7 Songs in 25 Minuten über Flaggen verbrennen, Tunnel graben, Schmerzmittel, Faschismus, das Ende der Welt, Wind auf dem Wasser, eine Hochzeit, Schneestürme, Ameisen, Löwen, blaue Geistern, Warten, verlorene Liebe, versinkende Schiffe, Herzen und nicht den Abzug zu drücken.
"i don't know if you're supposed to feel secure."
(for i cannot breath)
Als ich durch die Straße gehe, auf die, durch die müden Zweige der Bäume vereinzelt herbstliche Sonnenstrahlen fallen, bemerke ich ein Mädchen, dass auf einer Mauer sitzt. Neben ihr behauptet sich wacklig ein alter, silbergrauer Kassettenrekorder, durch dessen Stereoboxen blechern die wehmütige Stimme von Conor Oberst klingt. Sie trägt einen schwarzen Kapuzenpullover und an ihren Händen fingerlose Handschuhe. Während sie schnieft und sich mit der rechten Hand über das Gesicht fährt, schwebt Bright Eyes überlebensgroß über der gesamten Situation, die so inszeniert erscheint, wie dieses Video im Fernsehen, in welchem Oberst mit ähnlichem Habitus an einer Bushaltestelle verzweifelt. Letztens sprach ich noch mit einem Freund über genau dieses Video und den seltsam leeren Geschmack von Übersättigung, den es hinterlässt. Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhardt sagte einmal, all Künstler seien naturgemäß Übertreibungspezialisten.
A wound is a wound even if it’s not healing.
Martin Henrik Gustaffson entspringt einem florierenden und äußerst ambitioniertem musikalischen Umfeld der südschwedischen Stadt Göteborg, deren Potential sich dem Kern Kontinentaleuropas erst langsam erschließt. Eine kollektive Melancholie scheint sich wie der rote Faden unaufdringlich aber konstitutiv als Grundthema durch diese Musikszene zu ziehen. Dennoch spricht Gustaffson von hoffnungsvolleren Stücken, gar von einer Wall of Sound aus Streichern und Bläsern, wenn er sein kommendes, drittes Album erwähnt. Die vorliegende EP erscheint dabei wie ein Verbindungsglied zwischen jenem und seinem letzten Album, "The Black Tango". Auch hier hat der junge Herr, der unter dem Pseudonym Boy Omega seine entrückte Gefühlswelt ein wenig nach außen trägt, seine Arbeit erneut zu Hause aufgenommen. Unterstützt wird er dabei von eben jenem Netzwerk, welches sich in erwähnter Metropole gespannt hat; so spielt Björn Kleinhenz hier und da Bassläufe ein und Per-Ola Eriksson, der auch bei The Book of Daniel, dem Projekt von Gustaffsons Bruder mitwirkt, spielt Klavier. Freundschaftlich bewahrt man sich eine intime Atmosphäre.
A ship is a ship even if it is not sinking.
Mit den sieben Stücken der "Grey Rainbow" EP mag Boy Omega zwar Hoffnung groß schreiben, aber es ist eine Hoffnung mit vielen Schatten. Sieben mal entwirft er bedrückende Bilder, bedient er Analogien von schmerzlicher Heiterkeit, malt klaustrophobische Freiheiten mit grauen Farben ohne dabei auch nur einen Moment beliebig zu wirken. Wenn er etwa im letzten Stück A Heart Is A Heart die Sehnsucht beschreibt und dabei die herangezogenen Metaphern ihrer wesentlichen Attribute beraubt, sie dekonstruiert, trifft er diese unaussprechlichen Gefühle, die tief in einem ruhen. Überhaupt wird rasch deutlich, dass sich Gustaffson oft Bildern von Leere, vom Loslösen und Gehen lassen, vom schmerzlichen Warten und Vergehen bedient, sich in all diesen Gedanken aber tatsächlich auch stets etwas Hoffnung regt. "But I hope this summer will carry you home", (A Heart Is A Heart) beschließt er seine Platte. Diese fragile Spannung übersetzt er musikalisch durch das Zusammenspiel von klassischer Instrumentierung mit Akustikgitarre, Bass, Klavier und Schlagzeug und elektronischen Klangspielereien, immer wieder durchzogen von feinen Details, von wie aus dem Nichts auftauchendem Regen, überraschend einsetzenden Streicherarrangements oder zaghaften Anschlagens eines Glockenspiels. Kammerpop vs. Filedrecordings vs. Singer/Songwritertum. Das erinnert in seiner schmerzhaften Schönheit auch heute noch an überlebensgroße Ikone wie Elliott Smith, Nick Drake und eben auch Bright Eyes. Doch bei all dem gelingt es Gustaffson und seinen Begleitern niemals den Bogen zu überspannen, niemals das Pathos zu groß zu schreiben und damit unglaubwürdig zu wirken.
Ein Künstler ist ein Künstler, selbst wenn er nicht übertreibt.
foto:
boy omega
"the grey rainbow"
riptide 2006 cd
boy omega
Boy Omega [The Grey Rainbow]
A heart is heart, even if it’s not beating.