Die Sterne [Kassel, 17.07.2004]

Die Lage der Nation im Spiegel der Sterne.
Ambitionierter Gedankenaustausch in einem Zirkuszelt.



"verstehen ist nicht das slebe wie überstehen - aber auch schön."
(dto.)

Aufgrund der kulturell vielfältigen Begegnungen nicht nur auf sondern auch vor der Bühne, wurde das Kulturzelt an der Drahtbrücke in Kassel schon von so manchem Feuilleton charmant als hessisches Montreux bezeichnet. Seit nun mehr achtzehn Jahren ist die documenta-Stadt an der Fulda Gastgeberin dieses farbenprächtigen, kulturellen Aushängeschildes und zelebriert Musik, die Zeitgeist und Tradition in gleichem Maße atmet. Im diesjährigen Programm gastieren nicht nur Musiker aus der ganzen Welt auf der kleinen Bühne unter dem bunten Zelt, sondern auch wie jedes Jahr eine Auswahl deutscher Künstler.

"Jetzt gehen wir hier nicht weg, das wär Irrsinn, jetzt nerven wir damit, dass wir hier sind. Wir rühren uns nicht vom Fleck!", eröffnen die Sterne musikalisch ihr beinahe zweistündiges Set an diesem Abend, kurz nachdem sich Frank Spilker, der hünenhafte Frontmann der Hamburger, darüber freute, dass man offensichtlich extra wegen ihnen das Interior des Zeltes mit einem Sternenhimmel dekoriert habe. Das Publikum ist an diesem Abend so unspezifisch durchmischt wie die Konsumenten Mittwoch morgens im ortsansässigen Aldi Markt, und es überrascht, dass die wenig medienwirksame Sterne Musik selbst bei Menschen, denen sie offenbar unbekannt ist so gut aufgenommen wird. "Das nächste Stück hat etwas mit Bewegung zu tun", räumt Spilker ein, und es ist unwesentlich um welchen Song es sich handeln wird, denn die Sterne waren stets die Band der Hamburger Schule, welche bei Konzerten am besten, weil tanzbarsten funktionierte. Und, während Thomas Wenzel und Christoph Leich an Bass und Schlagzeug dafür Sorge tragen, dass eben diese Bewegung durch das Publikum transportieren wird, bleiben die Stücke der Hamburger nie so oberflächlich, wie man es Popsongs zuschreibt.

Gerade auf der aktuellen Platte "Das Weltall ist zu weit", lassen sie den popspezifischen unbewussten Moment, das vermeiden von Konkretisierung, außen vor. Nicht umsonst hat man in der letzten Zeit im Bezug auf die Sterne öfter vergleichend Konstrukte wie Ton Steine Sterne in Überschriften der Musikpresse gelesen. Um die deutsche Sprache in der jüngeren Musik zu etablieren, hat die Hamburger Schule, mit Bands wie Blumfeld, Tocotronic oder eben auch den Sternen, einen Großteil beigetragen, so dass aktuelle deutschsprachige Gruppen auf dieser Freiheit aufbauen können. Und obwohl sich viele eben dieser neuen Bands am Rande auch politisch verstanden fühlen wollen, möchten sie keine Grundsatzdiskussionen führen und wirken in ihren Bekundungen oft einfach gestrickt und plump. Es fehlt eine deutlich politische Stimme in dieser, zur Zeit enorm erfolgreichen deutschen Musik, aber Plattenverträge und Absatzorientierung der großen Musikkonzerne verwässern die Positionen und lassen die Musik profillos und an politischer Aussage so rar erscheinen wie die neue politische Mitte. die sterne Einer gut gelaunten Band, die gern das Gespräch mit dem Publikum sucht und höflich lächelnd Diskussionen über Zigarettenpausen führt, gelingt es beinahe das gesamte neue Album live darzubieten ohne dabei auf eine große Auswahl etablierter Stücke ihrer nunmehr über Zehnjährigen musikalischen Präsenz darzubieten. Die Interessanten, Das Bisschen Besser, Trrrmmer oder Universal Tellerwäscher sind genauso vertreten wie Stücke ihres wenig beachteten Weltall Vorgängers "Irres Licht". Live begeistern die Sterne stets mehr als auf Platte, und es ist angenehm zu beobachten, wie versiert die vier mittlerweile im Umgang ihrer Instrumente geworden sind. "Schön, dass wir uns mal persönlich kennen gelernt haben", goutiert Spilker, nachdem er ab und an von der Bühne gestiegen ist, und wie ein tumber, aber vorsichtiger Riese durch das Publikum schritt. Zur ersten Zugaben stellt Spilker seine Kollegen Richard von der Schulenburg und Thomas Wenzel in modischer Unisex Sommerkleidung vor: schwarze, nur fraglich ästhetische Regenüberwürfe, welche die Träger auf der Bühne entpersonifizieren wie es früher DEVO oder die Residents vollführten. In weißen Lettern ist das Wort Kaltfront aufgedruckt, der Sternes Antwort auf die bizarren Ausmaße der radiorotierenden Sommerhits; Hier kommt die Kaltfront, der selbsternannte Herbsthit der Sterne.

Nach zwei weiteren Zugaben begibt man sich wieder nach draußen, raucht eine Zigarette, isst und trinkt und unterhält sich. "Herauszufinden wo man hingehört und was man eigentlich will, kann manchmal leider etwas dauern und währenddessen passiert viel."
foto: martin boehnert