Diverse Interpreten [Schubfladen #1]

The SidSyn is a MIDI monophon synthesizer, based on the good old SID, like MOS 6581.
Was zunächst sehr nach Computer Nerdism klingt, ist es tatsächlich auch. Dennoch macht die 8-bit Musik, wie sie unter anderem gerade auf dem vorliegenden Sampler veröffentlicht wurde, eine sehr gute Figur.



"we built this gameboy on rock 'n' roll!."
(schubfladen pressetext)


Zwischen Super Mario Bros. und den Space Invaders bewegen sich nicht ausschließlich sentimentale Kindheitserinnerungen an das eigene Jugendzimmer mit grauen Brotkisten und überdimensionierten, flexiblen Disketten im 5 ¼" Format. Vielleicht hat es tatsächlich auch zu einem Teil mit dem Revival und Nostalgie Rausch zu tun der allgegenwärtig ist, dass sich ein gewisses Interesse an den alten Personal Computern regt. Was sich zunächst in den Großen Elektro Märkten des Landes als Spiele Sammlung im Low Budget Bereich für den Mainstream durchsetzen konnte, hat sich bereits in einer kleinen Musikerszene manifestiert; die Rückkehr einer längst vergessenen Ästhetik. Jeder der jemals mit angesprochenem C64, dessen Nachfolger, dem C128 oder selbst einem Gameboy konfrontiert wurde, kennt die Soundeffekte, die den kleingewachsenen italienischen Klempner Mario beim Springen und Schleudern seiner Feuerbälle begleiten. Die Leistungsfähigkeit des dazu involvierten Chips SID (Sound Interface Device) – dem legendären und erfolgreichsten Soundchip der 8-bit Ära – zu eigen gemacht, kann dieser jedoch auch dem kreativen Output einer, wenn auch noch überschaubaren Musikszene dienlich sein.

Auf dem Cover der stilvoll als 7" erschienenen ersten Veröffentlichung des jungen Musikfladen Labels rast die kleine, pixelige Koopa Troopa Schildkröte aus dem Konsole Spiel Super Mario Kart den gepflasterten Platz am Lüneburger Sande hinab. Ein wenig Lokalpatriotismus darf man sich durchaus zugestehen, ist die alte Handwerksstadt doch eine kleine Hochburg was den liebevollen und enthusiastischen Umgang mit den 8-bit Chips anbelangt. Die vier darauf befindlichen Titel stammen dann jedoch aus ganz Deutschland und sind überraschend ambitionierte Elektropop Stücke die, Mal mehr Mal weniger, zum Tanzen auffordern. Gerade das erste Stück des Samplers Ninja Kornjace begeistert mit seiner Melange aus elektronischen Melodien, den überraschend groovenden C64 Beats und der wunderbaren Stimme von Natalie Kerkez, die auf Kroatisch die Geschichte einer Ninja Schildkröte erzählt. Julian Schmidt, der Kopf hinter der One-Man-Army A Boy And His SID, verwendet maßgeblich den alten Commodore 64 und "führt vor, dass der Sidchip auch heute kräftig nach vorne gehen kann", wie nicht nur der Pressetext zu berichten weiß. Aber es ist noch mehr als das liebevolle Zugeständnis an einen Computerfrickler; der Song ist ein wunderbares, leicht ins Ohr gehendes und dennoch keinesfalls plattes Stück Elektropop.

Das Musikfladen Label – der Name ergab sich aus einer Assoziation aus der von 1972 an über zwölf Jahre ausgestrahlten Fernsehsendung Musikladen, und der Formschönheit von Vinylplatten – entstand wie so oft aus der Not heraus, um sich in einer Tugend zu äußern. Nach zahlreichen Live Darbietungen zwischen Lüneburg und Brüssel konnte sich die 8-bit Musik für eine kleine Szene etablieren, und die Nachfrage nach Veröffentlichungen wurde größer. "Dass ein Release gemeinsam mit anderen Bands, die man im Laufe der letzten eineinhalb Jahre kennen lernte noch viel sympathischer und spannender sein würde, stand außer Diskussion. Mein Wunsch war es schon seit Jahren, irgendwann ein kleines, feines Plattenlabel zu gründen. Nicht aus kommerziellen Gründen, sondern weil es irgendwann für mich einfach die logischste Konsequenz aus 15 Jahren Musiker Dasein ist; entweder aufhören und Erwachsen werden oder einen Schritt weitergehen und einfach mal schauen, was so passiert", erklärt Labelgründer Mike Witschi, auch Teil der auf dem Sampler vertretenen Naomi Sample & the Go Go Ghosts. Mit firestARTer aus Wuppertal ist auf "Schubfladen #1" eine Größe der Micromusik Szene vertreten, der sich besonders durch Hardware Erfindungen, wie dem SidSyn – einer Midisteuerung für C64 und Gamboy – einen Namen gemacht hat.

Das Label selbst zeichnet sich durch seine Non-Profit Attitüde aus, denn das eingenommene Geld des ersten Release wird direkt in die Folgeprojekte investiert. Man erhofft sich auf diese Weise innovativen Künstlern eine Plattform zu bieten, welche "Lüneburg und dem Rest der Welt eine Prise mehr aus einer kleinen kulturellen Nische beschert, dem 8-bit Rock 'n' Roll".

Bei den zukünftigen Veröffentlichungen, so erklärt uns Witschi, wird sich Musikfladen nicht ausschließlich auf die 8-bit Szene beschränken, diese aber dennoch weiter im großen Stil bedienen. "Der zweite Schubfladen wird beim 8-bit-Sound bleiben, sich jedoch etwas deftiger präsentieren; Naomi Sample wird ohne seine Go Go Ghosts einen Song releasen, den er einst für seinen Großvater schrieb. Dieser Lo-Fi Punk Song und drei weitere rockigere 8-bit Stücke werden den zweiten Fladen schmücken."
foto: musikfladen/martin boehnert



diverse interpreten
"schubfladen #1"
musikfladen 2005 7"

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Decibully [Sing Out America]

Decibel und Schoolyard-Bully.
Der arg konstruierte, und in unseren Gefilden zunächst auf fragende Gesichter stoßende Name, lässt zunächst auf etwas ganz anderes schließen, als sich tatsächlich dahinter verbirgt.



"i left home with the rising sun, if i ever find my way back home, i'm gonna tell you."
(i'm gonna tell you)


Decibully. Ein Name, der zunächst für Verwirrung sorgen sollte, denn weder geht es hier um Lautstärke noch um einen schikanierende Gruppe von tyrannischen Schlägern, sondern vielmehr um ein kleines Musiker Kollektiv aus Milwaukee, Wisconsin. Auf der aktuellen, dritten Veröffentlichung, zeigt sich, dass man im Hause Decibully seine Lektion aus Pink Floyd, Nick Drake, Queen, Beach Boys und Jeff Buckley gelernt hat. Dies soll zunächst nur eine Unterstellung sein, denn der Autor dieses Textes muss gestehen, dass ihm die Band bislang völlig unbekannt war.

Die Bilder amerikanischer Vorstädte, mit ihrer organisierten Anonymität zeugen von einer Tristess, die bisweilen auch in den Stücken des Septetts wieder zu finden ist. "Sing Out America!" scheint hier als eindeutiger Ratschlag gemeint zu sein. Der Titel der Platte und der Name der Band thronen fragmentiert wie Wolken über der wenig überzeugenden Idylle. Akustisch setzt sich die Musik aus elektrischen und akustischen Gitarren, verbunden mit dem Klang von Rhodes, Lap Steel Gitarren, Banjo, zahlreicher Perkussion Instrumenten und einer verspielten, ideenreichen Rhythmussektion zusammen.

Im Herbst 2001 gründete sich die Band um die Multiinstrumentalisten William J. Seidel, W. Kenneth Siebert und Nick Westfahl. Auf unzähligen Touren wurde die Band immer weiter ausgedehnt, zunächst zweckdienlich, um die aufgenommenen, mit einer Vielzahl von Overdubs arrangierten, opulenten Stücke auch live umsetzen zu können, um dann schließlich 2002 ihr Debüt Album "You Might Be A Winner, You May Ba A Loser, But You’ll Always Be A Gambler" selbst zu veröffentlichen. Das gerade veröffentlichte dritte Album bewegt sich zwischen eingängiger Melodieführung, Experimetierfreudigkeit, politischer Aufgeklärtheit und blasierter Verspieltheit. Selbstverständlich darf bei einem gewählten Titel wie dem hiesigen, eine gewisse gesellschaftliche Kritik nicht fehlen. Decibully suggerieren dies mit ihrem Stück Notes For Our Leaders recht plakativ. "Sidewalk chalk writers leave notes for our leaders / Who cover our eyes with candy and bubblegum", singt Seidel zu Beginn des Stückes. "Welcome to the states / Here is a flag and a minimum wage / Be grateful for what you’re given."

Decibully überzeugen genau dann, wenn sie sich auf ihre Stärken berufen. Ein siebenköpfiges Ensemble sollte sein Hauptaugenmerk auch auf diese Besonderheit legen. In Stücken wie I’m Gonna Tell You, dem Opener des Albums, kann es nicht offensichtlicher sein. Ein breiter Klang, pointiert durch die betörend verspielten Klänge des Banjos ebnet dem androgynen Gesang von William J. Seidel den Weg, sich in einem melancholischen Stück Weltschmerz zu verlieren. Überall strömen neue Klänge empor und vermischen sich im Höhepunkt des Stückes zu einem eruptiven Ganzen, bevor es nach fast fünf Minuten ausklingt und Handclaps in das zweite Stück hinüber klingen. Megan & Magill, ein mit treibenderem, Snare betonten Schlagzeug nach vorn zielendes Mittempo Stück glänzt durch eine verspielte Aufnahmetechnik. Die sieben Herren haben das Stück gleich zweimal aufgenommen und die Tonspuren jeweils auf den linken bzw. rechten Ausgang gelegt, was dem Stück einen spannenden Stereo Mix verleiht. Ein intelligentes und kreatives Gespür für Melodien steckt in einer vielzahl der zehn Stücke.

Die Band verliert jedoch mit jedem Song, bei dem man sich auf das Basis Songwriting einer dreiköpfigen Band konzentriert, und die weiteren Instrumente nur hier und da wie eine kleine Beigabe wirken, obgleich das Album, so weiß der Pressetext zu berichten, das erste ist, welches von dem Septett gemeinsam geschrieben wurde. Die erste Single etwa, das eingängige Penny, Look Down ist leider nicht mehr als eine gewöhnliche Pop Rock Nummer, die zwar verspielte Ideen aufweist, aber im großen und ganzen auch ohne Rhodes und Banjo auskommen würde, ohne dass dies das Stück maßgeblich beeinträchtigen würde.

Überraschen und polarisieren - und hierbei ist sich der Autor noch nicht ganz seiner Position sicher – dürfte keineswegs das Stück Temptation, ein acapella vorgetragener Bastard aus Beach Boys Ballade, Gospel Versatzstücken und mehrstimmigem Gesang, der in einem selbstironischen Gelächter endet.

Ein ausgewogenes, repräsentatives Album ist der Band mit "Sing Out America!" fraglos geglückt, welches mit mehr Mut zur Abstraktion gewiss mit Ausnahme Bands wie den Norwegern Jaga Jazzist oder den Kanadiern Broken Social Scene schritt halten könnte, denn die Ideen und auch das Potential für einen solchen Schritt stehen den Nordamerikaner ohne Frage zur Verfügung.
foto: chris strong



decibully
"sing out america"
polyvinyl records 2005 cd
decibully

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Naked Lunch [Wiesbaden, 02.04.2005]

Loneliness is where we’ve been.
Die Österreicher Naked Lunch zelebrieren ihre eigene Vergangenheit und unterstreichen, dass auch ein steiniger Weg in eine positive Gegenwart führen kann.


"so cruel and lonesome another day i could survive."
(first man on the sun)

Die Bandgeschichte von Naked Lunch liest sich wie eine Abhand-lung über die Stereotype eines Rock’n’Roll-Lebens. Ihre Mitglieder durchlebten sämtliche Höhen und Tiefen eines Musikerlebens. 1990 in der österreichischen Provinzstadt Klagenfurt gegründet landet die Band schnell in London und New York und der ganz große Durchbruch scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Stattdessen folgt allerdings der tiefe Fall und Naked Lunch stehen 1999 ohne Plattenvertrag oder gar Management da. Nach einer langen musikalischen Auszeit veröffentlichten sie im Jahr 2004 "Songs For The Exhausted", ein Album das zumindest im deutschsprachigen Raum wieder auf relativ große Resonanz stieß. Ende März wurde nun die EP "Stay", dessen Titelsong auch auf dem aktuelle Album zu finden ist, veröffentlicht, welche als Anlass für eine kleine Tour diente.

Doch zunächst betritt der österreichische Songwriter Florian Horwath die Bühne des gut gefüllten kleinen Saals im Wiesbadener Schlachthof. Seine Band besteht aus einem Gitarristen und einem Drummer, er selbst greift mal zur Gitarre, mal zum Tambourin. Die Songs klingen zunächst in klassischer Songwritermanier, sind jedoch von zu vielen Brüchen durchzogen. Es sind unaufdringliche Spielereien, die kaum Spannung aufbauen und teilweise etwas konzeptlos erscheinen. Florian Horwath versucht, die Musik in körperliche Posen umzusetzen, was einen Zuhörer zu der Aussage veranlasst, auf der Bühne stehe wohl der leibhaftige Jesus. Tatsächlich haftet seinen artifiziellen Gebärden auch etwas Spiritualität an, ein Schweben in anderen Sphären, dennoch scheint ein roter Faden besonders auf musikalischer Ebene zu fehlen. Das Publikum zeigt sich nichtsdestotrotz begeistert von dieser mystischen Atmosphäre und honoriert es dementsprechend.

Kaum kontrastreicher könnte da der Auftritt von Quasi sein. Das Keyboard von Sänger Sam Coomes liegt noch eingefasst in einem Transportcase aus Holz, auf dem Fragile Musical Instrument gestempelt steht. Doch das Duo aus Portland/Oregon rumpelt und scheppert durch das dreißigminütige Set, als würde es kein Morgen geben, von Zerbrechlichkeit keine Spur. Zu Beginn ist der Sound sehr mäßig, das Keyboard und der Gesang gehen zunächst in einem Schlagzeuginferno völlig unter, was sich aber im Laufe der Zeit bessert. Drummerin Janet Weiss, die ansonsten bei Sleater Kinney die Stöcke schwingt, versprüht grenzenlose Energie, die Dynamik des Spiels und der kraftvollen Bewegungen ist mitreißend. In minimaler Besetzung lassen die Beiden krachige Soundwände entstehen. Irgendwo im Schrammeluniversum zwischen schrägem Keyboard und polternden Drums machen Quasi klar, dass es weder Gitarre noch Bass bedarf, um ordentlich zu rocken.

"Picture yourself in a room with no one left to talk to..."

Zunächst allein und mit gesenktem Haupt betritt Oliver Welter die Bühne, symbolisch für all das stehend, was Naked Lunch in den Jahren ihrer Existenz durchlitten haben. Einsamkeit und Schmerz vermittelt dieses Bild, das mehr als nur eine Pose ist. Es kommt aus dem tiefsten Innern und ist stark durchdrungen von einer Geschichtlichkeit, welche zu einem essentiellen Fixpunkt geworden ist, um den sich die Musik nun dreht. Wunderbar fügt sich da die Band nach den ersten beiden solo gespielten Stücken in die Atmosphäre ein. In blaues Licht gehüllt, welches sich in einem Alufolien-Vorhang an der Rückwand spiegelt beginnt ein Set von großer Intensität, eine Leidensgeschichte wird erzählt, jedoch ohne in aufmerksamkeitshaschenden Pathos zu verfallen.

"Not the slightest chance of relief, no escape, he's paralyzed..."

Langsam wird ein großer Spannungsbogen aufgebaut, der sich in auch in Instrumentierung und verstärkten Bewegungen auf der Bühne widerspiegelt. Der Sound nimmt im Laufe der Zeit eine kräftigere Gestalt an, immer wieder verlieren sich die Stücke in breiten Klangteppichen, um anschließend wieder in eine weiche Fragilität zurückzukehren. Stärker noch als auf den Studioaufnahmen wird hierbei die künstlerische Verwandtschaft mit Weilheim offenbar, Soundschnipsel und sanfte elektronische Beats werden bei Stücken wie Man Without Past oder Lost It All von der spielerischen Facette zu einem bestimmenden Element umgewandelt. Gleichzeitig löst sich die Band langsam aus ihrer geistigen Blase der Einsamkeit, die Stimmung des Publikums wird aufgenommen und Oliver Welter kommuniziert zunehmend gelöst. Wie in dem Video zu Stay erklimmen Naked Lunch einen imaginären Berg, diesmal scheitern sie jedoch nicht. Jeder Schritt wird einfacher und als der naked lunch Wolkenschleier schließlich durchbrochen ist, gibt es kein Halten mehr. Nach nur 45 Minuten erreichen sie mit Solitude bereits den ersten Gipfel, eine riesige Soundwand wird aufgeschichtet und fällt abschließend in sich zusammen, nicht mehr als ein zartes Keyboardsample hinterlassend.

"Stay here, let your love come over."

Immer stärker nähern sich die Band und das Publikum in ihrer musikalischen Wahrnehmung, die Zuhörer werden aus der Beobachterrolle in ein selbstbewusstes Mitfühlen gedrängt. So bittet Oliver Welter um einen Applaus für Scott Walker, bevor dessen Klassiker The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore als zweite Zugabe gespielt wird. Mit dem Verweis auf den Zeitdruck durch eine nachfolgende Tanzveranstaltung wird zum scheinbaren Abschluss First Man On The Sun gespielt, doch zuletzt zwingt der frenetische Applaus des Publikums die Band ein letztes Mal auf die Bühne. Naked Lunch sind wieder angekommen im Leben, doch der Boden der Tatsachen erweist sich dieses Mal offensichtlich als ein weicher Untergrund.

"Lay down cause you know it will last."
foto: kwentin

naked lunch
florian horwath
quasi
schlachthof wiesbaden

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