The Most Serene Republic [Underwater Cinematographer]

Post Playstation Orgasm.
Das scheinbare Chaos der zeitgenössischen Reizüberflutung ordnen die sechs jungen Kanadier mit dem venezianischen Namen unter Zuhilfenahme von Enthusiasmus, ansteckender Begeisterung und einer gehörigen Portion Indiepop.


"i can formulate ideas and thoughts before i can think."
(relative's eyes)


Die übersättigte Spaßgesellschaft hat sich seit vielen Jahren in ihrer Janusköpfigkeit festgefahren; zwischen eher geistlosen aber beharrlichen Revivals vergangener Tage, den Blick zurück auf Kindheit und Jugend gerichtet, und der antriebslosen Verstimmung der Gegenwart, scheint kaum ein Gedanke an ein Fortschreiten, an eine Entwicklung verschwendet zu werden. Man legt weiterhin großen Wert auf die Juvenilisierung der Gesellschaft, und bei der vom Markt umschwärmten Zielgruppe hat sich ein äußerst seltsam anmutendes Nostalgiegefühl ausgeprägt, das man eher bei Rentnern erwarten würde. Die Früher-War-Alles-Besser Mentalität der nach der deutschen Wiedervereinigung Geborenen äußert sich heute mit einer altklugen und gleichgültigen Gewissheit. Wenn hierzulande selbst Konstantin Wecker das revolutionäre Potential nicht mehr in der klingelbetonten Jugend, sondern vielmehr bei den Rentenempfängern sieht, verlangt es nach Veränderung. Dass man sich hierfür nicht in Zweckzynismus, gleichgültiger Stagnation, altbackenen Aufschwungskampagnen oder verkopfter Idealisierung verlieren muss, zeigen zumindest im kulturellen Bereich derzeit eine handvoll junger Künstler, die aus der bunten Produktpalette des Hier und Jetzt gelernt haben und diese Erfahrungen wie selbstverständlich stilbildend verarbeiten. Man muss nicht PostEverything oder NewNewAnything mit zurückgewandtem Blick produzieren, wenn das Leben von vorne kommt. The Most Serene Republic sind eine jener Bands, die sich vom fünfzigjährigen Matriarchat der Gitarre in der Pop- und Rockmusik befreit haben, die es wagen bestehende Konventionen zu brechen und dabei so bedingungslos gut herüberkommen, dass man gewillt ist seinen Controller aus der Hand zu legen. (Ganz so schlimm ist es selbstverständlich nicht.)

The Most Serene Republic stammen – wie der Pressetext erklärt – aus den Vororten der Vororte von Toronto. Dass das oft als wegweisend bedachte urbane Leben dort nicht gerade tobt, dürfte dank der Formulierung auf der Hand liegen. Ebenso deutlich ist jedoch auch, dass aufgrund der weltweiten Vernetzung selbst in Hemmoor - Verzeihung - jenseits von Raum und Zeit kosmopolitische Erfahrungen gemacht werden können. Vielleicht ist es sogar vielmehr ein Privileg, welches man jedoch erst begreifen und für sich deutlich machen muss.

Ryan Lenssen und Adrian Jewett gründeten die Band 2003 zunächst als Duo, stellten jedoch recht schnell fest, dass ein Laptop und ein Keyboard nicht ausreichen würden, um die geplanten Ideen umzusetzen. Das ausufernde Instrumentarium – wie es für die angesprochenen Bands wie Broken Social Scene oder die Architecture In Helsinki üblich scheint – ist nur ein weiteres Indiz für den Reichtum an Melodien und Sounds, welche man in dem guten Dutzend überorchestrierter Indiepop Songs wahrnimmt. Auch wenn Lenssen bereits seit 16 Jahren Klavier spielt und angibt, dass "Underwater Cinematographer" von Igor Stravinsky inspiriert sei, lässt sich die überbordende Fülle, das gleichzeitige Stattfinden unterschiedlichster Details in den elf Stücken nicht leugnen; da laufen zwei Gesangsspuren parallel, Drum Computer wettern gegen ein echtes Schlagzeug, Keyboards, Streicher und Bläser eifern mit Gitarren um die Wette. Ein wichtiger Moment der Abgrenzung zu anderen Bands sei jedoch die Struktur, die ausgereifte Komposition dahinter. Es geht nicht um Zufälle, sondern um eine Ordnung im Chaos. "No one does that anymore, everyone just blogs", so Sänger und Posaunist Lensson.

Wenn ein Freund des Labels in einer Email die Bezeichnung "Post Playstation Orgasm" verwendet, dann geht es genau hierum. Wir haben uns die Fähigkeit angeeignet im Alltag unzählige Dinge synchron wahrzunehmen; Wir schauen fern, hören Radio, surfen im Internet und spielen Videospiele, wir unterhalten uns, während ein Mobiltelefon klingelt, aber dennoch können wir all diese Informationen selektiv ordnen. Eine solche Struktur tritt auch beim Hören des Albums immer mehr in den Vordergrund, wenn man ihm den einen oder anderen Durchlauf gegönnt hat. Was zunächst verworren und überladen klingen mag, kann rasch dekodiert werden und wir finden uns plötzlich spielend zurecht. Es scheint, als stünde man mitten im Stück selbst, gerade auch, weil es sich die Sechs Mittzwanziger nicht nehmen lassen, auch mal während den Stücken zu diskutieren.

Auch die gewählten Titel scheinen mit den Absurditäten unserer Zeit zu kokettieren; da wird das Gesprächswort "Oh" gleichsam verheißungsvoll und ironisch im Titel (Oh) God ausgeklammert, das Spiel mit der Sprache als solche in Content Was Always My Favorite Colour oder Where Cedar Nouns And Adverbs Walk ausladend gefeiert, oder eben auf jene angesprochene fragmentarische Fähigkeit in einem, jede LCD Anzeige sprengenden Titel wie The Protagonist Suddenly Realizes What He Must Do In The Middle Of Downtown Traffic eingegangen. Mit voller Selbstverständlichkeit. Schließlich wiederholt die gesamte Band am Ende von besagtem Where Cedar Nouns ... im Chor solange die Zeile "I think, we all know the words", bis keine Fragen mehr offen bleiben. Dieser gemeinsame Gesang taucht immer wieder auf, so etwa im, mit zahlreichen Handclaps und Human Beatbox angereicherten Stück Proposition 61, wenn zum Ende des, von einem Mädchen namens Jude handelnden Stückes, das Sextett die Zeile "She took a sad song and made it sadder" – zweifelsohne in Anlehnung an ein sehr bekanntes Beatles Stück - wiederholt zum besten gibt. Gerade diese überraschenden Momente, das Spiel mit den Erwartungen des Zuhörers, beeinflusst von unzähligen Melodie-, Tempi- oder auch Instrumentenwechseln birgt eine selten gehörte Originalität. Bisweilen errettet eine unscheinbare Pianomelodie aus einer anschwellenden Kakophonie und es wird des Öfteren klar, dass der Enthusiasmus und die Begeisterung der Protagonisten selbst Ursprung aller Vielfältigkeit sind.

Ich wage es einfach einmal mich an dieser Stelle sehr weit aus dem Fenster zu lehnen und "Underwater Cinematographer" als eines der eindrucksvollsten Debüt Alben des noch jungen Jahres zu benennen.
foto: p. wilson



the most serene republic
"underwater cinematographer"
arts&crafts / city slang 2006 cd / lp
the most serene republic