Tele

Die Neuberliner Tele ("Wir Brauchen Nichts" 2007, "Wovon Sollen Wir Leben" 2004) haben sich kurz vor ihrem Auftritt beim diesjährigen ASTA-Sommerfestival in Paderborn Zeit genommen, um den wahrscheinlich nervösesten Interviewer ein paar Fragen zu beantworten. Es folgen Offenbarungen über den Wunsch mal nichts zu hören, über ostwestfälische Volksfeste und wechselnde Hörgewohnheiten.


"es geht ein riss durch die welt."
(fieber)


Aller Anfang ist schwer und so ist es nicht verwunderlich das gute Interviews nicht auf Bäumen wachsen oder wie reife Trauben darauf warten vom Fragensteller gepflückt zu werden. Vor allen Dingen ist es wichtig, die richtigen Fragen für die richtige Laune zu stellen.

Dann wird man von den nächsten Hindernissen eingeholt: Wie wird es ablaufen? Lässt man sich ein Special einfallen? Welche Tiefe soll das Interview haben? In welchen subjektiven Gefilden lohnt es sich den Gegenüber zu lotsen: Journalistische Distanz oder doch eher persönliche Empfindsamkeit? Doch was am Wichtigsten ist: Wie überwinde ich den eigenen Schweinehund, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mir vor Nervosität fast in die Hosen mache.

Dann ist es soweit. 10 Minuten bis zum Interview. MD-Player und Mikro gut verstauen, Bandbus suchen, Interviewpartner notfalls kontaktieren. Ich bin bereit. Warum schauen die mich so grimmig an? Unsicherheit! Und dann passiert das, was man eigentlich umgehen wollte. Das Gehirn malt sich alle möglichen Schreckensszenarien aus. Erste Anzeichen eines fragmentarischen Sprachverlustes setzen ein. Der Dialekt bricht durch, den man sich so schön wegtrainiert hat, die Beine werden weich.

Wie ist die Atmosphäre auf dem Festival? Habt ihr heute euren sicheren Bandbus schon einmal verlassen?
Jörg Holdinghausen (Bass): "Ich war sehr verwundert. Von einem ASTA-Fest hätte ich nie so was Großes, Kommerzielles erwartet. Das ist jetzt nicht so mein Ding, ehrlich gesagt. Wenn ich über’s Fest gehe, dann hab ich eher den Eindruck von einem Rummelplatz."

Da ist schon eine gewisse Ähnlichkeit zu einem Volksfest mit Grillbuden und Losständen!
J: "Also im Gegensatz zu gestern, dass war ein ASTA-Fest in Köln, das stand unter dem Motto: 'Contra La Racisme', das war sehr klein und kam mir viel studentischer vor."

Ich ward beim Bundesvision Song Contest. Wie steht ihr eigentlich zu dieser Veranstaltung? Zum Wettbewerb an sich und zu der Art, wie er ausgetragen wird?
Patrick Reising (Keyboard): "Als wir gefragt wurden, ob wir da mitmachen wollen, gab es nicht die Entscheidung: „Machen wir das oder nicht?“, sondern es war von Anfang an klar, dass wir das machen würden. Aus musikalischer Hinsicht, ist es natürlich nicht unbedingt die Sache, die einen als Band voran bringt, sondern das ist eher eine große Veranstaltung, die bekannt macht. Dieses Format, was Stefan Raab dort ins Leben gerufen hat, ist immerhin noch eine Sache von den Dingen, die immerhin noch etwas mit Musik zu tun haben. Weil man ihm noch anmerkt, dass er noch wirklich an der Musik interessiert ist und in seiner Sendung noch richtige Kontraste schafft."

(Nach den ersten Eindrücken werde ich mutig und steigere den Grad an Subjektivität, vielleicht auch Dilettantismus, das wird sich zeigen. Ich bin neugierig, wie sie damit umgehen. Ich will alles wissen und sehen, ob sie auch über sich selbst lachen können. Man nennt das Selbstironie, ich nenne das investigativen Journalismus. Wir sollten öfter lachen.)

Für die nächste Frage muss ich ein wenig ausholen. Meine erste Begegnung mit Tele war der Versuch meiner Schwester mir einen Sound unterzujubeln, den ich nicht verstand. Da fehlten die Kanten, das Rohe – beim ersten Hören war die Musik so weich und formbar. Heute empfinde ich da anders und es kotzt mich wirklich an, dass meine Schwester Recht behalten hat. Ist es nicht manchmal schrecklich, dass Schwestern des Öfteren viel weiter sind als man selbst und man sich zurückblickend seine Sturheit eingestehen muss?
J: "Ich hatte keine Schwester, ich kann das nicht so beurteilen. Aber ich hatte einen älteren Bruder, der war viel weiter als ich und ich hab total davon profitiert. Er ist 7 Jahre älter als ich, hat sich schon immer für Musik interessiert, hat coole Bands angebracht und mich wahnsinnig beeinflusst."
P: "Ich hab ne kleine Schwester. Die ist sechs Jahre jünger als ich und bei mir war das immer anders herum. Aber ich hab noch drei Brüder und mit denen habe ich sogar zeitweilig in einer Band gespielt."

Wer hat sich die Choreografie für euer neues Video „Fieber“ ausgedacht? War das so eine bandinterne Sache?
J: "Meinst du das ganze Video?"

Nein, ich meine den Schritt, den eure Gitarren-Sektion am Anfang des Videos in einen wahren Foxtrott-Himmel hebt. Der erinnert mich persönlich ein wenig an die Aaron Carter Moves. Kennt ihr noch 'Crazy Little Party Girl'?
P: "Ich kenne Aaron Carter, aber ich kenne nur dieses Lied, wie heißt das noch gleich… [überlegt] 'Crush on you'?
P: "Ich habe es bestimmt schon einmal gehört. Aaron Carter ist mir noch gut im Gedächtnis. Das ist der kleine Bruder von Nick Carter. Meine Schwester war großer Backstreet Boys-Fan."
J: "Wenn überhaupt kommt das aus dem Breakdance, das hab ich früher gemacht und wir haben das für das Video übernommen. Allerdings kenne ich den Move nicht, es kann ja sein, dass er genauso aussieht."

Na ja, ich wollte nur provozieren, bei Aaron Carter sieht’s eher so aus.
(Und jetzt kommt der größte Fehler, ich bewege meine Arme in merkwürdig kreisenden Bewegungen um meinen Körper und singe dazu: "Crazy little party girl / How I love her / Partying around the world - she wants to dance!")
Egal bei euch sieht das ganz anders aus. Wir sind ja hier auf dem ASTA-Sommerfestival. Habt ihr eigentlich einen studentischen Hintergrund?
P: "Ich habe lange in Freiburg studiert: Musikwissenschaften, Informatik und Literatur auf Magister. Dann kam der Umzug nach Berlin, aber dort war der Schwerpunkt schon von Anfang an bei ganz anderen Sachen."
J: "Bei mir ist es anders. Ich hab nie das Studentenleben genießen können. Ich habe ziemlich früh gemerkt, dass ich Musiker werden will, deswegen war meine schulische Karriere auch nicht gerade glorreich. Ich bin dann in der 11. Klasse auch vom Gymnasium geflogen. Aber da kamen auch gewisse Dinge zusammen. Ich bin Vater geworden und hab mich ganz anders orientiert. Dann kam eine schulische Ausbildung in Musik. Später habe ich dann viel gejobbt: Hilfsarbeiten, im Theater gearbeitet, in der Fabrik und bin jetzt bei der Musik gelandet."

Zum Schluss noch eine leidige Standardfrage: Was hört ihr so im Moment für Musik?
J: "Hauptsächlich das, was ich jetzt mal Weltmusik nennen würde: Country, Jazz – im Moment –, aber eigentlich alles. Außer vielleicht Heavy Metal und Techno."
P: "Ich höre sehr, sehr wenig Musik. Ich bin eigentlich total froh, wenn ich mal keine Musik hören muss. Wenn man den ganzen Tag mit Musik beschäftigt ist und auch viel Musik macht, dann ist es auch ganz wichtig mal nichts zu hören oder die Ohren auszuputzen. Das ist, wie wenn man zu lange in die Sonne schaut: Irgendwann musst du dir eine Sonnenbrille aufsetzen oder in einen dunkleren Raum gehen. Deswegen höre ich zu Hause relativ wenig Musik. Aber wenn dann Sachen bei mir hängen bleiben, sind es solche, die ich außergewöhnlich finde."

Mission accomplished, nach 16 Minuten und einigen kurzzeitigen Aussetzern, bedanke ich mich, mache noch schnell ein Foto für die kleine Schwester zu Hause und natürlich auch für mich selbst und verabschiede mich dann von Jörg und Patrick. Auf dem Rückweg überfällt mich ein Schauer aus Freude und der leidigen Gewissheit, dass es doch gar nicht so schlimm war, nur der Kopf wiegt viel zu sehr und zieht den Körper in Mitleidenschaft.
foto: frank eidel

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