Naked Lunch [Wiesbaden, 02.04.2005]

Loneliness is where we’ve been.
Die Österreicher Naked Lunch zelebrieren ihre eigene Vergangenheit und unterstreichen, dass auch ein steiniger Weg in eine positive Gegenwart führen kann.


"so cruel and lonesome another day i could survive."
(first man on the sun)

Die Bandgeschichte von Naked Lunch liest sich wie eine Abhand-lung über die Stereotype eines Rock’n’Roll-Lebens. Ihre Mitglieder durchlebten sämtliche Höhen und Tiefen eines Musikerlebens. 1990 in der österreichischen Provinzstadt Klagenfurt gegründet landet die Band schnell in London und New York und der ganz große Durchbruch scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Stattdessen folgt allerdings der tiefe Fall und Naked Lunch stehen 1999 ohne Plattenvertrag oder gar Management da. Nach einer langen musikalischen Auszeit veröffentlichten sie im Jahr 2004 "Songs For The Exhausted", ein Album das zumindest im deutschsprachigen Raum wieder auf relativ große Resonanz stieß. Ende März wurde nun die EP "Stay", dessen Titelsong auch auf dem aktuelle Album zu finden ist, veröffentlicht, welche als Anlass für eine kleine Tour diente.

Doch zunächst betritt der österreichische Songwriter Florian Horwath die Bühne des gut gefüllten kleinen Saals im Wiesbadener Schlachthof. Seine Band besteht aus einem Gitarristen und einem Drummer, er selbst greift mal zur Gitarre, mal zum Tambourin. Die Songs klingen zunächst in klassischer Songwritermanier, sind jedoch von zu vielen Brüchen durchzogen. Es sind unaufdringliche Spielereien, die kaum Spannung aufbauen und teilweise etwas konzeptlos erscheinen. Florian Horwath versucht, die Musik in körperliche Posen umzusetzen, was einen Zuhörer zu der Aussage veranlasst, auf der Bühne stehe wohl der leibhaftige Jesus. Tatsächlich haftet seinen artifiziellen Gebärden auch etwas Spiritualität an, ein Schweben in anderen Sphären, dennoch scheint ein roter Faden besonders auf musikalischer Ebene zu fehlen. Das Publikum zeigt sich nichtsdestotrotz begeistert von dieser mystischen Atmosphäre und honoriert es dementsprechend.

Kaum kontrastreicher könnte da der Auftritt von Quasi sein. Das Keyboard von Sänger Sam Coomes liegt noch eingefasst in einem Transportcase aus Holz, auf dem Fragile Musical Instrument gestempelt steht. Doch das Duo aus Portland/Oregon rumpelt und scheppert durch das dreißigminütige Set, als würde es kein Morgen geben, von Zerbrechlichkeit keine Spur. Zu Beginn ist der Sound sehr mäßig, das Keyboard und der Gesang gehen zunächst in einem Schlagzeuginferno völlig unter, was sich aber im Laufe der Zeit bessert. Drummerin Janet Weiss, die ansonsten bei Sleater Kinney die Stöcke schwingt, versprüht grenzenlose Energie, die Dynamik des Spiels und der kraftvollen Bewegungen ist mitreißend. In minimaler Besetzung lassen die Beiden krachige Soundwände entstehen. Irgendwo im Schrammeluniversum zwischen schrägem Keyboard und polternden Drums machen Quasi klar, dass es weder Gitarre noch Bass bedarf, um ordentlich zu rocken.

"Picture yourself in a room with no one left to talk to..."

Zunächst allein und mit gesenktem Haupt betritt Oliver Welter die Bühne, symbolisch für all das stehend, was Naked Lunch in den Jahren ihrer Existenz durchlitten haben. Einsamkeit und Schmerz vermittelt dieses Bild, das mehr als nur eine Pose ist. Es kommt aus dem tiefsten Innern und ist stark durchdrungen von einer Geschichtlichkeit, welche zu einem essentiellen Fixpunkt geworden ist, um den sich die Musik nun dreht. Wunderbar fügt sich da die Band nach den ersten beiden solo gespielten Stücken in die Atmosphäre ein. In blaues Licht gehüllt, welches sich in einem Alufolien-Vorhang an der Rückwand spiegelt beginnt ein Set von großer Intensität, eine Leidensgeschichte wird erzählt, jedoch ohne in aufmerksamkeitshaschenden Pathos zu verfallen.

"Not the slightest chance of relief, no escape, he's paralyzed..."

Langsam wird ein großer Spannungsbogen aufgebaut, der sich in auch in Instrumentierung und verstärkten Bewegungen auf der Bühne widerspiegelt. Der Sound nimmt im Laufe der Zeit eine kräftigere Gestalt an, immer wieder verlieren sich die Stücke in breiten Klangteppichen, um anschließend wieder in eine weiche Fragilität zurückzukehren. Stärker noch als auf den Studioaufnahmen wird hierbei die künstlerische Verwandtschaft mit Weilheim offenbar, Soundschnipsel und sanfte elektronische Beats werden bei Stücken wie Man Without Past oder Lost It All von der spielerischen Facette zu einem bestimmenden Element umgewandelt. Gleichzeitig löst sich die Band langsam aus ihrer geistigen Blase der Einsamkeit, die Stimmung des Publikums wird aufgenommen und Oliver Welter kommuniziert zunehmend gelöst. Wie in dem Video zu Stay erklimmen Naked Lunch einen imaginären Berg, diesmal scheitern sie jedoch nicht. Jeder Schritt wird einfacher und als der naked lunch Wolkenschleier schließlich durchbrochen ist, gibt es kein Halten mehr. Nach nur 45 Minuten erreichen sie mit Solitude bereits den ersten Gipfel, eine riesige Soundwand wird aufgeschichtet und fällt abschließend in sich zusammen, nicht mehr als ein zartes Keyboardsample hinterlassend.

"Stay here, let your love come over."

Immer stärker nähern sich die Band und das Publikum in ihrer musikalischen Wahrnehmung, die Zuhörer werden aus der Beobachterrolle in ein selbstbewusstes Mitfühlen gedrängt. So bittet Oliver Welter um einen Applaus für Scott Walker, bevor dessen Klassiker The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore als zweite Zugabe gespielt wird. Mit dem Verweis auf den Zeitdruck durch eine nachfolgende Tanzveranstaltung wird zum scheinbaren Abschluss First Man On The Sun gespielt, doch zuletzt zwingt der frenetische Applaus des Publikums die Band ein letztes Mal auf die Bühne. Naked Lunch sind wieder angekommen im Leben, doch der Boden der Tatsachen erweist sich dieses Mal offensichtlich als ein weicher Untergrund.

"Lay down cause you know it will last."
foto: kwentin

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