Kreuzüber.
Seit 1993 etabliert sich der "Rock-Fans aller Coleur vereinende" Crossing All Over Sampler zu einer umsatzstarken Instanz und feiert dieses Jahr bereits seine achtzehnte Ausgabe.
"musikalische impulse schießen direkt von den tonspuren in die venen des zeitgeistes
und bringen euer blut zum kochen!"
(pr text)
In der, seit den späten Sechzigern durch die Industrie erschlossenen Nische der Popkultur, wurden bislang gefühlte zehn hoch einundzwanzig verschiedene Sampler zu den unsäglichsten Themen zusammengestellt und über die Ladentheke des Woolworth an der Ecke gereicht. Vom Feuerwerk der Stars aus den Siebzigern über TopFetenKultKuschelSmashHits bis zur generationsübergreifenden Bravo Hits Kompilation bekannt durch Rundfunk und Fernsehen, bietet die Zusammenstellung von Hits in der post-Beatles-Ära ein veritables Geschäft, denn die Zielgruppe ist Dank Dauerberieselung der freien (und leider auch öffentlich rechtlichen) Radiostationen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner konditioniert; ein "Mai A Hee" Schriftzug zur Richtigen Zeit kann so auch den schlechtesten Sampler an den desorientierten Hörer bringen. Zuviel Polemik? Na gut. Widmen wir uns dem vorliegenden Produkt.
Auch die "Crossing All Over" Reihe, ihres Zeichens als "ultimativer Rocksampler" betitelt, bringt es immerhin auf achtzehn zusammengestellte Ausgaben. Der aktuelle ist selbstverständlich stets der beste, was den Kauf der vorherigen auf gewisse Weise diskreditiert, aber das konnte man ja beim Kauf des jeweils Vorhergehenden nicht wissen. Das bewerte Konzept, größtenteils dauerrotierende Hits aus dem gitarrendominierten Musikbereich auf einer Doppel CD für die Nachwelt festzuhalten, bietet auch dieses Mal allen Grund zuzuschlagen, wenn man anfällig dafür ist, "diesen genialen Mix einfach nur abfeiern" zu wollen. Man geizt jedoch auch nicht mit Kontroversen und packt in diesem Zug Stücke wie das gleichwohl von der katholischen Kirche, der Bildzeitung (obwohl die wendehalsesque ihr Fähnchen gern mal nach dem Wind drehten), der Freizeit Revue und dem gelangweilten Feuilletonisten beachtete Hard Rock Hallelujah der finnischen GrandPrix Darlings (ich weiß, das heißt jetzt anders, Anm. d. Verf.) Lordi, oder auch das gleichwohl von der katholischen Kirche, der Bildzeitung (obwohl die wendehalsesque ihr Fähnchen gern mal nach dem Wind drehten), der Freizeit Revue und dem gelangweilten Feuilletonisten beachtete Gott Ist Ein Popstar der vom Echo ausgeschlossenen Wolfsburger Oomph! auf die Tracklist. Neben in solchen Kreisen üblichen Verdächtigen wie Rammstein (Mann Gegen Mann), My Chemical Romance (You Know What They Do To Guys Like Us In Prison) oder Nickelback (Far Away) finden sich bei Crossing All Over Vol. 18 auch Beiträge, die im Kontext schon fast deplaziert erscheinen: die poppigen Wir Sind Helden (Von Hier An Blind) wirken zwischen Die Happy (Blood Cell Traffic Jam) und Hard-Fi (Cash Machine) fast störend ruhig im Abfeiervollzug. Kontextuell waghalsig fallen auch Depeche Mode (Precious) zwischen In Extremo (Liam) und Apoptygma Berzerk (Shine On) auf. Die zweite CD erscheint in kompilierender Hinsicht zwar schlüssiger – Tomte (Ich Sang Die Ganze Zeit Von Dir), Kettcar (Deiche), Oasis (Lyla) und Maximo Park (The Coast is Always Changing) in einer Reihe – endet jedoch mit einem lebensfremden Totalausfall in Form der Toten Hosen und einer unplugged Version ihres an Clockwork Orange orientierten Welthits Hier Kommt Alex.
Der Name der totenkopfgespickten Reihe ist eben Konzept und der Erfolg gibt ihr ohnehin Recht. Zur siebzehnten Ausgabe wusste man schließlich schon frappant zu bemerken: "Während andere Compilations sich an die strikte Trennung von Metal, Rock, Electro, Gothic und Alternative halten, schlägt Crossing All Over seinem Titel gemäß massiv Brücken zwischen den Genres - und scheint damit voll den Zeitgeist zu treffen." Aufstand im Gemischtwarenladen.
Die Zusammenstellung von bereits etablierten Bands und Newcomern ist selbstredend eine gute – wenn auch nicht neue – Idee, die es erlaubt letzteren ein breiteres Publikum zu eröffnen. Schließlich ist die Platte "Radio & TV advertised". (Der gute alte Rundfunk und Fernsehen Scherz greift also immer noch!) Letztlich ist es mit diesem Alternative Rock Reißbrett exemplarisch wie mit jedem anderen Hit-Sampler im Allgemeinen: der klassische Musiknerd greift nicht auf solch belanglose und wenig aktuelle Veröffentlichungen zurück, die wirklich Interessierten begnügen sich nicht mit einzelnen Stücken und bemängeln zurecht den Wühltisch-Flair und die große Masse all jener, die nie wirklich einer szenecodierten Welt angehört haben, freuen sich bei der nächsten Hausparty Zeige- und Kleinenfinger gespreizt ein Loch in den Bauch, ob der gut gewählten Zusammenstellung. Sprich, auch diese Ausgabe wird sich verkaufen wie offenfrische Brötchen.
Als besonderes Schmankerl für all die Unentschlossenen wurde im übrigen kurzzeitig ein Medley zum Download angeboten, welches den "einzig wahren Rocksampler" bis ins Mark durchdrang und erklärt damit "den Rocksommer für eröffnet". Dem ist nichts hinzuzufügen.
foto: koks music
[crossing all over vol. 18]
gun records 2006 2cd
crossing all over
Diverse Interpreten [Crossing All Over Vol. 18]
"Der Essayist Geoffrey O'Brien", so die allwissende Wikipedia, "bezeichnete das persönliche Mixtape als die am häufigsten ausgeübte amerikanische Kunstform". Glücklicherweise hat sich in den achtziger Jahren dieses popkulturelle Phänomen auch den Weg über den Atlantik zu uns gebahnt und ist, auch in Tagen des CD und Mp3 Konsums, kaum wegzudenken. "Durch die sorgfältige Auswahl und Festlegung der Reihenfolge der Stücke innerhalb einer Zusammenstellung, kann eine künstlerische Aussage geschaffen werden, welche durchaus aussagekräftiger ist als die bloße Summe der einzelnen Lieder." Ein Sampler hingegen sei, befragt man das umtriebige Orakel erneut, ebenfalls eine Zusammenstellung von Musiktiteln zu einem bestimmten Thema, jedoch von der Musikindustrie veranlasst. Blickt man auf diese beiden Definitionsversuche scheint der kommerzielle Aspekt der wesentliche Unterschied zu sein. Der Weg vom ehemals auf die namensgebende Audiokassette beschränkten Mixtape zu einem Sampler, bzw. einer Kompilation ist intentional jedoch ein äußerst weiter. Leidenschaft, Individualität und Hingabe seien nur drei von unzähligen Stichworten. (Den Spagat zwischen beidem wagten wir selbst mit Sketchbooks, aber das bedarf keiner weiteren Ausführung an dieser Stelle).
diverse interpreten