Haldern Pop [Rees-Haldern, 05.-06.08.2005]

Auch wenn das Wetter nicht mitspielte: Ausverkauft!
Kaum ein Wort fiel im Vorfeld des 22. Haldern Pop Festivals so häufig, kaum ein Wort könnte Veranstalterherzen höher schlagen lassen und Vorfreude und Träume so vieler Erwerbswilligen platzen lassen.


"you've got such a nice festival here."
(moneybrother)

Bereits Mitte Juni waren die 5500 Karten restlos vergriffen, sieht man einmal von diversen Verlosungsaktionen ab. Doch bei diesem Line-Up verwunderte es nicht, hatten sich doch schließlich Bands wie Franz Ferdinand, Mando Diao, Polyphonic Spree oder die Kaiser Chiefs für das diesjährige Haldern Pop angesagt.

Und so traf man noch am Freitag Nachmittag vor dem Festivalgelände Scharen von Ticketsuchenden an, die zunächst vergeblich ihre gemalten Pappdeckel in die Höhe hielten. Begonnen hatte das Programm bereits am Donnerstag Abend. Für die Frühanreisenden spielten drei Bands im kleinen aber feinen Spiegelzelt. Ebenfalls dort traten am Freitag und Samstag um die Mittagszeit jeweils zwei Nachwuchsbands auf, was für viele die einzige Gelegenheit bot, das Zelt auch einmal von innen zu sehen, wie sich später herausstellen sollte. Angenehm durchmischt zeigte sich das Publikum, dessen Altersspanne ungefähr zwischen 14 und 55 lag, darunter entfiel ein angenehm geringer Anteil auf das Klischee des klassischen Festivalprolls.

Veranstaltungen unter freiem Himmel bergen immer einen großen Unsicherheitsfaktor: das Wetter. Die Prognose für das Wochenende war überaus ungünstig und tatsächlich setzte pünktlich um 16 Uhr zu Millionaire, der ersten Band auf der Hauptbühne, strömender Regen ein. Während die Belgier vor einem noch recht überschaubaren Publikum spielten, wandelte sich vor dem Eingang das Bild auf einmal. Die Ticketsuchenden waren verschwunden, an ihre Stelle traten Kartenverkäufer, denen offenbar bereits mit den ersten Tropfen die Füße nass geworden waren. Gleichzeitig verwandelte sich das Festivalgelände in eine knöcheltiefe Schlammgrube, vor dem braunen Matsch gab es kein Entrinnen. Der Stimmung tat dies jedoch glücklicherweise kaum einen Abbruch, schließlich gab es auch früh den ersten kleinen Höhepunkt in dem hochkarätigen Line Up. Art Brut waren als kurzfristiger Ersatz von Ocean Colour Scene angetreten, doch sie waren weit mehr als nur das. Solch eine frische und engagierte Rock’n’Roll-Show hätten die einstigen Britpop-Heroen wohl kaum geboten.

Darauf folgten zwei Bands, die trotz einer gewissen Schnittmenge unterschiedlicher nicht sein könnten. The Robocop Kraus erfreuten wie so oft durch ihren natürlichen Charme, Entertainment ohne Rockstargehabe ist ihre große Stärke. Arrogantes Posing war dafür umso mehr Sache der Kaiser Chiefs, deren Überheblichkeit unwiderruflicher und notwendiger Teil ihrer Gesamterscheinung ist und genau deshalb so gut funktioniert. Der Lärmpegel in den vorderen Reihen nahm auf einmal mittels Kreischen rasant zu, der UK-Hype erreichte spätestens in diesem Moment auch das Haldern Pop. Auf der Bühne wurde einmal mehr deutlich, dass ihnen zumindest musikalisch ein ganz großer Popentwurf gelungen ist und auch der Regen endete ob dieses beeindruckenden Auftritts.

Schließlich riss der Himmel auf und färbte sich in tiefstem Rot, während Nada Surf ein recht gemächliches Set spielten. Dabei vermittelten sie den etwas bemitleidenswerten Eindruck eines Pausenfüllers, denn nach ihrem netten aber unauffälligen Set betrat das Kaizers Orchestra die Bühne. Bereits zum zweiten Mal in Haldern anwesend lieferten sie den mit Abstand bizarrsten Auftritt des Abends. Mit Sauerstoffmaske, Ölfässern und Akkordeon ausgestattet zogen die Norweger das Publikum in ihren Bann, ihre vertrackte Musik zwischen norwegischer Sprache, Rock’n’Roll und Klezmer wurde zudem von einer üppigen Light-Show wunderbar in Szene gesetzt.

So überzeugend die bisherigen Bands waren, so sehr enttäuschten Franz Ferdinand. Der Headliner des ersten Abends begann nicht nur mit reichlicher Verspätung, ihr Auftritt war schlicht und ergreifend langweilig. Zwar schienen sie bemüht, doch der Enthusiasmus fehlte. Neben Alex Kapranos’ vergleichsweise dünner Stimme wurde ebenfalls deutlich, wie limitiert die musikalischen Mittel der alten Stücke sind. Einziger Höhepunkt waren da die neuen Songs, die deutlich mehr Variabilität erkennen ließen. Doch selbst wenn der Auftritt mehr Spannung erzeugt hätte, in keinem Fall waren die dreisten Preise am Merchandising-Stand zu rechtfertigen. Denn 28 Euro für ein simples T-Shirt zu verlangen, ist nicht nur überzogen, sondern auch völlig stillos.

Zum Abschluss des Abends auf der Hauptbühne spielten die recht uninteressanten Saybia mit einer fast dreiviertelstündigen Verspätung, während fast gleichzeitig Zita Swoon im Spiegelzelt begannen. Dieses wunderschöne alte Zirkuszelt mit Holzverkleidung stand dieses Jahr bereits in Glastonbury und hatte von dort offensichtlich auch das Wetter mitgebracht. Noch ärgerlicher als dies war jedoch die Tatsache, dass das Fassungsvermögen sehr limitiert ist, und so entstand eine Schlange von hunderten von Menschen, die vergeblich um Einlass begehrten. Um 3 Uhr nachts vollführten dort schließlich British Sea Power nach eigener Aussage den Auftritt ihres Lebens. Diesmal ohne Laub und Geäst auf der Bühne spielten sie sich in einen Rausch, während dessen ein Karton voller Tulpenzwiebeln ins Publikum geworfen wurde und an dessen Abschluss eine kleine Zerstörungsorgie voller herrlich unsinniger Bühnenaktionen stand.

Wie der Freitag so begann auch der Samstag. Zwar ließ sich die Sonne am Vormittag noch blicken, doch als Saint Thomas die Bühne betraten, frischte es deutlich auf und die ersten Tropfen fielen vom Himmel. Zu allem Überfluss hatten die Magic Numbers auch noch eine derart große Verspätung, dass ihr Auftritt kurzerhand ins Spiegelzelt verlegt wurde. Dieser fiel somit auf die gleiche Zeit wie der von The Coral, welche beschwingt durch ihr Set glitten und eine große Portion Vielseitigkeit bewiesen.

Mädchenherzen höherschlagen ließ im Anschluss Moneybrother, der auf sehr sympathische Art mit dem Publikum kommunizierte und das Festival außerordentlich lobte. Fast schon demütig bedankte er sich für den Publikumszuspruch. Während der anschließend spielenden The House of Love leerte sich das Festivalgelände schlagartig, was vermutlich auf Namen und mangelnde Bekanntheit zurückzuführen war. Das Publikum kehrte jedoch pünktlich zu Phoenix wieder zurück und erlebte so den vielleicht besten Act des Festivals. Deutlich gitarrenlastiger als auf ihren Tonträgern brachten sie selbst die letzten Reihen zu intensivem Mitwippen und Kopfnicken, und so ließ sich selbst die Sonne für kurze Zeit blicken.

Ebenfalls begeistern konnten Tocotronic, die ihre betont locker-unterkühlte Pose, welche sie zwischenzeitlich eingenommen hatten, beiseite gelegt haben. Auch die ganz alten Songs schienen keine ungeliebte aber notwendige Dreingabe mehr zu sein, die Band hat ein gesundes Verhältnis im Bezug zum Spielen aller ihrer Stücke gefunden zu haben. Bloß das endlose Feedback gegen Ende ihres Auftritts hätten sie sich sparen können, wie schon vor Jahren wirkte diese Aktion seltsam deplaziert.

Eine hohe Hürde galt es für Mando Diao zu überspringen, denn praktisch deren gesamtes Equipment schien am Flughafen stecken geblieben zu sein. Und so wurde flugs Ersatz organisiert, um den Auftritt zu retten. Zwischendurch hatte erneut heftiger Regen eingesetzt, doch der Moderator kündigte an, spätestens beim dritten Song würde das schlechte Wetter ein Ende haben. Und tatsächlich trat diese Prophezeiung bereits während dem zweiten Stück ein, während über der Masse vor der Bühne eine gewaltige Dampfwolke schwebte. Begeisterung allerorten über die Schweden, die ohne große Umschweife mächtig rockten.

Kontroverser fiel da der abschließende Auftritt von The Polyphonic Spree aus. 24 Menschen in himmelblauen Roben und orchestral anmutender Besetzung, die ganz offensichtlich die Sonne anbeten, wenn das mal nicht nach amerikanischer Hippie-Sekte klang. Manch einer nahm dabei die Aufmachung wohl zu ernst, denn diese strahlte allenfalls Fröhlichkeit und augenzwinkernde Querverweise aus. Musikalisch irgendwo zwischen Band und Musical zu verorten schlug dem Publikum geballte positive Energie entgegen, die zum ersten Mal in ihrer ganzen Weite gefüllte Bühne bot einen unglaublich lebendigen Anblick. Und so waren The Polyphonic Spree ein mehr als würdiger Abschluss für das Haldern Pop. Danach spielten nur noch Emiliana Torrini und Francoiz Breut im Spiegelzelt, vor dem erneut mehr Menschen warteten als es von innen sahen.

Bemerkenswert ist letztlich, wie wenig Schaden die Stimmung durch das Wetter genommen hat. Gutgelaunte Gesichter strahlten aus Regenjacken, Gummistiefeln und umfunktionierten Mülltüten, auch wenn selbst die Abfahrt so manchen mit dem Auto im Schlamm Festsitzenden auf eine harte Probe stellte.
foto: Uta Bohls


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