Sidney Lumet [Tödliche Entscheidung]

“May you be in heaven for half an hour before the devil knows you’re dead.”
Sidney Lumet entfacht in der jüngsten Inszenierung seines über 50 Filme umfassenden Opus ein so turbulentes wie blutiges Spiel mit dem Teufel.


"der teufel hat die welt verlassen, weil er weiß,
die menschen machen selbst die höll' einander heiß.
"
(friedrich rückert, die weisheit des brahmanen, XVI-III, 21)


Mit "Tödliche Entscheidung" haben es sich die deutschen Übersetzer einmal mehr zum Hobby gemacht, eine gänzlich adäquate Bezeichnung ("Before The Devil Knows You’re Dead") in einen nichtssagenden Filmtitel umzuwandeln – doch glücklicherweise tut das der Qualität des Films keinen Abbruch an.

Im besten Tarantino-Stil beleuchtet die Geschichte des 1924 geborenen Regie- Altmeisters Sidney Lumet die Vor- und Nachwirkungen eines fehlgeschlagenen Verbrechens, deren Protagonisten durch die Brüder, Andy und Hank Hanson respektive Philipp Seymour Hoffmann und Ethan Hawke, sowie deren Vater Charles Hanson (Albert Finney) verkörpert werden. Andy Hanson hat einen gut bezahlten Job als Immobilienmakler, jedoch befindet er sich in einer Krise mit seiner Frau Gina (Marisa Tomey), die sich durch seine Vernachlässigung weder geliebt noch begehrenswert fühlt. Aufgrund von Depressionen ist Andy Heroin- und kokainabhängig. Zu allem Überfluss hat er auch noch Firmengelder veruntreut, und das Finanzamt ist im Begriff, ihm auf den Pelz zu rücken. Sein Bruder Hank hingegen hat andere Probleme: Er kommt mit den Alimentszahlungen für seine Tochter nicht hinterher, zudem wird er von allen Beteiligten als Versager betrachtet. Die Brüder beschließen, ihre finanziellen Probleme zu beseitigen, indem sie den Juwelierladen ihrer Eltern ausrauben wollen – mit erheblichen Konsequenzen.

"Before The Devil Knows You´re Dead", um den wunderbaren Titel des Originals zu verwenden, beleuchtet in schockierender Manier das Böse, welches im Menschen steckt. Die intelligent herausgearbeiteten Charaktere sehen sich, jeder auf seine Art und Weise, mit Entscheidungen konfrontiert, die ihr Gewissen auf eine harte Probe stellen, sei es nun Betrug, Verrat oder die Verletzung mehrerer christlicher Gebote. In diesem Sinne schafft der Film interessante Kontraste. Einerseits durch den zerbrechlichen Hank, der im Grunde genommen lediglich ein gutes Verhältnis zu seiner Tochter schaffen möchte, sich aber durchaus der Tatsache bewusst ist, dass selbst die ihn als Verlierer ansieht. Andererseits durch seinen Bruder Andy, der, oberflächlich betrachtet, das genaue Gegenteil von ihm darstellt: erfolgreich, selbstbewusst und unantastbar. Im Verlauf des Films wird jedoch deutlich, dass auch Andy erhebliche Selbstzweifel hat und droht, an diesen zu zerbrechen.

Die schauspielerischen Leistungen sind gleich auf dreierlei Weise gut. Erstens ist die Besetzung exzellent gewählt – Marisa Tomey als die schöne, aber frustriere Ehefrau, Ethan Hawke als abgebrannter Verlier, Philipp Seymour Hoffmann erfolgreicher Geschäftsmann, der in einen Strudel von Betrug und Lüge gerät. Zweitens bleiben die Charaktere stets in ihrer Rolle, wirken jedoch zu keinem Zeitpunkt stereotypisch oder gar oberflächlich. Drittens schaffen es die Darsteller, im Verlauf der Geschichte eine eigene Entwicklung zu durchlaufen, ohne aus der Rolle zu fallen.

Zu guter Letzt muss auch noch Erzählstil hervorgehoben werden. Die Handlungsstränge sind sinnvoll miteinander verknüpft, die Entscheidungen der jeweiligen Protagonisten bestimmen den weiteren Verlauf der Geschichte, was insbesondere dadurch an Wert gewinnt, dass diese aus den Augen dreier vollkommen verschiedener Menschen, namentlich Andy, Hank und Charles Hanson dargestellt werden. Nach und nach werden dem Zuschauer immer mehr Häppchen an Informationen serviert, bis die einzelnen Handlungsstränge in einem grandiosen Finale zusammenlaufen.

"Before The Devil Knows You’re Dead" ist ein clever erzähltes, action-reiches Familiendrama. Hervorragend wird das Thema des Bösen im Menschen dargestellt und die seelischen Abgründe der Charaktere exploriert. Letzten Endes hat sich jeder, wenn auch unterschiedlich motiviert, die Finger schmutzig gemacht. Philipp Seymour Hoffmann brilliert einmal mehr, und auch der Rest der Besetzung liefert eine überzeugende Darbietung ab. Das Prunkstück des Films ist jedoch die Art und Weise, in der er erzählt wird – da dies im Kontext dieses Artikels nur bedingt dargestellt werden konnte, möchte ich ihnen raten, sich eine eigenes Bild zu machen.
foto:


sidney lumet
"tödliche entscheidung"
(before the devil knows you're dead)
2007