Befindlichkeitsfixation Strikes Again.
Kettcar wollen mit ihrem neuen Album Niemandem sagen, dass es einfach sein würde, meistern jedoch meist den Balanceakt zwischen hintergründigem Wortspiel und platter Attitüde.
(deiche)
[Herbst 2002: Ein Bekannter sagt im Bezug auf das Kettcar Debüt, dass seine Gedanken das letzte Mal so intensiv mit den vorgetragenen Betrachtungen einhergingen, als er die erste Tocotronic Platte gehört hatte. Ohne diese beiden Bands in einen musikalischen oder inhaltlichen Zusammenhang bringen zu wollen, aber dieses Identitätsstiften, dieses jagenausoistesdoch, wie es viele mit Tocotronic popkulturell sozialisierte Men-schen beim Hören von deren Platten empfanden, erschließt sich auch der Hörergemeinschaft der Kettcar Fans.]
Diese kleinen Floskeln, diese Gedanken, die jedem irgendwann schon mal durch den Kopf gegangen sind als man mal wieder nur drei Schritte vom Abgrund entfernt war, kann wohl niemand anders als Marcus Wiebusch so wunderbar in einen lyrischen Gesamtzusammenhang bringen. Textzeilen die, jede für sich, ohne Bedenken auch im Kontext von Hauswänden, T-Shirts und Postkarten Bestand haben könnten, verbindet er mit einer plakativen Selbstverständlichkeit, die sowohl oberflächlich als auch bei intensiver Betrachtung zu funktionieren scheinen. Asso-ziationsketten die sich im Kern um die eigene Befindlichkeit drehen, denen es jedoch gelingt, aus der Befindlichkeitsfixation des Protagonisten heraus, stets auch genügend Raum für die persönliche Interpretation des Rezipienten zu lassen. Befindlichkeitsfixation. Eines der Wörter, die als unmöglich in einen Liedtext einzubringen betrachtet werden dürfen, im Debüt Album "Du Und Wieviel Von Deinen Freunden" jedoch gleich zweimal Einzug hielten. Bei dem neuen Album scheint dieser selbstreflektorische Ansatz jedoch ein wenig in den Hintergrund gerückt zu sein. Nicht von ungefähr scheinen die fünf Herren von Kettcar auf dem Plattencover im Gegenlicht zu stehen, nur als schattenhafte Silhouetten erkennbar, aber dennoch deutlich genug, um sagen zu können: das sind Kettcar.
"Zu erkennen dass man glücklich ist, ist Kunst" (Anders Als Gedacht).
Heraustretend aus dem allgemeinen medialen Tenor aus grenzenlosem Selbstmitleid und unabwendbarem Harzt IV Schicksal, und der daraus resultierenden resignierten Passivität der Bevölkerung, proklamieren Kettcar bewusst, einen positiven Ansatz im gegenwärtigen Unbill. Auf eine gewisse Art ist in dieser Hinsicht das Stück Einer etwa, ein politisches Statement, bei der sich die Band gegen die steten Schuldzuweisungen der Gesellschaft positioniert. "Counterstrike, Markus Merk, Mp3s, Courtney Love, deine Eltern, meine Eltern, Wind und Wetter, alle Eltern". "Ich würde aufhören, wenn aufhören heißt, es hört auf", bieten sie eine aussichtslose Kompromissbereitschaft an.
Kettcar transportieren in ihren Stücken eine scheinbar gnadenlos ehrliche Sicht der Dinge, und schaffen es immer wieder falschen Pathos, zu oft bediente Klischees und perfide Oberflächlichkeiten mit ihrer ganz eigenen, metaphorischen Art auszuweichen. Melancholie. Ratlosigkeit. Resignation. Verlorenheit. Ein Anliegen, was Mal mehr mal weniger gut gelingt. Aber doch immer mit der Hintertür der Hoffnung, die am Ende offen steht, weil man es auf dem Weg jenseits der Dreißig gelernt hat, Prioritäten zu setzen. Ehrlichkeit als Zünglein an der Waage zwischen Hoffnung und Enttäuschung. "Es ist besser für das was man ist gehasst, als für das was man nicht ist, geliebt zu werden." Und wenn sich Marcus Wiebusch in dem Stück Balu sogar der Liebe als solche nähert, der Liebe, die entsteht, wenn die Romantik vorüber ist, einer Liebe die sich den Hollywood und trivialliterarischen Verblümungen trotzig entgegenstellt, dann ist da dennoch ein Hauch von mittelständigem Pathos und Prä-Midlifekrisen Weisheiten zu spüren. In dem außergewöhnlichen Song Stockhausen, Bill Gates Und Ich - einem charismatischen Up Tempo Stück, welches eine Anekdote über Bill-Microsoft-Gates, dem Komponisten und Multi Tool Karlheinz Stockhausen und dem gebrochenen Daumen von Carlos Santana erzählt - erschwert man sich die bitter verdiente Ernsthaftigkeit im Auge des Betrachters, in dem man als Stilmittel im Refrain einen ganzen Kinderchor heranzieht, der zunächst zwar ein überraschtes ist-das-jetzt-Rolf-Zuckowski-Naserümpfen, später aber ein klares Gefühl von Selbstverständlichkeit provoziert. Aber wie sagte Rasmus Engler vom Intro so schön: "Der Wiebusch darf das."
[Frühjahr 2003: Tomte, Kettcar und Marr gehen auf Panzer Tour, und lachen schäbig über die dekadente Diskokugel und den Samtbehang im Hotel Reiss zu Kassel. Drei Männer, die, ob der alkoholgeschwängerten Luft, bei der Tour Planung, die Befürchtung hegen, nichts als verbrannte Erde zu hinterlassen – wie der Panzer, der durch die Strassen rollt - und somit ihrer Tour diesen martialischen Namen geben. Dürfen die sich solche Äußerungen denn erlauben?]
Als …But Alive damals "Hello Endorphine" herausbrachten, waren die Weichen bereits gestellt, und das Debüt Album von Kettcar war die logische Konsequenz, die sich aus einer Mischung von Unmut gegenüber alten Punk Traditionen und neugierigen Popbezügen destillieren sollte. Auf "Von Spatzen Und Tauben, Dächern und Händen" bewegen sich die fünf Hamburger noch einen Schritt weiter hin zum Pop als es der Vorgänger tat. Verzerrte Gitarren treten in den Hintergrund, melodiebetonte Arrangements, gern auch mit Streichern und Piano atmosphärisch inszeniert, ziehen das musikalische Augenmerk auf sich. Im Großen und Ganzen bleiben sie dem Weg, den sie mit "Du Und Wieviel Von Deinen Freunden" eingeschlagen haben treu, und sind damit trotzdem musikalisch Lichtjahre von alten …But Alive Weggefährten wie den Boxhamsters entfernt. Gern gesehen ist die Abwendung von dieser, Anfang der Neunziger konstruierten Szene jedoch nicht. Kettcar wussten von Beginn an zu polarisieren, eine Betrachtung die sich jedoch weniger auf die aktuelle Arbeit der Band, als vielmehr auf die eigenen Wurzeln besinnt. Auf dem aktuellen Album der Band Oma Hans ist die Zeile "Der Mainstream wie er leuchtet / Was früher war verglüht / Landungsbrücken sprengen / Depressive Anekdoten, die keinem etwas bringen außer Geld" nicht sonderlich gut versteckt. Natürlich ist ein noch größerer Erfolg des zweiten Kettcar Albums, im Gegensatz zum mittlerweile über dreißigtausend Mal verkauften Debüt, nicht unwahrscheinlich. Die Platte könnte auf der gegenwärtigen Woge der allgemeinen Offenheit, ja geradezu dem allgemeinen Dürsten nach deutschen Texten, tatsächlich in die Charts treiben. Das Grand Hotel als intelligenter, jedoch vielleicht unbeabsichtigter Nutznießer dieses, von der Musikindustrie geschmiedeten Hypes. Die Verteufelung des gegönnten Erfolges jedoch, steht dem peniblen, noch scheinbar lange nicht endgültig emanzipierten Indietums bereits jetzt in den Augen. Hierüber sind aber schon genug Zeilen verfasst worden, so dass ich es mir an dieser Stelle herausnehme, keine weiteren Ausführungen an dieser Stelle dazu fallen zu lassen.
[Frühling 2002: Durch einen gewöhnlichen Zufall stoße ich im Netz auf ein Stück Musik, bei dem zwei Menschen mit Gitarre und Fingerschnipsen in einer Radioaufzeichnung über Fußballspieler, Liebe und Sargnägel singen. Das Stück, so sehr es vom schwererträglich langen Titel Mein Skateboard Kriegt Mein Zahnarzt, Den Rest Kriegt Mein Friseur und auch vom Bandnamen Kettcar her, auf platte Spaß Punk Allüren schließen lässt, steckt so voller Wortwitz und Sentimentalität, dass ich nicht umher kann, und mein Interesse an der dazugehörigen Band, auf lange Zeit hin auf diese richten werde.]
foto: martina drignat
Kettcar [Von Spatzen Und Tauben, Dächern Und Händen]
"der kuchen ist verteilt, du spürst, die krümel werden knapp."