Wortartisten [Lesereise]

Vom Sinn der sinnlosen Wortaneinanderreihung oder der Tragie-Komik des Erwachsen Werden.Die Kabarettisten Jochimsen, Gieseking und Grosche geben ihre Texte zum Besten; und mal ehrlich: "Gibt es etwas schöneres als Geschichten erzählt zu bekommen?"



"vielleicht sollte ich mehr honig sagen und dabei langsam weich werden."
(erwin grosche)

Es ist halb fünf am Nachmittag. Das Kleinkunstzelt des Open Flairs ist fast am Bersten ob der Massen an Menschen die sich aufgrund des strömenden Regens hinein schieben. Mit Mühe ergattert man als Interessierter noch einen Sitzplatz, letzte Bank, passable Sicht. Kurz bevor das plätschernde Nass seinen Höhepunkt erreicht, betreten drei Männer die kleine, schlicht ausgeleuchtete Bühne. Der Mittlere ist ein etwas untersetzter Mitvierziger, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Randgruppe" trägt, der Kabarettist und Autor Bernd Gieseking, Wahl-Kölner mit Wg-Zimmer in Kassel, welcher auch sofort das Wort ergreift. Er stellt sogleich sich und seine Nachbarn vor: auf der einen Seite Jess Jochimsen, 32, ebenfalls Kabarettist und Autor, Vater eines Sohnes, geboren im provinziellen München-Ost und wohnhaft in Freiburg; auf der anderen Seite Erwin Grosche, 48, Kabarettist, Schauspieler und Autor aus Paderborn.

Eine Vorliebe für das Eschweger Publikum scheinen die drei angesichts ihrer teils provinziellen Herkunft zu haben. So erzählt Gieseking zu Anfang von seiner Kindheit als Sohn eines Zimmerers auf dem Land in der Nähe von Minden, woraufhin er mit einem scharfzüngigen "Bei uns im Handwerk sagte man damals: Wir sind doch nicht aus Zucker" die Zuschauer, welche nur wegen des Regens das Zelt aufgesucht haben, auffordert, mit denen zu tauschen, die angesichts der Überfüllung nicht mehr hinein durften. Unzweifelhaft versteht er es mit dem Publikum zu kommunizieren und hält sich auch nicht – ganz zum Vergnügen der Zuschauer – mit spöttischen Bemerkungen hinsichtlich der auffällig in orange gekleideten Austeilern von Jägermeister-Werbegeschenken zurück. Doch um Kommunikation mit dem Publikum geht es eigentlich nicht an diesem Nachmittag. Vielmehr sind die drei Kabarettisten heute angereist, um – frei nach Jochimsens Motto "Gibt es etwas schöneres als Geschichten erzählt zu bekommen?" – ihren Zuhörern die bissigsten Kommentare, zynischsten Texte und lustigsten Geschichten aus ihren Werken vorzulesen.

Schon bald haben die Drei ihr Publikum in den Bann gezogen. Während Bernd Gieseking sich vorzüglich über Männer, Frauen und ihre Probleme beim Aufeinandertreffen oder alltägliche Kuriositäten auslässt, verarbeitet Jess Jochimsen seine Kindheit als "Sohn der beiden einzigen bayerischen 68er" in Form von pointierten Geschichten rund um das Erwachsenwerden, Erwachsensein und Erwachsen handeln. So erzählt er von seinen ersten Kusserfahrungen beim Flaschendrehen, einer Taxifahrt mit einem unglücklich verliebten Taxifahrer (und schwärmt dabei ausgiebig von Winona Ryder in Jim Jarmuschs Episoden-Taxi-Film "Night on Earth") oder davon, wie er voller Stolz sein erstes Buch im Buchladen (direkt zu finden vor James Joyce) signiert und es daraufhin wegen Beschädigung auch gleich kaufen muss. Seine Schilderungen ernten tosenden Applaus, reichlich herzhafte Lacher und stellenweise auch zustimmendes Kopfnicken.

Giesekings Texte sind weniger ausgearbeitete Erzählungen, als vielmehr Tagebücher zu verschiedenen Themengebieten. So gibt er einerseits Einblicke in sein Medientagebuch mit skurrilen, jedoch nach eigenen Aussagen wahren Schnipseln aus der Medienlandschaft. Er lässt sich hierbei ausgiebig über die angebliche Heilkraft von Pizza gegen Krebs aus, und versucht zu erörtern, welche Sorte nun welches Krankheitsbild bekämpft. Andererseits gibt er in seinem Künstlertagebuch bizarre Schöpferphanstasien zum Besten, indem er weißes Papier kopiert um seine Nachahmer in die irre zu führen oder versucht, das Farbspiel in seinem Kopf zu interpretieren: "Gelb. Ich denke gelb. Was will ich mir damit sagen?" … "Heute Blau. Ich kann mich auch an sonst nichts mehr erinnern." Den Höhepunkt der Unvernunft erreicht er wohl mit seiner Idee, einen bestimmten Zebrastreifen zu signieren: "Von da an sind alle anderen bloß Imitate". Im starken Kontrast zu seinen Mitstreitern steht der vielmehr Wort- und Rhythmus-Akrobat Grosche, dessen Komik absonderliche Lieder wie der Nudel-Song - zu dessen Hilfe er zwei Packungen eifrig schüttelnde Nudeln mitgebracht hat ("die dunklen für den Rhythmus, die hellen für den Swing") - oder phrasenhafte Gedichte und Erzählungen wie das phantastische finale „Worte vor Winterlandschaften“ ausmachen. ("Vielleicht sollte ich mehr Honig sagen und dabei langsam süß und weich werden. … Wenn ich einmal Ruhe suche, gehe ich auf den Friedhof. Dort sind keine lärmenden Motorradfahrer, jedenfalls keine lebendigen. Dort sind Höchstens pensionierte Golfspieler, weil die Löcher so schön groß sind. Wenn ich einmal Ruhe suche, gehe ich auf den Friedhof. Oder ich lasse mich dahin tragen. Honig, Honig, Honig…"). Seine Stärken liegen in Sinn- und Satzbaufreien Wort-Aneinanderreihungen mit höchstem Unterhaltungswert. Die Verschiedenheit der drei Kabarettisten macht das Programm aus. Es wird nie langweilig und bietet für jeden Geschmack den passenden Humor. Als die Besucher nach eineinhalb Stunden feinster Unterhaltung das Zelt verlassen, kann man auf dem ein oder anderen Gesicht ein zufriedenes Lächeln erkennen. Von draußen strömt einem eine angenehm frische Luft entgegen. Es hat aufgehört zu regnen.
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bernd gieseking
erwin grosche
jess jochimsen
open flair festival