Werle & Stankowski [Köln, 27.11.2007]

Es gibt keine Rollen mehr zu spielen, keine zweite Haut, keine retuschierte Fassade und aufgesetzte Laune. Werle & Stankowski kommen heim und heute Nacht ist ihr Publikum ihr wohltuendes Spiegelbild, dass sie reflektiert wie sie empfinden müssen: Uneingeschränkt fröhlich und entspannt, in knisternder Vorfreude auf die kommenden anderthalb Stunden.



"from today on i stop counting all my faults."
(my mask)

Beste Voraussetzungen für einen Auftritt wie aus dem Livekonzert-Bilderbuch also, in dem Künstler und Dargebotenes frenetisch gefeiert und beklatscht werden und die Ausübenden beinahe altruistisch Lieder und Anekdoten spendieren ohne gleichwertige Gegenleistungen einzufordern.

Letzter Akt, letzte Szene; Von Beginn an dieses zerstreuenden Abends schwirrt das Bewusstsein der Unwiederholbarkeit, des endgültigen Charakters dieses Tourabschlusskonzertes im Raum, auf beiden Seiten sind die Erwartungen hoch, an sich selbst und an den Gegenüber. Es ist eine seltsame und aufreibende Stimmung, die um sich greift, sobald die beiden Aufwärm- Acts die Bühne verlassen haben, diese Mischung aus Spannung und gleichzeitiger Gewissheit um das Gelingen dieses finalen Auftritts der "Two Rebel without a Crew"-Tour kratzt an Nerven. So lugen Simon Werle und Johannes Stankowski fast scheu um die Ecke, betreten ein wenig zurückhaltend die kleine Bühne, als zögerten sie noch, als seien sie sich ihrer Beliebtheit noch nicht ganz sicher, oder aber einfach aus einem Anflug von Nervosität vor dem Publikum. Für die meisten Menschen heute abend ist allein das Wiedersehen mit dem Duo Anlass und Antrieb für minutenlanges klatschen, kreischen und feiern, wie verlorengegangene Helden werden Werle & Stankowski begrüßt, noch bevor ein einziger Ton gefallen ist.

Und Werle & Stankowski grüßen gerne zurück, sie machen sich ans Werk, mit dem Ansporn vor dem Heimatpublikum zu glänzen und mit dem sicheren Gefühl hier und heute nichts falsch machen zu können.

Johannes Stankowski zieht seine Schuhe aus, Simon Werle macht die Knie locker, und alles nimmt seinen Lauf, es werden alte Schätzchen zu Tage gezaubert, neue Beats schwingen sich empor, es wird getanzt und schönerweise kenne alle den Text, und sei der Song noch so anspruchsvoll.

Es stellt sich heraus, dass das Zweigestin nicht bloß Musiker-, sondern auch vortreffliche Unterhalterqualitäten besitzt, beinahe jeder Song wird mit trivialen Geschichtchen angesagt, erklärt, es fallen eine Menge Namen und Liebesbekundungen an diesen und jenen, und ganz nebenbei liefern W&S ein musikalisch wie atmosphärisch wahrlich erstklassiges Konzert ab. Jeder Song eine Sahneschnitte, Johannes Stankowski spielt Gitarre singt mit herrlich angerauter Stimme, eigenwillig und unverwechselbar, mit einem unfassbaren Gefühl für Glaubhaftigkeit und Melodieführung. Nebenan zieht Simon Werle alle Register seines elektronischen Könnens, immer mit einem wachsamen Auge und Ohr auf den Songwriter, und mit größtmöglicher Aufmerksamkeit und absoluter Perfektion in Sachen Timing.

Es macht großen Spaß zuzusehen wie beide jungen Männer Gefallen an dem finden, was sie tun, beinahe verliebt werfen sie sich Blicke und Komplimente zu, ein gewisser Chris F. ist für Getränkeversorgung und Kommentierung vom Bühnenrand zuständig, Künstler und Publikum sind abwechselnd überwältigt vom Stimmungsgehalt des Konzertes, das mehr und mehr einer Party im 400-man starken Freundeskreis gleicht. Zu guter letzt steht sogar ein Herr mit einem Heiratsantrag auf der Bühne, das Underground bebt auch noch nach sage und schreibe drei Zugabenblöcken und Werle & Stankowski heben zu ihrem letzten Kracher der 2007-Tour an: Johnnys Spelunke, einen 30er-Jahre Schlager über alkoholische Annehmlichkeiten und Freundschaften im kühlen Sibirien: Herrlich!

Hier hat man es zu keinem Zeitpunkt nötig affektiert zu reden oder zu tanzen, es geht Werle und Stankowski nicht darum sich dem Publikum überlegen, sondern ebenbürtig zu zeigen. Und diese Suggestion kommt an, hier stehen zwei völlig unterschiedliche, aber normale, und wunderbar wenig stilisierte Männer.

Einer klein, ein wenig ruhig und vergnügt, der andere riesig, redselig und beschwipst. Und zusammen lösen sie das aus, was man sich von allen Konzerten verspricht, aber viel zu selten mit nach Hause nimmt: zwei Stunden Glückseligkeit.
foto: judith wiemers

werle & stankowski

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Sonntag Nachmittag [November 2007]







fotos: manuel kaufmann

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Cherry Sunkist [OK Universe] / Phon°noir [The Objects Don't Need Us]

Zwei bemerkenswerte Künstler veröffentlichen zwei bemerkenswerte Alben. Eine kurze Selbstverortung in Sachen Rezensionen und Subjektivität. Kein Grund, um gleich die eigenen Höhrgewohnheit in Frage zu stellen.



"she wanna hold him, she wanna kiss him, she wanne meet him, she wanna miss him."
(cherry sunkist, cake)


Zugegebenermaßen umweht diese Rezension ein leichter Hauch von Nepotismus. Auffallen dürfte das wohl nur denjenigen, die bereits seit geraumer Zeit die Aktivitäten des *lichter mitverfolgen und den hauseigenen Sampler "Sketchbooks" im CD-Regal stehen haben. Die darauf vertretenen fonoda bekamen für ihr letztes Album eine sehr wohlwollende Rezension, Julius veröffentlichte sein Debüt gar auf dem Schwesterlabel *urbanprovince, einhergehend mit ein wenig Selbstbeweihräucherung auf *lichter. Und nun gleich eine Doppelrezension von zwei Künstlern, die ebenfalls auf Sketchbooks vertreten waren. Vetternwirtschaft? Ein verzweifelter nachträglicher Versuch, die Zusammenstellung der Acts zu legitimieren? Klägliche Selbstversicherung des eigenen vermeintlich guten Geschmacks?

So könnte man es sehen. Es ginge aber auch anders: Subjektivität! Unbedingter Wille zur Verlautbarung der persönlichen Meinung! Abfeiern der eigenen Höhrgewohnheiten! Schließlich ist das *lichter ein Online-Fanzine, da ist man als schreibende Kraft nichts und niemandem außer dem eigenen Geschmack verpflichtet. Da liegen Cherry Sunkist und Phon°noir zumindest bei mir genau richtig. Nun veröffentlichen die beiden Elektronikkünstler ihre aktuellen Alben zeitgleich, ein sehr gelungener Zufall.

Cherry Sunkist ist eine Frau aus Oberösterreich, genauer gesagt Karin Fisslthaler aus Linz. Schon ihr Geschlecht ist ein deutliches Alleinstellungsmerkmal in einer Popkultur, die noch immer von relativ starren genderspezifischen Rollenbildern geprägt ist. Im ideologischen Anschluss an die Riot Grrrl-Bewegung tat sich auch im Electronica-Bereich einiges. Spätestens zur Jahrtausendwende waren Acts mit musikalisch und inhaltlich progressivem Output, wie Peaches oder Chicks On Speed, in aller Munde. Dies sind auch die inhaltsästhetischen Vorbilder von Cherry Sunkist, deren Einfluss mit jedem gesungenem Wort hörbar wird. Auf ihrem Debütalbum "Ok Universe" baut sie sich einen eigenen kleinen Kosmos zusammen, der musikalisch irgendwo zwischen Ambient-Sound, pointierten Beats, elektronischem Lärm und repetitiven Gesangsphrasen pendelt. Der Opener What I Want – Why Do I Even Ask? besteht zunächst nur aus einem wabernden Synth-Teppich, der um kleine Soundschnipsel, Samples und modulierte Stimme erweitert wird. Es ist eine Einführung in das Universum von Cherry Sunkist, das im Wesentlichen zwei Ebenen besitzt. What I Want gehört zur ruhigen Seite, die im zurückgelehnten Ambient-Gewand daherkommt. Cake, der zweite Track, steht exemplarisch für die andere Seite. Der Beat strukturiert den Song, die Höhen klirren aufdringlich und schnell, die Stimme ist fest und von bestimmendem Charakter. Cherry Sunkist erzählt von einem weiblichen Wesen, das sich für die Liebe verändern und gar zu Tode hungern würde, Liebe und Kuchen lassen sie in ihrer Gier erbrechen.

"You have to look forward and you have to keep smiling and you have to keep your feelings always under control!"

Simpel aber effektiv kritisiert sie den Vollzug des normierten Lebens, indem sie dessen Funktionsmechanismen einfach ausspricht. In der Formulierung dieser Mechanismen ist implizit ein kategorischer Imperativ beigefügt, der eingespielte kulturelle Verhaltensweisen negativ konnotiert oder gar durchgängig ablehnt. Dementsprechend fordernd und dynamisch wirkt der Gesang in den schnelleren Passagen. Doch Cherry Sunkist scheint der eigenen Stimme nicht recht über den Weg zu trauen: Sie verfremdet den Gesang häufig durch Vocoder und andere Effekte, insbesondere in den ruhigeren Momenten. Bei der wabernden Soundwand von One, Two, Three, Four verschwimmen gar die Grenzen zwischen Stimme und Synthesizer. Minimalistisch sind all ihre Stücke angelegt, doch Age Delay (Nuit) besteht praktisch ausschließlich aus hoch- und tieftönenden Beats. Das wundervolle Video zu dem Stück, zu begutachten ausschließlich auf ihrer Website, gewährt einen Einblick in ihren weiteren künstlerischen Output. Vielleicht liegt es auch an diesem, dass ihr musikalisches Universum nur eine knappe halbe Stunde umfasst. Doch in der Kürze liegt auch etwas Erfrischendes, denn OK Universe kennt keine unangenehmen Längen.

Von einem erstaunlich großen Output kann man in jedem Fall bei Matthias Grübel a.k.a. phon°noir sprechen. Nach zwei CD-R-Veröffentlichungen legte er im April sein Debütalbum "Putting Holes Into October Skies" vor. Kollaborierte für diverse Hörspielprojekte, nahm für ein Label aus Hongkong eine Instrumental-EP auf. Und so ganz nebenbei hat er nun auch schon sein zweites Album in die Startlöcher geschoben, "The Objects Don’t Need Us". Die Produktivität von Matthias Grübel ist enorm und das auch noch auf konstant hohem Niveau.

Bereits Ende Juli gab es mit einem animierten Video zu My Paperhouse On Fire einen Vorgeschmack auf diesen Herbst. In Stop-Motion flimmern Plattenspieler, Pferdeköpfe und Buntstifte über den Bildschirm, die Darstellungen quellen vor Detail- und Ideenreichtum fast über. Der Clip ist Sinnbild für die Musik von phon°noir und die Assoziationen, die sie weckt.

Man könnte Matthias Grübel einen Architekten nennen. Er entwirft Soundlandschaften und scheint Bilder und Ideen zu vertonen, wie ein Landschaftsarchitekt einen Naturraum gestaltet. Während Cherry Sunkist sich ihr persönliches Universum formt, klingen seine Arrangements wie öffentlich zugängliche Räume, die aber durch ihre Vertonung erst sichtbar gemacht werden. Im Grunde bestehen die einzelnen Songs aus verschiedenen Gitarrenbruchstücken, die von einer riesigen Anzahl an elektronischen und mechanischen Klängen verbunden und zusammengeklebt werden. Darüber haucht Matthias Grübel mit fragiler Stimme Wort- und Satzfetzen, welche die Songs emotional weiter verdichten.

"And the space between two thoughts, it’s getting less concrete…"

"The Objects Don’t Need Us" ist allerdings kein einfaches Album, obwohl es sehr Downtempo ist. Die durchgehend präsenten Clicks & Cuts, die ständig wechselnden Samples und Soundfetzen strengen an, man muss bewusst zuhören. Die Songs sind von Brüchen durchzogen, die den Zuhörer immer wieder fordern. Doch darin liegt vielleicht auch gerade eine Stärke der Musik von phon°noir. Sie ist so vollgepackt mit Ideen und verschiedenartigen Klängen, dass sie der Gefahr klanglicher Beliebigkeit und gepflegter Langeweile geschickt durch Inspiration entgeht. Man muss sich auf dieses ungewöhnliche Hörerlebnis bewusst einlassen, sonst bleibt der Zugang zu den Soundentwürfen verborgen und es ist nur ein Brei von anstrengenden Geräuschen hörbar. Öffnet man sich dieser Klangwelt, dann gibt es auf einmal große Soundlandschaften zu entdecken, die von einer berauschenden Wirkung sind.
foto: bernd oppl / gaelle maas

cherry sunkist
"ok universe"
22jahrhundertfuchs 2007 cd
cherry sunkist

phon°noir
"the objects don't need us"
subrosa 2007 cd
phon°noir

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