600 Wörter [Sympathy For The Non-Smoker]

Wieviele Zigarten rauchst du am Tag?
Kommt darauf an, wieviele ich schaffe.





Es war einer dieser erleichternden Abende des rücksichtslos heißen Sommer 2003. Wir saßen im Schatten einer ermüdeten Birke und stillten den Hunger eines viel diskutierten Tages. Ein paar schlanke Pommes und ein tapfer der Hitze trotzender grüner Salat. Die Luft war jetzt wieder so, dass man sie ohne weiteres einatmen mochte, was nicht nur dem permanenten Überlebensdrang dienlich war, sondern auch mit einer wohltuenden Befreiung einher ging; Die Hitze während des Tages war so beschwerlich und erdrückend, die Luft eine erbarmungslose Last, dass man das Atmen am liebsten hätte einstellen wollen. Jonas setzte den noch beladenen Teller plötzlich auf dem Tisch ab und ließ seine Hände suchend in den Taschen seiner Jeans verschwinden.

"Essen ist mir jetzt zu mühsam", kommentierte er sein Verhalten. Wir hörten gerade Sympathy For The Strawberry von den Sonic Youth frisch und noisig aus der HiFi Anlage hinter uns. Das Wohnzimmerfenster stand offen, und gönnte uns eine gute Akustik. Ich sinnierte noch gedankenzerfahren über Anspielungen an das ähnlich betitelte Stones Stück, als Jonas tief den Rauch seiner Zigarette inhalierte und sich mühsam entspannt gegen die Rückenlehne von Nick - dem acht Euro Klappstuhl von Ikea - fallen ließ. Grün. Der Stuhl. Meiner war gelb. Ein paar locker formierte Vögel ließen sich über uns in der Baumkrone nieder, pfiffen dann und wann unmotiviert zu Thurston Moores Gitarre und plötzlich herrschte mehr provinzielles Idyll als ich ertragen konnte. Kleinstadt Dasein. Gelebte Utopie einer Bilderbuchwelt in all seinen Facetten.

"Wieviel Zigaretten rauchst du am Tag", fragte ich beiläufig. Neugierig.
"Kommt darauf an wieviele ich schaffe", entgegnete er mir, das Kinn auf dem ausgestreckten Daumen seiner rechten Hand balancierend, während die Zigarette - zwischen Zeige,- und Mittelfinger fixiert - ihren verführerischen Dunst in die Luft emittierte. Sein Ellenbogen ruhte auf den überschlagenen Beinen und nichts als unverwundbare Gelassenheit schien dieser Post-James-Dean-Habitus zu vermittelt.

Als Nichtraucher ist man ziemlich weltfern, dachte ich mir, und nahm einen großen Schluck aus meinem Wasserglas. In der Tat ist es so, dass man als Nichtraucher kontaktärmer aufwächst. Zumindest während der Jugend und Adoleszenz; also zu der Zeit, wo es wirklich darauf ankommt. Eine der Grundlagen meiner frei nach Darwin entwickelten Theorie des Aussterbens der Nichtraucher aufgrund Isolation durch mangelnde soziale Vernetzung. Als Nichtraucher kann ich nicht einfach auf Menschen zugehen, auch wenn sie aus der Ferne betrachtet ohne Frage Interesse wecken. Was soll ich ihnen sagen? Ziemlich heiß heute, was? Nein. Ein gewisses Niveau sollte ein solches Kleingeschwätz schon erstreben. Als Raucher muss man sich über solch fundamentale Grundsätze des Kennenlernens keine Gedanken machen. Man fragt nach Feuer oder sogar eloquent nach einer Zigarette, wobei letzteres stilvoll gehandhabt werden sollte, damit es weniger nach biederem schnorren, als vielmehr nach einer freundlich abgewägten Interessensbekundung ausschaut. Und während mein Gegenüber das Streichholz entzündet, kommt es gar unausweichlich zu einem situationsbedingten, intensiven Blickkontakt. Keine Spur von nichtrauchendem, geheucheltem Anbiedern. Raucher haben es in unserer Gesellschaft einfach besser, sieht man einmal von gelben Zähnen, Lungenkrebs und stinkenden Wohungen ab.

"Hast du je daran gedacht damit aufzuhören?"
"Das ist eine Kopfsache, weißt du", offenbarte mir Jonas, die Zigarette im Aschenbecher liebevoll versenkend. Gelassen blickte er in den blauen Himmel.
"Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie die Welt ohne Zigarette weitergehen soll."
Die nackte Ungewissheit die sich in seinem intensiven Blick widerspiegelte, zeugte von tiefer, existentieller Wahrheit.
"All diese Ex-Raucher, die sich irgendwann, aus irgendeinem Grund, sagten, sie würden es sein lassen, und mit eisernem Lächeln auf den Lippen daran festhalten dass es ihnen jetzt viel besser gehe; Das ist alles nichts als Propaganda."

Wenigstens stirbt er nicht einsam dachte ich mir, und stand auf, um eine neue Platte aufzulegen.
Text: Martin Boehnert
illustration: heiko windisch