars, welche die Medien mitsamt der Bezeichnung hervorgebracht haben, mit einem Lächeln zu diskutieren: Als peinlichste Darbietung stellte er so die Münchner Band Emil Bulls da, welche auf einem Festival nach ihm auftraten, und das johlende Publikum mit den Worten "Ihr werdet springen. Ich weiß, ich werdet springen!" begrüßten. In seiner Situation ist es ihm ein leichtes sich hinter solche Musikindustrie kritischen Äußerungen zu stellen, und er nutz diese sehr zum Gefallen des Publikums immer wieder aus. Da wird über die Berliner Mia. gespottet, welche auf einem Festival nach einer Antifa Demonstration die Bühne nicht betreten wollen, und über den intellektuellen Ex Black Flag Sänger Henry Rollins entschuldigend die Worte "Henry Rollins hat keinen dicken Hals, nur einen kleinen Kopf" gesungen. Während er sowohl Stücke seiner neuen EP "Unten mit dem König", welche er mehrfach anpries, jedoch nicht ohne Stolz hinzufügen musste, dass sie auf seiner Tour bereits ausverkauft ist, und Liedgut aus früheren Tagen seiner einjährigen Karriere darbot, lauschte ihm das Publikum hingebungsvoll und lachte immer wieder an den Stellen, die er dafür vorgesehen hatte, oder schwelgte in der akustischen Schwermut.

"Und wir werden nicht verbrennen in den Fehlern die wir kennen / Nein so wollten wir nie werden und so werden wir nie sein."

Olli Schulz ist gut darin, den schüchternen Jungen mit der Gitarre zu spielen, der ab und zu unbekümmert seine Gedanken zum Ausdruck bringt. Und so waren am Ende selbst Hardrock Waldorf und Rockabilly Stadler begeistert.
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