Söhnke Wortmann [Deutschland. Ein Sommermärchen]

2006: Deutschland ist wieder wer. Weltmeister der Herzen allemal und wenn "Angie" "Klinsi" küsst und Ballak zum "männlichsten Mann Deutschlands" wird, findet eine ganze Nation wieder zu sich selbst. Nicht nur "du", wir alle sind Deutschland. Die große Mär von Söhnke Wortmann.


"noch nie ist ein event so emotional und global dargestellt worden."
(joseph s. blatter, fifa präsident)


Das tobende Meer an schwarz-rot-goldenen Fahnen wird nur sehr langsam aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden. Nicht nur hier, sondern auf der ganzen Welt wurden dank der modernen Vernetzung die Bilder der friedlich feiernden Freunde betrachtet. Mit Sönke Wortmanns Film werden jetzt diese „vier unbeschreiblich schönen Wochen“ - so der Pressetext - noch einmal aufgegriffen. Man sagt erneut „Danke“, diesmal nicht nur - wie auf der Berliner Fan Meile am 9. Juli – den „Helden“ (Kino Trailer), sondern auch dem zwölften Mann auf dem Platz, den Fans. Stichwort "Teamgeist 82 Mio". Um die Bedeutung des Films und nicht zuletzt der Weltmeisterschaft selbst näher zu beleuchten, haben wir uns mit Tobias Funske, dem Pressesprecher der Initiative "I Can´t Relax In Deutschland" unterhalten. Leider war kein von uns eingeladener Mitarbeiter des Magazins für Fußballkultur "11Freunde" dazu bereit, sich an dem Gespräch zu beteiligen.

„Deutschland. Ein Sommermärchen.“ Nach dem Premierenwochenende zeichneten sich bereits Rekordergebnisse an den Kinokassen ab. Ist das der Kassenschlager, den die klagende Filmindustrie in Deutschland benötigte? Vielleicht ein Anstoß zum gemeinsamen Aufbruch, den sich die gesamte Wirtschaft wünscht? Oder ist der als märchenhaft attributierte „Summer of Heimatliebe“ (Christian Jostmann) nicht eher verklärend und wenig überraschend?
"Roger Behrens (Philosoph, Sozialwissenschaftler und Mitherausgeber der Testcard, Anm. d. Redaktion) zitiert in seinem Text Gottfried Mergner, der 1998 folgendes schrieb: 'Wir beobachten daher heute eine Renaissance von Chauvinismus und Nationalismus, und zwar überall dort, wo sich moderne Staatlichkeit und Industrialisierung in Krisen durchsetzt oder sich in Krisen zu behaupten versucht.' Behrens erklärt im Folgenden trefflich, dass der neue Nationalstolz politisch und zivilgesellschaftlich auf den Konsens der neuen Mitte trifft. Wohl nicht zufällig steht die heute gepriesene 'Wirtschaftswunderhemdsärmeligkeit' dabei im auffälligen Kontrast zum Abbau des Rechts- und Sozialstaates, von der Asylrechtspraxis bis zu Hartz IV."

Sich auf die These beziehend, dass es dem Film gänzlich an kritischer Distanz und Analyse fehle, wirft Klaus Walter in seinem Rolling Stone Artikel (11/06) die Frage auf, ob Sönke Wortmann wirklich mehr als die "Fortsetzung der synergetisch gepushten Deutschland Party" wollte.
"Wir sehen hier keine Fortsetzung, sondern ein nicht unterbrochenes Kontinuum einer deutschen Ideologie, welche sich bis in das frühe neunzehnte Jahrhundert zurückverfolgen lässt und dort seinen ideologischen Ursprung findet. Fraglich ist ferner die These, hier hätte man etwas 'gepusht'. Das klingt nach einem eingeschworenen Kreis, der die 'blinde' Masse verführt. Ich bin jedoch vielmehr der Ansicht, es wird einem gesellschaftlich existenten Gefühl Ausdruck verliehen. Das erklärt auch die verschiedenen Ausdrucksformen die sich der Nationalismus bahnt. Ob in der Popkultur – von Musik über Mode und Fotografie bis hin zu Ausstellungen und Leinwand – oder im Sport. Schließlich sind Kultur als auch Sport keine von der Gesellschaft losgelösten Orte, die sich vom aufkeimenden Nationalismus isoliert betrachten ließen. Gerade Popkultur spiegelt stets Diskurse wieder, wie sie um Volk, Heimat und Nation geführt werden. Deutsche Künstler appellieren an das nationale Kollektiv (Heppner, van Dyke: 'Wir Sind Wir') und widmen Deutschland ihr Liebeslied (Mia: 'Es Ist Was Es Ist'). Erinnert man sich dazu an die Diskussion um die Flick-Kollektion in Berlin oder Wortmanns Filme wie vor allem 'Das Wunder Von Bern', in dem eine 'wir-sind-wieder-wer'-Haltung völlig kontextlos auf der Leinwand zu sehen war, oder 'Der Untergang' und unzählige 'History'-Dokumentationen, in denen deutsches Leid inszeniert wurde, erkennt man, dass es sich nicht bloß um eine kulturell-künstlerische Bewegung handelt, sondern einem gesellschaftlich lange da gewesenen Gefühl Ausdruck verliehen wird. Daher sind wir auch in unserem Buch zu dem Ergebnis gekommen, dass all diese Phänomene nur Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung sind. Die Verknüpfung zwischen Kultur und Nation hat Roger Behrens in seinem Buchbeitrag treffend dargestellt und kommt zum Schluss, dass Kultur und Nation zum selben Komplex bürgerlicher Ideologie gehören. Das gilt also auch für Popkultur und die modernen Formen des Nationalismus."

Mit dem von dir erwähnten "Wunder Von Bern" näherte sich Wortmann bereits 2003 sowohl dem Thema Fußball, als auch dem Thema Deutschland und Identität an. Hat sich der geschichtliche und gesellschaftliche Kontext zwischen diesen beiden Ereignissen verändert? Und inwiefern erscheint es, als habe Wortmann mit beiden Filmen – auch rekurrierend auf Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ – einen bewusst vereinenden Blick auf Deutschland provoziert?
"Ich sehe keine gesellschaftlichen oder geschichtlichen Unterschiede zwischen 1954 und 2006. Der Grund ist banal. Man kann die gesellschaftliche und geschichtliche Entwicklung Deutschlands nicht losgelöst voneinander betrachten. Das ist ja gerade auch das Problem des neuen Nationalismus. Um sich positiv auf Deutschland beziehen zu können, wird sich der negativen Vergangenheit entsorgt. Schließlich passt die piefig-zipfelmützige Altlast nicht ins gewollt-flippige und oberflächlich-hippe Deutschland-Weltbild. Nur der Bruch mit der Vergangenheit und der Verzicht auf einen kritischen Umgang mit ihr machen einen positiven Heimatbezug möglich. Sinistra Frankfurt führt in ihrem Beitrag aus, was über eine allgemeine Kritik der Nationalstaatlichkeit hinaus als deutsche Spezifik ins Blickfeld gehört. Wofür steht der Begriff 'deutsch' überhaupt und was unterscheidet den hier auftretenden Nationalismus von anderen Ländern?
Ob jemand bewusst provoziert oder unreflektiert sein fetischistisches Verhältnis zur Nation ausdrückt, kann ich schlecht beantworten. Wortmann als ausgewiesener Deutschland-Fan lag sicher weniger an Provokation von etwas, von was er verbissen träumt. Die Kampagne „Du Bist Deutschland“ trat ebenso wenig provokant denn vielmehr verklärend romantisch auf. Durch dieses Stilmittel gewinnen Zustände wie etwa Rausch oder Traum an Bedeutung. Und neu waren die Form und Intention von 'Du Bist Deutschland' Ende 2005 längst nicht mehr. Die Kampagne konkretisierte lediglich, was andere schon mehrere Jahre einforderten.
Kennzeichen des neuen Nationalismus sind nicht vorrangig Rassismus und Straßengewalt. Im Gegenteil, diese dienen hegemonial sogar als Negativschablone. Repräsentativ verwendet die Werbung Afrodeutsche, die mit Deutschland-Fahne und Chips auf der Couch jubeln; Erinnert sei auch noch einmal an Gerald Asamoahs Auftreten im Rahmen der 'Du bist Deutschland'-Kampagne. Der gegenwärtige Patriotismus ist kein Nationalismus. Patriot, so eine gängige Behauptung, sei jemand der sein Land liebe, Nationalist dagegen jemand, der andere Länder herabwürdige. Nun wird einem jeder, der sich selbst Nationalist nennt, gerne bestätigen, dass dies mitnichten der Fall sei und, froh dass er auch mal was gefragt wird, seine ethnopluralistische Leier herunterspulen. Macht man den Unterschied daran fest, dass Patriotismus ein Gefühl der Verbundenheit zum eigenen Land bezeichnet, Nationalismus hingegen eine politische Ideologie, bei der das Volk oder die Nation als Zweck allen Handelns betrachtet wird, so schließt das eine das andere nicht aus und es wird klar, womit man es bei den schwarz-rot-goldenen Scharen zu tun hat. Infantile Pop-Patriot/innen, die auf der Jagd nach wohligen Gemeinschaftserlebnissen die hedonistische Seite der Staatsbürgerschaft entdecken, mit Politik in ihrer Eigenschaft als Fans aber bitte nichts zu tun haben wollen."

Die politische Rezeption des Großereignisses wurde aus Sicht vieler trotzdem als übertrieben, ja gar hysterisch abgetan. Die Frage stellt sich jedoch ganz im Gegenteil, ob eine Betrachtung der WM und all ihrer Sequels überhaupt auf einer unpolitischen Ebene möglich ist, nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass die Premiere des Films in Berlin am Tag der deutschen Einheit gefeiert wurde.
"Der Nationalismus, auch in seiner Pop- oder Sportvariante, dient der Identifikation mit dem Kollektiv. Paradox laut Roger Behrens ist dabei, dass die Identifikation aber misslingt, da das 'identifikatorische Zwangskollektiv' die Identifikation des freien Individuums mit sich selbst und seiner Selbstbestimmung gerade verhindert.
Das nationalistische Kontexte nicht ohne eine notwendige politische - weil ideologisch beladene - Ebene auskommen, erklärt sich schon daraus, dass das Wort 'Deutsch' nicht einfach nur eine leere Begriffshülse ist. Überhaupt kommt weder die Nation allgemein noch die deutsche im Besonderen als blütenweißes Papier daher, das sich beliebig beschreiben ließe."

Die aus dem Sommer resultierende "konsensfähige Nationalidylle" (Christian Jostmann) führte auch dazu, dass das zuvor noch erzürnte Volk in eine euphemistische Hysterie zu verfallen schien. Man freute sich mit Kaiser und Kanzlerin, schrie kryptische Zahlen gemeinsam mit den „Sporties“, hielt dankbar und besonnen mit Xavier Naidoos Hymne inne und lies die verkrampfte Haltung hinter sich. Endlich lernte man zu feiern, zu leben, komme was wolle. Was hat dieses emotionale Wir-Gefühl tatsächlich bewirkt?
"Das moderne, weltoffene Deutschland hat seine Scham abgeworfen und in der so genannten 'Verantwortung' das passende Heilmittel für den historischen Schlussstrich und neues Selbstbewusstsein gefunden. Anstatt wie bisher Auschwitz eher zu verharmlosen oder zu leugnen, wurden die deutschen Verbrechen nun instrumentell benutzt, um eigene Machtinteressen durchzusetzen; Erinnert seien an die Begründung des Kosovokrieges. Das rot-grüne Deutschland sah sich nun als Land, das sich für Menschenrechte einsetzt. Der Staat und seine Nationalisten stehen nicht mehr für den Zivilisationsbruch Auschwitz, sondern legen als Aufarbeitungsweltmeister die gesellschaftliche Befugnis zu patriotischen Regungen vor. Wir kritisieren dieses entspannte 'zu-sich-kommen'. Damit wurde für die Meisten zum feuchten Traum, was Heinrich Heine noch in seinem 'Deutschland. Ein Wintermärchen' um den Schlaf brachte."

Nachtrag:
Am 5. Dezember 2006 wird Sönke Wortmann für seinen Film der Leibniz-Ring des Presse Club Hannover verliehen. Der Preis wird jährlich an eine Persönlichkeit oder Institution übergeben, die durch eine herausragende Leistung auf sich aufmerksam macht. Mit seiner Betrachtung habe Wortmann "ein Ereignis dokumentiert, das Deutschland - auch aus dem Blickwinkel des Auslands - positiv verändert hat", so begründete das Kuratorium unter Vorsitz von Sabine Christiansen die einstimmige Entscheidung.
foto: kinowelt

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