Nicolas Mahler [Kunsttheorie Vs. Frau Goldgruber]

Das sind interessante Zeichnungen. Nur arbeiten Sie ja doch eher in einem Genre, nun, Sie verwenden, nun ja, erzählende Bildfolgen.
Sie können ruhig Comic sagen.
Ich wollte Sie nicht beleidigen.


"können sie mir einen guten porno empfehlen?"
(videothekkunde)


In den Achtzigern gab es diese populäre Fernsehwerbung eines Reinigungsprodukts, die im Allgemeinen eine recht positive Resonanz verbuchen konnte. Ich kann mich daran erinnern, wie Verwandte belustigt darüber sprachen. (Dass man sich überhaupt über Werbung unterhielt, mag ein Zeichen der Zeit gewesen sein und muss hier nicht weiter berücksichtigt werden.) Es ging darin um eine Putzkraft, die auf einer Kunstausstellung arbeitete und voller Begeisterung ob der guten Reinungsfähigkeit des speziellen Scheuermittels, eine beschmierte Badewanne blitzeblank scheuerte. Am Ende des Spots kommt die gut bürgerliche Pointe, dass nämlich die Badewanne nicht beschmiert war, sondern Gegenstand der Kunstausstellung. Das konnte die Putzfrau ja nicht ahnen, tat sie doch nur ihren Job, und das ausgezeichnet. (Der stereotype Kunstintellektuelle tritt am Ende haareraufend im Hintergrund ins Bild, während die Protagonistin verschmitzt in die Kamera lächelt.) Diese Putzfrau könnte Frau Goldgruber heißen, wenn sie nicht werbende Putzfrau, sondern Finanzbeamtin wäre und in Nicolas Mahlers Comic auftauchen würde. Mit dem gleichen Kunst(miss)verständnis, mit dem der damalige Werbespot auftrat, sieht sich Mahler in seinen episodenhaft zusammengestellten Geschichten konfrontiert. Alle theoretischen Vorstellungen über das, was Kunst sein könnte, von Sokrates über Adorno bis Lyotard, von Beuys über Danto bis Sonntag, prallen am grundsätzlichen Skeptizismus des "Das hätte ich aber auch gekonnt" ab. "Na, das wird schon irgendwie 'Kunst' sein", wird Frau Goldgruber später konstatieren, überzeugt davon, dass man „mit so was eh nix verdienen kann“.

"Sowas" sind die minimalistisch gehaltenen Zeichnungen des 1969 geborenen, in Wien lebenden Comiczeichners Mahler, die ja schon anders aussehen als "die Schlümpfe und Micky Maus", an was man so "als erstes denkt, wenn man 'Comics' hört". Sagt Frau Goldgruber. Aber nicht nur die namensgebende Finanzbeamtin steht im direkten Widerspruch zu dem, was Mahler als Comiczeichner und somit Künstler vertritt; von der Steuerberaterin über Werbeagenturen bis zur elitären Kunst- und Theaterszene, in der sich Mahler später wiederfinden wird: In allen Konfrontationen läuft es letztlich darauf hinaus, dass man sich dem Kunstbegriff von wesentlich verschiedenen Perspektiven annährt. Von Positionen, die keinerlei diskursive Auseinandersetzung ermöglichen, da sie begrifflich auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Und genau aus dieser Überlegung heraus entstehen die vortrefflichen Pointen, die Mahler mit seinen präzise dahin gekritzelten Figuren setzt. Der autobiographische Einschlag der Anekdoten – mit Erzählungen aus dem Leben als Comiczeichner, tatsächlichen kunsttheoretischen Auseinandersetzungen im Vorlesungsformat und dem obligatorischen, Authentizität hauchenden Hinweis "kein Wort ist frei erfunden, alles ist genau so passiert!" – verleiht den alltäglichen Absurditäten denen Mahler begegnet einen besonderen Akzent. Die langen, dünnen, oder kleinen, dicken Herren, die meist stabilen, korpulenten, oder dürren Frauen mit den extravaganten Frisuren sind offensichtlich zu absurd, zu kindlich naiv gezeichnet, als dass sie der gewählten thematischen Auseinandersetzung als zweckdienlich erscheinen. Doch benötigt Mahler sie nicht, um der vermeintlich trockenen Auseinandersetzung mit Kunst einen humorvollen Gegenpol zu bieten. Vielmehr schaffen sie dem eigentlich Humorvollem, dem absurden Inszenieren der allgegenwärtigen Missverständnisse in der Diskussion um das Wesen der Kunst, in ihrer Simplizität einen möglichen Boden, der sich nicht durch fein säuberliche und detaillierte Zeichnungen in den Vordergrund drängt.

Am Ende ist es schließlich die Tragik, die sich im Mantel des Komischen verbirgt und die den geneigten Leser zu überzeugen weiß. Donquichottesk begibt sich die Figur Mahlers – nicht nur aufgrund der Anatomie an Cervantes Romanhelden erinnernd – immer wieder aufs Neue in den Kampf gegen Missverständnisse und Fehlinterpretationen, denn nirgendwo, so scheint die letzte Einsicht, kann sich der Comickünstler tatsächlich zu Hause fühlen; für die Avantgardisten zu simpel, für die Comicmesse zu humorlos, für den Kunstdiskurs zu wertlos, für die Transportversicherung zu sehr Kunst, für die Hochschule zu sehr Low Art und für den Zoll in zu geringer Auflage. "Und was machen Sie sonst noch?"
foto: clair de bulle / zeichnung: kunsttheorie vs. frau goldgruber



nicolas mahler
"kunsttheorie versus frau goldgruber"
reprodukt verlag 2007
nicolas mahler