Astird Vits [Du Und Viele Von Deinen Freunden]

Musikalische Betrachtungen unter dem Sujet deutsch.
Astrid Vits reiste ein halbes Jahr durch die Republik, um sich einen Überblick über die deutsche Popmusikszene zu verschaffen, und 34 Bands und Musiker im Interviewformat vorzustellen.


"das plattenfach deutschsprachige musik ist langweilig. zum großen teil ist da nur mist drin."
(knarf rellöm)

Nicht zuletzt aufgrund der Diskussion um die Radioquote ist deutschsprachige Musik, zumindest in Deutschland produzierte Musik, zur Zeit so präsent wie vor zwanzig Jahren das letzte Mal, als das, was man die Neue Deutsche Welle nannte, durch die Radiostationen und nicht zuletzt über die Mattscheiben in deutschen Wohnzimmern flimmerte. Zu diesem denkbar guten Zeitpunkt erscheint im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag ein Buch, welches sich einer großen Auswahl eben dieser Bands widmet. Jongliert der Pressetext im Bezug auf die Zielgruppe noch schwerfällig mit Wortkonglomeraten wie hauptberufliche Jugendversteher, Jugendverstehenwoller und Berufsjugendliche, fasst die Autorin ihre Intentionen zu dem Buch schlichter zusammen; eine Art Nachschlagewerk für alle Musikinteressierten mit einer Mischung aus Information und Unterhaltung sollte entstehen. "Ich habe während des Jahres 2003 genau diese Beobachtung gemacht, dass das Interesse in Deutschland zur Zeit wieder sehr stark auf Musik aus dem eigenen Land liegt - und ich habe vermutet, dass das auch noch stärker wird. Dieses Phänomen wollte ich mir also genauer angucken."

Mit dem Buch "Du Und Viele Von Deinen Freunden" - zunächst ein, an die Debütplatte der Band Kettcar angelehnter Arbeitstitel, welcher sich im Laufe der Arbeit etablieren sollte - debütiert die junge Journalistin Astrid Vits, und widmet sich deutscher Populärmusik in einem über 500 Seiten starken Werk, welches sich maßgeblich, neben Kurzbiografien und Diskographien, aus Interviews mit 34 Bands aus der Indierock und Elektronik Szene zusammenstellt. Die persönliche Auswahl der Musiker umfasst einen charmanten Teil des deutschen Indie Universums der Post Hamburger Schule Ära und spart bewusst die aktuelle, deutschsprachige Major Offensive aus. Lediglich Wir Sind Helden und die Sportfreunde Stiller haben genügend mediale Präsenz, um auch bei weniger Involvierten den nötigen Wiedererkennungswert hervorzurufen. "Ich teile die Meinung einiger Musiker, dass sich das, was derzeit 'Trend' ist, festigen wird. Es werden nicht alle Bands, die gerade gefragt sind, auch noch in fünf Jahren so gefragt sein wie heute, aber hoffentlich werden sich ein paar durchsetzen und die Musikkultur in Deutschland mitbestimmen."

Kleinster gemeinsamer Nenner der ausgewählten Musiker in Du Und Viele Von Deinen Freunden ist also deutsch. Als Standort, nicht als Patriotismus Farce. (Ist das ein Unterschied? Anm. d. Tippse) Ein neuer Ansatz der derzeitig gern für immer neue Sampler Ideen und Corporate Identity Gefühle aufgegriffen wird, und als Katalysator für ein neues identitätsstiftendes National Gefühl missbraucht wird. Thees Uhlmann kritisiert im Buch diese vermeintlich neue Bewegung zu Recht als kleingeistig, wenn die Musik unter die Sprache gestellt wird. Auch Knarf Rellöm diskutiert diesen Ansatz, und bespricht den Hintergrund, weshalb sich Tocotronic und Blumfeld für das Buch unter dem angegebenen Thema verweigert haben. Glücklicherweise kommt einem beim Lesen dieses burleske Gefühl der Deutschtümelei nicht ernsthaft in den Sinn, vor allem, da mit Lali Puna oder eben auch Knarf Rellöm Musiker vertreten sind, die nicht recht in den Klischeeansatz hineinpassen wollen.

Astrid Vits begegnet den Musikern mit einer freundlichen Geste und obligatem Sekt, weiht uns durch stets dokumentierte Speisen und Getränke vor jedem Interview in die Atmosphäre ein, und setzt sich gänzlich unverkrampft mit den Musikern auseinander. Im Verlauf der zum Teil sehr persönlichen Gespräche gelingt es ihr, die Musiker selbstreflektorisch in einen alltäglichen gesellschaftlichen Bezug zu setzen. "Die Idee des Buches war es, soviel wie möglich über Musik und Musiker zu erfahren - aus allen möglichen Bereichen", erklärt die Autorin. Vornehmlich durch ihren zurückhaltenden, beobachtenden Charakter weiß Astrid Vits sich von anderen Interviewveröffentlichungen abzuheben. Besonders in Einzelgesprächen gelingt es der Autorin, ihr Gegenüber auf einer scheinbar sehr persönlichen Ebene zu begegnen. Dem üblichen Profilierungsaspekt, der bei Interviews Tagesordnung zu sein scheint, wird in nur wenigen Gesprächen Beachtung geschenkt. Astrid Vits lässt ihre Gegenüber berichten, geht auf die Aussagen ein, und führt bedächtig zu ihren vorbereiteten Themen, was den Gesprächen auch bei der Nachlese einen sehr gehaltvollen, unaffektierten Charme verleiht. Über die journalistische Notwendigkeit, oder den popkulturellen Bedarf an einem solchen Buch lässt sich natürlich streiten, bewegt sich der Inhalt doch stets auf einer eher subjektiven Ebene, begonnen bei der Auswahl der interviewten Musiker, als auch bei den andiskutierten Themenbereichen, die einen Meinungsüberblick ermöglichen sollen.

"Es war Absicht, dass bestimmte Themen - in nicht allen, aber vielen Interviews - immer wieder vorkommen, um als Leser auch Vergleichsmöglichkeiten zu haben und um auch einen Zusammenhang zwischen den Interviews und den Musikern herzustellen." Einen dieser Themenbereiche stellt die Hamburger Schule, der immer wieder in den Gesprächen mit etwa Tomte, Mon)tag, Astra Kid oder finn. auftaucht. "Von den Musikern selbst wird sie zum großen Teil als wichtig angesehen, weil sie Türen geöffnet hat. Nach der Neuen Deutschen Welle gab es ja fast überhaupt nichts Deutschsprachiges mehr, zumindest nicht im Indie-Bereich. Manche Musiker im Buch waren sogar direkt von zum Beispiel Tocotronic beeinflusst, haben aber jetzt ihren eigenen Weg gefunden. Die so genannte Hamburger Schule hat viele Menschen musikalisch und textlich bewegt, Musiker haben sich das als Vorbild genommen. So ist es ja immer: Auch die Hamburger Schule-Bands hatten ihre Vorbilder in Syph, Fehlfarben, DAF etc. Ich bin mir ganz sicher, dass eins immer vom anderen beeinflusst wird, sogar hervorgeht."

Im Gegensatz zu den erwähnten Bands, scheinen sich die liedtextlichen Thematiken heute im allgemeinen weniger auf intellektueller und diskursiver Ebene zu bewegen, was oft auch mit einem Niveauabfall einhergeht. Befindlichkeitsfixation als Rückzug aus politischer Orientierung? "Die aktuelle Bewegung ist bis auf wenige Ausnahmen nicht politisch. Das ist Absicht und zum Glück auch endlich 'erlaubt'. Man muss nicht mehr politisch sein, um sich äußern zu dürfen, auch den Vorwurf 'Schlager' hört man immer weniger. Ich persönlich finde das sehr gut. Im übrigen haben sich ja auch die Texte der Hamburger Schule-Bands etwas gewandelt..." Und mit Frank Spilker von den Sternen, Niels Frevert von der ehemaligen Nationalgalerie oder auch Bernadette La Hengst sind schließlich auch Persönlichkeiten im Buch vertreten, die direkt aus dieser Bewegung stammen, und den Kreis schließen.
foto: wolfgang kampz


astrid vits
"du und viele von deinen freunden"
schwarzkopf&schwarzkopf 2004