Andreas Michalke [Bigbeatland]

Der Berliner Reprodukt Verlag hat eine Sammlung der Comicstrips von Andreas Michalke heraus gebracht, die unter dem Titel „Bigbeatland“ bislang in der Wochenzeitung Jungle World veröffentlicht wurden.



"du kannst doch nicht für den teufel medienindustrie arbeiten
und gleichzeitig für das freie radio!
"
(subkommandante markus)


Pop-Linke sind Linke, die Entertainment als Mittel von Politik verstehen. Meist ist es herablassend gemeint, so wie Popper“, erklärt eine jener Figuren, die in ihrem Aussehen ein wenig an Fix und Foxi und maorische Tiki Figuren erinnern. Anthropomorphe Hunde und Katzen, Füchse und vielleicht auch ein Schlumpf. Andreas Michalke, seines Zeichens 1999 mit dem Independent Preis des ICOM ausgezeichnet, bedient die alte und in Deutschland eigentlich nur rar gesäte Kunstform des Comicstrips. Seit 2002 veröffentlicht die, dieser Tage mit Existenzangst hadernde Wochenzeitung Jungle World, farbige Strips des 1966 in Hamburg geborenen Künstlers. In "Bigbeatland" betrachtet Michalke auf gelungene Weise maßgeblich musikbezogene, linksorientierte Subkulturen in einer beliebig besetzbaren Großstadt Deutschlands; die „Rock-Linken“ Johnny und Sandro mit ihrer Sendung im freien Radio, um deren Sendezeit immer wieder aufs neue gekämpft werden muss, der totenköpfige, linksradikale Markus Meier, der nicht nur von seinen Genossen Hans, Otto und Hermann „Subkommandante“ genannt wird, oder Sandra Al Djardo, Deutsch-Irakerin und VJane beim Musiksender "BlaBla". Da sich das Geschehen in Bigbeatland nicht klassisch um eine zentrale Figur, sondern eine Vielzahl bewusst oder unbewusst miteinander vernetzter Charaktere dreht, wird oft die Lindenstrasse als Verweis angeführt, auch wenn sie in diesen Fällen für Bigbeatland liebevoll mit „links“ attributiert wird. Tatsächlich ergeben sich, wie in der Fernsehserie, auch hier aus den episodischen Handlungssträngen der verschiedenen Protagonisten immer wieder neue Dramaturgien, greifen die unterschiedlichen kleinen Erzählungen in einander.

Was seine Serie jedoch wirklich beachtenswert macht, sind zwei Fähigkeiten von Michalke: Zum einen weiß er nicht nur wovon er erzählt, sondern stattet seine Zeichnungen mit einer Liebe zum Detail aus, die auf den ersten Blick in dem recht einfachen und karikaturistisch anmutenden Zeichenstil kaum auffallen. Von der schwarzen Hornbrille, den Lippenpiercing über das Eso-Ying-Yang Shirt, den Seitenscheitel und die Haarspange bis zum Habitus und markanten Redeweisen, verleiht er den jeweiligen Charakteren stilechte Ausdrucksmerkmale, weiß mit den zeitgenössischen kulturellen Codes innerhalb der jeweiligen Szene zu spielen. Er nimmt sich sogar die Zeit – im grafischen Sinne eines Panels -, um immerwieder lange Auszüge (mit Quellenangabe) der gespielten Stücke in Johnny und Sandros Radiosendung abzubilden. Michalke gelingt es damit die linke Perspektive kritisch und humorvoll zu betrachten, ohne sie preiszugeben. (Auch wenn die ein oder andere Pointe eher platt daherkommt.) Zum anderen lesen sich die in der Sammlung zusammengestellten Strips wie ein alternativer Jahresrückblick von Sommer 2002 bis Herbst 2006. Bleibt der Ort der Handlungen auch beliebig, so sind es die politischen und kulturellen Ereignisse nicht; von den Bundestagswahlen 2002 („Stoiber will einen Gottesstaat auf deutschen Boden errichten. Er nennt seine Frau Muschi!“), über den ausbrechenden Irakkrieg, den Tod Jassir Arafats, die Atompolitik Nord Koreas bis zur Fussballweltmeisterschaft im letzten Sommer, konfrontiert Michalke seine Charaktere liebevoll mit nationalen und globalen Ereignissen, in dem Bewusstsein, – so Dietrich Diedrichsen in seinem Vorwort – „dass ein solcher Zusammenhang heute nur als Karikatur zu haben ist“. Gerade durch diese Herangehensweise „generiert sein Humor und die Lässigkeit der Bezugnahmen genau die Attraktivität von Lebensformen, die die Leute in der ewigen Provinz von Aufbrüchen träumen lässt – und über diese Träume lachen“.

"Bigbeatland" ist so zu einer Ausnahmeerscheinung im deutschen Comicstrip Umfeld geworden, welche eine reflektierte Zielgruppe junger Leser anzusprechen und intelligent zu bedienen weiß. Durch die vorliegende Sammlung als vorläufiges Gesamtwerk aus dem Hause Reprodukt, ist der zeitgenössische Blick auf die „Unzufriedenen und Radikalen, die sich in der linken Szene und den musikalischen Subkulturen tummeln“ (Klappentext) in seinem ganzen, wunderbar skurrilen Umfang zu bewundern.
foto: comicsalon.de / zeichnung: bigbeatland



andreas michalke
"bigbeatland"
reprodukt verlag 2006
andreas michalke
jungle world