Honig [Treehouse]

"Die Sonne geht auf über dem Baumhaus und begrüßt den neuen Tag mit goldenen, warmen Strahlen und süßem Duft. Willkommen in der Welt von Honig!" So steht es auf der Rückseite der Platte und dieses Wort zum Geleit darf man getrost unterschreiben.


"and tonight i will take a ride on my brand new bike."
(brand new bike)


Es gibt diesen Augenblick im Leben, wenn man das Kindsein verliert. Das hat nicht zwangsläufig etwas mit Unschuld zu tun. Oder dramatischen Einschnitten. Es ist der Augenblick, wenn man die Gabe verliert mit seinen Spielsachen zu spielen. Wenn man in dem Baumhaus nicht mehr die Festung sehen kann, die es doch eigentlich bis gestern noch war. Wenn die Actionfigur nur noch das Plastik ist aus der sie besteht und man sie mit einer Berührung nicht mehr zum Leben erwecken kann. Wenn das eigene Bett nicht mehr in der Lage dazu ist, nachts zu anderen Planeten zu reisen und ein paar Stühle und eine Decke darüber nicht mehr die heimelige Höhle darstellen. Dass dies tatsächlich ein Verlust ist, bemerkt man meist nicht während man diesen Moment durchlebt, denn an seiner statt stellt sich das neue Interesse und die damit verbundenen Probleme der Pubertät und ähnlicher Gemeinheiten. Erst viel später bemerkt man, dass das erklingen einer geliebten Fersehmelodie jener Tage ein sentimental melancholisches Gefühlt heraufbeschwören kann. Wer das als infantil abschreibt, hat die Bedeutung nicht verstanden.

Stefan Honig und Jan Sedgwick, die eigentlich für Gesang und Klavier bei der Kölner Band Benevolent sorgen - bzw. sorgten, Jan ist dort gerade ausgestiegen -, greifen gemeinsam als Honig eben dieses Gefühl konzeptionell auf. Das Debüt mit dem bezeichnenden Titel "Treehouse" bietet eine Fülle an kindlichen Verweisen, Thematiken und Träumen. Wenn von Rittern und Cowboys die Rede ist, von Raumschiffen und Flugzeugen, von der Biene, die sich plötzlich gefährlich nahe an einen schmiegt, oder einfach nur von dem Bedürfnis in den Arm genommen zu werden, bevor man ins Bett geht. Die mit Wasserfarben nicht ganz sauber ausgemalten Zeichnungen im Booklet belegen diesen Ansatz zusätzlich.

Bei all dem kindlichen Charme bricht aber auch immer eine reflektiertere Ebene durch, den kindlichen Denkenshorizont bei weitem übersteigend, die sich in den vorsätzlich verspielten Texten von Honig zeigen. „I should stop trying to save anyone from a life they chose to live. It does depend on who you are and what you've been through where your mind is at.“ (One) Kinderlieder im Sinne von für Kinder komponiert sind die Stücke jedoch bei weitem nicht. Es geht aber auch nicht um ironische Brechung, sondern eine ganz ehrliche Auseinandersetzung mit eben jenen Themen. Musikalisch ist man hingegen durchaus erwachsen. Erwachsen verspielt vielleicht. Im Sufjan Stevens Sinne. Im Sinne von Postal Service, Architecture in Helsinki, Adem oder Tunng. Spätestens wenn im Opener In Full Makeup nach ein paar Minuten die Bläser einsetzen weiß man, dass sich einem gerade jetzt, in diesem Augenblick, eine wunderschöne, ganz bemerkenswerte Platte in all seiner Unaufdringlichkeit eröffnet. Wenn der Kinderchor plötzlich im Refrain von Brand New Bike einsetzt, ganz unerwartet, aber dann doch wieder nur verständlich. Oder wenn im Hintergrund immer wieder diese kleinen Details zu erahnen sind, die sich vor einem beim ersten, zweiten hören noch versteckt zu haben scheinen.

Die zehn Stücke auf „Treehouse“ - plus einem kurzen Interlud und einem nicht überflüssigen Remix - funktionieren sicherlich, wie derzeit live zu bewundern, auch in reduzierter Singer/Songwriter Manier nur mit dem verhaltenen, beinahe zärtlichen Gesang und begleitender Akustikgitarre. So lies sie Stefan Honig auch ursprünglich reifen, bis er auf Jan Sedgwick traf, welcher den Stücken eine andere Wendung bescherte und sie mit Chören, Bläsern, Streichern, Flöten, Klavier, Perkussion und vielem mehr opulent verfeinerte ohne sie zu überfüllen. Oder wie es bei ihnen selbst zu lesen ist, schien Jan in der Lage den Songs „neue Ideen zu geben, ihnen Mut zu machen sich von einer ganz neuen Seite kennen zu lernen. Einige entdeckten ihre romantische Ader, andere wurden sich auf einmal erst so richtig ihrer selbst bewusst. Sie bekamen immer mehr Farbe und einige fingen sogar an zu tanzen, obwohl sie sich das früher nie so recht getraut hatten. Wieder andere blieben ein wenig zurückhaltender und schauten sich das ganze Spektakel eher aus dem Hintergrund an.

Bemerkenswert ist hierbei außerdem, dass die Musiker den Mut aufbringen einigen Instrumenten ausdrucksstarke Soli zuzugestehen, welche zwar in der jüngsten Popgeschichte, jedoch bei weitem nicht in der allgemeinen Anerkennung genügend Aufmerksamkeit erhalten. So bietet Choke On Bees – einer kurzen, fantasievollen Anekdote über eine Biene, die langsam in den Mund und die Kehle krabbelt – ein gut ein-minütiges Querflötensolo. Paperbag hingegen glänzt mit einem Perkussion- und einem Streicherintermezzo, und in One erlaubt man es schließlich der klassisch quietschenden E-Gitarre sich anstandslos in den Vordergrund zu spielen, ohne dass einem dabei „Rock“ in den Sinn käme. Das ganze wirkt so überzeugend, so gelungen und gelassen, dass man es sich nicht besser hätte wünschen können. So ist „Treehouse“ am Ende wie die zärtliche Umarmung bevor man schlafen geht, die sich Honig in Breakfast Cereals selbst wünschen. Bitte, bitte kaufen!
foto: honigsongs.de



honig
"treehouse"
babsies diktatur 2008 cd
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benevolent