Jörn Hintzer, Jakob Hüfner [Weltverbesserungsmaßnahmen]

"Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen", sagte einst Helmut Schmidt. Dass diese aber mehr denn je in der heutigen wirtschaftlichen und soziokulturellen Situation des Landes benötigt werden, betrachtet auf ganz eigene Weise dieser kleine Episodenfilm.


mehr mobilität für den einzelnen bedeutet mehr mobilität für alle!
(ampel e.v.)


"Wenn die Schweizer anfangen, sich über etwas Sorgen zu machen, sollte man aufhorchen", eröffnet Leo Hickman eine seiner Kolumnen. Der 31 jährige schreibt für den Londoner Guardian und veröffentlichte unlängst im englischsprachigen Raum sein erstes Buch "A Life Stripped Bare", in welchem er über ein Jahr hinweg versuchte ein ethisch bewusstes Leben jenseits von Öko Klischees zu führen. In letzter Zeit scheint sich diese Mentalität, das Leben in den unterschiedlichsten Bereichen bewusster zu gestalten, einer neuen Beliebtheit zu erfreuen. Nachdem das deutsche Greenpeace Magazin zu Jahresbeginn eine Ausgabe unter dem Titel "Tu Was!" erstellte und darin zahlreiche Tipps zu einer „besseren Welt“ vorschlug, griff kurze Zeit später auch der Stern diese Thematik auf und wusste ebenfalls – meist überschneidende – Ratschläge einer breiteren Öffentlichkeit zu erteilen. Selbst nebensächliche Nischen Zeitschriften wie das IQ Style erkannten das Prinzip des Do-It-Yourself-Wunders und sammelten Vorschläge. "How to be good". Zwischen 50 und 60, Mal mehr, Mal weniger gut gelungene Tipps sammelten sich so in der Presse, die die Welt um einen herum im kleinen Stil verbessern sollen. Vom Lächelnauftragen bis zum Verzicht auf das Auto, vom Bio-Milch-Kauf über Fair-Trade Produkte bis zur politisch motivierten Zivilcourage, sprangen dem Leser bunte Improvisationen und tiefsinnige Anregungen für den Alltag an. (Fraglich blieb dabei erwähnte IQ Style, die zum einen aufgrund der Klimabelastung gegen die Nutzung von Kurzflügen wetterte, nur fünf Seiten weiter jedoch in einem Artikel über Billig Airlines inkonsequent alle Kritik über Bord warf).

Die Rolle des Eulenspiegels übernehmen in dieser Hinsicht die beiden Regisseure Jörn Hintzer und Jakob Hüfner – die sich mit ihrem Projekt Datenstrudel bereits für einige PeterLicht Videos verantwortlich zeigten - mit ihrem "Film für ein neues Deutschland".

"Weltverbesserungsmassnahmen". Jenseits von Agenda 2010 und Hartz 4 wird hier polemisiert, aber auch jenseits der Ernsthaftigkeit der Lage. Die Gedankenspiele bewegen sich auf parodistischem Terrain, lassen den Betrachter über die skurrilen Ideen schmunzeln, bis er bemerkt, dass in der Wirklichkeit manches Mal ebenso hanebüchene Vorschläge den Weg zur Realisation finden. Besonders die vermeintlich logische Argumentation der Bewerbungen erinnert oft erschreckend an tatsächliche Projekte. Wenn in einer Episode festgestellt wird, dass fünf Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit sind und im gleichen Atemzug fünf Millionen Einzelkinder in unserem Land ins Auge stechen, steht dies selbstverständlich in keinem Verhältnis, kann aber in einer geschickten Formulierung schnell dazu gemacht werden. Die Konsequenz aus diesem Vergleich, so wird uns suggeriert, ist zum einen, dass jedes Einzelkind eine tickende wirtschaftliche und soziokulturelle Zeitbombe darstellt, zum anderen natürlich auch, dass man durch ein konzentriertes Arbeitsmarktprogramm, welches sich der Einzelkinder annimmt, die Arbeitslosigkeit senken kann. Im praktischen, und durchaus sehenswerten Beitrag Leihgeschwister werden erwachsene Menschen ohne Arbeit in speziellen Schulungen und Fortbildungen zum "Geschwisterchen“ ausgebildet, um dann in Familien mit Einzelkindern integriert zu werden und das soziale Gefüge wieder auszubalancieren.

Der Problematik unseres maroden Gesundheitssystems und der jedoch gleichzeitig steigenden Krankenversicherungsbeiträgen widmet sich eine weitere Episode mit dem Titel Aktive Krankenversicherung, bei welcher den Versicherten ein Grundwissen an medizinischer Tätigkeit beigebracht und somit Sofortmaßnahmen – von der Diagnostik bis zur konkreten, invarsiven Therapie – kostengünstig durchgeführt werden können. "Spezialisierung ist etwas für Insekten, der Mensch ist in sich komplex!", hebt der Sachverständige hervor und geht auf die Anfänge der Chirurgie ein, welche aus der Tätigkeit von Barbieren hervorgegangen ist. "Jeder kann das. Es ist eine wunderbare Sache nicht von einem anonymen Arzt behandelt zu werden, sondern von jemandem den man kennt. Vom Nachbarn."

Die Konjunktur hingegen versucht in einem weiteren Beitrag der sorbische Euro anzukurbeln, indem jedem Schein ein immanentes Verfallsdatum in Form eines sich ausbreitenden Säureflecks zugefügt wird. Dies führt unweigerlich zur völligen Unkenntlichkeit der Banknote. "Hanka Novak ist nur eine von Vielen", abstrahiert eine sachliche Sprecherin aus dem Off vom Einzelfall auf das gesellschaftliche Problem. "Sie alle leben nach dem Motto 'Geiz ist geil' und sind stolz darauf kein Geld auszugeben. Dabei übersehen sie, dass sie durch ihr Verhalten nicht nur ihr Leben zerstören, sondern auch das der Umgebung. Wo kein Geld ausgegeben und investiert wird, kann nichts wachsen und aufgebaut werden." Das Volk überlegt sich also ein weiteres Mal ganz genau, ob und wann es sein Geld ausgeben sollte. "Ein bisschen Risiko ist dabei, aber es macht auch Spaß", wird da ein fingierter Frisiersalon Besitzer zitiert. "Die Zeit wird immer knapper und der Schein muss dann eben noch schneller weg. Was weiß ich, vielleicht abends essen gehen."

Den wissenschaftlichen Hintergrund und die benötigten Fakten für das jeweilige Konzept werden dem Normalbürger durch einen Sachverständigen näher gebracht. Dies vollzieht in jeder Folge der Experte Johannes Schleede (wunderbar gespielt von dem Laien Peter Berning in wechselnden Rollen!), der hochoffiziell die Effizienz des jeweiligen Einfalls so authentisch herüberbringt, wie es selbst RTL Explosiv und die dazugehörigen Plagiate nicht schöner könnten.

Trotzdem wird dem Zuschauer schnell klar, dass die einzelnen Episoden stets den gleichen, vorhersehbaren Ablauf haben, und dadurch vor allem weniger ambitionierte und ideenärmere Vorschläge zur Verbesserung der Welt dazu tendieren zu langweilen. „Die unsinnigsten Ideen werden hier zu Ende gedacht, damit es wieder aufwärts geht“, sagt der Film über sich selbst, ist dabei jedoch meist nicht zynisch genug, um tatsächlich Satire zu sein. Die verwackelten Handkameraperspektiven und der pseudodokumentarische Flair sind dem Zuschauer ebenfalls durch Filme wie "Bowling for Columbine" bis hin zu "Muxmäuschenstill" geläufig. Manche Episode wird durch unnötige Ausschweifungen künstlich in die Länge gezogen. Stattdessen hätte man auf eine größere Zahl von Episoden setzen können, welche dafür kompakter beleuchtet werden. Ideen sind schließlich vorhanden, so watet das Bonusmaterial u.a. mit vier weiteren Beiträgen auf. Hier sind vor allem "Sport für Faule" – einem amüsanten Filmchen in der bereits aus PeterLichts Musikvideos zu Die Transsylvanische Verwandte Ist Da und Heiterkeit bekannten Perspektive –, sowie Vorschlag zum Systemsturz – in welchem ein junger Mann im Parka mit Barcode auf dem Rücken hobbyphilosophisch angehauchte Verschwörungstheorien zum besten gibt ("Man sagt den jungen Leuten, es sei doch Demokratie! Ihr könnt doch eurem freien Willen folgen. Aber der freie Wille, der wird manipuliert!") -, hervorzuheben. Trotz dieser Einbußen garantiert der Großteil der Episoden bisweilen gute Unterhaltung und man muss der Low-Budget Produktion vor allem ihren aktuellen Bezug zu Gute halten. Inwiefern die angesprochenen Ideen tatsächlich produktiv sein könnten sei zwar dahingestellt, aber eine frische und ironische Betrachtung des konservativen Mobs ist definitiv willkommen.
foto:


jörn hintzer & jakob hüfner
"weltverbesserungsmaßnahmen"
2006
weltverbesserungsmaßnahmen
datenstrudel
peterlicht