Die Rettung der Popkultur durch den Staat.
Während sich die Musik des Öfteren kritisch mit der Politik auseinander setzt, ist ungewiss, ob sich die Politik auch mit der Musik auseinandersetzen sollte.
(thees uhlmann)
Ganz klar beanstanden dürfte jeder Radiohörer, dass er, wo auch immer er sich gerade in unserem Land befindet, auf Konsensmusik stößt, welche mit dem eigentlichen Auftrag der Öffentlich Rechtlichen Radiostationen wenig zu tun haben dürfte. Im Dualen System der Privaten und Öffentlichen Sender regiert wie so oft der Absatz und der Marktanteil, und hier orientieren sich Letztere zunehmend an den Privaten. Wie der HR vor kurzem die wenigen niveauvollen Musikprogrammsendungen entweder ersatzlos gestrichen, oder in einen wesentlich unattraktiveren Sendebereich ("Der Ball Ist Rund" läuft auf HR2 mittwochs ab 23:05 Uhr!) verschoben hat, versuchen die Öffentlich-Rechtlichen den Kulturauftrag weitestgehend ihren Vorstellungen anzupassen, die staatliche Bindung so weit es geht auszudehnen. Kultur am Rande der Legalität.
Heiligt der Zweck aber die Mittel? Schließlich bedeutet ein solches Gesetz ganz klar einen Eingriff in die absolute Autonomie der Programmgestaltung der Sender. Und vor allem, ist dieser Zweck wirklich so honorabel wie er vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag? In den Reigen derer, die das Schüren dieser Diskussion zurzeit maßgeblich vorantreiben, sind natürlich in erster Linie die Majors und eine Auswahl deutschsprachiger Musiker herein getreten, die mit einer solchen gesetzlichen Rahmenbedingung ihre Musik wieder vermehrt im Radio hören wollen. Wer dies wahrscheinlich sein wird, konnte man im Besucherbereich des großen Anhörungssaales im Berliner Regierungsbezirk ersehen, als dort über das Thema Quote debattiert wurde: unter anderen Udo Lindenberg, Klaus Lage, Xavier Naidoo und Heinz-Rudolf Kunze. Letzterer jedoch nicht im Zuschauerbreich, sondern am Konferenztisch als außerparlamentarisches Ausschussmitglied der CDU/CSU Fraktion.
Und hier kommen wir schon zu einem argen Problem, bei welchem man nicht einfach die Radiostationen bzw. verantwortlichen Intendanten als böse darstellen kann. Wird eine Quote für deutschsprachige Musik per Gesetz verabschiedet, so bedeutet das mehr Absatzmöglichkeiten für die großen Plattenkonzerne und nicht etwa die erwünschte verstärkte Ausstrahlung junger Talente. Die Radiosender werden den von der Quote geforderten Prozentanteil an "deutscher Musik" (What the hell?, Anm. d. Red.) durch etablierte deutsche Konsensmusik ersetzen, welche dann eben statt zehn mal am Tag, fünfzehn mal am Tag gesendet wird, was zum einen den Sendebereich für die tatsächlich fördernswerte Subkultur weiter verringern wird, und zum anderen dazu führt, dass die Majors eben auf deutschsprachige Produktionen setzen, um ihren Marktanteil auszubauen.
Die Quote in Frankreich wird immer wieder als gut funktionierendes Beispiel angeführt, was so jedoch nicht ganz richtig ist. Natürlich stimmt es, dass 1994, ob der ähnlich brach liegenden Radiokultur in Frankreich, eine Quote eingeführt wurde, welche es gesetzlich den Radioanstalten vorschrieb, französische Künstler zu einem gewissen, in diesem Fall 40prozentigen Anteil, auszustrahlen, um der "angloamerikanischen Übermacht" im Lokalen Radio entgegen zu wirken. Man kann dies jedoch nicht isoliert betrachten. Zum einen wurden diese 40 Prozent aufgeteilt, denn die Hälfte davon sollten auf neue, talentierte Bands entfallen, und zum anderen herrscht in Frankreich, wie auch zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, eine viel breiter gefächerte Gliederung zur Etablierung "nationaler Künstler". So werden etwa Gelder, die anteilsmäßig aus Einnahmen von Konzertkarten eingenommen werden, zur Unterstützung von jungen Künstlern verwendet. Staatlich werden Musiker durch eine Art Künstlerarbeitslosengeld und durch Tourneezuschüsse bzw. Subventionen bei der Plattenproduktion unterstützt. Über Jahre hat sich dort ein komplexes System entwickelt, welches nicht auf die Quotierung im Radio zu beschränken ist. Wenn auch nicht gleich "unsere Identität, unser geistiges Erbe" auf dem Spiel steht, wie Inga Humpe von 2Raumwohnung argumentiert, ist es natürlich erstrebenswert, dass sich an dem öffentlichen Interesse an der kulturellen Vielfalt der Popkultur etwas ändert. Doch scheint sich seit all den Jahren, in denen sich diese musikalische Monotonie im Radio heraus kristallisiert hat, nichts von allein geändert zu haben, was den Schrei nach einer hart durchgreifenden Hand in Form des Staates laut werden lässt.
Ist deutsch aber gleichbedeutend mit anspurchsvoll? Ist Popkultur überhaupt ein an einen Ort gebundenes Phänomen? Handelt es sich nicht vielmehr um das Zusammenspiel unterschiedlichster Internationaler Strömungen, die Kultur wachsen lässt? Mit dem quotieren deutscher Musik, haben wir das minderwertige Niveau unserer Radiokultur noch lange nicht vom Tisch. Die aktuellen Album Charts sehen schon nach Deutsch Quote aus, schließlich stammen fünf Interpreten der Top Ten nach Media Control aus Deutschland (Stand April 2006). Doch sind die Toten Hosen, Rammstein, Juli, Silbermond und Pur wirklich die Rettung der Radiokultur? Und was ist mit deutschen Produktionen, die sich aber nicht der deutschen Sprache bedienen oder gar gänzlich auf Sprache verzichten, im Elektronik Bereich etwa? Und was ist mit nicht wegzudenkenden nicht-deutschen Einflüssen? Was wäre denn die "deutsche Musik" ohne Rock'n'Roll, Beat, Jazz oder HipHop, allesamt Strömungen, die weit ab der deutschen Kultur entstanden? Die Beteiligten sind sich uneins. Smudo von den fantastischen Vier fühlt sich aufgrund der Trostlosigkeit genötigt die Quote zu befürworten, während Dirk von Lowtzow von Tocotronic eine Quote ablehnt und die resultierende Problematik sarkastisch auf den Punkt bringt. "Wir sagen ganz deutlich, wie so oft in unserem Leben, Wir sind dagegen! Und fragen: Lebt denn der alte Holzmichel noch?" Was jedoch zu bedenken gibt, und somit vielleicht auch ein überschnelles Handeln rechtfertigen könnte, ist, dass ab dem ersten Januar 2005 eine europäische Regelung für ein Mediengesetz in Kraft treten wird, welche es einem einzelnen Land nach Verabschiedung nicht gestatten wird, ohne weiteres seine nationalen Gesetze für einen internationalen Markt zu verändern. Betrachtet man die Quoten Regelung vor diesem Hintergrund als Fuß in der Tür, kann man nach erwähntem Termin dieses Gesetz natürlich noch durch unterschiedliche Auslegung modifizieren, ohne damit wegen Wettbewerbsverzerrung verklagt zu werden. Wer jedoch dabei glaubt, durch jedwede Auslegung des Gesetzes eine kulturelle Niveau Steigerung der Radiolandschaft zu erzielen ist ein hoffnungsloser Zweckoptimist.
Man kann diese Diskussion natürlich auch aus den Augen eines Dieter Bohlen betrachten, der in einem Bild Interview sagte, "Man sollte das Radio auch nicht überbewerten. Ob da Radio Klingelbingel dreimal von Karl Schneckenschiss eine Nummer spielt – wen interessierts?" Vielleicht ist es ja tatsächlich so, wie Carol von Rautenkranz sagte: "Jedes Land bekommt das Radio, das es verdient."
foto: photocase.de/laborant
In Eigener Sache
Der Ball Ist Rund
Media Control Album Charts
FAZ Beitrag
I Can't Relax In Deutschland Beitrag
Die Deutsche Radioquote - Eine Betrachtung
"ich subventioniere ndr2, ich bezahle wirklich gez damit die ihren auftrag erfüllt bekommen. dafür will ich ein gut aufbereitetes radio hören."
Wie eine landesweite Umfrage von soizioland.de zum Thema Musik vor kurzem mit rund 2500 Teilnehmern ergab, tummeln sich Independent, Punk, deutsche Rockmusik und Elektronik auf den vordersten Plätzen. Weit abgeschlagen dagegen befanden sich die aktuellen Charts gemeinsam mit Volkstümlicher Musik auf den letzten Plätzen. Dass diese Erhebung wenig repräsentativ war, bedarf kaum näherer Betrachtung. Dass sich jedoch etwas an der derzeitigen Musikkultur speziell im Radio etwas ändern soll, dafür machen sich zur Zeit gänzlich unterschiedliche Stimmen stark, und ein Ausdruck, der vor einigen Jahren schon einmal die Runde machte, ist wieder präsent; die Radioquote. Eine staatliche Regelung für die öffentlich rechtlichen Sendeanstalten soll per Gesetz eingeführt werden, wonach die mit einem Bildungs-, und Kulturauftrag belegten Sender ihr Programm dementsprechend umgestalten müssten.
Radioquote
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betrachtung,
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