Eastern meets Western meets Eastern.
Die wechselseitigen Einflüsse östlicher und westlicher Kultur in zwei sehr unterschiedlichen Erzählungen mit doch recht ähnlichem Muster.
(gisaku, der dorfälteste; die sieben samurai)
Die Totale richtet unseren Blick auf ein kleines Bauerndorf im Japan des 16. Jahrhunderts. Mit schnellen Schnitten nähern wir uns den auf dem Dorfplatz kauernden Bewohnern. Männer, Frauen und Kinder hocken auf der Erde, die Gesichter zum Boden gewendet oder mit verzweifelt ernster Miene ins Leere starrend. Es ist letztlich eine Frau die aufsteht und als erste das Schweigen bricht. „Ein Unglück nach dem anderen bricht über uns herein. Der Krieg, die Dürre, dazu die Steuern. Und wenn das Korn reif ist, kommen wieder die Banditen.“ Es ist die expositorische Wehklage, welche das Setting des Films zusammenfasst und den Verlauf der Handlung bestimmen wird. Die Eröffnungssequenz von Akira Kurosawas Meisterwerk, „die Sieben Samurai“, führt knapp in die Problematik des Sengoku Zeitalters ein, welches durch eine klare Ständeordnung und instabile Machtverhältnisse geprägt war.
Um sich der aussichtslos beklemmenden Lage zu erwehren, beschließt man auf Anraten des Dorfältesten Samurai zu engagieren, welche das Dorf vor der Bedrohung schützen sollen. „Ihr müsst sehen, dass ihr Samurai findet, die Hunger haben“, lautet der Rat des Dorfältesten, denn die stolzen Krieger werden sich der untersten Gesellschaftsschicht nur dann annehmen, wenn sie selbst vor unlösbaren Problemen stehen. „Not besiegt den Stolz.“ So sind es Ronin, herrenlose Samurai, welche die Dorfbewohner für sich gewinnen können, allen voran den mutigen Kambei, der in ärmlichen Verhältnissen das Land bereist und sich darum bemüht, sechs weitere tapfere Krieger für die Befreiung des Dorfes zu gewinnen.
Kurosawa lässt sich gerade in diesem Teil seiner Arbeit die nötige Zeit, um dem Ensemble der Samurai Tiefe zu verleihen, die einzelnen Charaktere dem Zuschauer nahe zubringen. Den erfahrenen Gorōbei, der nicht auf die zur Probe gestellten Falle von Kambei hereinfällt, den strengen und meisterlichen Schwertkämpfer Kyūzō oder den jungen Heihachi, der sich mit einfach Arbeiten den Lebensunterhalt verdient. Es sind diese Einblicke in die zuvor überlebensgroß inszenierten Samurai, welche die Charaktere auf menschliche Art und Weise reifen lässt. Scheitern, Niederlage und Existenzangst halten Einzug in das in der japanischen Tradition schier übermenschliche Bild der Samurai. So etwa wenn Kambei seinen alten, längst tot geglaubten Freund Shichirōji wieder sieht und dieser ihm erklärt, dass er sich in einem Graben bei den Wasserpflanzen versteckte, um einen Angriff zu überleben.
Das zweite Drittel des Films beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Samurai und Bauern im Dorf, mit den auftretenden Standesunterschieden und -vorurteilen sowie den sich daraus entwickelnden Konflikten innerhalb der Zweckgemeinschaft. Gerade der siebte Samurai, Kikuchiyo, der die Möglichkeit einer Verknüpfung darstellt, stammt er doch selbst aus einer Bauernfamilie, wird zur zentralen Figur der weiteren Erzählung, die letztlich im dramatischen Kampf mit den einfallenden Räubern mündet, welchen Kurosawa mit technischer sowie erzählerischer Raffinesse brillant zu inszenieren weiß.
Bemerkenswert ist, dass Kurosawas Samurai Epos einer als typisch amerikanisch geltenden Erzählstruktur vorgreift. Obwohl er selbst immer den westlichen Einfluss auf seine Arbeiten herausstellte, verfolgt "die Sieben Samurai" einer erst 23 Jahre später von Robert Jewett und John Shelton Lawrence erfassten Struktur: Im Gegensatz zum bekannten campbellschen Monomythos, der Heldenreise ins Ungewisse als Paradigma der vor allem filmischen Erzählung - von Tolkiens "Herr der Ringe" über Hitchcocks "Vertigo" bis zu Lucas "Star Wars" -, beobachteten Jewett und Lawrence Veränderungen von Form, Struktur und Perspektive dieser Theorie. Die grob in drei Akte gliederbare Heldenreise – Aufbruch aus der gewöhnlichen Welt, Reise in die andere Welt, Rückkehr in die gewöhnliche Welt – wird in der amerikanischen Variante so modifiziert, dass der Ausgangspunkt eine paradiesische, oder sich zumindest in gewisser Harmonie befindlichen Gemeinschaft darstellt, die von einem externen Bösen bedroht wird. Die regulären internen Institutionen sind nicht in der Lage dieses Böse abzuwenden, woraufhin der selbstlose Held in Erscheinung tritt – in der Regel ungern - und sich dem Bösen stellt. Nachdem dieses besiegt, der paradiesische Urzustand wieder installiert wurde, verschwindet der Held in der Dunkelheit. Oder reitet in den Sonnenuntergang.
Als Paradebeispiel dieses Mythos lesen sich auch die 1984 von Kevin Eastman und Peter Laird als Underground Comic erschaffenen „Teenage Mutant Ninja Turtles“. Was zunächst als parodistische Betrachtung des aufkeimenden Ninja- und Samurai-Hypes im Allgemeinen (Vgl. etwa die unzähligen stereotypen B-Movie Filme der 1980er Jahre, wie „American Ninja“ mit Michael Dudikoff) und Frank Millers experimentellen Martial Arts-affinen Comic Reihen „Ronin“ und „Daredevil“ im Besonderen, konzipiert wurde, entwickelte sich schnell zu einem der langlebigsten schwarzweiß Comics der Geschichte. Hier geht es selbstverständlich um die weitaus rauere, kantigere Ursprungsreihe, lange vor Frank Zander, Bananenpizza und Cowabunga. Die gesellschaftlich geächtete Symbolik der antropomorphen Reptilien die in Abwasserkanälen leben und von einer Ratte aufgezogen werden – in Form der ebenfalls anthropomorphen Vaterfigur Splinter – potenzieren sich hier gegenseitig und machen die Antihelden-Haltung der ursprünglichen Idee über deutlich.
Die erste, als One-Shot konzipierte Folge der TMNT Reihe steht noch in der Tradition klassischer Racheerzählungen – von Shakespears „Titus Andronicus“ bis Tarantinos „Kill Bill“ –, in welcher in recht hölzerner Inszenierung der Entstehungsmythos der Charaktere entfaltet wird. Die Ratte Splinter, früher Haustier des Sensai Hamato Yoshi, sieht mit an, wie dieser einen zornigen Widersacher, der sich gewaltsam an Yoshis Geliebter vergeht, erschlägt. Yoshi emigriert nach dem Verlust seiner Ehre – der Erschlagene gehörte zum gleichen Geheimbund wie er selbst - in die USA, wird dort jedoch nach Jahren vom kleinen Bruder des Ermordeten – dem späteren Shredder - aufgespürt und gleichfalls erschlagen. Die Ratte flieht und trifft im Jenseitigen der New Yorker Kanalisation zufällig auf vier Babyschildkröten. Allesamt kommen in Kontakt mit einer radioaktiven Substanz, woraufhin sie sowohl körperlich als auch geistig mutieren. Splinter, der seit jenen Tagen seinem Herrn Rache schwört, unterrichtet die vier Schildkröten unter anderem in Ninjutsu, der Kampfkunst der Ninja. Das hölzerne Korsett spielt hier selbstverständlich mit zahlreichen urbanen Mythen.
Dass sowohl Splinter als auch Shredder auf der Ebene einer endlosen Rachespirale zunächst einen ähnlich unlegitimierten Stand haben, spiegelt sich auch in ihren Namen, die aus dem gleichen Wortfeld stammen. Bereits in dieser ersten Ausgabe der Reihe kommt es zur finalen Konfrontation und Shredder unterliegt den vier Brüdern, die ihm am Ende jedoch die Möglichkeit bieten, durch den rituellen Selbstmord die eigene Eher wieder herzustellen. Erst hier, auf der Ebene eines moralischen Ehrenkodex disqualifiziert sich der Shredder durch seine Abtrünnigkeit und Selbstgefälligkeit endgültig als Bösewicht, da er das Angebot ablehnt und als Slebstmordattentäter versucht die vier Schildkröten mit in den Tod zu reißen. Erst jetzt wird der Shredder zum düsteren Gegenstück des ehrenwerten Meister Splinter; Nur in der Relation zueinander werden die dualistischen Postionen von Gut und Böse deutlich.
Sowohl der dreckige Moloch New York - die Heimat der Turtles - als auch das feudale Bauerndorf in Kurosawas Erzählung, dienen der Darstellung des harmonischen Ausgangspunkts im amerikanischen Monomythos. In beiden Fällen können die für Recht und Ordnung sorgenden Mittel der Gemeinschaft - die kampfunerprobten Bauern bzw. die New Yorker Polizei - der übermächtigen äußerlichen Bedrohung – der vierzigköpfigen Räuberbande bzw. dem Verbrecher- und Assasinensyndikat unter der Leitung des Shredder – nichts entgegensetzen. Erst das Erscheinen einer externen Größe kann der Gemeinschaft helfen: Sowohl die Samurai als auch die Ninjas treten als selbstlose Helden wider Willen auf. Erstere sind aufgrund ihrer sozialen Stellung darauf angewiesen ihre Dienste anzubieten; Helden werden sie in dem Moment, in welchem sie den Dorfbewohnern ihre aufopferungsreiche Hilfe gegen dürftige Kost und Logis anbieten. Letztlich setzen sich alle Samurai aufgrund eines höheren Guts, einer idealen Vorstellung von Gerechtigkeit und Ehre für das Dorf ein. Gleiches gilt für die Ninja Schildkröten, die stets ohne Bezahlung gegen das Verbrechen kämpfen, würden sie doch eigentlich lieber in Ruhe Pizza essen. Der Mythos wird so auch zum Spiegel einer sich selbst als hilflos und bedroht empfindenden Gesellschaft, die stets in der Hoffnung lebt, durch eine übermächtige Macht Rettung zu erfahren. Die Wiederherstellung des Urzustandes bedeutet jedoch stets den Abgang der jetzt überflüssigen Helden. Der reflektierte Kommentar Kambeis im Anblick sowohl der fröhlich singenden, ihre Reisfelder bestellenden Bauern, als auch der Gräber der gefallenen Gefährten - „Wir haben gesiegt. Und trotzdem haben wir verloren. Gewonnen haben nur die Bauern dort, niemals die Samurai“ -, lässt sich problemlos als paradigmatisch für den amerikanischen Mythos lesen. Auch wenn der Erfolg am Ende stets vom Zusammenspiel individueller und gemeinschaftlicher sozialer Handlungen abhängt – die Samurai können nur mit Hilfe der Dorfbewohner für deren Sicherheit sorgen, während die „Heroes in a half-shell“ zunächst einzeln im Kampf gegen den Shredder unterliegen, um diesen später als brüderliche Gemeinschaft zu bezwingen – haben die ausgedienten Helden am Ende keinen Platz in der harmonischen Gemeinschaft. Es ist ihre Bestimmung zu verschwinden, ein Schattendasein zu führen. „We are the Teenage Mutant Ninja Turtles. We strike hard and fade away into the night.“
foto:
akira kurosawa
"die sieben samurai"
(shichinin no samurai)
1954
kevin eastman / peter laird
"teenage mutant ninja turtles"
mirage studios 1984 - 1993
Essay [Der amerikanische Monomythos]
"what's the use of worrying about your beard when your head's about to be taken?"
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