Wie macht man Polenreisende glücklich, die es leid sind von Jahreszahlen und Statistiken in die Irre geführt zu werden? Wie erzählt man ein Land ohne die falschen Worte zu verwenden? Matthias Kneip findet in seinem im Werk Polenreise – Orte, die ein Land erzählen die richtigen Worte und Antworten auf viele Fragen, auch auf diese.
"irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt."
(tina hohmann)
So klar wie sich Polen im Regal der Reiseführer irgendwo zwischen den Philippinen und Portugal einordnet, ist diese gedruckte Wirklichkeit der Reiseführer meilenweit davon entfernt das „Besondere“ des Landes einzufangen. Was fehlt sind die vielfältigen Impressionen und Empfindungen die einen Abstecher nach Polen zu dem machen, was er eigentlich sein sollte: Zu einem individuellen Ereignis, dass ein Jeder anders beschreibt. Die polnische Seele lässt sich nicht für 9,90 Euro im Buchladen an der Ecke kaufen. Sie ist viel subjektiver und differenzierter als sie Zahlen und Prozente einfangen können. Das beweist Matthias Kneip mit seinem neuen Werk: "Polenreise – Orte, die ein Land erzählen".
„Vielleicht gelingt es den klassischen Reiseführern noch am besten, ein Land zu rastern, es mit Daten und Fakten für den Ratsuchenden festzunageln, um ihm ein einigermaßen objektives Bild zu vermitteln. Doch dieses Rastern gleicht der Skelettierung eines Körpers, seiner Reduktion auf das harte, unumstößlich Fixierbare.“
Ganz ohne Hochglanzfotos und farbigen Graphiken entwirft Matthias Kneipp, Mitarbeiter am Deutschen Polen-Institut in Regensburg und Darmstadt, ein Bild Polens, das sich großflächig jenseits der billigen Polaroid-Urlaubsfotos in die Erinnerung einfügt. Dazu stellt er in 35 detaillierten Momentaufnahmen 35 bekannte und weniger bekannte Orte Polens vor, die ihm als Ausgangspunkt dazu dienen, dem Leser den Charakter des Landes näher zu bringen. Er nähert sich als aufmerksamer Beobachter aus mehreren Perspektiven, die alle miteinander verwoben zu sein scheinen. Dabei ist sein Blick stets neugierig vermittelnd und niemals aufdringlich – fernab jeder Reiseführer-Stilistik.
"Polenreise Orte, die ein Land erzählen" ist der Versuch sich nicht nur ohne Scheuklappen, sondern auch historisch aufgeklärt den wichtigsten Stationen der polnischen Geschichte zu nähern. Der Blickwinkel bleibt bei "Polenreise" immer räumlich verhaftet um anschließend auf einer makroskopischen Ebene Fuß zu fassen. So bereist der Autor in seiner ersten Prosaskizze die Hafenstadt Danzig und schildert neben der „nie still stehenden“ Uferpromenade, auch gleichzeitig die Wirren der Solidarność-Bewegung, die einen wichtigen Schritt zur Demokratie in Polen darstellt. „Hier entstand für viele Polen die Keimzelle des heutigen Europa.“ Von Danzig über die Masuren bis nach Warschau ist es nur ein kurzer Umweg. Was sich an dieser Stelle ändert, sind lediglich die Besatzungsmächte, unter denen Polen bis zum Ende des zweiten Weltkriegs oder wahlweise bis zum Fall des eisernen Vorhangs seine Kultur und Einzigartigkeit verbergen musste. In weiteren Episoden nähert sich Matthias Kneip dem Erbe Johannes Paul II. (Stettin), sinniert über Nikolaus Kopernikus (Thorn), liefert Beispiele für Popkultur und Nostalgie (Krakau), versetzt sich zurück in die Zeit Tadeusz Kościuszkos und der polnischen Nationenbildung (Breslau: das Panorama von Racławice) und stellt sich letztendlich auch dem schrecklichen Vermächtnis des zweiten Weltkriegs (Auschwitz-Birkenau, Gleiwitz).
Kneip erweist sich in Polenreise als verständnisvoller Erzähler und aufmerksamer Beobachter und versucht seine Vorstellungen von Kultur, Biografie und Symboliken in verschiedenen Fassetten darzustellen. Bei seinen detailreichen Ortsdarstellungen gibt es immer mehrere Ebenen, die gleichzeitig miteinander verflochten sind. Auffallend sind diese Ebenen besonders in seinen Reflexionen über die Masuren, die im kompletten Gegensatz zueinander stehen. Die Masuren werden nicht nur als Erholungsgebiet geschätzt, sondern dort befindet sich auch eines der traurigen Überbleibsel des zweiten Weltkriegs: der ehemalige Führerbunker „Wolfsschanze“. In dem weit verzweigten Areal tummeln sich heutzutage Reisegruppen und Tourguides, inmitten von Seenlandschaften, Heideflächen und Wanderpfaden. Kneip nähert sich diesem Thema auf beeindruckende Weise, indem er sich nicht als schwafelnder Historiker auf die Suche begibt, sondern er reflektiert den Meinungsaustausch über den Bunker mit Ortsansässigen und Taxifahrern. Ein gelungener Sprung zwischen subjektiven Empfinden und objektiven Fakten und außerdem ein großes Stück Erzählkunst, im kompletten Gegensatz zum grauer Fleck in der Landschaft.
„Man sollte weniger auf die Biografie eines Landes acht geben, als auf den Eindruck, den es hinterlässt“, stellt der Autor fest und eröffnet dadurch eine völlig andere Art der kulturellen Narration. Kneip simuliert die polnische Identität nicht nur wie in vermeintlich aufklärenden Reiseführern, er gibt den einzelnen Stationen seiner Reise ein Gesicht. Er lässt sich nieder im Marktgetümmel, durchstreift die Gassen und Verwinkelungen und funktioniert als Sammler, wenn er Kulturschaffende, Marktfrauen und Handwerker einen Teil zum Gesamtbild seines Werkes beitragen lässt. In kurzen Episoden erfährt man so Eigentümliches, Wertvorstellungen und die reflektierende Gegenseite zu seinen Beobachtungen.
„Manchmal ist einem der Freund eines Freundes sympathisch. Manchmal nicht. Es bleibt immer eine Frage des Vertrauens. Zwischen Autor und Leser. Zwischen den Menschen zweier Kulturen, die sich nahe stehen und doch fremder sind als nötig.“
foto:
matthias kneip
"polenreise"
house of poets 2007
matthias kneip
Matthias Kneip [Polenreise]
Eine gute Bekannte von mir war vor ein paar Monaten in Danzig. Mit im Gepäck waren zwei Reiseführer und der sehnliche Wunsch die Hafenstadt an der Mottlau in ihrer ganzen Schönheit zu betrachten. Das große Los der Städtetouristen kann sich aber auch unmissverständlich als eine Niete erweisen, wie sie es mir nach ihrer Rückkehr deutlich klar machen wollte. „Die schönsten Häuser sind hier gar nicht aufgeführt. War das im Touri-plan nicht viel größer? Nee, irgendwie hab ich mir das anders vorgestellt!“