Sonic Youth sind in popkultureller Hinsicht prähsitorisch. Dennoch verlieren sie sich nicht in einem anachronistischen Alterswerk wie manch andere Künstler, die seit rund 25 Jahren im Musikgeschäft tätig sind.
(paper cup exit)
Wenn man die Entwicklung der Band jedoch betrachtet, und besonders die Jüngste, so wirkt es, als würde sich eine schöpferische Phase abzeichnen, die sich von eben genanntem konzeptionellen Avantgarde hin zu filigraneren Arrangements und entspannteren Songstrukturen bewegt. Die Essenz der Stücke scheint bewusst nicht mehr in der konzentrierten Energie zu liegen, sondern in den transparenter und klarer gestalteten Strukturen, deren pointierte Details scheinbar allesamt die Augen des Betrachters auf sich aufmerksam machen wollen. Keine Spur von eklektisch produziertem nährwertarmen Fast Foods, wie vielerseits bemängelt wird. Und auch den kontrollierten Feedback Orgien haben die Dame und die Herren, die sich allesamt der Fünfzig nähern, sieht man einmal von Neuzugang O’Rourke ab, nicht entsagt. So gibt man sich fast den letzten beiden Minuten des Openers Pattern Recognition einer ausschweifenden Rückkopplung hin. Im wunderbaren Dripping Dream bedient man sich ebenfalls dieser, um sie wie einen roten Faden durch das ganz Stück ziehen zu lassen. Und sie ist es auch, die das vermeintliche Ende herauszögert, damit kurz darauf die gesamte Band das Stück weiter tragen kann.
Die Perspektive mag sich geändert haben, nicht das Bewusstsein. Das Verwischen des Klanges, das Vermengen mit Störgeräuschen zu einer kultivierten und dennoch verstörenden Kakophonie, wie zu "Daydream Nation" Zeiten, weicht durchsichtigeren Klangbildern und opulenten Entwicklungen innerhalb der Songs, wie dem siebenminütigen Stones, welches durch verliebte Melodienversunkenheit und einer rockenden Brücke zu überzeugen weiß. Diese Veränderung ist nicht zuletzt O’Rourke zuzuschreiben, der die kratzenden Gitarren Kaskaden nicht vertrieben hat, sondern sie gezielt Akzente setzen lässt. Stete Reproduktion würde früher oder später zum Stillstand und zur Überalterung führen, und wäre ein unveränderlicher Zwang des sich Neuerfindens nicht auch eine gewisse, wenn auch elitärere Art von Berechenbarkeit, und die geordnete, gereifte Entwicklung, wie schon in "Murray Street", ein ebenso ehrenwerterer Fortschritt und gleichsam ein honorables Alterswerk?
Ein guter Song braucht nicht mehr als drei Akkorde, höre ich Freunde immer wieder sagen, was aber auch eine schnelle Übersättigung und musikalische Ideenlosigkeit mit sich führt. Auch in dieser vermeintlichen Ruhe, auf welche sich Sonic Youth überraschender Weise gerade zu einer Zeit einlassen, in der Amerika einen so bigott konservativen Weg verfolgt, hat nichts damit zu tun, dass man sich solcher Strickmuster der Eingängigkeit wegen bedient. Und was den zukünftigen ex Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika betrifft, so heißt man ihn keineswegs für Gut, oder hat sich in eine Akzeptanzhaltung geflüchtet. "Skimming the tops of tall trees, through the clear light of free speech." Ähnlich den ebenfalls schleichend ergrauenden Beastie Boys, treten auch Sonic Youth textlich der derzeitigen Regierung ihres Landes entgegen, ohne dabei plakativ agitierend in Polit-, oder Protestsongs zu verfallen. Vielleicht steht der Charakter der "Sonic Nurse" auch sinnbildlich für eine helfende Schwester, die dem erkrankten Land und seinem Volk die nötige Unterstützung zur Selbstheilung geben kann.
Sonic Youth treten mit ihren letzten Veröffentlichungen weder auf der Stelle, noch involvieren sie gedankenlos zeitgenössische musikalische Trends, sondern bewegen sich in einem musikalischen Umfeld, in welchem sie mit Bands vergleichen werden, deren Musiker früher aufgrund von Platten wie "Daydream Nation" oder dem jüngeren "Goo" selbst zur Gitarre griffen. Und vielleicht hat auch der ein oder andere dieser Musiker damals noch Spielzeugautos auf dem heimischen Sofa hin und her geschoben.
foto:
sonic youth
"sonic nurse"
geffen 2004 cd
sonic youth
Sonic Youth [Sonic Nurse]
"i don't mind if you sing a different song, just as long as you sing."
Wahrscheinlich war ich gerade damit beschäftigt auf der elterlichen Couchgarnitur streichholzschachtelgroße Spielzeugautos mit einem Sound zu vertonen, den ich später als Human Beatbox kennen lernen sollte, als sich Sonic Youth 1981 in New York formierten. Mit "Sonic Nurse" hat das ehemalige Quartet, welches seit längerem durch den Jack-of-all-Trades Jim O’Rourke zu einem Quintett angewachsen ist, ihr neunzehntes Album herausgebracht. Ich schreibe die Zahl ganz bewusst aus. Eine solche Beständigkeit ist schließlich rar in der bunten Welt der Popkultur. Von den frühen Noise Eskapaden und der aufständischen, convoluten Energie scheint auf den ersten Blick wenig geblieben zu sein, sagen zumindest diejenigen, die schon seit dem 2000er Album "NYC Ghosts and Flowers" an Sonic Youth vermissen, was sie früher doch so schätzten; Unberechenbarkeit und Experimentierfreude.
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