Yann Samuell [Liebe Mich Wenn Du Dich Traust]

Kinderspiel.
In dem Film des belgischen Regisseur Yann Samuell zieht sich das Stück La vie en rose von Eidth Piaf wie ein roter Faden durch die turbulente, bittersüße Beziehung der beiden Protagonisten.


"ich wäre gern ein pudding. ein pudding mit aprikosen."
(sophie)


"Cap ou pas cap?" Die Wörter die den Film ausmachen. Die Wörter die am häufigsten fallen und die Wörter die den beiden Hauptfiguren das Leben, das Herz und das Lieben schwer machen. Seit sie Acht Jahre alt sind, zerstören Sophie und Julien ihre Herzliebe. Ohne es zu wollen, ohne es zu merken und ohne dabei zu denken. Ihr Kinderspiel - "Top-oder-Flop" in der deutschen Übersetzung - ist der Anfang ihrer Freundschaft und das Ende ihrer Liebe. Ihr junges Leben ist gezeichnet von jährlichen, monatlichen, täglichen und von stündlichen Top-oder-Flop Fragen. Das ganze Leben war für sie ein Spiel. Die Liebe auch. Doch irgendwann hat jedes Spiel ein Ende und man ist einfach davon überzeugt, dass es mit dem gemeinsamen Ende von Julien und Sophie zu enden hat. Es muss einfach so enden. Top oder Flop.

Julien (Guillaume Canet) und Sophie (Marion Cotillard) wachsen in den aller verschiedensten Umgebungen auf. Julien in einer feinen Gegend mit seinem Vater und seiner kranken Mutter, die für ihn sein Ein und Alles ist. Sophie hingegen lebt in einer Plattenbausiedlung in einer weniger gut situierten Gegend. Doch trotz ihrer Unterschiede, verbringen sie die meiste Zeit miteinander. Ihr Spiel Top-oder-Flop ist wohl ihr roter, leitender Faden, der eine lange Linie durch ihr Leben zieht.

Der rote Faden des Spiels ist eine rote Blechdose. Sie wird hin und hergereicht. Mutproben jeder Art werden von einer Person gestellt und die Andere muss sie mit dem Wort "Top" bestehen. Hat sie es geschafft, bekommt sie die rote Spieldose und darf selbst eine neue Top-oder-Flop Aufgabe stellen. Es geht darum, wer sich mehr traut. Wer mehr wagt und wer am Ende mehr gewinnt oder verliert. Früher waren es harmlose Kinderspiele, doch mit der Zeit wurden daraus Erwachsenen Spiele. Als Kind spielte man um witzige Dinge, die Keinem weh taten und die das Herz nur leicht berührten. Man streichelte des Gegners Herz allerhöchstens mit der Fingerkuppe. Doch als Erwachsener achtete man nicht mehr auf kleinen Fingerkuppen. Als Erwachsener stößt man seine ganze Hand ins Herz hinein. Man drückt zu und presst. Man zupft es wie Watte auseinander und läßt es dann alleine zurück. Man spielt nicht mehr nur um eine Spieldose, nicht mehr nur um ein Lachen und nicht mehr nur um ein nächstes Top-oder-Flop. Man spielt um das Herz, um den Verstand und um den Gegner.

Die beiden Schauspieler Thibault Verhaeghe und Joséphine Lebas-Joly, welche die Hauptfiguren als Kinder spielen, sind die wohl schönsten Kinder, die ich je gesehen habe. Sie sehen nicht nur wunderbar aus, sie spielen auch wunderbar. Ob im französischen Original oder in der deutschen Fassung. Vielleicht liegt es aber auch einfach an den Figuren die sie spielen müssen. Denn allein der Gedanke, dass Kinder in so einem jungen Alter schon so tolle Dinge sagen können, lassen mein Herz hoch hüpfen.

Was willst du mal werden, wenn du groß bist? - Tyrann. - Wow. Ein Tyrann der sein ganzes Volk knechtet? - Der Schlimmste von allen […] und du Sophie? - Mhm. Ich wäre gern ein Pudding. Ein Pudding mit Aprikosen. Oder aber auch ohne alles. Noch ein bisschen warm. In der Bäckerei. Im Schaufenster.

Man merkt dem Film an, dass es viele fiktive Gedanken sind, die immer wieder in den Raum geschmissen werden. Dass es Träume, Wünsche oder Gedanken sind. Ich beneide den Menschen sehr, der auf all diese Ideen gekommen ist. Gerne würde ich Yann Samuell, den Regisseur des Filmes, sehen und mir hoffentlich von ihm sagen lassen, dass Liebe niemals so kompliziert werden wird, wie in diesem Film. Kein Mensch hält so ein hin und her aus, wie es Julien und Sophie erlebten. Kein Mensch. Jedenfalls hoffe ich das. Es soll einfach fiktiv sein und bleiben. So etwas gehört nicht in die Welt hinein. Man soll sich nicht 10 Jahre aus dem Weg gehen und dann erst merken, wie das eigene Herz nach dieser einen Person schreit. Wie sehr es drückt und piekt. Wie kleine, feine Nadelspitzen sticht es dann auf den Brustkorb und man kann es einfach nicht abstellen.

Mit der ganzen Zeit die verstreicht, sieht man der Dose ihre Erlebnisse förmlich an. Man sieht ihr an, dass sie schon viel durchgemacht hat und etliche Schäden in sich trägt. Genauso wie Julien und Sophie, deren ganzes Leben fast nur ein Kinderspiel war. Sie packten ihre Gefühle immer wieder ein und versuchten sie so zu verbuddeln, damit sie niemand fand. Auch wenn es eine Zeit lang andere Menschen in ihren Leben gab, hatten sie immer schon tief in sich drinnen die Gewissheit der Liebe des anderen. Man wusste, dass man sich liebt. Hat sich aber nie getraut, die Worte "ich liebe dich" auch ernsthaft, ohne Top-oder-Flop, herauszubekommen.

Mit "Liebe Mich Wenn Du Dich Traust" bekommt man ein Stück "Die fabelhafte Welt der Amélie" und letztendlich merkt man doch, dass Frankreich wohl das Land der wahren Herzgeschichten ist. Top-oder-Flop.
foto: alamode


yann samuell
"liebe mich wenn du dich traust"
(jeaux d'enfants)
2004