Telekaster [The Silent Anagram]

The Silent Anagram ist ein Gebilde aus Klangräumen, das beruhigender in seiner Unruhe kaum sein könnte. ‚All is sound’. Und so verliert sich auch die Stille im Klang und lässt das, was zwischen Kopf und Herz ist, im Gleichklang aus dem Takt schlagen.

"all that is solid melts into noise."


Es ist Nacht. Ich greife meine Kopfhörer, lege die Platte vorsichtig auf den Plattenspieler, warte bis die Nadel sich senkt und höre. Der erste Raum öffnet sich. Es fängt an zu Klackern, zu Rasseln. Ein Klavier schleicht sich dazu und beginnt ein niemals enden wollendes Intervall. Immer wieder finden sich dazu neue Klänge, Geräusche. Eine Melodica spielt eine scheinbare Melodie, die doch keine ist. Rauschen, Klappern, es regnet, drückende Störgeräusche, Instrumente. Sie spielen, stehen nebeneinander und bilden darin ein verlässliches Gefüge, das in seiner Monotonie beruhigend klingt (A Shift Full Of Shapes). Dann plötzlich der nächste Raum. Noch im Nachhall des vorigen wird es sphärischer, dröhnender. Dann Klangspiele. Tief und voll wie Kirchenglocken, hoch und metallisch hallend wie kleine Glöckchen. Es klingelt ruhig aber scheinbar willkürlich aus allen Richtungen. Doch auch hier findet sich ein Gerüst, das verhindert ins Haltlose zu fallen und das mit der Zeit unterschiedliche Assoziationen und Erinnerungen wachrufen kann (We Are All Balloons).

Im dritten Raum (Pyramids) ist es ruhiger. Er steht für sich, umgrenzt von den anderen. Wieder ein Klavier. Ein neues ewiges Intervall. Der Fall ist tiefer, die Geräusche dazu wieder rauschig und elektronisch, aber angepasster. Warm und wohlig. Entspannung. Zurücklehnen. Und wirken lassen. Das Klavier pendelt wie eine Lebensader ruhig vor und zurück. Immer weiter, wie tiefe Atemzüge. Ich sitze da, schließe die Augen und werde aufgesogen. Das Rauschen und Flirren nimmt zu und übertönt fast das Klavier, aber es findet zurück zur einfachen Melodie einer Geige. Der Raum ist erfüllt und es gelingt nur schwer in den nächsten einzutauchen.

In diesen werde ich hineingeworfen. Tauche wieder auf und höre den Lebensklang vom Klavier zuvor auf elektronischen Saiten. Es hat sich umgekehrt. Klingt fordernder. Dann gebrochene Gitarrenakkorde, wieder keine wirkliche Melodie. Aber auch hier das Gefühl bleiben zu wollen. Doch der Raum zieht sich plötzlich in sich zusammen und verschwindet (A World Full Of Ordinary Things). Die Nadel hebt sich und ich sitze da und höre die Stille. Sie rauscht.

Auf der zweiten Seite tauchen neue Räume auf. Sie kommen mir bekannt vor und sind doch neu. Stille Anagramme. Manches verdichtet sich noch mehr, anderes löst sich. Es wird orchestral und kurz hallt eine Stimme fern zwischen all dem Klang, wie ein Klagelied. (All That Is Solid Melts Into Noise). Dann wieder Knistern und Flirren. Ein Raum mit schönen Klängen und Störgeräuschen die an entfernte Presslufthammer erinnern (Where Driving Bells Are Ringing). Dann, nach einem Dröhnen im Kopf, wieder das ambientartige elektronisch Schwebende. (Your Fireworks Brighten My Sky). Zum Schluss der letzte Raum. Man betritt ihn nach einem sanften Übergang und wird dann durch diesen Klang überrascht. Etwas das so vertraut klingt und doch nicht einordbar ist. Ein bisschen wie knirschende Frösche an einem Sommerabend. Aber eben auch nicht wirklich. Es ist anders und mehr. Afrikanische Insekten sind es in Wirklichkeit. Ein unglaublicher Klang. In dem Raum wirkt alles schneller und lebendiger als vorher. Wie ein Aufbruch und ein Finale. Die Ruhe darin geht trotzdem nicht verloren. Klangspiele, die Frösche, gezupfte Saiten, Klingeln, die ewigen Wiederholungen. Nach vier Minuten reduziert sich langsam alles und zurück bleibt die Konzentration auf dieses Geräusch, bis sich die Nadel erneut hebt (No Moving Parts Contained). Die Stille rauscht immer noch. Aber sie ist sehr bewusst.

Eine unruhig beruhigende Platte. Sie bewegt sich zwischen geerdet warm und elektronisch kühl, ist schön und beschleichend, rauschig störend, melodiös ohne Melodie, tonal und atonal. „Monotony is intensity“ – die Intensität der Monotonie. Je genauer man hinhört, desto mehr wird es. Je weiter man sich entfernt, desto einheitlicher wirkt es. Und manchmal ist es auch umgekehrt. Immer wieder neue Geräusche, neue Klänge. Sie bilden Räume ohne feste Wände und letztlich immer auch Gefühl. Denn es gibt keinen Text, keine konkreten Melodien an denen man sich festhalten kann. Es gibt nur das, was die Musik mit einem macht. Es ist Musik für die Nacht, denn die Dunkelheit schluckt alles was ablenken könnte. Und so kann zwischen dem Störenden und Rauschenden in der Musik das gefunden werden, was sich durch alle Klangräume durchzieht. Etwas universell Lebendiges und gleichzeitig Verwurzeltes. Ein Klang für sich alleine. Teilbar, aber allein vielleicht doch am schönsten.

Telekaster ist ein Projekt von Matthias Grübel. Als phon°noir hat er bereits zwei Platten veröffentlicht, arbeitet an verschiedenen Theaterprojekten mit und geht mit seinem neuen Soloprojekt Telekaster einen weiteren eigenwilligen Weg. Unterstützt wird er dabei von dem Videokünstler Stefan Bünnig, der auch bei Liveauftritten die Musik visuell untermalt. Das Album The Silent Anagram ist ausschließlich als Vinyl auf dem britischen Label Panic Arrest erschienen.

Das naheliegendste und vielleicht auch schönste Anagramm von silent ist übrigens listen. So listen. Silently…
foto: mike ruiz


telekaster
"the silent anagram"
panic arrest, 2009 lp
telekaster