The Good Life

Er möchte sich kreativ und emotional ausleben, zugleich macht er damit andere Menschen glücklich. Ein Gespräch mit Tim Kasher über das neue Album von The Good Life und über Musik als Lebensinhalt.



"what i really always wanted to do, was to become a writer."
(tim kasher)


Wie kaum ein anderer verkörpert Tim Kasher das Prinzip von Saddle Creek. Aufgewachsen in Omaha war er von Anfang an Teil des Labels und stellt mit darauf erscheinenden Veröffentlichungen seiner Bands The Good Life und Cursive unter Beweis, wie groß sein kreativer Output ist. Dieser wurde im Februar auch in Deutschland auf die Bühne getragen, Anlass war die Veröffentlichung von The Album Of The Year, dem kleinen Meisterwerk von The Good Life. Im Gespräch macht Tim deutlich, welche Bedeutung Musik für ihn hat und warum ihm die Neubesetzung des Wortes Emo so sehr missfällt.

Euer neues Album liegt dem tendenziell eher statischen Konzept eines Zyklus zu Grunde. Hattest Du dieses Konzept von Beginn an im Kopf?
"Ich hatte schon vor ein paar Jahren die Idee, ein Album zu schreiben, das sich inhaltlich in dem Zyklus von einem Jahr bewegt, aber es ergab sich nie die Gelegenheit, sie umzusetzen. Als ich dann die ersten Songs für das neue Album schrieb, spürte ich, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, dieses Konzept auszuprobieren."

Der Name “Album Of The Year” impliziert eine gewisse Selbstsicherheit, andererseits klingen die Songs teilweise sehr melancholisch und fragil. Wie gelang es, die Balance zwischen diesen beiden Polen zu halten?
"Uns war von Anfang an klar, dass viele den Titel missverstehen würden. Mich amüsiert irgendwie, dass die Leute so eine wahnsinnig eigenständige Interpretation von unserem Schaffen haben. Aber der Name gibt einfach sehr gut den Charakter des Albums wieder. Es ging mir ja darum, ein Album für diese Frau zu schreiben to fulfill the story."

Das Album klingt teilweise sehr britisch.
"Ja, ich bin mit sehr viel English Pop aufgewachsen, habe viel von den Smiths, The Cure, The Specials und so gehört, der ganze 80er-Jahre-Kram eben. Das hat sich auf jeden Fall in diesem Album niedergeschlagen, auch wenn ich ja ursprünglich eher aus der Songwriterecke komme, Tom Waits und Elvis Costello haben mich besonders inspiriert. Was mich als nächstes gepackt hat waren Fugazi. Die Rhythmen und die Aggressivität sind phantastisch, besonders der Cursive-Sound ist stark davon beeinflusst."

The Good Life und Cursive haben jeweils einen eigenen sehr charakteristischen Sound. Hängt das stärker mit deinem Songwriting oder den Aufnahmen im Studio zusammen, wenn die übrigen Bandmitglieder in den Entwicklungsprozess eingebunden sind?
"Grundsätzlich gehe ich unterschiedlich an den Kompositionsprozess heran, denn meistens bin ich mir vorher schon im Klaren, ob ich den Song dann mit Cursive oder The Good Life umsetzen möchte. Aber natürlich haben die anderen im Studio auch mitzureden. Bei den Texten ist das weniger der Fall. Ich begreife mich als eigenständigen Autor, unabhängig von dem Projekt an dem ich arbeite. Es sind in jeder Band immer noch meine Lyrics, aber sie sind selbstverständlich auf die Musik abgestimmt, weshalb es letzten Endes auch Unterschiede gibt."

Du bist gleichzeitig Frontmann von The Good Life und Cursive, kommt es da öfters zu Reibungen?
"Natürlich, aber bis jetzt habe ich das recht gut hinbekommen. Es sind schließlich viele Leute in beiden Bands involviert, die gleichzeitig auch noch mit manch anderen Projekten beschäftigt sind, da liegt das in der Natur der Sache. Aber bis jetzt sind wir alle mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Die meisten von uns kennen sich ja fast schon aus dem Sandkasten. Wir sind also recht gut aufeinander abgestimmt und wissen miteinander umzugehen. Wir haben schon als Teenager gemeinsam in verschiedenen Bands gespielt. Was wir damals aufgebaut haben führen wir auch fort, was ja typisch für viele lokale Szenen in den USA ist. Natürlich gibt es auch gewisse Wechsel, manche steigen aus, andere Musiker stoßen dazu, wir leben in einem Zustand der Veränderung. Trotzdem ist noch vieles wie früher."

Saddle Creek hat ja derzeit einen sehr großen Erfolg. Wie stark ist da noch der Bezug der lokalen Szene zum Label?
"Saddle Creek ist einfach Teil des Ganzen. Als wir mit dem Label angefangen haben, ging es uns einfach darum, unsere Musik veröffentlichen zu können. Heute arbeitet Saddle Creek immer noch als Kollektiv, soweit das technisch noch funktioniert. Wenn schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden, versuchen wir, möglichst viele der involvierten Personen zu beteiligen. Der große kommerzielle Erfolg im Moment ist da wie ein Erdbeben. Die Verantwortungen bleiben alle quasi in der Familie und das ist eine große Herausforderung. Besonders die Bright Eyes Veröffentlichungen machen mir fast schon Angst, weil das einfach eine so große Sache geworden ist, und weil sie einen unglaublichen Einfluss auf die gesamte Musikszene in den USA und auch weltweit haben. Saddle Creek ist an seine Grenzen gelangt, größer kann es eigentlich nicht mehr werden. Es gibt auch Veränderungen, weil wir alle älter werden, aber das ist ja keine schlechte Sache. Und vor allem kann Saddle Creek in den nächsten Jahren in sicheren finanziellen Verhältnissen weitermachen, was ein sehr beruhigendes Gefühl ist."

Du hast einen riesigen Output, spürst Du da manchmal Momente der Leere?
"Selten. Ich mache seit ca. 16 Jahren Musik, und durch die Veränderungen in der Zeit habe ich auch ein anderes Verhältnis zur Musik gewonnen. Sie ist ein noch natürlicherer Bestandteil meines Lebens als früher. Was mich im Allgemeinen sehr stört ist die Industrialisierung von Musik, weil vieles nicht ernst genommen wird und viele nicht wirklich an die Musik glauben die sie produzieren und veröffentlichen. Stattdessen wird versucht, die Fans auszuquetschen und möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen. Das ist so unglaublich gefühllos. Darum geht es mir nicht, ich möchte mich kreativ und emotional ausleben und den Menschen einfach eine gute Zeit bereiten. Und es ist großartig, wie sich Jugendliche davon inspirieren lassen selber Musik zu machen und sich am Songwriting ausprobieren. Es ist schade, dass dieses Wort Emo neu besetzt und jetzt dabei ein negativer Unterton mitschwingt. Es schreckt davon ab, Musik zu schreiben, die auf Gefühlen basiert und von Bestand sein kann. Emotion wurde zu einem bösen Wort, it’s like a world scared of drama. Es ist absurd."

Hast Du jemals darüber nachgedacht, das professionelle Musikmachen aufzugeben?
"Als ich mit Musik angefangen habe war ich überrascht, was für tolle Reaktionen ich bei meinen Auftritten bekam, because what i really always wanted to do was to become a writer. Von dem Moment an spürte ich, dass ich dieses Musikding durchziehen möchte. Meine wildesten Träume waren damals, Erfolg zu haben und mein Leben mit Musik zu verbringen. Eigentlich ist es ja eine sehr seltsame Sache, vom eigenen Künstlertum zu leben. An genau diesem Punkt bin ich angelangt und ich könnte mir nichts Großartigeres vorstellen. Aber ich bin mir bewusst, dass auch eine große Portion Glück dazugehört. Deshalb habe ich noch keine Sekunde an den Gedanken verschwendet, einen Großteil meiner Zeit einer anderen Sache zu widmen."
foto: simon traut

the good life
cursive

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Casiotone For The Painfully Alone [Twinkle Echo]

Wundersam klaustrophobische Melancholie.
Owen Ashworth schildert die alltägliche Verzweiflung an den kleinen Dingen des Lebens auf so liebevoll ergreifende Weise, dass man nicht umher kann, ihn ins Herz zu schließen.



"i wish we could kiss the same as before, but i don't have it anymore."
(it wasn't the same somehow)


Casiotone For The Painfully Alone macht es dem Hörer nicht unbedingt leicht, den Namen im Gedächtnis zu behalten, wenn man das nächste Mal in den Plattenladen seines Vertrauens einkehrt, um nachzuschauen, ob eine Veröffentlichung eben dieses jungen Herren zu erhalten ist. Aber das ist belanglos. Eigentlich müsste Owen Ashworth, der Sechsundzwanzigjährige hinter CTFTPA, Indie-Rock machen. Ganz klar. Da ist diese erschütternd verliebte Melancholie in den Songs auf seiner dritten Veröffentlichung zu spüren, die, während man auf dem Fußboden sitzt und ihnen lauscht, ein bisschen Leben über einem zusammenbrechen lassen.

Die Texte erzählen allesamt von kurzen Einblicken in die alltäglichen Tragödien junger Menschen. Unweigerlich möchte man an Rivers Cuomo, Mark Everett oder ähnlich bittersüße Gestalten denken, die in unser aller Leben ihren hoffnungsvoll schwermütigen Raum gefunden haben, aber Ashworth macht doch etwas ganz anderes. Seine Songs sind allesamt auf billigen, batteriebetriebenen Keyboards eingespielt, welche zu beabsichtigen scheinen, LoFi ganz neu buchstabieren zu wollen. Die immer wieder neuen Drumpattern, welche die kurzen Stücke vorantreiben, klingen allesamt sehr noisy und vielleicht sogar wenig kalkuliert, aber dennoch ist man, wenn man Glück hat, schon beim ersten hören so in Ashworths herzzerbrechenden Barriton verliebt, dass man nicht umher kann, die Zwei-Minuten-Charakter-Studien über das Leben in seinen kleinsten und so ehrlichen Details zu lieben, und immer und immer wieder hören zu müssen. Kleine, zarte Flötenmelodien harmonieren mit übersteuerten Keyboardakkorden, und man beginnt sich zu wünschen mehr über die Menschen zu erfahren, deren zufällige Bekanntschaft wir in den Songs machen.

Die vierzehn zerbrechlichen Stücke auf "Twinkle Echo" scheinen durch ihre Texte zu leben, konzentrieren sich auf diese kleinen Begebenheiten, auf das Mark, dass einem zu Gute geführt wird, und lassen die Musik Nebensache werden. Sie halten sich nicht mit großen Melodien oder gar instrumentellen Teilen auf (bis auf das letzte, den absurden Titelsong des Albums). Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb man sich wünscht, diese klaustrophobisch kurzen Fragmente, nicht so schnell verlassen zu müssen, viel lieber einen Augenblick mit dem wie durch Zufall begegneten Protagonisten des Stückes verweilen möchte, ihn in den Arm nehmen, und sagen, dass alles gut werden wird. Aber dazu lässt Ashworth keine Zeit. Ohne Umschweife richtet man seinen Blick auf einen anderen Ort, eine weitere Situation, und fokussiert einen anderen Menschen, der in seiner kleinen Welt so verloren traurig wirkt; auf die Cellistin Edith Wong, die vor ihrem Leben in Kinofilme flieht, aber beim Abspann bereits wieder allein ist. Oder auf Eleanor, die verlassen wurde, und nach dem Grund zu suchen scheint, und sich völlig in dieser Suche verliert, ohne zu bemerken, dass da doch noch jemand ist, der auf sie acht gibt. Diesen Mensch mit dem man zu Schulzeiten immer Urlaub in Phoenix machte, heute aber kaum noch trifft, und auf Toby, den Weltrekord Gewinner und größten Smith Fan, der sich heute nicht mehr aus dem Haus wagt. Nicht ohne Grund erscheinen die Inhalte wie fragile Kurzfilme, war Owen Ashworth doch, bevor er '97 mit der Musik anfing, an einer Filmhochschule, die er vor dem Abschluss noch abbrach.
foto: debra a. zeller



casiotone for the painfully alone
"twinkle echo"
tomlab 2003 cd
casiotone for the painfully alone

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Michael Schorr [Schultze Gets The Blues]

German Wurstfest: Ten Days Salute To Sausage!
Die lakonische Odyssee eines anhaltinischen Frührentners auf der Suche nach sich selbst, lässt Tradition und Freiheitstrieb in authentisch intimen Bilden aufeinander treffen.


"kein schöner land in dieser zeit, als hier das uns're weit und breit;
gott mag es lenken, gott mag es schenken, er hat die gnad'."
(anton wilhelm florentin von zuccalmaglio)

Michael Schorr porträtiert in seinem ersten Kinofilm, die alltägliche Monotonie eines zum Frührentner entlassenen Bergwerkkumpels vor der tristen Kulisse eines anhaltinischen Ortes. Ein Schulterklopfen, ein inhaltloses Glück Auf und eine Salzkristalllampe scheinen alles zu sein, was dem vornamenlosen Schultze (Horst Krause) und seinen beiden Kollegen nach dem Abschied aus dem Arbeitsleben bleibt. Sie entschwinden in einen gebrochenen Alltag, bei welchem die Aufrechterhaltung gewohnter Rituale schleichend zu einer bedeutungslosen Farce verkommt; der Schrebergarten, das Angeln auf der Eisenbahnbrücke, die Abende in der Kneipe und das Vereinsleben im ortsansässigen Musikverein. Eine unerwartete Wendung für Schultze, dem die vermeintliche Provinzidylle eine ungewisse innere Unruhe bereitet, ergibt sich, als es ihm gelingt, durch eine Melodie - aus dem Radio nachgespielt - seinem durch Polka geprägten Akkordeonspiel neue Klänge zu entzaubern, und dadurch angetrieben auch über den Tellerrand seiner Existenz zu blicken. Anfänglich verwirrt, dennoch belebt von den perspektivischen Möglichkeiten, strebt er eine ambitionierte Reise in die Vereinigten Staaten an, um mehr über die Musik und Kultur dieser ihm neuen Lebensauffassung zu erfahren.

Dem Regisseur ist mit seinem Kinodebüt eine beschauliche und lakonisch dokumentierte Entdeckung der Langsamkeit gelungen, eine ambivalente Charakterstudie über das Leben vor dem Tod im Mikrokosmos einer brachliegenden Provinz. Beschaulich dreht sich das Windrad in der Totalen, während wir darauf warten, dass Schultze mit dem Fahrrad die Ebene passiert. Die detailreichen Betrachtungen unter Tage erscheinen wie schmutzige Bilder einer Ausstellung, und die Symmetrie der Doppelhaushälften, die Vorgärten und Reihenhaussiedlungen verleihen dem Film eine skurrile Wirklichkeit. "Schultze Gets The Blues" brilliert ganz allgemein durch seine bizarre Authenzität, und die mitwirkenden Laiendarsteller verleihen dem Film einen semidokumentarischen Charakter, und so erscheint es fast selbstverständlich, dass wir den Augenblick nicht abbrechen, sondern den gesamten drei Strophen des Bergmannsliedes Glück Auf, Der Steiger Kommt in all seiner bittersüßen Herbe lauschen.

Horst Krause prägt den Film vor allem durch seine einsilbige Passivität, wenn der Zuschauer durch die konstant beobachtende Kameraarbeit immer wieder Einblicke in private Momente des Protagonisten erhascht. Stillschweigend verharren wir, wenn Schultze zu seiner Scheibe Brot in eine rohe Zwiebel beißt, und über ihm eine Fliege im Lampenlicht tanzt; Wenn er sich auf das Sofa legt, hustet, aufsteht, das Fenster einen Spalt öffnet, um sich dann erneut hinzulegen. Der Stillstand des Augenblicks, nicht die Entwicklung der Bewegung prägt den Film als Stilmittel und visualisiert mit seinen ausharrenden Momenten die öde Tristesse. Immer wieder fängt die Kamera den Bild füllenden Kaliberg als Leitmotiv und Epizentrum des kleinen Ortes ein, welcher Schultzes Gartenlaube perspektivlos im Vordergrund verblassen lässt, und ihn scheinbar unabdingbar an seine veränderungslose Existenz erinnert.

Als Schlüsselszene der Geschichtsentwicklung dient eine herrlich lakonische Aufnahme, in der Schultze mit einem Nachthemd in seiner Wohnung auftaucht, sein altes Transistorradio anstellt, zunächst mürrisch eine Gesundheitssendung über die Zusammenhänge zwischen seinem ehemaligen Beruf und Lungenkrebs wegdreht, um sich dann mit einer kurzen Akkordeonmelodie konfrontiert zu sehen, die sein Leben ändern soll. Erst überrascht, dann belächelt stellt er das Radio entschlossen ab, hält kurz darauf inne, um kehrt zu machen, und sich die Melodie noch einmal zu Gemüte zu führen, und schließlich verlegen, ob seines eigenen Mutes, Tasten suchend auf seinem Akkordeon nachzuspielen. Zydeco, eine artverwandte, Akkordeon getragene multikulturell verschmolzene Musikrichtung der amerikanischen Südstaaten, scheint Schultzes phlegmatischen Geist zu beflügeln. Diese ausgiebige Sequenz, in welcher der Regisseur bewusst überspitzt phantastische Elemente der alltags Lethargie entgegensetzt, stellt den Umschlag in "Schultze Gets The Blues" dar. Musik als Inspirationsquelle geistiger Jugend. Auch Jürgen (Harald Warmbrunn), Schultzes ehemaliger Bergbaukumpel kommentiert den beobachteten Wendepunkt überrascht in einem kurzen Dialog: "Das musst du dir mal vorstellen." sagt er. "Was? - Na das hier? - Was hier? - Wir haben zusammen gearbeitet, wir haben zusammen geangelt, wir haben zusammen in der Kneipe gesoffen und wider zusammen gearbeitet. Und jetzt sitzen wir das erste Mal bei Schulze zusammen und futtern."

Gefangen in der immer währenden Monotonie aus Polka und Kein-Schöner-Land-Chören, kämpft Schulze mit sich selbst, Spontaneität der akzeptierten Tradition gegenüber zu stellen, und die Kameraden seines Musikvereines Harmonie quittieren seine emanzipierte musikalische Neuausrichtung zum Fest des 50. Jubiläums deutschtümelnd als "Scheiß Negermusik". In dieser Szene wird die Statik der Kameraführung ein erstes Mal gebrochen, schwenkt sie, anfangs noch im Rücken Schultzes mit Blick auf das Jubiläumspublikum des Musikvereines, langsam um den Protagonisten herum, isoliert ihn von den anderen, die ihn nicht verstehen können, und widmet, in der Nahaufnahme, Schultze, mit geschlossenen Augen, einen seiner intimsten Momente, und fordert als einzig mögliche Konsequenz seinen Auszug aus der gewohnten Gemeinschaft. Das Exil als letzte Konsequenz zur Auflösung der Inneren Ruhe. Es folgt eine bittersüße Szene, in der sich Schultze von seiner Situation endgültig trennt, bildlich dargestellt, als er zu Hause ankommend, das Foto seines Vaters - eines traditionelles Polka Musikers - an der Wand umdreht, und kopfschüttelnd quittiert, woran sich sein gewohntes Leben orientiert. (Die im Fernsehen gezeigte Reportage über die juristisch eingeleitete Beseitigung von aus Polen stammenden gefälschten Gartenzwergen vom ORB, ist wie so vieles im Film tatsächlich authentisch.) Amerika – in letzter Zeit selten so untypisch positiv und Klischee los im ursprünglichen Sinne des Landes der, vielleicht doch begrenzten Möglichkeiten betrachtet - dient Schultze als Katharsis, als Neuanfang, um in sprachlicher Isolation die Musik als universelles Kommunikationselement für sich zu entdecken.

Michael Schorr transportiert seine detailverliebte, latent humoristische doch niemals wertende Gesellschaftsbeobachtung auch über den Atlantik hinaus, und weiß mit der fotografisch brillanten Komposition von Wirklichkeit und erzählerischer Situation zu begeistern, während der Zuschauer die Odyssee des oft so unbeholfen natürlichen Protagonisten intensiv verfolgt. Und mit den Worten aus Schillers Die Räuber als umfassendes Metapher, bedenkt der junge Schrankenwärter am stets geschlossenen Bahnübergang Schultze, als er ihn passieren lässt;
"So fall’ ich dieses zerbrechliche Leben an, bis den Furientrupp zuletzt schließt die Verzweiflung! Triumph! Triumph! Der Plan ist fertig. Wohl an denn!"
foto: 20th century fox


michael schorr
"schultze gets the blues"
2004

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Lali Puna [Faking Tho Books]

Die aus dem Herzen der unbedeutenden oberbayerischen Kleinstadt mit Polizeischule stammenden Talente, sind in unterschiedlichsten musikalischen Projekten und Bands miteinander verwoben. Lali Puna ist eines davon und veröffentlicht der Tage ihr drittes Album.



"i'll be true again, but until then, i fake the books"
(faking tho books)


Weilheim. Die Provinz. Irgendwie habe ich mir Weilheim immer ein wenig wie unser Seattle vorgestellt. Nicht wie diese große Stadt an der Pazifikküste mit der Weltraumnadel als Überrest einer Weltausstellung und dem Rockmuseum. Und auch nicht mit dem gleichen popkulturellen, globalen Nachbeben auf die Grunge Bewegungen, sondern durch die musikalische Gemeinschaft die sich dort gänzlich unurbanisiert entwickeln konnte. The Notwist, Tied and Tickled, Trio, Console, Iso 68. Namedropping? Vielleicht. Lali Puna ist Teil dieser Gemeinde mit ihrer eigenen bittersüßen Art schöpferisch mit Gefühlen umzugehen und sie mit Instrumenten und Elektronik zu artikulieren. Valerie Trebeljahr, die zierliche, junge Frau, mit der wunderbar rauweichen Stimme, gründete die Band zunächst als Soloprojekt mit einem Vierspurgerät Ende der Neunzigerjahre, und entwickelte Lali Puna zu einem festen Bestandteil der erwähnten Szene. Mit Notwists Micha Acher, Tied & Tickled Trios Christoph Brandner und Christian Heiß von Contriva gestaltete sich Lali Puna über ihre ersten Veröffentlichungen vom pluckernden Indietronic zu einer rockenderen Liveband, die mit dem neusten Werk "Faking The Books" die Waage mit elektronischem Wabern und elektrischen Moll Akkorden tariert. Die elf Stücke entfalten allesamt eine zarte Schwermut, obwohl mit Micronomic, B-Movie und dem Titelstück der EP des letzten Sommers, Left Handed durchaus distorted auf die Gitarren tätowiert wurde. "Left Handed", so Sängerin Trebeljahr, "war auch richtungweisend für das neue Album". Live haben sich Lali Puna energischer präsentiert, als man es von den zurückhaltenden ersten beiden Veröffentlichungen gewöhnt war.

Was Lali Puna zweifellos eine Sonderstellung im elektronischen Popbereich einräumt, sind die meist politisch orientierten Texte, die dem Zuhörer aufgrund der vermeintlich verträumten Melodien sublimiert werden. Bereits bei dem Vorgängeralbum war es der Band wichtig die oft kritischen Texte mit abzudrucken. Was durchaus auch resolut geschrieen in einem Punksong seine funktionelle Berechtigung finden würde, umhüllt Trebeljahr klangvoll mit ihrer beseelten Stimme. In dem Stück Call 1-800-FEAR beschäftigt sie sich mit der Macht der instrumentalisierten Angst, und den Folgen einer bewusst geschürten Panik. „Fear keeps you quiet. It shuts your mouth when you should talk“: paranoid verschanzt man sich in seinem Panic Room, während andere die Macht an sich reißen.

They spend your money on mini-nukes. So you should talk.

Nicht zuletzt seit dem mit "Scary World Theory" nostradamisch vor dem 11.09.01 betitelten zweiten Album, konstatiert die Band eine kritische Weltanschauung. Mit dem bereits erwähnten Stück B-Movie diskutieren Lali Puna die medial vorangetriebene kalifornische Gouverneurswahl des Österreichers Schwarzenegger. „It’s like in a B-Movie, you always know what’s coming next. Bad guys all around. But don’t let Arnie be our last hope.” Und in Micronomic entleihen sie gar dem großen Softwarekonzern den Slogan, um ihn sinnentfremdet in einem eingängigen Chorus zu verarbeiten: „Where do you want to go today?“ Immer wieder fallen Lali Puna auf ihrem neuen Werk neben den lauteren, dennoch elektronisch orientierten Stücken, in die Ästhetik des traurigen Liedes, und fordern Aufmerksamkeit für das Detail. Besonders die opulenten, jedoch gar nicht pathetischen Streicher, die zum Ende des letzten Stückes Crawling by Numbers einsetzen und das Album ausklingen lassen, betören durch zarte Eleganz. Und Radiohead, dieses Statement musste auch hier kommen, sind Fans von Lali Puna. Namedropping? Vielleicht.
foto: john-patrick morarescu



lali puna
"faking the books"
morr music 2004 cd / lp
lali puna

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Helge Schneider [Jazzclub]

Jazz.
Sag Nochmal.
Jazz, Jazz.
Nochmal, Nochmal!
Jazz, Jazz, Jazz.


"Zwei Meter zwei Mark."
(Pflasterverkäufer)

Helge Schneider hat im Vorfeld davon gesprochen mit Jazzclub seinen ersten ernsten Film gemacht zu haben. Eine Art Ernsthaftigkeit die im parallelen Universum der Schneiders Kopf entsprungenen Charaktere durchaus ihre Berechtigung findet. Teddy Schu (Helge Schneider) ist ein passionierter Jazzpianist, dessen Leben wir über einen kleinen Zeitraum hinweg beobachten dürfen, und erleben, wie er versucht mit geradezu bedauernswert naiver Leidenschaft die Mühsal des Alltagslebens zu meistern. Brot-losekunst kann man den Jazz vielleicht nennen, weshalb er jeden Tag aufs neue die Monotonie seines Lebens durchläuft, und mit unzähligen demütigenden Nebentätigkeiten versucht sich und seine vom Leben unerfüllte Frau (Susanne Bredehöft) über Wasser zu halten, nur um allabendlich mit seinen beiden Freunden, Bassist Steinberg (Jimmy Woode, sic!) und Schlagzeuger Howard (Pete York, sic!!!) und , in dem kleinen Jazzclub berauscht von seiner Musik aufzugehen. Dass dort niemals Publikum auftaucht, und wenn sich doch eine verlorene Seele dort verliert, diese sich nicht für Jazz interessiert, macht den drei Musikern nichts aus.

Wenn Teddy die Straßenbahn verpasst und an der belebten Haltestelle auf die Nächste wartet, verharrt die Kamera regungslos auf diesem Bild, und vermittelt den Eindruck, dass dieser Mann nicht in die ihn umgebende Welt zu passen scheint. Teddy gibt sich als vermeintlich spanischer Callboy Rodriguez der Agentur Senora Fuck älteren Damen hin, begibt sich in den frühesten Morgenstunden auf eine aussichtslose Odyssee als Zeitungsausträger nur um einige Stunden später hart arbeitend als Fischverkäufer für das Kleinunternehmen Happy Fisch sein letztes zu geben. Mutter und Sohn des Familienbetriebes treten allmorgendlich mit Gummistiefeln aus der Haustür, und beginnen ihren einzigen Angestellten argwöhnisch denunzierend bei der Arbeit zu beobachten. „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ ist der überhebliche Kommentar des Ladenbesitzers (Eddy Kante).

Die Geschichte von Jazzclub bietet, was die Ernsthaftigkeit betrifft, tatsächlich all die tragisch hoffnungslosen Elemente eines Working Class Dramas der Zeit der wirtschaftlichen Depression, transkribiert in die heutige Zeit, die ja ebenfalls von Arbeitslosigkeit geprägt scheint. Trotz alledem ist es ein Film von Helge Schneider, und die polarisierenden Erwartungen werden sowohl für die eine als auch für die andere Seite erfüllt. Wenn sich Teddy nach einer kurzen, im Schlaf immer wieder von Alpträumen verfolgten Nacht, mit Badeschlappen und Regenmantel auf den Weg zum Zeitungsaustragen macht, dann beobachten wir immer wieder aufs neue, wie Schneider improvisierend gegen aufkommende Windböen und Regenschauern biblischen Ausmaßes anzukämpfen versucht, aussichtslos wie ein urbaner Don Quijote, und die zu Pappmasche deformierten Tageszeitungen ("Was für ein Klumpatsch.") dennoch pflichtbewusst in die Briefkästen steckt. Es sind diese improvisierten Kleinigkeiten die Schneiders Filme so sehr begeistern lassen, wenn er Alltäglichkeiten durch seine Herangehensweise Sinnentleert. Wir beobachten ihn an der Haltestelle, wie er den Arm anhebt, um auf die Uhr zu sehen, letztlich aber nie darauf blickt, oder er sich beim Krabbenpulen selbst reflektiert, ohne darauf zu achten, ob die Feinkost auch in den dazugehörigen Behältern landet. Auch in einer weiteren Rolle brilliert Schneider mit diesem Konzept, wenn er als Psychiater Teddys Ehefrau die Existenzgrundlage des menschlichen Denkens an einem Modelgehirn erläutert: "Gucken, Kacken, Picken, Packen. Das ist alles."

Nur im Jazzclub selbst, wenn die drei begnadeten Musiker, die auch in der Realität gemeinsam Konzerte veranstaltet haben, in ihrer Musik aufgehen, möchte Schneider offensichtlich, dass wir den Jazz genießen, denn dort verzichtet er absichtlich auf versteckte Pointen, und verweilt bei den dargebotenen, selbstverständlich von ihm komponierten Stücken. Auch sonst hält die Kamera gelegentlich für kurze Augenblicke still, und fängt unverfälscht das triste Dasein verschiedener Figuren des Films ein, wodurch sich sogar eine für Schneiders Filme unbekannte Atmosphäre von Einsamkeit und Verlorenheit entwickelt. Ein melancholischer Unterton, der sich da in die farbenfrohe Komposition eingeschlichen hat, und Schneiders Film ebenso gut zu Gesicht steht, wie die wunderbare Musik.
foto: senator film gmbh


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