Broken Social Scene [You Forgot In In People]

Niemand hat es in den Menschen vergessen.
Das Mixtape des Sommers kommt aus Kanada. Und, obgleich die Abwechslung der Vermutung trotzt, wird es mit Stücken nur einer Band kompiliert.



"i've seen your hope on television."
(cause=time)

Eine leere Flasche wird über den Fußboden des Studios getreten, in welchem sich fast ein dutzend Musiker befinden. Meist handelt es sich bei einer solch opulenten Anzahl von Musikern um ein Kollektiv oder ein Projekt, zu welchem man befreundete Musiker geladen hat. Kanada ist anders. Wie wir aus Michael Moores Dokumentation „Bowling for Columbine“ erfahren haben, schließen Kanadier nicht einmal die Tür ab, wenn sie außer Haus gehen. Anders ist manchmal auch die Musik, die zögerlich aus dem Norden Amerikas zu uns exportiert wird.

Broken Social Scene ist ein derzeit zehnköpfiges Ensemble aus Toronto/Montreal, und verantwortlich für eine der sublimsten Platten der letzten Jahre. Die Band aus dem direkten Umfeld von Do Make Say Think und Godspeed You! Black Emperor, den kanadischen Aushängeschildern dessen, was man heute langläufig unter dem Subgenre Postrock verstehen mag, wirken wie eine Gruppe Indie Rock Kids, die mit der Zeit gelernt haben, wie sie ihre Instrumente spielen, jedoch nicht vergessen haben, wie es sich anfühlte, als sie es noch nicht beherrschten. Die zwangsläufige Komplexität einer solch illustren Gemeinschaft, wirkt bei Broken Social Scene auffallend eingängig. Eine Wendung, über die man sich beruhigt freuen kann. Es gibt immer wieder Augenblicke, da scheint es für kurze Zeit so, als würde sich der musikalische Untergrund in einen intelligenteren Mainstream verwandeln können, als jenen, welchen man vom wegschalten aus dem Radio oder MTVIVA kennt. Vielleicht gelingt genau das dieser Band mit diesem, ihrem zweiten Album "You Forgot It In People", welches unergründlich fast zwei Jahre verspätet in Deutschland veröffentlicht wird. In Nordamerika haben Broken Social Scene einen achtbaren Erfolg mit eben diesem klangexperimentellen Pop Album erreicht, und es ist wünschenswert, dass man sich auch hier auf die ebenso grazilen wie kantigen Stücke einigen kann. Trotz alledem, war die Band auch dort zunächst ein Geheimtipp, ungleich sie bereits ein beachtenswertes Vorgängeralbum, sowie zwei 7" veröffentlicht haben. Wie Brendan Canning, Bassist der Band, dem es immer wieder gelingt unvergleichbare Hooks in die exzentrischen Läufe zu bringen, mitteilt, haben sich viele Menschen ihr Album aus dem Internet heruntergeladen, ein Thema, welches auch bei uns gerade eine differenzierte Diskussion fordert. Die Band beurteilt diese Tatsache jedoch durchweg als positiv, und auch das beheimatete Label Arts & Crafts, welches mit dieser Veröffentlichung das Licht der Welt erblickte, konnte hierdurch an Popularität gewinnen.

Die dreizehn Stücke auf "You Forgot It In People", unter welchen es so ungewöhnliche Titel wie Anthems For A Seventeen-Year Old Girl oder Late Nineties Bedroom Rock For The Missionaries zu entdecken gilt, zeigt auf, dass es im Pop Bereich durchaus Raum und Hoffnung dafür gibt, dass sich Musik mal wieder neu erfinden darf. Subtile Gitarren verweben sich mit Streicher-, und Bläserarrangements, manipulierte Klänge, Keyboards und ein verstimmtes Banjo erwachsen zu atmosphärischen Rockstücken, geformt, aber in ihrer Richtung unbegrenzt. Während der Opener Capture The Flag, ein Klangteppich, nuanciert mit einer Trompete, soundsphärisch einlädt, überrascht das nächste Stück KC Accidential – betitelt nach einem alten Soloprojekt der Bandmitglieder Charles Spearin und Kevin Drew, letzterer de facto der Kopf der Band, der nicht nur für den Gesang sondern auch für die experimentelle Eigenständigkeit zuständig ist –, welches mit psychedelischen, schnarrenden Gitarren beginnt, bis ein treibender Beat das Lied nach vorne bringt. Looks Just Like The Sun hingegen klingt genauso verspielt wie der Titel verspricht, mit zurückgelehntem Gesang und harmonisch verwobenen Gitarrenmelodien.

Auf seine ganz eigene, subtile Art erscheint "You Forgot It In People" ein wenig nach dem Mixtape des Sommers, auf welchem wir eine sehr rare Auswahl an wunderschönen Pop Kompositionen hören, während wir im Gras liegen.
foto:


broken social scene
"you forgot it in people"
arts&crafts / city slang 2004 cd / lp
broken social scene