Sprechstation Verlag

The points are not the point; The point is poetry.
Der viel zitierte Ausspruch des Slampoeten Allan Wolf weist auch den Weg des Sprechstation Verlages, der sich seit 2003 mit Künstlern aus der Poetry Slam- und Spoken Word-Szene befasst.



"und das plakat ist wie ein spiegel deiner selbst; zerrissen und kaputt und die reste treibt der wind."
(menschliche fackel)


Poetry Slams haben eine lange Geschichte, die man ihnen heute, wenn sie im Privatfernsehen oder als VHS Workshop daherkommen vielleicht nicht mehr ansieht. Zurück bis zur performativen und subversiven Kraft der Beat Generation in den 50er und 60er Jahre der USA – man denke etwa an Allen Ginsbergs Lesung seines brachialen Gedichtes "Howl" - bis schließlich zum Entstehungsmythos und Marc Smith, dem Slampapi, im Chicago der 80er Jahre, geht die Spoken Word Bewegung, bis sie in den frühen 90er Jahren auch in Deutschland angelangte. Smith, der als Schöpfer dessen, was wir heute als Poetry Slam kennen, gilt, war ein begeisterter Besucher von sowohl Jazzkonzerten als auch Lieteraturlesungen und bemängelte an letzteren das Ausbleiben der Spontaneität, Kreativität, Improvisation und Begeisterung ersterer. Durch das Aufstellen von Regeln, die bis heute Gültigkeit haben, gelang es ihm Open Mike Darbietungen mit eben jenen Mitteln zu würzen, die aus der verstaubten Tisch-und-Wasserglas-Borniertheit einen dynamischen, unvorhersagbaren, interagierenden Showcharakter heraus kitzelten. „My first rule was never allow a poet to overstay his or her welcome. I encouraged the audience to boo, hiss, groan and snap them off the stage“, lässt sich Smith zitieren. Das Publikum als Jury einzusetzen ist neben einem strikten Zeitlimit, der eignen Urheberschaft des dargebotenen Textes und der „No-Props-Regel“, die es dem Slammer untersagt Requisiten einzubinden, der formale Eckstein, derden Poetry Slam sowohl reglementiert als auch definiert. Die allein formale Beschränkung erlaubt eine immense Stilvielfalt, die von klassischen Stabreim-Gedichten, über rhythmischem Rap bis zum interagierenden Freestyle reicht und dem Slampoeten inhaltlich prinzipiell eben soviel Freiheiten zugesteht.

In der „sozialen wie kulturellen Gefriertruhe (Martin Büsser) Deutschland der 90er Jahre, entwickelte sich eine eigenständige literarische Bewegung, die in ihrer Heterogenität an die amerikanische Beat Generation erinnerte und gleichsam von dieser geprägt war: Social Beat. Das Anliegen war es, den akademischen Literaturbetrieb und dessen angeprangerte konservative Unbeweglichkeit aufzubrechen, nicht zuletzt mittels sozialkritischer Texte, die sich inhaltlich am Rand der Gesellschaft ansiedelten. Wenige Jahre später ging das Netzwerk Social Beat im emporkommenden Poetry Slam auf, der sich bis heute in den Städten des Landes etabliert hat und sogar als aufgepeppte Lyrikvariante im Schulunterricht der Mittelstufe Einzug gehalten hat.

Der 2003 gegründete Konstanzer Sprechstation Verlag, heute geleitet von Charlotte Rieber und Thomas Geyer, veröffentlicht unter anderem audiovisuelle Publikationen dessen, was an kreativem Potential bei Slammern und Spoken Word Poeten im deutschsprachigen Raum hervor sticht. Mit einer sehr gelungenen Dokumentation des German International Poetry Slams 2003 mit dem Titel "Poesie Auf Zeit" als DVD, nahm der kleine Verlag seine Arbeit auf. Die Auswahl der vertretenen Künstler auf den folgenden CD Veröffentlichungen - Bas Böttcher, Toby Hoffmann, Etta Streicher, Gabriel Vetter und Jaromir Konecny seien hier exemplarisch genannt – besticht nicht nur durch stets schön gestaltete Cover und Innovationen in rezeptionsästhetischer Hinsicht, sondern kann auch als zeitnaher Beleg dafür angesehen werden, dass Popliteratur nicht immer blasierte Attitüde und das unbedingte heraufbeschwören von generationsdefinierenden Kollektiverlebnissen sein muss. Sowohl im geschickten sprachlichen Erfindungsreichtum von Etta Streicher und Toby Hoffmann, als auch im gelungenen Verbinden von Musik und Lesung bei den Beatpoeten, zeichnen sich die jüngsten Sprechstation Veröffentlichungen durch eine anspruchsvolle Auswahl aus. Inhaltlich weiß man ebenfalls einen Kontrast zum comedyesken Literaturklamauk und seiner Beliebigkeit zu setzen, der das Format Poetry Slam bei oberflächlicher Behandlung recht schnell auf seine amphitheaterhafte Showattitüde reduzieren kann.

Als einige terminliche Schwierigkeiten überwunden waren, konnte ich ein ausführliches Gespräch mit Charlotte Rieber über den Stand der Dinge in Sachen Poetry Slam und Spoken Word führen.

Du betreibst den 2003 gegründeten Sprechstation Verlag gemeinsam mit Thomas Geyer. Ihr kommt beide aus dem akademischen Betrieb - Thomas als Soziologe, du als Literatur- und Medienwissenschaftlerin -, eben jenen vermeintlich festgefahrenen Mechanismen, von denen sich sowohl Slam Poetry als auch seine Vorgänger zunächst zu distanzieren versuchten. Betrachtet man dies, scheint es eine recht seltsame Konstellation zu sein.
"Gar nicht seltsam! Man könnte sagen, dass mit der Idee zum Poetry Slam der Versuch einher geht, eine literarische Welt abseits des elitären Literaturbetriebs zu etablieren, was auch halbwegs gelingt. Unabhängig davon erlebt das Veranstaltungsformat in Deutschland gerade einen großen Boom und wird mit steigendem Bekanntheitsgrad zunehmend auch von wissenschaflicher Seite rezipiert. Und dagegen konnte sich über kurz oder lang noch keine künstlerische Form wehren. Die Wissenschaft würde ich auch nicht als Mechanismus bezeichnen, eher als Werkzeug der Beobachtung. Und dazu kommen wir nicht über die Uni zum Slam. 2002 haben wir angefangen, Poetry Slams und Lese-Shows in Konstanz zu veranstalten. Und 2004 den Verlag gegründet."

Inwiefern spielen in der gegenwärtigen Poetry Slam Szene noch Wurzeln wie die Beat Generation der 1950er in den USA oder Social Beat der 1990er Jahre in Deutschland ein Rolle? Dass zumindest erstere in Einzelfällen noch im Bewusstsein sind, lässt sich aus Verweisen schließen, wie etwa der Ginsberg Homage "Allen Ginsberg Is Dead" von Toby Hoffmann oder der Nachempfindung des Covers der 1991 erschienen Ausgabe von Jack Kerouacs "On The Road" bei der aktuellen CD Veröffentlichung der Beatpoeten aus Eurem Hause.
"Das hängt sehr vom jeweiligen Autor ab. Poeten wie Toby Hoffmann oder Egge von den Beatpoeten stellen sich bewusst in diese Tradition und orientieren sich in ihrem Schreiben ganz klar an Beat-Autoren . Aber im Slam treffen so viele Einflüsse, Textformen und Vortragsstile zusammen, da ist der Beat nur eine von vielen literarischen Strömungen, die aufgegriffen werden. Die Slam-Szene zeichnet sich meiner Meinung nach vor allem dadurch aus, dass in ihr so viele verschiedene literarische Traditionen zusammenkommen und vermischt werden - total postmodern eben..."

Poetry Slam hat sich gerade in den letzten Jahren an vielen Stellen in den Alltag eingeschlichen oder - je nach Sichtweise - beispiellos vom Mainstream verwässern lassen. Inwiefern nehmen TV Sendungen wie "Slam Tour mit Sarah Kuttner" oder ähnliche massenmedialen Formate Einfluss auf Form und Inhalt des Poetry Slams dieser Tage und inwiefern ist dies begrüßenswert oder bedenklich?
"Da bin ich zwiegespalten. Ich selbst bin kein Freund von Slam im Fernsehen. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass ich generell kein Freund vom Fernsehen bin. Letztendlich ist es mir egal. Klar dass ein weltweit funktionierendes, neuartiges Veranstaltungsformat auch von der Welt des Mainstream adaptiert wird, das hat aber in meiner Wahrnehmung keinen Einfluss auf die sonstige Slam-Veranstaltungswelt. Eher wird damit ein Slam-fernes Publikum an die Sache herangeführt, was nicht verkehrt sein muss und Projekten wie unserem Verlag nur dienlich ist. Die Szene im deutschsprachigen Raum ist nach wie vor recht übersichtlich, die Veranstalter von Slams sind in der Regel Privatleute mit viel Begeisterung für die Sache. Mein persönliches Horrorszenarium wäre ein Massen-Event-Slam in Berlins neuer O2-Arena, aber sowas schreckliches wird es bestimmt nie geben. Ich finde die Fernsehshows bestätigen: Slam ist mal besser mal schlechter, hat Ecken und Kanten, ist en gros nicht massentauglich und erscheint in der glatten Welt der Kai Pflaumes und Johannes B. Kerners fehl am Platz."

Was hätte man deiner Meinung nach wann anders machen sollen?
"Das Fernsehformat hätte vielleicht mehr Charme gehabt, wenn man in die Planung Szenekenner mit einbezogen hätte. In der WDR-Show stellt Jörg Tadeusz komische Fragen, die den Eindruck erwecken, dass er zum einen keine Ahnung von der Szene hat und sich auch nicht für die Leute interessiert. Und dann wird mit abartigen Schnitten und Kameraeinstellungen versucht, den Text noch visuell zu unterfüttern. Da entsteht aber leicht der Eindruck, dass man die vermeintlich mangelnde Qualität der Texte durch beeindruckende Kameratricks aufzuwerten trachtet. Kuttners Konzept geht wesentlich besser auf, da sie vor allem als Slam-Besucherin in Erscheinung tritt und tatsächliche Veranstaltungsorte aufsucht, also dahin geht wo Slam 'for real' stattfindet und funktioniert. Aber eine Slam-Show im Stil von Nightwash, moderiert von Markim Pause, das wäre sicher schön. Wobei das letztendlich auch keiner braucht, weil wer einen guten Slam sehen will, geht am besten einfach hin."

Ab wann könnte diese Entwicklung bedenklich werden?
"Eine Crew wie 'Drei glorreiche Hallunken', mittelmäßige Slammer die von einem großen Label gehyped werden, das finde ich – bedenkenswert? – naja, vor allem total unnötig."

Die Offenheit der gewählten Inhalte und der darstellerischen Methoden auf der einen Seite, und die Abhängigkeit des Erfolges vom Publikum auf der anderen Seite, werden von verschiedenen Beobachtern als zwei Seiten einer Medaille im Bezug auf Poetry Slams betrachtet: Größtmögliche Freiheit vs. inhaltlicher Manierismus. Inwiefern kann ein solches Format die subversive Sprengkraft der dargebotenen Literatur untergraben, im schlimmsten Falle sogar auflösen? Und: Inwiefern würde das überhaupt als Problem wahrgenommen, wird eine Gegenbewegung zum unbeweglichen Establishment überhaupt als notwendig erachtet?
"Der Erfolg beim Publikum spielt wohl doch eher nur eine kleine Rolle. Wie gesagt, die Szene ist immernoch übersichtlich, die Poeten freuen sich in der Regel bei Slams die Kollegen zu treffen, der Preis ist mit wenigen Ausnahmen ein symbolischer, eine Flasche Alkohol, Bücher oder CDs. Im Wesentlichen geht es beim Slam darum, Menschen zu ermöglichen kurze, selbstgeschriebene Texte einem Publikum zu präsentieren. Den Wettkampf nehme ich nur als den spielerischen Rahmen für diesen Kerngedanken wahr. Und die meiste Slampoetry zielt auch nicht unbedingt darauf ab, subversiv zu sprengen, sondern in irgend einer Weise als eine gute Show zu unterhalten ohne borniert zu sein."

Franz Dobler behauptet in einer Bemerkung: "Es gibt viel Literatur, die eigentlich nur live existieren will -- was ja auch okay ist. Aber was auf der Bühne fetzt und die Leute begeistert, weil jemand es intensiv bringt, so wie bei einer Band, das muss im Buch nicht unbedingt funktionieren." Disqualifiziert dieses Live-Argument auch Eure Verlagsarbeit, wenngleich ihr keine Bücher sondern CDs, bzw. DVDs veröffentlicht? Was hältst du dagagen?
"Genau darin liegt unser Ansatz: Live-Literatur die fetzt medial vermittelbar zu machen. Schon bei den ersten Slams, die ich gesehen habe, wollte ich am liebsten ein paar der Texte mit nach Hause nehmen. Als dann immer mehr Buch-Anthologien herauskamen, hat mir das nicht gereicht, weil ich eben auch überzeugt bin, der bloße Abdruck gibt häufig nur den Bruchteil eines Slam-Textes wieder. Von der live erlebten Poetry bleibt da oft beinahe nichts mehr übrig. Aus solchen Erfahrungen entstand die gemeinsame Idee einen eigenen Verlag zu gründen, mit dem Ziel Produkte zu schaffen, die einer von der Schriftlichkeit losgelösten literarischen Form gerecht werden. Mit unserer ersten Veröffentlichung, der DVD 'Poesie auf Zeit' haben wir einen Versuch unternommen, Slam audiovisuell einzufangen und auch im Wohnzimmer erlebbar zu machen. Vom Ergebnis waren wir nur mäßig überzeugt. Aus vielen Gründen haben wir danach nur noch CDs gemacht. Und auch wenn das Medium CD offensichtlich ausstirbt, denke ich, das Audioformat ist im Moment die beste und praktikabelste Lösung um grandiose Live-Literatur abseits der Bühne zu vermitteln, zu reproduzieren und damit nicht zuletzt auch zu archivieren."
foto: sprechstation


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