Bergen [Gegenteil von Stadt]

Sven Regeners Kinder im Geiste bitten zum Tanz: eine wundervolle Dame und sechs junge Herren spielen rumpelig-warmen Folkpop mit knarzenden Gitarren und launigen Trompeten.


"mal’ mir auf ein blatt mit grauschwarzen kästchen das gegenteil von stadt."
(gegenteil von stadt)


Mit diesen fast schüchtern anmutenden Worten eröffnet Mario Cetti, Sänger und Kopf des Dresdner Künstlerkollektivs bergen, das erste Stück auf "Gegenteil von Stadt" - und schon befindet man sich inmitten jenes sonderbaren Kosmoses, dessen unendliche Weiten aus Akkordeon, Trompete und Melodika bestehen. Unweigerlich wie unbewusst beginnt der Rezensent bei den ersten Zeilen darüber zu sinnieren, was man Cettis Mal-Aufforderung nun alles entgegensetzen könnte. Gegenteil von Stadt? Hm. Wiesen und Wälder? Ruhe und Ödnis? Und wie soll vor allem letzteres visualisiert werden? Überhaupt: Sonderbar. Mit diesem kleinen Wort lässt sich das Debütalbum von bergen kurz und bündig beschreiben. In einer Zeit, in der mitunter der Eindruck entsteht, dass die Nennung des Produzentennamens bei einer CD-Produktion bald wichtiger ist, als die Nennung des Künstlers, besinnen sich bergen auf naiven, nostalgisch-harmonieseligen, ja fast schon konservativen Folkpop und wissen dabei schrullige Geschichten zu erzählen, wie sie nur das Leben schreiben kann.

Herrlich rumpelnde Folkpop-Perlen im Viervierteltakt

"Gegenteil von Stadt" klingt in seiner Gesamtheit weich und warmherzig, streichelt der gescholtenen Seele immer an den richtigen Stellen durchs lange Haupthaar ohne auch nur den Hauch einer Gegenleistung zu erwarten. Mit anderen Worten, "Gegenteil von Stadt" ist ein von vorne bis hinten liebevoll und feinsinnig arrangiertes Songwriteralbum mit klaren, transparenten Songstrukturen, wie man sie sonst nur von skandinavischen Bands wie Ai Phoenix oder The Concretes kennt. Der herrlich rumpelnde Klangteppich, bestehend aus Gitarre, Schlagzeug, Trompete, Melodika und/oder Akkordeon, trägt den stoischen Flüstergesang Cettis und verbreitet sympathischen Dilettantismus: Leicht schiefe Klaviernoten hier und da sowie Sven Regener-artige Trompeteneinlagen sorgen für den nötigen Charme und Flair. Apropos Sven Regener: Ich wage zu behaupten, wären Element of Crime 20 Jahre jünger, sie würden klingen wie bergen – ungestüm, rumpelnd und kompromisslos romantisch.

Leicht sonderbar scheint auch die siebenköpfige Formation selbst zu sein. Denn entgegen der ersten Vermutung haben sich bergen nicht nach der verregneten norwegischen Künstlermetropole benannt, die u.a. Musiker wie Erlend Øye und seine Kings of Convenience hervorgebracht hat, sondern – man höre und staune - nach einem Ort im oberbayerischen Chiemgau! Die Frage nach dem Warum kann hier wahrscheinlich nur die Band alleine beantworten. Sonderbar ist auch die Tatsache, dass dieses Debütalbum um ein Haar nie erschienen wäre. Denn die Mitglieder sind allesamt Teil des emsig sächsischen Musiker- und Kreativenkollektivs Kumpels and Friends und spielen gleichzeitig in bemerkenswerten Dresdner Bands wie The Gentle Lurch oder Garda, welche im Herbst vergangenen Jahres ihr fantastisches Debüt gaben. Und da in jeder dieser Bands geprobt, aufgenommen, gemischt und getourt werden wollte, musste "Gegenteil von Stadt" erst mal hinten anstehen. Glücklicherweise haben Songs dieses Karats kein Haltbarkeitsdatum! Entstanden ist das Debütalbum dann – wie auch die Alben der beiden Schwestern-Bands – ohne Zeitnot, von den Musikern selbst aufgenommen im gemeinschaftlichen Übungsraum in Dresden. Nur zum Mischen und Mastern gab man das Album schließlich in professionelle Hände.

"Gegenteil von Stadt" ist kein Fast-Food-Alben, das man mal eben "so nebenbei" hören und begreifen kann. Man muss sich darauf einlassen können und sich die erforderliche Zeit nehmen, um in die unterschwelligen Songs hineinzufinden, um die abstrakte Privatsprache Cettis entschlüsseln zu können. Zeit, die man aber dringend investieren sollte, denn es gibt viel zu entdecken in diesem kleinen Folkpop-Kosmos, inmitten von traurigen Frauen in Bädern und Kinder bringenden Störchen der Kleinstadt. Mit Verlaub, ich bin begeistert!
foto: bergen


bergen
"gegenteil von stadt"
k+f records, 2009
bergen

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Old Splendifolia [...Swaying Boldly Afar...]

Wenn ein deutsches Musikprojekt unter einem japanischen Label in Asien ihr Debutwerk veröffentlicht erweckt das Aufsehen. Jetzt ist das fragil schöne Werk von Old Splendifolia auch in Europa veröffentlicht und verlangt nach gewittrigen Sommernächten.


"pleased to meet you, pleased to meet you too."
(dela cameo)


Old Splendifolia, das alte Prachtblatt, das sind Jana Plewa von Kats Kosm und Frank Schültge Blumm, der bisher als F.S. Blumm musikalisch umherstreifte. Sie fanden zusammen als Herr Blumm Worte und eine Stimme für seine bisher instrumentalen Stücke suchte. Er hörte Kats Kosm und mochte was er da hörte. So machte er sich auf die Suche und fand schließlich Jana Plewa und die beiden begannen aus ihren bereits eigenwilligen musikalischen Handschriften eine neue zu formen, die nicht weniger eigenwillig klingt. Und die sich gut auf ein altes Prachtblatt schreiben lässt.

Nach dem Abschleifen einiger Ecken und dem Hinzufügen von neuen, entstand ihr Erstlingswerk „...Swaying Boldly Afar...“. 15 Fragmente, die 41 Minuten um einen herumspielen und die gar nicht recht auseinander zu halten sind. Nicht weil sie alle so gleich klingen, sondern weil sie alle verwoben sind und sich erst nach mehrfachem Hören auch zu eigenständigen Songs entwickeln. Das Verwobene bleibt trotzdem. Und das soll es auch. Die Idee hinter dem Album sei auch, so Jana Plewka, dass es wie eine kleine Reise ist. Von einem Ort zum anderen, von einer Geschichte zu einer anderen. Und am Ende erhascht man vielleicht einen kleinen Einblick in eine schöne Welt, die aber auch nicht frei von Problemen ist. Und das nicht nur textlich, sondern auch musikalisch. Im Vordergrund meist die Gitarre, aber daneben noch zahlreiche andere Klangspiele.

So stehen die Liedgedichte da. Zerbrechlich warm, auch stark, eindringlich und süß, und mit einer in sich rhythmischen Ruhe, die einem die Vorstellung in den Kopf brennt, bei einem Sommergewitter nachts bei geöffnetem Fenster da zu liegen und das Prachtblatt in den Gehörgang flüstern zu lassen. Oder zu anderen besonderen Gelegenheiten, wo nur die Musik und die Ruhe anwesend sind. Und man selbst.

Ein zweites Album ist bereits in Arbeit und erscheint vielleicht noch dieses Jahr. Man darf darauf gespannt sein. Aber erstmal sollte man sich vielleicht das nächste Konzert im "Schokoladen" in Berlin am 26. März ansehen. Und natürlich die CD hören.

Für die Leser, die musikalische Vergleiche zur Einordnung mögen: CocoRosie, aber in akustisch und ohne soviel elektronischen Krach, Psapp und auch ein wenig wie Emiliana Torrini.
foto:



old splendifolia
"...swaying boldly afar..."
plop records, 2009
old splendifolia

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