Melt! Festival [Gräfenhainichen, 13.-15.07.2007]

Geburtstagsfeierei
Das Melt! zelebrierte einen runden Geburtstag und sehr viele waren gekommen. Reizüberflutung und Postmoderne, ein überreichliches Programm und ein ebenso vollgestopftes Festivalgelände. Herzlichen Glückwunsch!


"can you hear the power?"
(fraktus)


Zehn Jahre, das kann eine lange Zeit sein für ein kleines Festival. Das finanzielle Risiko ist hoch, die Sicherheiten sind gering und der Aufwand ist enorm. Nun feierte das Melt! seinen 10. Geburtstag und es ist klar, dass da etwas Besonderes entstanden ist. Die Anfänge waren klein und rein elektronisch, doch nach finanziellen Engpässen und einem Ausfall im Jahr 2003 stieg das Intro-Magazin ein und das Melt! durchlief eine Metamorphose mit der Öffnung für gitarrenlastigere Acts. Auch die Größenverhältnisse änderten sich, seit 2002 haben sich die Besucherzahlen verdoppelt, eine Entwicklung die für das Festival spricht, allerdings auch neue Herausforderungen mit sich bringt.

In diesem Jahr wurde alles noch mal ein bisschen größer. Vier reguläre Bühnen sollten gleichzeitig bespielt werden, dazu gesellte sich noch ein reiner DJ-Floor. Nicht lumpen lassen wollte man sich, die Ankündigungen der Geburtstagsfeierlichkeiten waren vollmundig und euphorisch, auch wenn mit der Bekanntgabe der ersten Acts lange gewartet wurde. Doch als erst einmal das Name-Dropping begann, fand es gar kein Ende mehr. Elektronischer als noch 2006 klang es in allen Ohren, auch wenn übergroße Headliner wie die Pet Shop Boys oder Aphex Twin nicht vertreten waren. Stattdessen waren eine Reihe exklusiver Festivalauftritte angekündigt, unter anderem von Autechre, The Notwist, Motorpsycho oder Trentemøller, der gar mit Band anreiste. Dass Frankie Says Melt!, ein aus namensrechtlichen Gründen umbenannter Verschnitt von Frankie Goes To Hollywood, kurzfristig absagte, schmerzte hingegen nicht wirklich. Denn Highlights gab es bereits auf dem Papier genug: Ob Tocotronic oder Deichkind, Digitalism oder UNKLE mit Band, Mouse On Mars oder The Thermals, die Liste wollte einfach nicht enden. Dazu wurde das Melt! um eine weitere Facette bereichert, denn mit Dendemann, Dizzee Rascal und Lady Sovereign wurde erstmalig ein größerer Akzent auf Hip Hop und Konsorten gesetzt. Die größte Überraschung war aber die Ankündigung des Auftritts von Kelis, mit ihr hatte wohl kaum jemand gerechnet.

Der vorgesehene Zeitplan ließ aber das Dilemma offenbar werden, das ein so großes und fantastisch besetztes Line-Up mit sich bringt: Bereits vor dem Festival musste sich der geneigte Besucher darauf einstellen nur einen Teil der favorisierten Acts sehen zu können, denn Überschneidungen waren nicht nur unvermeidlich sondern die Regel.

Eröffnet wurde das Melt! am frühen Freitag Abend von Olli Schulz auf der Hauptbühne, dessen vorgetragene Geschichten zwischen den im Bandkontext auf die Bühne gebrachten Songwriter-Stücken allerdings etwas zu einstudiert und routiniert wirkten. Im Anschluss allerdings bereiteten I’m From Barcelona die Besucher stilgerecht auf die kommenden 36 Stunden vor: Die Hälfte der vielköpfigen schwedischen Band bestand aus Background-SängerInnen, die unermüdlich auf der Bühne umhersprangen und das Publikum mit Konfetti-Ballons beglückten, während Sänger Emanuel Lundgren schon beim ersten Song das Crowdsurfen übte. Ausgelassen, glücklich machend und mit einem hedonistischem Touch, so ließe sich auch das Melt! beschreiben. So war Owen Pallett aka Final Fantasy wohl der einzig leise Act auf dem gesamten Festival, was soundtechnisch manche Probleme bereitete. Auf der Gemini Stage spielend wurde Pallett von gleich zwei Seiten bedrängt. Von rechts dröhnte Jamie T herüber, von links waren es die DJs der Big Wheel Stage. Man musste also weit vorne stehen, um auch nur annähernd in die wunderbare Klangwelt des Owen Pallett eintauchen zu können. Doch mit jedem Stück gewann er an Kraft und irgendwann konnte man sich der so zurückhaltenden und doch charismatischen Musik nicht mehr entziehen. Ausgerechnet der leiseste Act stellte sich als einer der Größten heraus.

Abgesehen von der zu großen Dichte zur Gemini Stage während dem Auftritt von Final Fantasy bot die Big Wheel Stage allerdings nur Grund zur Freude. Tobias Thomas brachte bereits gegen 18 Uhr die Ersten zum Tanzen und dieser Zustand sollte sich bis zu Richie Hawtins Set am frühen Samstag morgen auch nicht mehr ändern. Besonders Mathias Kaden und Onur Özer legten gemeinsam ein famoses Set auf und so konnte man bereits gegen 22 Uhr die körperliche Extase riechen, eine beißende Geruchsmischung aus Schweiß und Alkohol machte sich breit. Nur die in diesem Jahr vergrößerte Bühne inklusive Pressegraben wirkte zu mächtig. Während 2006 der Übergang zwischen DJ-Kanzel und Tanzfläche fast noch fließend war, wurde nun eine stärkere Trennung vorgenommen, welche den Auftritten deutlich an Intimität nahm.

Während auf Der Big Wheel Stage also die Feierei bereits am frühen Abend begann, tobten sich auf der Hauptbühne erst einmal Gitarrenacts aus. Ein erster Höhepunkt waren The Notwist mit einem ihrer raren Auftritte. Neue und alte Songs spielten sie und berührten dabei einmal mehr ganz tief. Die Schwierigkeit, ihre massiven wie zerbrechlichen Stücke in ihrer vollen Intensität vom Studio auf die Bühne zu übersetzen, meisterten sie auf sympathischste Art und Weise. Da war es fast vergessen, dass man dafür den Auftritt der Puppetmastaz verpasste und von Ladytron nur noch die letzten Minuten erleben konnte. Den Auftritt von Lady Sovereign konnte man ebenso abhaken, denn sie spielte kurz darauf im Melt!Klub auf der Zeltbühne, wo häufig schon vor Beginn der Acts kaum noch ein Hineinkommen war.

Doch die Qual der Wahl hatte man dennoch: Sollte man sich lieber von Motorpsycho oder Autechre bedröhnen lassen, zu Tiefschwarz abgehen oder Dendemanns Performance auf der Hauptbühne sehen? Aufgrund von Zeitverzögerungen konnte man sich kaum noch auf den Zeitplan verlassen, Spontaneität und eine gewisse Gelassenheit ob der vielen verpassten guten Acts waren essentiell. Zum Glück lagen die Bühnen sehr nah beieinander, so dass man im Zweifelsfall zwischen den einzelnen Shows hin- und herspringen konnte. Dies war im Melt!-Ambiente eine wahre Freude. Die über den Bühnen thronenden Schaufelradbagger wurden in verschiedenen Farben illuminiert und erzeugten eine Atmosphäre zwischen urbaner Postmoderne und Endzeitstimmung a là Mad Max.

Und dann spielten da noch The Thermals im Zelt, wo sie eine außerordentliche Stimmung erzeugten, ohne besonders viel dafür tun zu müssen. Bei diesem Festivalpublikum schien das aber auch kaum notwendig, fast jede Band wurde mit außerordentlichem Enthusiasmus empfangen. So wurde auch Dendemann auf der Hauptbühne entsprechend abgefeiert, auch wenn dessen Präsenz sich genau auf die Bühnenmitte beschränkte. Kaum einer benötigte weniger Raum, doch auch mit minimalem Aktionsradius wurde er dem Anspruch, momentan einer der besten und wichtigsten Rapper deutscher Sprache zu sein, gerecht.

Erwarten konnte man auch viel von Dizzee Rascal, doch das von seinem Sidekick ewig wiederholte „Germany, make some noise!“ nervte mit der Zeit gewaltig. Dafür schwang er anschließend noch mit den verbliebenen Zuschauern vor der Hauptbühne zu Goldie & MC LowQui ordentlich die Hüften, während bereits die Sonne aufging. Gegen sieben Uhr morgens wurde dann auch den Wighnomy Brothers und Richie Hawtin der Saft abgedreht und wer noch immer nicht genug hatte, konnte noch auf den Sleepless Floor außerhalb des Geländes gehen. Kaum zu glauben, wie viele Endorphine manche Menschen über eine Nacht hinweg ausschütten können und anschließend noch immer genug Energiereserven besitzen, um morgens weiter zu tanzen…

Aber an schlafen war am Samstag morgen auch kaum zu denken. Die Sonne schien wie schon lange nicht mehr und bis zum Mittag stieg das Thermometer auf über 35 Grad Celsius, immerhin versprach der See reichlich Abkühlung. Umso beliebter war das Baden, da es zudem nur sehr wenige sanitäre Anlagen vorhanden waren. Diese Problematik hatte es bereits im letzten Jahr gegeben. Da hatte der Veranstalter eindeutig verschlafen, zumal in diesem Jahr noch mehr Tickets verkauft worden waren. Als Walter Schreifels am späten Nachmittag die Hauptbühne für die zweite Runde eröffnete, war von der großen Gästeanzahl noch nicht viel zu sehen, gerade eine Handvoll Menschen lauschte seinen Songs. Bei den Rifles, die gegen 19.30 Uhr mit ihrem Set begannen, standen jedoch bereits mehr Menschen vor der Hauptbühne, als bei den Hauptacts in der Nacht zuvor. Bemerkenswert für ein Festival, bei dem der Zenit des Feierns in der Regel nicht vor 2 oder 3 Uhr überschritten wird. Doch offensichtlich wurden für Samstag eine Menge Tageskarten verkauft, die Masse der Menschen nahm immer weiter zu. Hot Chip galten vielen als ein heimlicher Höhepunkt des Festivals, doch gleichzeitig wurden die weiteren Bühnen von Stereo Total, Jake The Rapper und Erase Errata bespielt. Letztere traten im Zelt vor vergleichsweise kleinem Publikum auf, doch die Resonanz des Auftritts war völlig zu Recht überwältigend.

Lo-Fi-Fnk hingegen hatten eine Menge Pech. Den ersten Song mussten sie fünf Mal anspielen, da die Musik immer wieder aussetzte und auch danach hörte sich der Sound an, als würde ein Küchenradio verstärkt werden. Dennoch wurden sie frenetisch gefeiert, das Publikum tanzte und johlte ununterbrochen.

Die Masse der Besucher vergrößerte sich zusehends und bald war das Gelände an allen Ecken und Enden vollgestopft mit Menschen. Nach Angaben des Veranstalters war die Platzaufteilung optimiert worden, um dem großen Besucherandrang gerecht zu werden, doch das Gelände war dafür eindeutig zu klein. Überall drängten sich die Menschen, es gab kaum noch Sitzgelegenheiten oder etwas freien Raum zur Entspannung. Das große Interesse ließ sich aber einfach mit dem fantastischen Line-Up erklären, dessen Höhepunkte besonders am Samstag stattfanden. Wegen ihres aktuellen Albums war natürlich der Auftritt von Tocotronic von besonderem Interesse doch dafür musste man auf Goose und Hey Willpower verzichten. Letzteres war der erste Act, der eine Zugabe spielen durfte, da die Fans trotz einsetzender Hintergrundmusik nicht zu jubeln aufhörten. Im Anschluss musste man sich zwischen dem Black Rebel Motorcycle Club und Mouse On Mars entscheiden, während die Big Wheel Stage bei Booka Shade völlig überlaufen war.

Als ein designierter Hauptact und mit dementsprechend obligatorischer Verspätung betrat Kelis die Bühne und sorgte für viel Wirbel. Musikalisch nur mäßig spannend wusste sie aber durch eine Menge Attitüde und ihr Interesse für „weird German porn“ aufzufallen. Dabei wirkte sie ungleich sympathischer als der unvermeidliche Jan Delay, dessen Ansagen ungefähr dem Niveau seiner öffentlichen Statements entsprach. Aber zum Glück bot das Meltfestival reichlich Alternativen: Trentemøller und UNKLE traten je live mit Band auf, Shitdisco und The Presets brachten das Zelt zum Toben. Doch ein absoluter Höhepunkt waren sicherlich Simian Mobile Disco auf der Big Wheel Stage: Zwei Silhouetten sprangen um einen runden mit elektronischen Arbeitsgeräten angerichteten Tisch herum und feuerten einen Elektronik-Bastard auf das Publikum, der wohl niemanden stehen ließ. Da fiel selbst das während dem Auftritt über dem Gelände gezündeten Feuerwerk zum Melt!-Geburtstag kaum auf. Ein großes Ding hat sich da angebahnt, dass noch deutlich frischer als die kurz darauf auf der Hauptbühne feiernden Deichkind. Vor deren Show sorgte erstmal das als fiktive Technolegende Fraktus auftretende Studio Braun für einige Verwirrung. Danach rastete eine riesige Menge kollektiv aus, während Deichkind auf der Bühne wieder einmal alle Konventionen über Bord warfen. Wenn man sie allerdings schon mehrfach gesehen hatte, dann verlor dieser riesige Kindergeburtstag für Jungs deutlich an Spannung. Stattdessen konnte man aber auch zu DJ Hell oder dem Cereal/Killers-Kollektiv in den Tag hineintanzen. Da hatten sch auch schon die Platzverhältnisse vor und zwischen den Bühnen etwas entspannt. Besonders am Samstag war der Zeitplan überreichlich mit spannenden Auftritten gefüllt, doch eine überreichliche Anzahl an Besuchern war die negative Folge dessen. 16.000 Karten waren laut Veranstalter abgesetzt worden, die Grenzen der Auslastung sind dabei fast schon überschritten worden. Der Atmosphäre war diese Masse aber in jedem Fall abträglich, da beengte Platzverhältnisse für unnötige Anspannung sorgen. Ein großer Reiz des Melt! ist die Symbiose von Reizüberflutung durch das Ambiente und relativer Intimität durch Überschaubarkeit und Nähe zu den Bands und DJs. Durch das Wachsen des Festivals wird dieses Verhältnis strapaziert, aber vor diesem Dilemma steht wohl jeder Veranstalter, dem nicht nur Wirtschaftlichkeit sondern auch gelungenes Festival am Herzen liegt. Es bleibt also nur noch zu sagen: Herzlichen Glückwunsch liebes Melt!, es war wunderschön auf Deinem runden Geburtstag.
foto: uta bohls


melt! festival
intro

weiterlesen...

Sonntag Nachmittag [Juli 2007]










fotos: manuel kaufmann

weiterlesen...

Tele

Die Neuberliner Tele ("Wir Brauchen Nichts" 2007, "Wovon Sollen Wir Leben" 2004) haben sich kurz vor ihrem Auftritt beim diesjährigen ASTA-Sommerfestival in Paderborn Zeit genommen, um den wahrscheinlich nervösesten Interviewer ein paar Fragen zu beantworten. Es folgen Offenbarungen über den Wunsch mal nichts zu hören, über ostwestfälische Volksfeste und wechselnde Hörgewohnheiten.


"es geht ein riss durch die welt."
(fieber)


Aller Anfang ist schwer und so ist es nicht verwunderlich das gute Interviews nicht auf Bäumen wachsen oder wie reife Trauben darauf warten vom Fragensteller gepflückt zu werden. Vor allen Dingen ist es wichtig, die richtigen Fragen für die richtige Laune zu stellen.

Dann wird man von den nächsten Hindernissen eingeholt: Wie wird es ablaufen? Lässt man sich ein Special einfallen? Welche Tiefe soll das Interview haben? In welchen subjektiven Gefilden lohnt es sich den Gegenüber zu lotsen: Journalistische Distanz oder doch eher persönliche Empfindsamkeit? Doch was am Wichtigsten ist: Wie überwinde ich den eigenen Schweinehund, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mir vor Nervosität fast in die Hosen mache.

Dann ist es soweit. 10 Minuten bis zum Interview. MD-Player und Mikro gut verstauen, Bandbus suchen, Interviewpartner notfalls kontaktieren. Ich bin bereit. Warum schauen die mich so grimmig an? Unsicherheit! Und dann passiert das, was man eigentlich umgehen wollte. Das Gehirn malt sich alle möglichen Schreckensszenarien aus. Erste Anzeichen eines fragmentarischen Sprachverlustes setzen ein. Der Dialekt bricht durch, den man sich so schön wegtrainiert hat, die Beine werden weich.

Wie ist die Atmosphäre auf dem Festival? Habt ihr heute euren sicheren Bandbus schon einmal verlassen?
Jörg Holdinghausen (Bass): "Ich war sehr verwundert. Von einem ASTA-Fest hätte ich nie so was Großes, Kommerzielles erwartet. Das ist jetzt nicht so mein Ding, ehrlich gesagt. Wenn ich über’s Fest gehe, dann hab ich eher den Eindruck von einem Rummelplatz."

Da ist schon eine gewisse Ähnlichkeit zu einem Volksfest mit Grillbuden und Losständen!
J: "Also im Gegensatz zu gestern, dass war ein ASTA-Fest in Köln, das stand unter dem Motto: 'Contra La Racisme', das war sehr klein und kam mir viel studentischer vor."

Ich ward beim Bundesvision Song Contest. Wie steht ihr eigentlich zu dieser Veranstaltung? Zum Wettbewerb an sich und zu der Art, wie er ausgetragen wird?
Patrick Reising (Keyboard): "Als wir gefragt wurden, ob wir da mitmachen wollen, gab es nicht die Entscheidung: „Machen wir das oder nicht?“, sondern es war von Anfang an klar, dass wir das machen würden. Aus musikalischer Hinsicht, ist es natürlich nicht unbedingt die Sache, die einen als Band voran bringt, sondern das ist eher eine große Veranstaltung, die bekannt macht. Dieses Format, was Stefan Raab dort ins Leben gerufen hat, ist immerhin noch eine Sache von den Dingen, die immerhin noch etwas mit Musik zu tun haben. Weil man ihm noch anmerkt, dass er noch wirklich an der Musik interessiert ist und in seiner Sendung noch richtige Kontraste schafft."

(Nach den ersten Eindrücken werde ich mutig und steigere den Grad an Subjektivität, vielleicht auch Dilettantismus, das wird sich zeigen. Ich bin neugierig, wie sie damit umgehen. Ich will alles wissen und sehen, ob sie auch über sich selbst lachen können. Man nennt das Selbstironie, ich nenne das investigativen Journalismus. Wir sollten öfter lachen.)

Für die nächste Frage muss ich ein wenig ausholen. Meine erste Begegnung mit Tele war der Versuch meiner Schwester mir einen Sound unterzujubeln, den ich nicht verstand. Da fehlten die Kanten, das Rohe – beim ersten Hören war die Musik so weich und formbar. Heute empfinde ich da anders und es kotzt mich wirklich an, dass meine Schwester Recht behalten hat. Ist es nicht manchmal schrecklich, dass Schwestern des Öfteren viel weiter sind als man selbst und man sich zurückblickend seine Sturheit eingestehen muss?
J: "Ich hatte keine Schwester, ich kann das nicht so beurteilen. Aber ich hatte einen älteren Bruder, der war viel weiter als ich und ich hab total davon profitiert. Er ist 7 Jahre älter als ich, hat sich schon immer für Musik interessiert, hat coole Bands angebracht und mich wahnsinnig beeinflusst."
P: "Ich hab ne kleine Schwester. Die ist sechs Jahre jünger als ich und bei mir war das immer anders herum. Aber ich hab noch drei Brüder und mit denen habe ich sogar zeitweilig in einer Band gespielt."

Wer hat sich die Choreografie für euer neues Video „Fieber“ ausgedacht? War das so eine bandinterne Sache?
J: "Meinst du das ganze Video?"

Nein, ich meine den Schritt, den eure Gitarren-Sektion am Anfang des Videos in einen wahren Foxtrott-Himmel hebt. Der erinnert mich persönlich ein wenig an die Aaron Carter Moves. Kennt ihr noch 'Crazy Little Party Girl'?
P: "Ich kenne Aaron Carter, aber ich kenne nur dieses Lied, wie heißt das noch gleich… [überlegt] 'Crush on you'?
P: "Ich habe es bestimmt schon einmal gehört. Aaron Carter ist mir noch gut im Gedächtnis. Das ist der kleine Bruder von Nick Carter. Meine Schwester war großer Backstreet Boys-Fan."
J: "Wenn überhaupt kommt das aus dem Breakdance, das hab ich früher gemacht und wir haben das für das Video übernommen. Allerdings kenne ich den Move nicht, es kann ja sein, dass er genauso aussieht."

Na ja, ich wollte nur provozieren, bei Aaron Carter sieht’s eher so aus.
(Und jetzt kommt der größte Fehler, ich bewege meine Arme in merkwürdig kreisenden Bewegungen um meinen Körper und singe dazu: "Crazy little party girl / How I love her / Partying around the world - she wants to dance!")
Egal bei euch sieht das ganz anders aus. Wir sind ja hier auf dem ASTA-Sommerfestival. Habt ihr eigentlich einen studentischen Hintergrund?
P: "Ich habe lange in Freiburg studiert: Musikwissenschaften, Informatik und Literatur auf Magister. Dann kam der Umzug nach Berlin, aber dort war der Schwerpunkt schon von Anfang an bei ganz anderen Sachen."
J: "Bei mir ist es anders. Ich hab nie das Studentenleben genießen können. Ich habe ziemlich früh gemerkt, dass ich Musiker werden will, deswegen war meine schulische Karriere auch nicht gerade glorreich. Ich bin dann in der 11. Klasse auch vom Gymnasium geflogen. Aber da kamen auch gewisse Dinge zusammen. Ich bin Vater geworden und hab mich ganz anders orientiert. Dann kam eine schulische Ausbildung in Musik. Später habe ich dann viel gejobbt: Hilfsarbeiten, im Theater gearbeitet, in der Fabrik und bin jetzt bei der Musik gelandet."

Zum Schluss noch eine leidige Standardfrage: Was hört ihr so im Moment für Musik?
J: "Hauptsächlich das, was ich jetzt mal Weltmusik nennen würde: Country, Jazz – im Moment –, aber eigentlich alles. Außer vielleicht Heavy Metal und Techno."
P: "Ich höre sehr, sehr wenig Musik. Ich bin eigentlich total froh, wenn ich mal keine Musik hören muss. Wenn man den ganzen Tag mit Musik beschäftigt ist und auch viel Musik macht, dann ist es auch ganz wichtig mal nichts zu hören oder die Ohren auszuputzen. Das ist, wie wenn man zu lange in die Sonne schaut: Irgendwann musst du dir eine Sonnenbrille aufsetzen oder in einen dunkleren Raum gehen. Deswegen höre ich zu Hause relativ wenig Musik. Aber wenn dann Sachen bei mir hängen bleiben, sind es solche, die ich außergewöhnlich finde."

Mission accomplished, nach 16 Minuten und einigen kurzzeitigen Aussetzern, bedanke ich mich, mache noch schnell ein Foto für die kleine Schwester zu Hause und natürlich auch für mich selbst und verabschiede mich dann von Jörg und Patrick. Auf dem Rückweg überfällt mich ein Schauer aus Freude und der leidigen Gewissheit, dass es doch gar nicht so schlimm war, nur der Kopf wiegt viel zu sehr und zieht den Körper in Mitleidenschaft.
foto: frank eidel

tele

weiterlesen...