Tracker [Blankets]

In the novel's simplicity belies its beauty.
Die gleiche Schlichtheit überzeugt auch bei dem vorliegenden Album der Band Tracker, mit welchem sie der atemberaubenden Graphic Novel Blankets einen gefühlvollen Soundtrack gewidmet haben.



"und der gefallene schnee heißt den fallenden schnee mit einem leisen 'sshh' willkommen."
(craig, blankets)


Die Geschichte des Soundtracks geht zurück bis zur Stummfilm-Ära und zur Erfindung des Mediums Films an sich. Was heute ein recht unüberschaubarer Markt an Veröffentlichungen ist, ein Geschäft welches jeder Filmverleih gern tätigt, waren früher Kompositionen welche direkt während einer Filmvorführung eingespielt wurden. Während man heute jedoch zumeist auf bekannte Stücke unterschiedlicher Künstler zurückgreift, hat sich in den letzten Jahren auch die eine oder andere Band an die komplette musikalische Untermalung eines Filmes gewagt.

Eine ganz andere Art Soundtrack haben Tracker aus Portland mit ihrem dritten Album vorgelegt, dass bisweilen hier zu Lande noch keine breiten Wogen geschlagen hat. Von einem Comic so sehr fasziniert, wollte man das Album als eine musikalische Hommage verstehen. Den Soundtrack zu einem Comic zu schreiben klingt jedoch nicht mehr so waghalsig und kindisch, wenn man sich das Buch um welches es sich dreht tatsächlich angeschaut hat. Selbstverständlich haben Comics in den Vereinigten Staaten, vereinzelt dem europäischen Ausland und im asiatischen Raum einen anderen Stellenwert als in Deutschland; dort hat man die vermeintlich als Hybriden zwischen Literatur und Malerei verortete sequentielle Kunst - welche unlängst als Neunte dem Kanon der bildenden Künste hinzugefügt wurde - in langer Tradition aus den Kinderzimmern geholt und bisweilen sogar erfolgreich auf der großen Leinwand adaptiert. (Wobei ich hier weniger auf die Superhelden Sagen aus dem Hause Marvel und DC, als viel mehr auf preisgekrönte Filme wie "Ghost World" – in der Comic Vorlage von Daniel Clowes - oder zuletzt "American Splendor", der biographischen Hommage an Comic Autor Harvey Pekar verweisen möchte).

Der 29-jährige Amerikaner Craig Thompson hat in seinem zu Recht mit Preisen und Auszeichnungen überhäuften Werk "Blankets" nicht nur seine Autobiographie auf höchst anspruchsvolle Art und Weise umgesetzt, sondern auch eine persönliche Verarbeitung spannungsgeladener, zeitgeschichtlicher Thematiken. In ausdrucksstarken und einnehmenden schwarz-weiß Bildern erzählt es die Geschichte eines Jungen der als Sohn fundamentalistischer Baptisten im mittleren Westen der Vereinigten Staaten aufwächst. Im schneebedeckten Wisconsin durchlebt er Kindheit und Jugend geprägt durch seinen herrischen Vater, den bigotten Gemeindemitgliedern und den Misshandlungen und Spott von Mitschülern und Babysittern. Aber es craig, raina ist auch die Erinnerung an eine erste Liebe, die viel in dem jungen Mann von damals bewegt hat, die es forderte sich mit seiner früh ankonditionierten Angst vor Sünde auseinanderzusetzen. Kaum ein Werk ganz gleich welchen Mediums versteht es so einfühlsam und sensibel die Euphorie des Verliebens und der bedingungslosen Leidenschaft zu beschreiben, und so prägnant und ehrlich die Trauer und Leere an deren Ende zu illustrieren. Gerade der Comic, mit seiner induktiven Herausforderung an den Leser, lässt diesen noch viel mehr mit dem Erzähler verschmelzen, und sowohl die Freude als auch dessen Schmerz zu teilen.

"Mein Freund John Askew hat mit seiner Band Tracker ein Album aufgenommen", erklärt der in Interviews meist als zurückhaltend und schüchtern beschriebene Thompson, "zu welchem ihn Blankets inspiriert hat". Tatsächlich ist dieses Album mit dem Untertitel "Recordings for the illustrated novel Blankets" versehen, und die elf fast ausschließlich instrumentalen Stücke schaffen es, die meist melancholische aber immer wieder verspielt und hoffnungsfrohe Atmosphäre des Buches einzufangen. So bewegen sich die Stücke zwischen introvertierter Unaufdringlichkeit und koketter Lebensfreude und bleiben dabei abstrakt genug, um nicht nur in Verbindung mit dem Comic zu überzeugen, auch wenn sie nach oder während der Lektüre die Bilder im Kopf des Betrachters zu verstärken wissen. Selbst die spielerischen Soundeffekte, wie der das Stück (We Were) The Trees begleitende Wind verleihen den Songs zahlreiche intime Momente, ohne dabei aufgesetzt zu wirken.

Hinter der Band Tracker steckt maßgeblich besagter John Askew, der sich neben der eigentlichen Band noch weitere befreundete Musiker – etwa Decemberists Gitarist Chris Funk - für die Umsetzung seiner Ideen einlud, was dazu führte, dass Instrumente wie Slide Guitar, Bläser, Akkordeon, Orgel oder ein Xylophone auf den Stücken vereint sind. Die Melodien sind frei genug gehalten, um jedem Instrument genügend Raum zum entfalten zu geben, und sich irgendwo zwischen zärtlichen Folk Songs und melancholischen Popanleihen zu bewegen.

Die fesselnde Schlichtheit, die Thompsons Zeichnungen zugrunde liegt, konnte man auch auf die Musik übertragen, konnte die malerische Schönheit der jugendlich irritierten Zuversicht vertonen. Und dies obwohl die Musik zu einem Buch nicht mit den Stilmitteln eines eigentlichen Soundtracks arbeiten kann; filmische Szenen zu untermalen bedeutet auch immer, sich an den zeitlichen Ablauf dessen halten zu können. Bücher hingegen liest jeder Mensch auf eine andere Weise, so dass die große Kunst – welche Tracker hier zweifelsohne gelungen ist – darin liegt, die Stimmung des Werkes einzufangen und in ihrer Vielfalt in jedem einzelnen Moment zu verorten. Am Ende von Thompsons Geschichte schreitet er ein weiteres Mal durch den gefallenen Schnee, sich seine Spuren ansehend, und stellt fest, "wie befriedigend es ist, ein Zeichen auf einer leeren Oberfläche zu hinterlassen. Eine Karte meiner Bewegung, egal wie vergänglich." Und so tritt auch John Askew nach den zehn vorangegangenen Stücken einen Schritt nach vorn, und beginnt im letzten Song überraschend zu singen, um so dem Album mit der Zeile "Everything is beautiful", einen angemessenen Abschluss zu bescheren.
foto: tracker



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