Posts mit dem Label The Notwist werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label The Notwist werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Melt! Festival [Gräfenhainichen, 18.-20.07.2008]

Noch größer sollte das Melt! in diesem Jahr werden und hat infolgedessen mit manchen Widrigkeiten zu kämpfen. Doch großartige Performances von Björk und vielen anderen entschädigen.


"can you hear the power?"
(fraktus)



Festivals sind schrecklich. Unüberschaubare Massen von Menschen schieben sich wie eine riesige Bisonherde über schier endlose Äcker, Flughafen-Vorfelder oder Motorsport-Rennstrecken, um ihre Idole in Stecknadelgröße auf riesigen Bühnen herumturnen zu sehen. Zwischendurch sucht man wahlweise bei 30 Grad Celcius vergeblich nach Schatten auf dem weiten Feld oder ein Platzregen verwandelt die gesamte Veranstaltung in eine reine Schlammschlacht. Das Zelt, in dem man eigentlich schlafen wollte, ist entweder überflutet oder voller Stechmücken, während die Nachbarn Tag und Nacht Flogging Molly in Clublautstärke hören und einem die sowieso spärlichen Biervorräte klauen.

Wer Festivals aus diesen und vielen anderen Gründen hasst, der geht normalerweise aufs Melt!. Die Anzahl der Besucher ist ebenso überschaubar wie das Gelände, das mit seinen riesigen Tagebaubaggern eine verführerische post-apokalyptische Urbanität ausstrahlt. Dazu haben die Organisatoren, die aus dem Hause der Zeitschrift Intro stammen, eine Booking-Abteilung, die in der deutschen Festivallandschaft ihresgleichen sucht. Da nimmt man auch mal ein Wochenende lang das ungeliebte Camping auf sich. In den letzten beiden Jahren herrschte eitel Sonnenschein, was zum direkten Sprung vom Zelt in den See, der die Halbinsel Ferropolis umgibt, verführte. In diesem Jahr herrschte allerdings kaum Badewetter, weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne, was sich allerdings im Vorfeld schon erahnen ließ. Zwar wurde mit Björk ein formidabler Headliner gebucht, dafür musste das Programm auf drei Tage gestreckt werden. Erstmals sollte nicht nur freitags und samstags die Nacht hindurch gefeiert werden, der Sonntag Abend sollte nun als Höhepunkt der Feierei die Krone aufsetzen. Passend dazu wurde Lützenkirchens drei Tage wach zur Melthymne erklärt, eine deutliche Abkehr vom bisher gepflegten Understatement.

Weg vom Understatement und hin zur Masse, diesen spontanen Eindruck vermittelte das Festivalgelände gleich im ersten Moment. Die Gemini Stage war von ihrem ursprünglichen Platz versetzt worden, um vor der Hauptbühne in der Veranstaltungsarena eine größere Zuschauerfläche als bisher zu schaffen, während der Melt!Klub am äußersten Rand des Geländes zwischen Zaun und Backstage-Bereich eingeklemmt lag. Die deutlich verlängerten Wege von Bühne zu Bühne schafften so gleichzeitig Platz für mehr Publikum. Dieser Eindruck bestätigte sich prompt: Wer nicht frühzeitig zu den ersten Acts aufs Festivalgelände gekommen war, sah sich mit einer scheinbar endlos lange Schlange am viel zu kleinen Bändchenstand konfrontiert. Die Wartezeit betrug teilweise bis zu drei Stunden, das Gedränge artete auf seinem Höhepunkt sogar in eine kleine Panik aus.

Zu diesem Zeitpunkt war das Programm bereits in vollem Gange, wer noch nicht auf dem Gelände war, verpasste auf der Hauptbühne Acts wie die Fotos, Lightspeed Champion oder Blood Red Shoes. Richtige Stimmung wollte aber zunächst nur auf der Gemini Stage aufkommen, die man an diesem Abend durchaus in Underaged Tent hätte umbenennen können. Dúné machten den Anfang, doch vor allem Late Of The Pier brachten das sehr junge Publikum schon früh zum Tanzen und Schwitzen. Bei all der gepflegten Gute-Laune-Langeweile, den die New-Rave-Welle versprüht, gehören die vier jungen Briten zu den wenigen Bands, die wirklich spannende Sounds generieren. Gefällig aber ebenso auch substanzlos präsentierten sich anschließend The Teenagers, deren Sänger neben all seiner Aufgedrehtheit vor allem durch Beschwerden wegen blendender Scheinwerfer auffiel.

Am späten Abend trat ein, was die Wetterprognosen hatten befürchten lassen und ein schwerer Platzregen ging über Ferropolis nieder. Der Auftritt von Kate Nash verzögerte sich nicht zuletzt aufgrund von technischen Problemen immer mehr, während das Publikum Schutz in den spärlichen Zelten oder dem Melt!Klub suchte, wo kurz darauf The (International) Noise Conspiracy mit ihrem Set begannen. Schnell wurde deutlich, dass die Band ihre besten Tage hinter sich hat, der wild gestikulierende und umherspringende Dennis Lyxzén wirkte wie ein lebender Anachronismus. Allerdings wurde der Eindruck durch einen grauenhaften Sound verstärkt, unter dem alle im Melt!Klub auftretenden Acts zu leiden hatten. Dann doch lieber Zoot Woman, die auf der Gemini Stage überraschend viel Freude bereiteten. Normalerweise für ihre sterilen Auftritte bekannt, wurden die Briten vom Publikum enthusiastisch gefeiert. Darauf folgte allerdings eine böse Überraschung: Zunächst wurde wie geplant das Set von Hercules and Love Affair, einem heimlichen Headliner des Abends, aufgebaut. Nach kurzer Zeit wurde die Bühne jedoch wieder freigeräumt und für Alter Ego präpariert. Ohne Ankündigung starteten diese mit ihrer Show und ließen zunächst das Publikum in Verwirrung ob der ungewöhnlichen Sounds erstarren. Nach einem größeren Schockmoment stellte sich das Publikum überraschend gut auf den unerwarteten Act ein und feierte den amtlichen Auftritt. Erst danach wurde offiziell verkündet, dass Hercules and Love Affair komplett ausfielen und Alter Ego für das um drei Stunden vorverlegte Set gedankt.

Ärgerlich war der Ausfall sicherlich, doch vor allem war dessen Vermittlung symptomatisch für die mangelnde Kommunikation zwischen Organisation und Publikum: Über die reichlichen Verschiebungen im Zeitplan wurde man nicht informiert, obwohl diese bereits um Mitternacht auf fast jeder Bühne bis zu einer Stunde betrugen. Zwar wurde jede Band und jeder DJ mit teilweise großartigen Visuals auf hinter den Bühnen angebrachten Leinwänden bedacht, auf gleiche Art und Weise Aktualisierungen des Zeitplans anzukündigen, kam den Machern allerdings nicht in den Sinn. Einzig der Big Wheel Floor versorgte die Masse ununterbrochen und zuverlässig mit Beats, im Rahmen eines Kompakt-Specials legten unter anderem Größen wie Burger/Voigt, Gui Boratto oder Sascha Funke auf.

Im Laufe der Nacht klarte der Himmel zunehmend auf und mit der Trockenheit füllte sich auch das Veranstaltungsgelände immer mehr. So war der Platz vor der Hauptbühne ausschließlich bei den Editors einigermaßen voll, Robyn stieß anschließend trotz einer sehr angenehmen Bühnenpräsenz nur auf mäßige Resonanz. Währenddessen platzte bei Alexander Marcus der Melt!Klub aus allen Nähten und auch die Gemini Stage war zeitweise völlig überlaufen. Eine paradoxe Situation war durch die Neuaufteilung des Geländes entstanden, die aus der Erhöhung der Publikumszahlen resultierte.

Am Samstag war wettertechnisch keine Besserung in Sicht, was Anlass zu Sorge gab. Zwar ist Ferropolis in weiten Teilen betoniert, doch das übrige Gelände versank nun im Matsch. Das Streuen von Sägespänen oder Rindenmulch hätte sicherlich manches bewirken können, doch wurde dies vom Veranstalter schlicht versäumt. Den Mittag vertrieben sich Eingeweihte und zufällig Vorbeischlendernde beim Audiolith-Parkplatzrave, der auf einer provisorischen Bühne vor dem Eingangsbereich stattfand. Zum offiziellen Beginn auf der Hauptbühne, den Peter Licht gestaltete, setzte prompt Nieselregen ein. Dies sollte sich bis zum Auftritt von The Notwist kaum ändern, als der Regen zu einem mächtigen Schauer anwuchs. Wie auch am Freitag klarte sich der Himmel bereits kurz nach dem Gewitter auf und die Show konnte mit ordentlicher Zeitverzögerung weitergehen. Die Weilheimer spielten jedoch nur 45 Minuten, ein viel zu kurzes Set. Gerade hatten sie sich musikalisch aufgewärmt, da mussten sie die Bühne schon wieder verlassen.

Wenig später schien das halbe Festivalpublikum in den Melt!Klub zum Auftritt von The Whitest Boy Alive zu drängen, dem inoffiziellen Geheimtipp des Abends. Wie auch schon vor zwei Jahren an gleicher Stelle war die Räumlichkeit viel zu klein, so dass nur die Wenigsten die Band um Erlend Øye tatsächlich zu sehen bekamen. Offizieller Headliner des Samstages waren Franz Ferdinand, die allerdings mächtig enttäuschten. Zwar waren sie bemüht, doch der Sound war völlig drucklos, die Rhythmussektion schien vor lauter Behäbigkeit fast einzuschlafen. Ganz anders hingegen Roisin Murphy: Die ehemalige Sängerin von Moloko gab die Diva, wechselte zu fast jedem Song ein Kleidungsstück, setzte ihren eigenen elektronischen Popentwurf gekonnt in Szene. Ihr Auftritt war extravagant und mitreißend, ohne je aufgesetzt zu wirken.

Auf den übrigen Bühnen war zu diesem Zeitpunkt das Partyprogramm bereits in vollem Gange. Die Crookers brachten den intimen Music Academy Floor mit ihrer italienischen Version von Electro House zum kochen. Ein kurzer Blick auf die Gemini Stage genügte, um festzustellen, dass Uffie tatsächlich die Paris Hilton der Elektro-Szene ist und kaum mehr vermag, als naiv mit den Hintern zu wackeln. Bei Boys Noize schien das Publikum ganz selbstreferentiell jeden Track abzufeiern, was ein wenig clownesk anmutete. Entspannter ging es da auf dem Big Wheel Floor zu, wo Mathew Johnson allerdings ein wenig Anlauf brauchte, um in Fahrt zu kommen.

Der erste Sonntag der Meltgeschichte konnte nach zwei durchfeierten Nächten zunächst zu kaum mehr als Entspannung oder Abreise dienen. Mancher Gast haderte neben dem regnerischen Wetter mit der in diesem Jahr leider völlig unzureichenden Organisation. Neben dem Bändchenchaos sorgten insbesondere schlechtes Zeitmanagement und kaum existente Informationspolitik für Aufregung. Probleme mit der Security und unzureichende Sanitäranlagen waren schon im letzten Jahr von vielen beanstandet worden, nun hatte sich die Situation noch verschlimmert. Doch die frustbedingte vorzeitige Abreise wurde womöglich von manchen bereut, denn ausgerechnet der Sonntag zeigte sich erstaunlich wetterstabil. Das Konzertprogramm wurde nur noch auf der Hauptbühne absolviert, während das Kollektiv Berlin Battery die Gemini Stage beschallte. Man konnte sich gemütlich im Sonnenschein fläzen Los Campesinos!, Neon Neon und Get Well Soon beim Musizieren zusehen, ohne ständig den Himmel im Auge zu habe oder die Regenjacke auspacken zu müssen. So richtig füllen wollte sich die Veranstaltungsarena allerdings erst zu Battles, deren anspruchsvoller Math-Rock überraschend gut ankam. Die Melt-Dauergäste von Hot Chip bemühten sich zwar redlich, hatten aber mit einem matschigen Sound und Technikpoblemen zu kämpfen, gestikulierten immer wieder wild in Richtung Bühnentechniker.

Danach gab es nur noch das Warten auf den unumstrittenen Festivalhöhepunkt. Eine angenehme Spannung machte sich breit und das gesamte Publikum schien sich nur auf einen Moment zu konzentrieren. Die Bagger verschwanden erstmals im Dunkeln, während die Bühne mit bunten Fahnen und Bildschirmen ausgestattet wurde. Schließlich marschierte Björk mit großem Blechbläserensemble auf und löste die Anspannung der Vorfreude in einem wohligen Schauer auf. In 80 Minuten entschädigte sie für all die unangenehmen Momente des Festivals. Ob Bläser-Arrangements oder bollernde Beats, das Publikum war völlig verzaubert.

Das Melt fand so einen versöhnlichen Abschluss, auch wenn es zuvor manchen Ärger gegeben hatte. Das Festival zehrte von der großartigen Kulisse, tollen Bands und Künstlern und nicht zuletzt von dem guten Ruf, den es sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte. Die Vergrößerung auf über 20.000 zahlende Gäste hat der Veranstaltung nicht gut getan, vor allem schien die Organisation mit der Masse überfordert. Der Nimbus als einzigartiges Festival von überschaubarer Größe und nahezu intimem Charakter ist jedenfalls verloren. Im nächsten Jahr werden die Macher jedenfalls einiges an Energie aufwenden müssen, um das verloren gegangene Vertrauen wiederzugewinnen, sonst droht es im allgemeinen Festivalsumpf stecken zu bleiben.
foto: uta bohls


melt! festival
intro

weiterlesen...

Melt! Festival [Gräfenhainichen, 13.-15.07.2007]

Geburtstagsfeierei
Das Melt! zelebrierte einen runden Geburtstag und sehr viele waren gekommen. Reizüberflutung und Postmoderne, ein überreichliches Programm und ein ebenso vollgestopftes Festivalgelände. Herzlichen Glückwunsch!


"can you hear the power?"
(fraktus)


Zehn Jahre, das kann eine lange Zeit sein für ein kleines Festival. Das finanzielle Risiko ist hoch, die Sicherheiten sind gering und der Aufwand ist enorm. Nun feierte das Melt! seinen 10. Geburtstag und es ist klar, dass da etwas Besonderes entstanden ist. Die Anfänge waren klein und rein elektronisch, doch nach finanziellen Engpässen und einem Ausfall im Jahr 2003 stieg das Intro-Magazin ein und das Melt! durchlief eine Metamorphose mit der Öffnung für gitarrenlastigere Acts. Auch die Größenverhältnisse änderten sich, seit 2002 haben sich die Besucherzahlen verdoppelt, eine Entwicklung die für das Festival spricht, allerdings auch neue Herausforderungen mit sich bringt.

In diesem Jahr wurde alles noch mal ein bisschen größer. Vier reguläre Bühnen sollten gleichzeitig bespielt werden, dazu gesellte sich noch ein reiner DJ-Floor. Nicht lumpen lassen wollte man sich, die Ankündigungen der Geburtstagsfeierlichkeiten waren vollmundig und euphorisch, auch wenn mit der Bekanntgabe der ersten Acts lange gewartet wurde. Doch als erst einmal das Name-Dropping begann, fand es gar kein Ende mehr. Elektronischer als noch 2006 klang es in allen Ohren, auch wenn übergroße Headliner wie die Pet Shop Boys oder Aphex Twin nicht vertreten waren. Stattdessen waren eine Reihe exklusiver Festivalauftritte angekündigt, unter anderem von Autechre, The Notwist, Motorpsycho oder Trentemøller, der gar mit Band anreiste. Dass Frankie Says Melt!, ein aus namensrechtlichen Gründen umbenannter Verschnitt von Frankie Goes To Hollywood, kurzfristig absagte, schmerzte hingegen nicht wirklich. Denn Highlights gab es bereits auf dem Papier genug: Ob Tocotronic oder Deichkind, Digitalism oder UNKLE mit Band, Mouse On Mars oder The Thermals, die Liste wollte einfach nicht enden. Dazu wurde das Melt! um eine weitere Facette bereichert, denn mit Dendemann, Dizzee Rascal und Lady Sovereign wurde erstmalig ein größerer Akzent auf Hip Hop und Konsorten gesetzt. Die größte Überraschung war aber die Ankündigung des Auftritts von Kelis, mit ihr hatte wohl kaum jemand gerechnet.

Der vorgesehene Zeitplan ließ aber das Dilemma offenbar werden, das ein so großes und fantastisch besetztes Line-Up mit sich bringt: Bereits vor dem Festival musste sich der geneigte Besucher darauf einstellen nur einen Teil der favorisierten Acts sehen zu können, denn Überschneidungen waren nicht nur unvermeidlich sondern die Regel.

Eröffnet wurde das Melt! am frühen Freitag Abend von Olli Schulz auf der Hauptbühne, dessen vorgetragene Geschichten zwischen den im Bandkontext auf die Bühne gebrachten Songwriter-Stücken allerdings etwas zu einstudiert und routiniert wirkten. Im Anschluss allerdings bereiteten I’m From Barcelona die Besucher stilgerecht auf die kommenden 36 Stunden vor: Die Hälfte der vielköpfigen schwedischen Band bestand aus Background-SängerInnen, die unermüdlich auf der Bühne umhersprangen und das Publikum mit Konfetti-Ballons beglückten, während Sänger Emanuel Lundgren schon beim ersten Song das Crowdsurfen übte. Ausgelassen, glücklich machend und mit einem hedonistischem Touch, so ließe sich auch das Melt! beschreiben. So war Owen Pallett aka Final Fantasy wohl der einzig leise Act auf dem gesamten Festival, was soundtechnisch manche Probleme bereitete. Auf der Gemini Stage spielend wurde Pallett von gleich zwei Seiten bedrängt. Von rechts dröhnte Jamie T herüber, von links waren es die DJs der Big Wheel Stage. Man musste also weit vorne stehen, um auch nur annähernd in die wunderbare Klangwelt des Owen Pallett eintauchen zu können. Doch mit jedem Stück gewann er an Kraft und irgendwann konnte man sich der so zurückhaltenden und doch charismatischen Musik nicht mehr entziehen. Ausgerechnet der leiseste Act stellte sich als einer der Größten heraus.

Abgesehen von der zu großen Dichte zur Gemini Stage während dem Auftritt von Final Fantasy bot die Big Wheel Stage allerdings nur Grund zur Freude. Tobias Thomas brachte bereits gegen 18 Uhr die Ersten zum Tanzen und dieser Zustand sollte sich bis zu Richie Hawtins Set am frühen Samstag morgen auch nicht mehr ändern. Besonders Mathias Kaden und Onur Özer legten gemeinsam ein famoses Set auf und so konnte man bereits gegen 22 Uhr die körperliche Extase riechen, eine beißende Geruchsmischung aus Schweiß und Alkohol machte sich breit. Nur die in diesem Jahr vergrößerte Bühne inklusive Pressegraben wirkte zu mächtig. Während 2006 der Übergang zwischen DJ-Kanzel und Tanzfläche fast noch fließend war, wurde nun eine stärkere Trennung vorgenommen, welche den Auftritten deutlich an Intimität nahm.

Während auf Der Big Wheel Stage also die Feierei bereits am frühen Abend begann, tobten sich auf der Hauptbühne erst einmal Gitarrenacts aus. Ein erster Höhepunkt waren The Notwist mit einem ihrer raren Auftritte. Neue und alte Songs spielten sie und berührten dabei einmal mehr ganz tief. Die Schwierigkeit, ihre massiven wie zerbrechlichen Stücke in ihrer vollen Intensität vom Studio auf die Bühne zu übersetzen, meisterten sie auf sympathischste Art und Weise. Da war es fast vergessen, dass man dafür den Auftritt der Puppetmastaz verpasste und von Ladytron nur noch die letzten Minuten erleben konnte. Den Auftritt von Lady Sovereign konnte man ebenso abhaken, denn sie spielte kurz darauf im Melt!Klub auf der Zeltbühne, wo häufig schon vor Beginn der Acts kaum noch ein Hineinkommen war.

Doch die Qual der Wahl hatte man dennoch: Sollte man sich lieber von Motorpsycho oder Autechre bedröhnen lassen, zu Tiefschwarz abgehen oder Dendemanns Performance auf der Hauptbühne sehen? Aufgrund von Zeitverzögerungen konnte man sich kaum noch auf den Zeitplan verlassen, Spontaneität und eine gewisse Gelassenheit ob der vielen verpassten guten Acts waren essentiell. Zum Glück lagen die Bühnen sehr nah beieinander, so dass man im Zweifelsfall zwischen den einzelnen Shows hin- und herspringen konnte. Dies war im Melt!-Ambiente eine wahre Freude. Die über den Bühnen thronenden Schaufelradbagger wurden in verschiedenen Farben illuminiert und erzeugten eine Atmosphäre zwischen urbaner Postmoderne und Endzeitstimmung a là Mad Max.

Und dann spielten da noch The Thermals im Zelt, wo sie eine außerordentliche Stimmung erzeugten, ohne besonders viel dafür tun zu müssen. Bei diesem Festivalpublikum schien das aber auch kaum notwendig, fast jede Band wurde mit außerordentlichem Enthusiasmus empfangen. So wurde auch Dendemann auf der Hauptbühne entsprechend abgefeiert, auch wenn dessen Präsenz sich genau auf die Bühnenmitte beschränkte. Kaum einer benötigte weniger Raum, doch auch mit minimalem Aktionsradius wurde er dem Anspruch, momentan einer der besten und wichtigsten Rapper deutscher Sprache zu sein, gerecht.

Erwarten konnte man auch viel von Dizzee Rascal, doch das von seinem Sidekick ewig wiederholte „Germany, make some noise!“ nervte mit der Zeit gewaltig. Dafür schwang er anschließend noch mit den verbliebenen Zuschauern vor der Hauptbühne zu Goldie & MC LowQui ordentlich die Hüften, während bereits die Sonne aufging. Gegen sieben Uhr morgens wurde dann auch den Wighnomy Brothers und Richie Hawtin der Saft abgedreht und wer noch immer nicht genug hatte, konnte noch auf den Sleepless Floor außerhalb des Geländes gehen. Kaum zu glauben, wie viele Endorphine manche Menschen über eine Nacht hinweg ausschütten können und anschließend noch immer genug Energiereserven besitzen, um morgens weiter zu tanzen…

Aber an schlafen war am Samstag morgen auch kaum zu denken. Die Sonne schien wie schon lange nicht mehr und bis zum Mittag stieg das Thermometer auf über 35 Grad Celsius, immerhin versprach der See reichlich Abkühlung. Umso beliebter war das Baden, da es zudem nur sehr wenige sanitäre Anlagen vorhanden waren. Diese Problematik hatte es bereits im letzten Jahr gegeben. Da hatte der Veranstalter eindeutig verschlafen, zumal in diesem Jahr noch mehr Tickets verkauft worden waren. Als Walter Schreifels am späten Nachmittag die Hauptbühne für die zweite Runde eröffnete, war von der großen Gästeanzahl noch nicht viel zu sehen, gerade eine Handvoll Menschen lauschte seinen Songs. Bei den Rifles, die gegen 19.30 Uhr mit ihrem Set begannen, standen jedoch bereits mehr Menschen vor der Hauptbühne, als bei den Hauptacts in der Nacht zuvor. Bemerkenswert für ein Festival, bei dem der Zenit des Feierns in der Regel nicht vor 2 oder 3 Uhr überschritten wird. Doch offensichtlich wurden für Samstag eine Menge Tageskarten verkauft, die Masse der Menschen nahm immer weiter zu. Hot Chip galten vielen als ein heimlicher Höhepunkt des Festivals, doch gleichzeitig wurden die weiteren Bühnen von Stereo Total, Jake The Rapper und Erase Errata bespielt. Letztere traten im Zelt vor vergleichsweise kleinem Publikum auf, doch die Resonanz des Auftritts war völlig zu Recht überwältigend.

Lo-Fi-Fnk hingegen hatten eine Menge Pech. Den ersten Song mussten sie fünf Mal anspielen, da die Musik immer wieder aussetzte und auch danach hörte sich der Sound an, als würde ein Küchenradio verstärkt werden. Dennoch wurden sie frenetisch gefeiert, das Publikum tanzte und johlte ununterbrochen.

Die Masse der Besucher vergrößerte sich zusehends und bald war das Gelände an allen Ecken und Enden vollgestopft mit Menschen. Nach Angaben des Veranstalters war die Platzaufteilung optimiert worden, um dem großen Besucherandrang gerecht zu werden, doch das Gelände war dafür eindeutig zu klein. Überall drängten sich die Menschen, es gab kaum noch Sitzgelegenheiten oder etwas freien Raum zur Entspannung. Das große Interesse ließ sich aber einfach mit dem fantastischen Line-Up erklären, dessen Höhepunkte besonders am Samstag stattfanden. Wegen ihres aktuellen Albums war natürlich der Auftritt von Tocotronic von besonderem Interesse doch dafür musste man auf Goose und Hey Willpower verzichten. Letzteres war der erste Act, der eine Zugabe spielen durfte, da die Fans trotz einsetzender Hintergrundmusik nicht zu jubeln aufhörten. Im Anschluss musste man sich zwischen dem Black Rebel Motorcycle Club und Mouse On Mars entscheiden, während die Big Wheel Stage bei Booka Shade völlig überlaufen war.

Als ein designierter Hauptact und mit dementsprechend obligatorischer Verspätung betrat Kelis die Bühne und sorgte für viel Wirbel. Musikalisch nur mäßig spannend wusste sie aber durch eine Menge Attitüde und ihr Interesse für „weird German porn“ aufzufallen. Dabei wirkte sie ungleich sympathischer als der unvermeidliche Jan Delay, dessen Ansagen ungefähr dem Niveau seiner öffentlichen Statements entsprach. Aber zum Glück bot das Meltfestival reichlich Alternativen: Trentemøller und UNKLE traten je live mit Band auf, Shitdisco und The Presets brachten das Zelt zum Toben. Doch ein absoluter Höhepunkt waren sicherlich Simian Mobile Disco auf der Big Wheel Stage: Zwei Silhouetten sprangen um einen runden mit elektronischen Arbeitsgeräten angerichteten Tisch herum und feuerten einen Elektronik-Bastard auf das Publikum, der wohl niemanden stehen ließ. Da fiel selbst das während dem Auftritt über dem Gelände gezündeten Feuerwerk zum Melt!-Geburtstag kaum auf. Ein großes Ding hat sich da angebahnt, dass noch deutlich frischer als die kurz darauf auf der Hauptbühne feiernden Deichkind. Vor deren Show sorgte erstmal das als fiktive Technolegende Fraktus auftretende Studio Braun für einige Verwirrung. Danach rastete eine riesige Menge kollektiv aus, während Deichkind auf der Bühne wieder einmal alle Konventionen über Bord warfen. Wenn man sie allerdings schon mehrfach gesehen hatte, dann verlor dieser riesige Kindergeburtstag für Jungs deutlich an Spannung. Stattdessen konnte man aber auch zu DJ Hell oder dem Cereal/Killers-Kollektiv in den Tag hineintanzen. Da hatten sch auch schon die Platzverhältnisse vor und zwischen den Bühnen etwas entspannt. Besonders am Samstag war der Zeitplan überreichlich mit spannenden Auftritten gefüllt, doch eine überreichliche Anzahl an Besuchern war die negative Folge dessen. 16.000 Karten waren laut Veranstalter abgesetzt worden, die Grenzen der Auslastung sind dabei fast schon überschritten worden. Der Atmosphäre war diese Masse aber in jedem Fall abträglich, da beengte Platzverhältnisse für unnötige Anspannung sorgen. Ein großer Reiz des Melt! ist die Symbiose von Reizüberflutung durch das Ambiente und relativer Intimität durch Überschaubarkeit und Nähe zu den Bands und DJs. Durch das Wachsen des Festivals wird dieses Verhältnis strapaziert, aber vor diesem Dilemma steht wohl jeder Veranstalter, dem nicht nur Wirtschaftlichkeit sondern auch gelungenes Festival am Herzen liegt. Es bleibt also nur noch zu sagen: Herzlichen Glückwunsch liebes Melt!, es war wunderschön auf Deinem runden Geburtstag.
foto: uta bohls


melt! festival
intro

weiterlesen...