Man stelle sich Mozart mit einer Groovebox und Schiller mit einem Mikrofon vor. Dazu erschießt Che Guevara im Hintergrund eigenwillige Bauern auf Kuba, während Adorno und Horkheimer sich beängstigende Blicke zu werfen. Glaubt keiner? Die hier schon…
"und das plakat ist wie ein spiegel deiner selbst;
zerrissen und kaputt und die reste treibt der wind."
(menschliche fackel)
"Unterwegs" ist die Quintessenz dieser Zusammenkunft. Ein Album, das nicht lange wartet, bis es nach dem Einlegen in den CD-Spieler sein wahres Gesicht zeigt. Zu Zeiten in denen sich Poetry Slams sogar bereits auf eine Bekanntheitsebene der Öffentlichen-Rechtlichen Fernseh-Kanäle hoch gekämpft haben und man irgendwie immer im Hinterkopf hat, wie man doch am liebsten und in welcher Art und wo die Betonung und überhaupt die Worte um die Ohren geschlagen bekommen haben will, ist schon das erste Stück Leben im Bücherschrank die Abwechslung auf die man gewartet hat. Ein mit Effekten gespickter Beat ertönt neben Jan Egge Sedelies Worten, die nicht den Fehler machen zu überragen. Sie passen sich an. Die Stimme beherrscht die Stücke einfach nicht mit der sonst gewohnten Autorität, sondern unterliegt stattdessen eher dem vorgegebenen Rhythmus, wird von ihm geformt, angepasst und ausgespuckt. Die Beatpoeten vertonen keine Texte, sie spielen solange mit ihnen, bis der Körper sich bewegen, die Ohren zuhören und der Kopf verarbeiten will.
Die textliche Qualität der Stücke zeugt von Jan Egge Sedelies langjährigen Erfahrungen im Bereich des Poetry Slams: sozialkritisch, politisch, ironisch, humorvoll, realitätsnah. Mit Dorothy Gale bei Pantheon Rococo ist ein ideales Beispiel für zeitnahe Lyrik, die weder die Hand im Schritt noch die Tränen im Knopfloch hat. Stattdessen gibt es das gute alte Mann-trifft-Frau-Spiel auf Diskoebene mit allem, was der Alkohol, die dröhnende Musik, die Hitze und die links orientierte politische Haltung dazu beizutragen haben: „Du starrst sie an. Schwitzt. Sie hält kurz inne. Spürt deinen Blick. Öffnet die Augen. Atmet durch. Lächelt. Konzentration. Konzentration? Konzentration ist ein Begriff der Privilegierten. Was hätte der Che jetzt getan? Mh. Schlechtes Beispiel. Vermutlich auf eine Zigarre auf die bevorstehende Revolution eingeladen. Zumindest hätte er es so gesagt, vieldeutig zwinkernd und seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen. Und wenn sie dankend abgelehnt, erschossen – wie die eigenwilligen Bauern auf Cuba. Ganz schlechtes Beispiel.“
Hier fehlt der Platz und vor allem die Zeit, um das ganze Maß der textlichen und musikalischen Grenzen, die die Beatpoeten brechen und wieder neu aufziehen, detailgetreu und repräsentationsgerecht widerzuspiegeln. Allerdings sei eines erwähnt: Es braucht Zeit. "Unterwegs" ist kein Album, das man einlegt, wenn man einfach nur tanzen will. Im Ganzen ist es vielmehr ein Eintauchen in ein Experiment, das geglückt ist. So merkt man spätestens beim letzten Stück, Gleichgültige Gleichzeitigkeiten, das einen subjektiven Blick auf die Weltgeschichte von 1980 bis heute wirft, wie viel Seriosität doch in diesem Album steckt und es deswegen keineswegs als verspielte Elektrogefrickel-Trend-Platte abgestempelt werden darf. Das hätte es nicht verdient. Sonnenblumen pflanzt man schließlich auch nicht einfach neben Brennnesseln ein.
„Deine Geschichte ist Vorgeschichte. Vorgeschichte ist Weltgeschichte. Weltgeschichte ist Vorgeschichte. Die Genesis liegt noch vor dir. Du grübelst über Spuren und versteckte Wegweiser und stolperst über einen Ernst-Bloch-Satz zu Krimiromanen: 'Etwas ist nicht geheuer, damit fängt es an'.“
foto: felix seuffert
beatpoeten
"unterwegs"
sprechstation verlag 2008 cd
beatpoeten
Beatpoeten [Unterwegs]
„Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine Revolution“ – Emma Goldmann wusste schon vor knapp einhundert Jahren, dass das Tanzen zu einem Wandel einfach dazugehört. Den Körper bewegen während etwas Neues angestoßen wird, das eine Welle in Kraft setzen kann, die das Alte wegspült und die frisch gesäten Samen sprießen lässt. Benennen wir die Welle als Beat und die Samen als Worte, so brauchen wir nur etwas Zeit und wir haben eine neue Pflanze geschaffen: Elektrolyrik. So nennt es sich auf dem Papier, doch steckt dort viel mehr dahinter als nur ein Genrebegriff. Jan Egge Sedelies und Costa Carlos Alexander sind Bastler der neuen Generation. Der Erste ist Autor und Zeitungsredakteur, der andere hat vor den DJ-Status ein großes „Ex-“ gesetzt und frickelt heutzutage lieber an elektronischen Instrumenten herum. Beide zusammen sind seit 2006 unter dem Namen Beatpoeten ein musikalisches Duo, das eine Fusion aus ihren beiden Leidenschaften geschaffen hat: Worte treffen auf Beat, werden tanzbar.