Goodbye to Heavy-Drinking and Being Famous. In "The Escapist" mimt Mike Skinner den Zivilisationsflüchtling und zieht sich konsequent aus dem urbanen Milieu zurück. Doch gelingt ihm das wirklich?
(blinded by the lights)
Mike Skinner ist schon immer der Biograf einer destruktiven Populärkultur gewesen, die er mit all ihren Stilblüten in seinen Songs und Videos zu einer überzeichneten Realität werden lässt. "Original Private Material" (2002) zeigt schon im Ansatz, was sich in "A Grand Don't Come For Free" (2004) und später im selbstironischen "The Hardest Way To Make An Easy Living" (2006) zu einer wahren Kunstform entwickelt hat. Während Songs wie "Has It Come To This" (2002) noch recht einfach und provozierend die Lebensumstände von britischen Jugendlichen unter die Lupe nehmen, wirkt die Kunstfigur Mike Skinner im Post-Beziehungsdrama "Dry Your Eyes" (2004) erstmalig verletzlich und angreifbar. Dies setzt sich in "Never Been To Church" fort und gipfelt schließlich im exzessiven "Blinded By The Lights" in einer großen Kokain-Orgie und den damit verbundenen Rauschzuständen. Skinner wirkt zunehmend selbstreflexiver und wandelt sich von einem Pubgänger ("Don't Mug Yourself") zu einen Dramatiker, der die kleinen und großen Dinge im Leben in all ihren obskuren Einzelheiten erfasst und verarbeitet.
(The Escapist)
Und wenn man etwas genauer hinschaut, dann bricht "The Escapist" konsequenterweise mit dem ungestümen Parrtyhengst Skinner und seinem selbstironischen Abbild der letzten Jahre. Der Mann wird älter und vermutlich auch weiser, man könnte sogar so weit gehen und ihn einen Zivilisationsflüchtling nennen, weil ihm der ganze Heavy-Drinking und Being-Famous-Kram so tierisch auf den Sack geht. Er zieht sich zurück in die Natur, um der urbanen Völlerei zu entfliehen. Dadurch stellt er eindrucksvoll zwei gegensätzliche Zivilisationsmodelle gegenüber: Natur und Kultur. Der Klassiker des Vergleiches an sich. An ihm zerbrechen sich nicht erst seit der Romantik Hans und Franz die Köpfe.
Die Einbindung oder die Rückführung des Menschen in die Natur scheint jedoch unmöglich, denn der Mensch an sich steht schon im kompletten Gegensatz zur Idee des Naturzustandes. Er kultiviert, individualisiert und verändert sein Umfeld. Kultur ist also mit dem Menschsein gleichzusetzen, ein Rückzug des Einzelnen in die Natur, scheitert bereits auf der theoretischen Ebene. Das stellt auch Skinner in " The Escapist" fest: symbolisch wird das insbesondere in der Schlussszene, als Skinner barfuss am Mittelmeer sitzt, kurzzeitig den Sonnenuntergang genießt und dann seine Schuhe abklopft und wieder von dannen zieht. Sein Gang durch Frankreich war zwar gut gemeint, und hat für ein Musikvideo klasse Szenen mit eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen geliefert, aber letztendlich zieht es ihn doch wieder zurück in die Stadt. Aus, vorbei der Traum, der Mensch bleibt, was er war.
the streets
" everything is borrowed"
wmi (warner) 2008 cd
the streets
the escapist
The Streets [The Escapist]
totally fucked, cant hardly fuckin' stand. / this is fuckin amazing; argh."
Für "The Escapist" - der Vorabsingle der neuen The Streets-Platte "Everything Is Borrowed" - hat Mike Skinner seine Wanderstiefel angezogen und ist - zumindest im Video - bis an den Südzipfel Frankreichs gelatscht, um es den Pilgergruppen auf dem Jakobsweg gleichzutun und einfach mal für eine Weile unterwegs zu sein. Obgleich Skinners Route und Intention vermutlich vom kathartischen Effekt der Jakobspilger unterschieden werden muss, so drängt sich beim Ansehen von "The Escapist" immer wieder die Frage nach der eigentlichen Intention des Videos auf. Was ist mit dem sonst so großmäuligen Mike Skinner geschehen, dass er so einfach Reißaus nimmt? Hat er die meditative Wirkung des Wanderns entdeckt oder einfach nur einen Faible für das ländliche Frankreich? Oder gar schlimmer: wird Skinner zu einem Zivilisationsflüchtling, der von dannen zieht, um dem Druck und der ewigen Medienpräsenz zu entfliehen? Alles scheint denkbar, letztere Möglichkeit ist jedoch am Glaubhaftesten, wenn man "The Escapist" in den Kontext seiner medialen Vorläufer setzt.
"all these walls were never really there / nor the ceiling or the chair"
"The Escapist" steht nun wieder im vollen Gegensatz zum Vorgängermaterial. Allein das Video ist komplett anders als alles, was man vorher bei The Streets gesehen hat. Keine schnellen Schnitte, keine urbanen Gepflogenheiten, keine Menschen, außer Mike Skinner, wie er einsam durch die Gegend wandert. Er lässt die Suburbs Englands hinter sich und besteigt eine Fähre, die ihn nach Frankreich führt. Die einzelnen Einstellungen werden immer ruraler: die Straßen enger, die Felder breiter. Dann lässt er auch das letzte bisschen von umgegrabener Erde in Form eines kleinen Dorfes hinter sich zurück. Von nun an gibt es wundervolle Landschaftsaufnahmen, Serpentinen, die vermutlich um ein Mittelgebirge herum angelegt sind und eine herrliche Schlusseinstellung: ein Sonnenuntergang am Meer. Skinner wird von Einstellung zu Einstellung immer kleiner, die Natur rückt in den Vordergrund, bis er dann am Ende in die wirkliche Welt zurückkehrt.
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