Das sechste Album der Schweden kommt als Doppel-CD mit gelecktem Wellness-Pärchen auf dem Cover daher. Kann man seinen Fans soviel zumuten? TSOOL können und reihen eine Perle an die andere. Ein unbeabsichtigtes best-of Album.
(songs of the ocean)
Gleich der Opener der ersten CD Babel On lässt Großes erwarten und entpuppt sich als erste Perle der langen Kette. Der rasselig-erdige Rhythmus schleppt sich scheinbar endlos dahin, nimmt aber stetig an Fahrt auf und spätestens beim Gesang von Lundberg wähnt man sich zurückgesetzt in Papas Plattenschrank (sofern man denn alt genug ist und jener nicht eben Schlager vorzog in den 60ern und 70ern). Oder man sieht sich in einem dieser alten Filme jener Zeit mit diesen bestimmten Farben und Stimmungen. Mit Joint in der Hand. Die Assoziation bleibt dann auch nicht aus. Egal ob man je geraucht hat oder nicht.
Diese Stimmung ändert sich nie wirklich. Zwei CDs, 24 Stücke lang. Es fliegen einem gewohnt rockig preschende Gitarren-Perlen um die Ohren wie Thrill Me, Mensa’s Marauders oder RA 88. Dann wird es auch mal swingender mit der Tuschkapellen-Perle Pictures of Youth oder der Tanz-Pop-Perle und gleichzeitigen Single Flipside. Aber es gibt auch die ruhigeren Perlen mit sehr feinem Glanz wie das schöne Without Warning oder Lifeline. Eines der besten Stücke jedoch ist zweifellos das Meisterwerk Second Life Replay. Man möchte ausblenden, dass es um Selbstmordattentäter geht, denn die Musik entwickelt sich so unglaublich gut, dass man eigentlich nur hören will. Wie sich aus scheinbarer Ruhe Dramatik entwickelt, wie das Cembalo den Mittelteil bestreitet bevor der Chor mit der betörenden Melodie anfängt und schließlich das finale Geschrei losgeht. Großartig!
Insgesamt gibt es kein Stück, das wirklich langweilt oder nicht wenigstens einen Teil in sich hat, der besonders gefällt. Überhaupt scheint es eine Qualität von TSOOL zu sein, dass fast jedes Stück Momente hat, Melodien, Riffs, besondere Drehungen, was auch immer, über die man sich freuen kann beim Hören, die auffallen. Es passiert immer etwas, nichts bleibt stehen. Auch ein Gefälle zwischen den beiden CDs fällt nicht auf. Beide bieten eine gute Bandbreite und die Perlen sind ausgewogen verteilt.
Die musikalischen Einflüsse sind eindeutig. Das ist nicht neu. Man kann viele alte Rockgrößen durchhören. Aber auch neuere Musik. Fast jedes Stück erinnert durch bestimmte Stellen an irgendetwas anderes. Aber es stört nicht. Vielleicht sogar im Gegenteil. Es freut durchzuhören, was TSOOL nun mal gut finden, woran sie sich orientieren und was sie dann daraus machen. Sie wollen bewusst zeitlos klingen, ohne zu wiederholen, und schaffen das besser als viele ihrer Mitspieler. Sie wirken wie die perfekte Reinkarnation mit eigenem Charakter und "Communion" bildet da keine Ausnahme.
Und das Cover? Man kann es als bissigen Geniestreich sehen oder als fürchterlich hässlich. Der Auftrag an den Gestalter war etwas zum Thema ‚Besser Leben’ zu konstruieren und die Absurdität dessen kommt im Cover doch perfekt rüber. „These people represent the alienation. The living dead.“ Dem ist nichts hinzufügen.
Das Album als Ganzes ist in jedem Fall ein Geniestreich und verdient es in Ruhe gehört zu werden. Denn wirkliche Perlen brauchen ihre Zeit.
foto: Fredrik Wennerlund
"communion"
haldern pop recordings, 2009 2cd
the soundtrack of our lives
The Soundtrack Of Our Lives [Communion]
Guy Delisle [Aufzeichnungen Aus Birma]
Was wissen wir eigentlich über Birma? Wie lebt es sich dort? Schon der Name des Staates, über den in Europa nur Schreckensmeldungen von quasi-diktatorischen Armeegenerälen kursieren, gibt Anlass zum Nachdenken. Heißt das jetzt Birma, Burma oder Myanmar?
Erwähnenswert sei dies in zweifacher Hinsicht. Suu Kyi eröffnet mit der National League for Democracy (NLD) ab 1988 einen demokratischen Gegenpol zum totalitären Regime des Landes. Schnell wird ihr Anerkennung in der birmanischen Bevölkerung zuteil. Ihr Einsatz für ein unabhängiges und demokratisches Birma überzeugt letztlich auch das Komitee des Friedensnobelpreises. Doch die Biografie der Suu Kyi ist auch eine schmerzhafte. Seit 1990 steht die ikonische Friedensnobelpreisträgerin unter Hausarrest, welcher von Zeit zu Zeit aufgehoben und wieder eingesetzt wird. Jüngst auch wieder im Mai 2009, als ein US-Amerikaner sich Zutritt zu ihrem Anwesen in Rangun verschafft. Wegen Missachtung der Hausarrestbestimmungen wird ihr seitdem der Prozess gemacht und das nur wenige Wochen vor Auslaufen ihres Hausarrestes. Es folgten Protestmärsche in Europa, Nordamerika und Australien, doch die unbestimmte Zukunft der Suu Kyi wird damit nicht verändert.
Über Birma reden heißt die Welt einteilen. In ein Gut und Böse, in ein Wir und Die. Condolezza Rice beispielsweise prägt während ihrer Amtszeit als Außenministerin der Bush-Regierung das Schlagwort der "Vorposten der Tyrannei". Diese Klassifizierung wendet sich in erster Linie gegen korrupte und despotische Systeme wie Iran, Kuba und eben auch Myanmar. Mit welcher Absicht Rice dies tut, muss man letztlich differenziert bewerten. Doch letztlich ändert dieses Werteurteil nichts an der Tatsache, dass das Wissen um Birma – wenn man von den politischen und sozialen Gegebenheiten absieht – noch recht unzureichend ist. Dies führt uns zurück zu unserer ersten Frage: Wie lebt es sich in Birma?
Der franco-kanadische Comizeichner Guy Delisle versucht diese Frage in seinem aktuellen Comic "Aufzeichnungen Aus Birma" auf 262 Seiten zu beantworten. In zahlreichen, lakonisch-bebilderten Panels zeichnet Delisle ein Alltagsgemälde der birmanischen Kultur, dass er am eigenen Leib erlebt hat. "Chroniques Birmanes", so der Originaltitel des Werks, entstand während eines 14-monatigen Aufenthalts in der birmanischen Stadt Rangun und ist die Fortführung einer Reihe von immanent-politischen Comics (siehe "Shenzhen" und "Pjöngjang" via Reprodukt) über das Leben in autoritären Regimes in Asien.
Fingerzeig und Kulturpoetik
Doch das Werk, des 1966 in Quebec geborenen, Franco-Kanadiers mit amtlichem Wohnsitz im französischen Montpellier lässt sich nicht nur auf figurative Fingerzeige beschränken. Neben seinen politischen Comics bietet Delisle eine breite Palette an Themen und Stilmitteln, die er eloquent und fassettenreich einzusetzen weis. Auf der Erzählebene arbeitet Delisle häufig mit alltäglichen Begebenheiten, die detailliert und oft auch sehr subtil ausgefüllt werden. Damit nimmt er seinen Charakteren zwar häufig ihre ikonografisch-überhöhte Stellung, dennoch führt er sie zurück zu ihren Ausgangspunkten: dem "wirklichen" Leben, welches sich wie eine große schicksalsträchtige Blaupause über alles andere legt und erst einmal bewältigt werden muss. Verwunderlich ist daher auch nicht, dass dadurch einige sehr witzige Begebenheiten erzählt werden können, die im ersten Augenblick zwar ziemlich banal erscheinen, aber im zweiten Anlauf von einem tiefer greifenden Verständnis der geschilderten Situationen begleitet werden.
"Aufzeichnungen Aus Birma" beginnt daher nicht etwa mit einem Exkurs über die politische und gesellschaftliche Lage in Myanmar, sondern mit einem zappenden Protagonisten, der sich – nicht ganz kommunikativ – mit seiner Frau Nadège über die Abreisevorbereitungen unterhält. Nadège arbeitet bei Médecins Sans Frontières und wird in unregelmäßigen Abständen in Krisen- und Kriegsgebiete versetzt, um dort medizinische und aufklärerische Hilfe zu leisten und Krankenschwestern und Hebammen zu rekrutieren und auszubilden. Diesmal wird es also nach Birma gehen. Erst nachdem der stressige Umzug überstanden ist, beginnt Delisle allmählich kleine Schnipsel der birmanischen Kultur mit in das Erzählgeschehen einzuweben.
Teils autobiografisch, teils fiktiv eröffnet Guy Delisle danach in weiteren Episoden einen kulturpoetischen, hauptsächlich mit Anekdoten über den Alltag gespickten, Dialog über Birma, in dem sich das Nachdenken über Land und Leute in gewissem Maße über die unbewussten stillen Dinge des Lebens erschließt. Von den pragmatischen Zensurmethoden der staatlichen Autoritäten bis hin zum exotischen Blick in das zuerst fremde Supermarktregal in Rangun, Delisle schichtet Banalitäten auf politische Unheimlichkeiten und entwirft dadurch ein vielschichtiges gesellschaftliches Abbild von Myanmar.
guy delisle
"aufzeichnungen aus birma"
reprodukt 2009
empfehlung:
pjöngjang
shenzhen
We vs. Death [A Black House, A Coloured Home]
We vs. Death.
"The name is 10 years old, and became a sound more than a name with a meaning. It was intented as an ironic slogan." Soviel sagt die Band selbst zu ihrem geheimnisvollen Namen und präsentiert nun ihr zweites Album.
(the sun)
Das gegenwärtige Artwork unterscheidet sich stark von dem Vorgänger. Was dort dunkel und distanziert in einem unbekannten Draußen stattfand, scheint hier in bunten Skizzen und mit dem Betrachter kommunizierenden Installationen aufzugehen, hat sich das Darußen einen konkreten Raum gesucht, ohne sich dabei tatsächlich irgendwie verorten zu lassen. Dalhuisens Fotografien und Installationen treffen auf abstrakte, urban anmutende Zeichungen. „Wir baten Sander Polderman das Artwork zu entwerfen und er entwickelte dieses wunderschöne, abstrakte, bunte Zeug. Wir stellten uns 'A Black House, A Coloured Home' anders als das letzte Album vor, expressiver, roher, weniger sicher und eindeutig und dachten dass er diesem Gedanken gerecht würde. Es war eine Zusammenarbeit bei der alle beteiligten viel und gründlich diskutiert haben.“
Das urbane Moment stellte die Band schon im Debüt heraus in dem in den begleitenden Videos endlose Fahrten durch Metropolen nicht von ungefähr kamen. Wie der mäandernde Soundtrack zu den nächtlichen Reisen, in denen die Scheinwerfer wie Spuren auf einer verwaschenen Landkarte wirken, erschien die Musik des Quintetts. Das hat sich auf dem neuen Album nicht maßgeblich verändert, und doch scheint vieles neu und ungewohnt.
Nachdem man sich 2006 vollständig im postrockschen Schweigen verlor, machen We Vs. Death plötzlich den Mund auf. Selbstverständlich entfalten sich die dieben Stücke immer noch in einer unberechenbaren Langsamkeit, tritt immer noch der erlösende Klang der Trompete zwischen teilweise nervösen, teilweise sehr nüchternen Gitarren hervor. Neben den „noisy and more quiet songs“ sei man vermutlich dennoch am ehesten von „some distinct singing“ überrascht, erklärt die Band selbst. Doch so überraschend der Gesang für den Zuhörer ist, so wenig umstürzlerisch und programmatisch erscheint der Umstand für die Band selbst. „We Vs. Death war nie ein vollständig durchdachtes Konzept. Als wir die Band gründeten gab es hin und wieder Gesang, dann verschwand er plötzlich. Im Augenblick erscheint es uns als etwas, dass wir gern machen würden und er ermöglicht es uns unseren Songs – zumindest aus unserer Sicht – eine neue Nuance zu verleihen“, erklärt Wouter. Sowohl die Sprache der Texte als auch der Titel sollen den Songs einen Raum geben, in dem sie sich konkretisieren können. „It draws a cricle around the music.“ Jener Raum, der sich aus dem gesamten Werk, dem Klang, dem Artwork, der Verpackung ergibt.
Dennoch verlangt Sprache einen ganz besonderen Augenmerk vom Zuhörer ab. Es ist nicht leicht Textzeilen lediglich als musikalische Schattierung, als zusätzliches Klangmuster zu erachten, ohne sie entschlüsseln zu wollen, ihnen einen Sinn abzuringen. Jedenfalls solange man sich einer lebendigen Sprache bedient und nicht auf Laute im Stile des Hopelandish zurückgreift. Collection Of Stones erscheint in dieser Hinsicht wie der Klagegesang einer Moderne die sich ihrer Probleme und dessen Auswirkungen bewusst wird und bleibt dabei dennoch undeutlich genug, um nicht als agitieren, als tatsächliche Kritik verstanden zu werden. „Wir sind nicht daran interessiert klare Statements in irgendeiner Hinsicht zu machen. Politik wird weniger in unseren Texten als vielmehr in der Art und Weise wie wir arbeiten deutlich: wir buchen all unsere Konzerte selbst, wir gestalten unsere Aufnahmen selbstständig, wir achten in der Art auf unsere Arbeit, wie wir es für richtig halten.“
Dennoch lässt sich eben dieses Schwermütige, Wehklagende Moment im Gesang, besonders dann, wenn die ganze Band in dieses mit einstimmt, nicht von der Hand weisen und vielleicht ist dies auch der schwächste Aspekt eines ansonsten gelungenen Albums: Wenn der Gesang lediglich als eine Facette unter vielen den Klang bereichern soll, dann ist er wann immer er in seinem vollentfaltetem Pathos auftritt zu dominant, und bindet die ansonsten vielschichtigen Stimmungen und Qualitäten der Stücke an sich. "Hätten sie besser mal den Mund gehalten" ist an dieser Stelle natürlich eine Floskel die sich anbietet, aber selbstverständlich ist sie nicht so gemeint.
foto: zankyo records
we vs. death
"a black house, a coloured home"
beep! beep! 2009 cd
we vs. death
roel dalhuisen
sander polderman
Trailhead [The Road To Salamanca]
Trailhead erzählt über das Reisen und die Liebe, den Weg, den man dabei geht und verpackt alles in eingängige Melodien, die Teil des eigenen Weges werden.
"i think i walk a while with you."
(road to salamanca)
Mit dieser Weisheit kreuzt ein Pilgerpfad den eigenen Weg. Es ist Zeit für eine kurze Rast und eine Begegnung mit denen, die suchen und finden wollen. Die Gitarre spielt ruhig und die Stimme wird es auch (Walking The Camino). Andächtig wird klar, dass es weiter gehen muss. Lässig trottet man dahin. Die fussfreundlichen Wanderschuhe getauscht gegen ausgetretene Stiefel, vorbei an der unerreichbaren Oase (Speed Of Sound) und hin zum Meer. Die Wellen umspülen die geschundenen Beine. Das Klavier spielt sein Lied dazu und lässt alles für einen Moment fließen (Waves). Die Gedanken rauschen und kreisen um Vergangenes, um Orte und natürlich um die Liebe,ums Begehren und Zerfließen. Der Weg gerät aus den Augen und es fällt schwer weiter zu gehen.
Aber dann verlässt man das Meer und läuft und läuft. Die Wasserflasche ist leer, der Kopf auch, die Füße haben Blasen, aber die Musik führt weiter. Mal leise mal schneller und dann plötzlich liegt Salamanca vor einem. Gleißend in der Abendsonne. Aber ist man nun wirklich angekommen? Das entscheidet man wohl besser erst am nächsten Morgen. Vielleicht war ja auch alles nur ein Traum und man sitzt längst im Flugzeug zurück. Dahin wo man hergekommen ist. Denn so wirklich halten kann einen das, was man so lange ersehnte, dann doch nicht (Morning Light).
Beeinflusst durch jahrelanges Herumreisen, und die Suche nach dem, was im Leben hält, legt Trailhead eine Platte vor, die mal Folk, mal Singer/Songwriter und auch Country ist. Sie zeichnet Bilder von Landschaften, Begegnungen und Sehnsüchten. Die Melodien sind groß durch ihre Einfachheit, der warme Gesang ist gespickt von schöner harmonischer Mehrstimmigkeit. Es gibt viel Gitarre, manchmal Band und manchmal auch ein Klavier. Alles ist in sich stimmig arrangiert und glänzt durch wunderbar unaufdringliche Eingängigkeit. Manchmal braucht es eben nicht mehr als eine gute Melodie und Stimme und die passenden Instrumente.
Hinter Trailhead steckt der Liederschreiber Tobias Panwitz, wohnhaft in Berlin, der mal solo, mal mit Band und Gastmusikern seine Musik spielt. Er war lange auf der Suche nach dem, was ihn vor der Langeweile des Konstanten bewahrt und übrig blieb die Musik. Orientiert an Größen wie Tom Petty oder Neil Young geht er seither seinen musikalischen Weg und hat nun mit "The Road to Salamanca" ein Kleinod erschaffen, dass in der ganzen aufgeregten Musiklandschaft zur Ruhe einlädt und sich auf das Wesentliche konzentriert.
Und wer, wie ich, nicht spontan einzuordnen weiß, wo die Straße nach Salamanca zu finden ist, der kann die Gelegenheit nutzen und mal wieder den alten Weltatlas aus Schulzeiten hervorkramen und in Erinnerungen schwelgend abdriften und gucken, wohin einen der eigene Weg einst schon führte oder wohin er noch mal führen soll. Wo Salamanca liegt, weiß man dann auch. Und vielleicht hat man auch eine Melodie im Ohr.
foto:
"the road to Salamanca"
cannery row records, 2009 cd
trailhead