Hjaltalín [Sleepdrunk Seasons]

Popmusik wird nicht dafür gemacht, dass man sich daran stößt. Was aber, wenn trotz großer Sympathie für neun umjubelte Isländer, des Aufgebots eines halben Kammerorchesters und einer Mischung aus Unbeschwertheit und Melancholie das Gefühl bleibt, dass irgendetwas fehlt?


"all the king's men and all the king's horses couldn't help you find your way
why are you chasing a lie when you know you should be choosing faith
you spend all you time checking if you have new messages on myspace.
"
(traffic music)


Mit dem Kennenlernen von Musik verhält es sich wie mit dem Kennenlernen von Menschen. Manchmal tut man sich schwer mit dem Warmwerden, braucht mehrere Anläufe, kann aber erahnen, dass da etwas Großes wartet, wenn man nur die nötige Geduld aufbringt. Und probiert es so lange immer wieder, bis der Knoten platzt und man nicht mehr genug kriegen kann. Genauso funkt es manchmal sofort. Es reicht, das Album einzulegen und auf Anhieb, ohne Anlaufzeit, ist man mittendrin in dieser Geschichte. Manchmal allerdings geht es auch zu schnell. Wie gerne würde man es mehr mögen, aber völlig unerwartet stellt sich die Erkenntnis ein, dass die Zuneigung nicht mehr tiefer gehen kann, dass da nichts mehr kommen, dass es bei sporadischen Begegnungen bleiben wird.

"Sleepdrunk Seasons", das Debutalbum von Hjaltalín, ist so ein Fall, obwohl die neun Isländer eigentlich alles richtig gemacht haben.

Da hat sich eine dieser wundersamen Formationen gebildet, die einen Blick über den üblichen Gitarre-Schlagzeug-Bass-Tellerrand werfen und stattdessen die Bühne mit Cello, Kontrabass, Trompete, Tuba und (es geht noch weiter) Posaune, Waldhorn und Fagott bevölkern. Von den Herren Hemm Hemm und Tynes von múm produziert, ist das Ergebnis eine Platte, die sich in ihrer Andersartigkeit scheinbar schwer vergleichen lässt. Neben Högni Eglissons warm-rauchiger Stimme und überirdischen Hintergrundchören erzählt auch die opulente Instrumentierung Geschichten; befindet man sich zeitweise in einem unbeschwerten Strudel aus ausgelassenem Klavier, vorwitzigen Bläsern und jubelndem Fagott – ganz so als würden sämtliche Freunde an einer langen Tafel durcheinanderreden - bleiben bei all dem Überschwang die schwarzen Tasten auf der Klaviatur nicht ungenutzt.

Goodbye July/margt að ugga zum Beispiel, das vielleicht auf Anhieb eingängigste Lied des Albums, steckt sofort an mit seiner ungezügelten Lebensfreude; treibende Bläser, tänzelnde Streicher und Eglissons lautmalerischer Gesang stacheln dazu an, sich immer wieder, immer wilder, immer schneller um die eigene Achse zu drehen. Bis irgendwann der Schwindel und das Bewusstsein da ist, dass sich der Sommer bereits auf der Zielgeraden befindet und die Zeit des Abschieds mitsamt seinem schwermütigen Ausklang gekommen ist. Und auf einmal ist man mittendrin in der tiefsten Melancholie und im nächsten Stück, Kveldúlfur, das mit seinen schweren Bläsern gewittrige Gebirgslandschaften malt; ein wenig erinnert es an Sibelius' Finlandia und kommt dabei, wie weite Strecken des Albums, ohne Text aus. Doch genauso schnell wie das Gewitter in den Bergen aufzieht, ist es auch hier wieder verschwunden und Hjaltalín üben sich in Debussys spielerischer Leichtigkeit. Die vorherrschende spielerische Leichtigkeit der Instrumentierung mag darüber hinwegtäuschen, dass die Isländer nicht ganz so harmlos sind wie sie manchmal tun und durchaus in der Lage sind, auch kritische Töne anzuschlagen – auch wenn diese einen so zart umspielen, dass sie doch letztlich Beiwerk bleiben. The Trees Don't Like the Smoke ist so ein Beispiel dafür: „the birds and the bees and the flowers and the trees, they're always looking / the trees don't like the smoke, the trees don't like to choke [...] put that cigarette out for the trees“. Oder Traffic Music, das dazu aufruft, sich von äußeren Einflüssen freizumachen und so zum eigenen Weg zurückzufinden - „all of the junk you're eating will slowly fill your fragile heart so go from the start and rewind to the part when you first knew what you had to say“.

Genau diese Mischung aus leichtfüßigem Pop und klassischer Musikausbildung, aus Melancholie und Heiterkeit ist es wohl, die verantwortlich für die Purzelbäume ist, die da gerade rund um die neue Hoffnung aus Island geschlagen werden. Nominierungen in fünf Kategorien bei den Icelandic Music Awards, Preise in den Kategorien „Best Songwriter“ und „Brightest Hope“ und eine weitere Nominierung für The Trees Don't Like the Smoke bei den Time for Peace Music and Film Awards; überschwänglich in sämtlichen Musik-Foren beklatscht und in Deutschland von den Schatzsuchern von Haldern Pop Recordings geborgen. Eine sympathische Truppe ist das, eine bunt zusammengewürfelte Combo, der man abnimmt, das ihnen am Herzen liegt, was sie da tun und das auch noch mit dieser Mühelosigkeit, die gute Popmusik ausmacht.

Und doch bleibt am Ende das Gefühl, dass irgendetwas fehlt und man weiß gar nicht so genau, was das sein könnte. So wie das eben ist, mit manchen Menschen, bei denen man traurig darüber ist, dass es trotz Grundsympathie nicht funktioniert, obwohl man sich bemüht. Und vielleicht, denkt man sich manchmal, ist da zuviel richtig gemacht worden, fehlen die Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen kann. Die dann blaue Flecken hinterlassen würden. Und eine bleibende Erinnerung.

foto:


hjaltalín
"sleepdrunk seassons"
haldern pop recordings, 2009 cd
hjaltalín