Haldern Pop [Rees-Haldern, 02.-04.08.2007]

Es gibt, im Leben eines jeden Menschen nur sehr wenige prägnante Orte, an den es ihn immer wieder zurückzieht und an denen die Dauer von einem Besuch zum nächsten zu einer undurchsichtigen, kaum existenten Spanne verschwimmt.


"die ohnmacht der möglichkeiten"
(festival motto 2007)
Etwas überrascht stellt man fest, man fühle sich als sei man gerade erst hier gewesen und entwickelt in Null Komma nichts bequemes, häusliches Benehmen. Jene Örtlichkeiten werden im Laufe der Jahre zu wahren Lebenskonstanten, für die man sich ohne wenn und aber verbürgt und blindlings auf die Glücksmomente, die man sich verspricht, einstellt.

Das Haldern-Pop Festival am Niederrhein ist für Hunderte ein solcher Ort, an dem sich seid 24 Jahren Verfechter des eher unabhängigen, kleinen Indiepop zusammentreffen, sich auf liberalste und oft liebenswürdige Art, drei Tage Campingplatz und Dixieklos teilen und mit dem Gefühl abreisen, Teil eines unbeschreiblichen Ganzen gewesen zu sein, dass einen überschwänglich nach Hause fahren lässt und noch nach Wochen und Monaten kribbelige, glückliche Momente der Erinnerung beschert.

Das Geheimnis diese Festivals liegt seid jeher in dem Zusammenspiel der unterschiedlichsten Größen und Instanzen; Hier bilden Festivalorganisatoren mit Dorfbewohnern, dessen Kindern, Bands und Feuerwehrmännern eine homogene Gruppe, die allesamt das Bestreiten eines friedlichen und fröhlichen Festivals vor Augen haben und diesem Ziel mit Elan und Eloquenz alles entgegenbringen, was sie zu bieten imstande sind. Diese Kompromissbereitschaft und freiwillige Aufopferung zugunsten der Besucher ist eine Charaktereigenschaft, die man als Ankömmling schon weit vor dem Gelände auf dem alten Reitplatz in Haldern unweigerlich zu spüren bekommt. Schon kurz nach der Autobahnausfahrt weisen selbstgemalte Schilder mit roten Pfeilen den Weg, im Ort selbst wird man mit bunten Plakaten sehr herzlich und gleich auf mehreren Sprachen begrüßt. Da liegt der Spaß und die Liebe für dieses Musikfest in jedem Pinselstrich, man fühlt sich willkommen und weiß ganz genau, man ist es auch. Bei kaum einen anderem Festival ist dieses herzerwärmende Drumherum so wichtig und ausgeprägt, wie beim Haldern; Der aufgeschlossenen Atmosphäre kann sich das Publikum an keiner Stelle entziehen.

Primär ist und bleibt das Halden natürlich ein Festival, aber sekundär ist es immer ein bisschen Urlaub und auch zu hause, da wo man ungeniert im Schlafanzug kochen oder einkaufen kann, und das ganze Dorf fröhlich gestimmt die Festivalbesucher begrüßt. Zu den vielen kleinen und profanen Geschenken, die es für den Zuschauer gibt (wie zum Beispiel in diesem Jahr der Eiswagen auf dem Campingplatz oder der Traktor mit „Popwasser“ zur Erfrischung) kann das Haldern schon seit einigen Jahren mit einer Bühne der besonderen Art aufweisen: Das Spiegelzelt. In diesem verspiegelten, zirkuszeltähnlichen Großzelt treten neben der großen Bühne auf dem Reitplatz eher kleinere und oft ruhigere Bands ins Rampenlicht. Der Andrang für dieses einmalige Erlebnis mit Atmosphäre-Garantie ist jedes mal riesig. Da steht man ganz freiwillig mal zwei Stunden an. Wer schon ein paar Jährchen dabei ist weiß um die spezielle, sehr fein ausgesuchte Bandauswahl, die dem Festival seinen einmaligen Ruf und den Organisatoren regelmäßig eine ausverkaufte Wiese einbringt. Dank seines unkommerziellen Formates verzichtet das Haldern auf Vergrößerung vom Kartenkontingent, und auch die Bands haben oftmals ihre großen Zeiten noch vor sich, sind eher unbekannt und meistens angenehm unberührt von Hype-Wellen derzeitiger Popströmungen.

Dieses Mal, ein Jahr vor dem großen 25-jährigen Jubiläum, ging einiges – ähnlich einer Generalprobe - von Anfang an nicht ganz so glatt wie die Jahre zuvor. Erst sehr spät begann die Organisationsspitze rund um Stefan Reichmann mit der Veröffentlichung der bestätigten Bands; Die von vielen heiß erwarteten Editors sagten ab und je knapper die Zeit wurde, desto mehr wuchs ein Programm heran, dass besonders durch die Quote von gänzlich unbekannten Bands auffiel und durch die Bestätigung eines absoluten Haldern-Neulings: Jan Delay. Dessen Auftritt rechtfertigte man dann noch mal in der Haldern-Zeitung „Datt Blatt“ mit dem Wortlaut, das Haldern müsse sich auch auf neue Klänge einlassen und sich nicht beschränken. Im Prinzip richtig. Aber, verwundert über diese Zeilen darf man bei der Geschichte und dem Anspruch des Festivals doch sein, denn das Haldern findet man ja gerade so toll, weil es sich einer unkonventionellen Musikrichtung zugeschrieben hat, nämlich im weitesten Sinne Indie. Diese Selbstverständlichkeit des gelungenen Programms, das eben nicht jedem gefällt aber auch nicht jedem gefallen soll, gehört bisher mit zu den Vorteilen des Festivals und zu den Gründen jedes Jahr wieder zukehren. Wer große Namen und Musik von Hard Rock bis Hip Hop hören möchte soll zu Massenveranstaltungen wie Rock am Ring gehen. Das Haldern, dachte man, bleibe verschont von dem Drang jedem gerecht zu werden.

Natürlich darf man Jan Delay und seinen Auftritt hier nicht verunglimpfen, bezeichnend jedoch ist die Tatsache, dass dieser Auftritt der vom Menschenaufgebot der umjubeltste war, und durch dessen Anwesenheit und Pole-Position andere, sehr schöne und bemerkenswerte Bands wie Polarkreis 18 oder Voxtrot an akutem Publikumsmangel litten und ihre Auftritte auf ein fast schon unverschämtes Maß an fünf Songs (Polarkreis 18) beschränken mussten. Trotz einiger wunderschöner Auftritte wie zu Beispiel der Maccabees im Spiegelzelt, oder der sympathischen Schweden Shout Out Louds erschien das Programm ein wenig zerstückelt, und lieblos zusammengesucht - mit rühmlichen Ausnahmen wie Malajube aus Kanada oder auch den Architecture in Helsinki. War das musikalische Programm gewöhnlich rund und in sich abgestimmt wirkte so manche Band fehl am Platz, wie zum Beispiel die enttäuschende langweiligen Ripchord oder Paul Steel.

Zu bemerken ist, dass Genreausflüge zu Top-Acts, die zum restlichen Programm einen völligen Widerspruch darstellen Auswirkungen auf das Publikum und leider auch auf die Besucherzahlen für andere Bands sowie das Festival insgesamt haben. Zum ersten Mal seit vielen Jahren erreichte das Festival nicht die maximale Besucherzahl, ein deutliches Indiz für die Unzufriedenheit mit dem Programm.

Trotz dieser kleinen Enttäuschung ist und bleibt das Haldern ein Festival des guten Geschmacks, was sollte man auch gegen ein Fest zu sagen haben, wo Kinder wie Ameisen umherwuseln, wo man mit Poptalern bezahlt und ein belustigter Holländer jeden Auftritt individuell und stürmisch ansagt.

Dieses Jahr büßt das Haldern erstmals etwas von seiner Authenzität ein, hoffen wir also, dass wir nächstes Jahr zum Jubiläum wieder das alte Haldern antreffen dürfen, mit ebenso viel Sonne wie in diesem Jahr und der Treffsicherheit in Sachen Musikauswahl der letzten Jahre.
foto: marcus beine


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