The Whitest Boy Alive [Bielefeld, 24.08.2007]

Wenn oben bunte Scheinwerfer angehen und sich unten ein erwartungsfrohes Menschen-Wirrwarr zusammenmischt, schlägt endlich das Stündlein, dass man lange erwartet und ersehnt hat. The Whitest Boy Alive.



"give me an angel that i heven't tried before."
(don't give up)

Schon der ganze Tag lief nach Plan B ab, vom Aufstehen bis zur Klamottenwahl war alles intentional, gerichtet auf diesen letzten Moment, in dem der Puls ein klein wenig höher schlägt und man gebannt und gespannt nach oben schaut. Und nach dem ersten Akkord, dem ersten Melodiefetzen ist man sensibilisiert, aufnahmebereit für ein Konzert, dass in Gedanken und Herz hängen bleiben kann und soll. Jetzt hängt alles von denen dort oben ab, die auf den Brettern stehen die sprichwörtlich und in diesem Augenblick wahrhaftig die Welt bedeuten zu scheinen. Zwischen Kabeln und Boxen geben sich vier Musiker ihr Stell-Dich-Ein, sie heißen Erlend Øye, Marcin Oz, Sebastian Maschat und Daniel Nentwig, besser bekannt als The Whitest Boy Alive, und sollen heute abend zur allgemeinen musikalischen Glückseligkeit verhelfen.

Das gemeinsame Wirken der Wahl- und Ur-Berliner begann im Jahr 2003 mit der Zusammenkunft einiger nicht unbekannten Größen verschiedenster Genres. Da wäre zum einen DJ Highfish (Oz), der an Schaltpult und Plattentisch beheimatet ist (und nun in der Band am Bass groovt) und zum anderen Erlend Øye, der schon seit Jahren auch in der internationalen Musikpresse alles andere als ein unbeschriebenes Blatt ist. Bekannt geworden als zweite Hälfte des norwegischen Duos Kings of Convenience (mit Eirik Glambek Bøe), die den ruhigen, atmosphärischen Stil zweier Gitarren gepaart mit zweistimmigem Gesang pflegen und das New Acoustic Movement und dessen Generation prägte beschritt er außerdem auch Solo-Pfade, experimentierte mit elektronischen Sounds, machte Furore als DJ.

Wie schön und wichtig, dass im Moment des Konzertes diese Fakten, das Wissen im Hinterkopf völlig in den Hintergrund rücken und zugunsten von einem Hier-Und-Jetzt-Empfinden weichen: Herkunft und Vergangenheit der Künstler werden sekundär, spielen keine Rolle mehr, nirgends sonst ist die aktuelle Zeit so präsent, so unmittelbar spürbar, wie in diesen anderthalb Stunden. Urplötzlich wird der ferne Musiker nahbar, seine Melodien noch zugänglicher. Dieses Wesensmerkmal verkörpern The Whitest Boy Alive geradezu perfekt, sie präsentieren sich alles andere als reserviert, sind dermaßen unverfänglich und liefern ihre Songs auf einem Tablett der Herzlichkeit an das von vorneherein begeisterte Publikum im Forum. Was als Electro-Dance Projekt begann ist längst ein durch und durch akustisches Statement, dass allen Beteiligten bestens steht und sich trotz klassischer Bandbesetzung und ohne jegliche Klangexotik (mal abgesehen von einem wirklich beängstigend begnadeten Keyboarder - genial!) von vielen – inzwischen zum Massenmarkt avancierten - Indieproduktionen absetzt, und zwar im allerpositivsten Sinne.

Die eigenwillige Mischung von schwerer Melancholie, schlichten Gitarrenparts und stampfenden, manchmal fast monotonen Schemata in Bass- und Schlagzeuglinien hat eine fesselnde Wirkung fernab von großen und dichten Klangteppichen, die häufig Gefühl mit enormer Opulenz erpressen wollen. The Whitest Boy Alive haben ein anderes, besseres Konzept gefunden. Sie wissen, dass ihre Musik keiner Adaptation bedarf und setzen auf den scheinbaren Widerspruch Minimalismus vs. Gefühl.

Die Songs sind allesamt wunderschön, zeugen von Sensibilität, Vorstellungskraft und Musikalität, die weiß, wie sie gedankliche Vorstellungen in Musik betten kann. Da trifft große atmosphärische Dichte auf bestechenden Rückhalt in Instrumentierung und Arrangement. Das Gerüst ist schlicht, simpel und fein durchstrukturiert, jeder Akkord ist platziert und energiegeladen, nicht eine Sekunde erlauben sich die Musiker zielloses Gumgeklimpere. Erstaunlich und faszinierend ist die Wirkung, die Øye & Co. über die Räume, die ihre Musik offen lässt, transportieren. Da nehmen sich einzelne Instrumente über unerhört weite Strecken völlig zurück (In I'm Done With You wiederholt der Bassist das gesamte Stück ein eintaktiges Motiv), um ganz unvermittelt in anrührende Melodien oder knackige Beats aufzuleben. Gerade die Beständigkeit mancher Motive und Thematika schaffen Intensität und Basis für die Entwicklung der Melodie.

Die Leichtigkeit und Dynamik, die Band und Songwriting dabei ausstrahlt, macht am Ende sogar fast die textliche Schwere in fast allen Songs (Golden Cage, I’m Done With You) vergessen. Jedes Instrument ist Parameter, verläuft synchron zu den anderen und ist doch eigenständig, und das größte und bedeutsamste Instrument ist Øyes Stimme, die von Arrangements und Kompositionen subtil aber entschlossen in der Vordergrund gespielt wird.

Øyes Stimme verfügt über das etwas verwirrende Wesensmerkmal gleichzeitig traurig, nachdenklich und dann wieder himmelhochjauchzend zu stimmen. Sein Timbre ist ebenso außergewöhnlich wie anziehend, ein wenig gedankenverloren zelebriert er jeden Ton, legt seine Seele in die Songs und glänzt mal bescheiden mal frech durch das Konzert.

Live bestätigen The Whitest Boy Alive alles, was sie auf ihrer Platte versprechen, jeder Song ein Treffer, die Studioaufnahmen werden in Sachen Spielfreude und nachhaltiger Wirkung noch um ein vielfaches übertroffen. Hier klammert man sich nicht an Noten, die vier jungen Männer erweitern und komplettieren die Songs bis hin zu 14-minütigen Ergüssen an Kreativität respektive purer Freude .

Sie werden selbst Teil des Genusses, sind nicht nur ausübende Gewalt, sondern selbst Rezipienten. Und was könnte den Besucher glücklicher machen als eine völlig gelöste und fröhliche Band, die den frenetischen Applaus des Forum- Publikums ihrerseits mit einer beinahe ekstatischen Zugabe honorieren. Da werden alte Klassiker aus dem Hut gezaubert, mit Songs von den Supremes, über Portishead bis hin zu Summertime feiert die Band auch noch die letzten Minuten ihres höchst denkwürdigen Konzertes. Die Schranken zwischen Publikum und Band sind längst überwunden, Erlend schmachtet weit vorgebeugt in die Menge, es wird getanzt und laut und schief mitgesungen - kleine Trivialitäten, im Grunde, die sich aber im Kopf festbeißen und ein Konzert erst formen und charakterisieren.

Am Ende liegen sich da oben vier Musiker in den Armen, völlig erschöpft und durchgeschwitzt, aber glücklich. Unten wird selig applaudiert, so manchem läuft ein kribbeliger Schauer den Rücken hinunter und noch auf dem Nachhauseweg hallen die Worte und Melodie nach. Da bleibt nur eins zu sagen, danke für dieses wundervolle Konzert!
foto: judith wiemers


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