Ein Philosophy Slam ist wie das platonische Symposion. Man trifft sich in großer Runde, isst und trinkt und unterhält sich. Dann treten reihum Redner auf und versuchen eine Frage zu beantworten und am Ende gewinnt Sokrates. Was nun, wenn Sokrates nicht da ist und die Frage zunächst gar nicht bekannt?
"es wird ein spiel gespielt, d.h. es gibt regeln, und wer sich in ihren grenzen bewegt,
und nicht nur das: wer sie am besten ausreizt, der gewinnt."
(raul peszke)
Binnen knapp bemessenen 45 Minuten wurde die kreative Fähigkeit der Teilnehmer gefordert, denn nur solange hatten sie Zeit sich Gedanken zu machen und letztlich auch einen rezitierbaren Text zur vorgeschriebenen Fragestellung zu verfassen. Nach einer kurzen Einführung in das Reglement durch den MC, den Moderator des abends in Form des Hochschuldozenten und Organisator Dr. Dirk Stederoth, schrieb dieser die zu beantwortende Frage an die Tafel des Seminarraumes in der Kasseler Universität: „Braucht der Mensch Konkurrenz?“. Elf ambitionierte Schreiber, darunter maßgeblich Studenten, jedoch auch drei Buchautoren, erhoben sich und gingen in einen Nebenraum, in dem sie über der Frage und deren Beantwortung brühten konnten. Denn im Unterschied zum Poetry Slam brillieren die philosophischen Slammer - und zumindest ist dies ein Novum, mit dem sich Kassel auch vom selbsterannten Philosophy Slam Paten Augsburg abgrenzt - nicht mit vorgefertigten Texten zu einem selbstgewählten Thema, sondern müssen alle gleichzeitig einen Text zu eben jener, erst am Abend bekannt gegebenen Fragestellung und in besagtem Zeitraum verfassen. Währenddessen übernahmen Stederoth und sein Kollege, der Philosophie Professor Dr. Walter Pfannkuche, das Wort und verstrickten die bereits zahlreich erschienenen Zuschauer in eine lebhafte Diskussion, in welcher beide für sich eine gespielt stereotype Stellungnahme zur Frage einnahmen. Eine Flasche Bier, ein paar Chips und junge, unabhängige Musik mit Creative Commons Lizenz taten ihr übriges zu einem gelungenen Einklang. Der leider recht steril wirkende Raum füllte sich mit rund 70 Gästen, als die elf Slammer schließlich gegen halb acht zurückkehrten. Interessierte Blicke huschten durch die Reihen und man fragte den ein oder anderen Bekannten unter den Kontrahenten schon mal vorab nach den gemachten Erfahrungen.
Eine vierköpfige Jury, eher wohl ein Schiedsgericht, dessen Aufgabe es war die Texte während des Vortrags mitzulesen, damit niemand rasch eine später ersonnene Idee improvisieren und sich somit einen Vorteil verschaffen konnte, wachte über den regelgerechten Ablauf, als um 20 Uhr der eigentliche Höhepunkt begann, die Teilnehmer in alphabetischer Reihenfolge zum Rednerpult traten und dem interessierten Publikum ihre Werke darboten. So verschieden die Autoren – in Alter und Zunft -, so verschieden waren auch die Texte. So lauschte man den bereits erahnten marxistsichen Ansätzen über die Schlechtigkeit der kapitalistischen Gesellschaft genauso wie esoterisch verklärten Energieverlagerungstheorien. Vielleicht lag es am sich maßgeblich aus dem Studentenkreis rekrutierten Publikum, denn den größten Beifall erhielten immer wieder die kreativen Ideen gekannter oder unbekannter Kommilitonen. Einen ersten begeisterten Beifall konnte tatsächlich der Herausgeber dieses Magazins hier verbuchen, der in seiner amüsant ironischen Darbietung Wittgenstein zitierte und Sven Regener immitierte. Zwischen Pro und Kontra wägte er einen verheißungsvollen Mittelweg ab. „Aber irgendwie klang das auch wieder flach, dachte er. Unattraktiv. Unsexy. Irgendwie bedeutungsschwanger, aber dann doch wieder nur nach neuer Mitte, dachte er. Irgendwie zwar wie die Oblate, die man sich auf der Zunge der Erkenntnisbegier zergehen ließ, nur um dann doch zu bemerken, 'Ah, Esspapier!'“ Eine der beiden weiblichen Teilnehmerinnen hingegen entwickelte das Bild eines trägen Fernsehkonsumenten der sich kaum zu irgendetwas aufraffen konnte, um schließlich in dem Bild mehrer Billardkugeln zu münden, welche den richtigen Antrieb benötigen, um sich aus der stagnierenden Bewegungslosigkeit zu befreien. Ein weiterer Redner versuchte das Prinzip der Konkurrenz als Sprachspiel zu entlarven, um durch geschicktes hinterfragen der Regeln des Wettbewerbes diesem zu entgehen. Der letzte Beitrag hingegen griff in liebenswürdiger Art die Problematik der konkurrierenden Slammer dieses Abends selbst auf, und verstrickte sich gedanklich zwischen Begriffsdefinitionen und logischen Ableitungen soweit, dass das über Sieg und Niederlage entscheidende Publikum in gewisser Weise ja selbst irgendwie zur Konkurrenz für jeden einzelnen wurde.
Gerade die kurzweiligen, charmanten Texte konnten sich mit ihrem intelligenten, teils subtilen Humor der Gunst des Publikums gewiss sein und verwiesen manch zu verkopften und für die Kürze der einzelnen Darbietungen unangemessen theoretischen Text auf die Plätze. Das Ergebnis mit der Siegerehrung überraschte somit höchstens noch in der Reihenfolge und wurde mit lautem Applaus begleitet. Auch wenn nicht alle damit einverstanden waren; so kritisierte einer der nicht siegreichen Teilnehmer seine Konkurrenz auf dem gedachten Treppchen damit, dass er sich an den Siegerbeitrag schon jetzt nicht mehr erinnern könne – was als Kriterium für eine schwache Leistung anzusehen sei – und der zweite Platz an jenen gegangen sei, der sich eben nur lustig dem Publikum angebiedert habe. Vielleicht der falsche Ansatz für einen sehr gelungenen und nach Fortsetzung schreienden Abend!
foto: flickr user todderick42
kasseler philosophy slam
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interview bei spiegel-online
Philosophy Slam! [Kassel, 17.10.2008]
Die nordhessische Provinz initiierte dieser Tage tatsächlich etwas, was zumindest auf bundesdeutschem Grund ein Novum darstellt. Weder die üblichen Verdächtigen in all solchen Fällen wie Berlin, Hamburg oder Köln, noch die wichtigen Universitätsstädte wie Heidelberg, Tübingen oder Marburg hatten bislang zu einem Philosophy Slam aufgerufen, einem Derivat der mittlerweile populären Poetry Slams, die sich in den 1980er Jahren in den USA entwickelten.
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