Sonntag Nachmittag

Sonntag Nachmittag.
Eine monatliche Fotokolumne von Manuel Kaufmann.





"Ich finde es einen faszinierenden Gedanken und ich weiß nicht, ob er Dir schon mal kam, dass wir uns momentan in einem bemerkenswerten Zeitalter befinden: Zu keinem Zeitpunkt gab es auf der Welt mehr Bilder als jetzt. Und die Zahl der Bilder ist in den letzten und wird in den nächsten Jahren exponentiell steigen. Dank der Digitaltechnik. Die quantitative historische Entwicklung des Bildes ist äußerst spannend, vor allem weil Quantität direkt mit Qualität zusammenhängt. Die Zahl ist nicht nur so hoch, da es viel simpler und für Jedermann machbar ist in einer Sekunde 100 Bilder zu machen, sondern auch, weil es sehr viel unproblematischer ist ein Bild per Knopfdruck tausendfach zu kopieren. Dadurch steigt auch die Überlebenswahrscheinlichkeit um ein zigfaches. Alte Meister müssen auf das Penibelste vor dem Zerfall bewahrt werden, während der durchschnittliche Familienvater ein Bild vom ersten Erbrochenen seiner Tochter mit einem Klick an alle Mitglieder von TSV Helmstedt verschickt. Man könnte meinen, dass das einen größerer Prozess an Familiarität und Hinwendung zum privaten zur Folge habe (unsere Kinder werden die ersten sein die ihre Urgroßelterngeneration in Stereo und in Farbe zu Gesicht bekommt), wäre da nicht die direkte Verknüpfung von Qualität und Quantität. Meine These: ein Bild ist nicht ein Bild. Sondern ein Bild ist ein Wahrnehmungsprozess. Nur wenn dieser glückt, kann erst das Bild glücken. In einer Galerie in Halle wird derzeit montags kleinen Gruppen angeboten eine Ausstellung zu besuchen unter der Bedingung sich ein Bild auszusuchen und es eine Stunde zu betrachten. Liegen stehen bereit. Trotz aller Bashmassenflut Affinitäten, trotz des unglaublichen Fundus an privaten und voyeuristischen Annehmlichkeiten ist doch gleichzeitig das Dilemma unserer Zeit, dass dem Wahrnehmungsprozess keine noch so kleine Chance eingeräumt wird stattzufinden. Und zwar richtig stattzufinden, da ihm auf fotocommunity.de tausend kleine Thumbs entgegen rufen "nimm mich, nimm mich" und er spätestens nach den ersten fünf Bildern nur noch wahllos durch die Gegend klickt um ein stummes "gut" oder "schlecht" von sich zu geben und nach dem Zwanzigsten frustriert nach Hause geht. Um dem entgegen zu wirken gibt es auf lichter eine Serie zu einem Thema in einem Monat. Denn was man braucht sind nicht primär gute oder schlechte Bilder (falls es so etwas überhaupt gibt, ich habe meine Zweifel), sondern solche die wahrgenommen werden können. [...]"

Text: Manuel Kaufmann
Foto: Manuel Kaufmann