My Sister Grenadine [Shine In The Dark]

Sturm und Drang.
Als Kollegin Nadja die Besprechung zum Debüt von Polaroid Liquid schrieb, der Band, in welcher der My Sister Grenadine Kopf Vincenz Kokot Gitarre spielt und singt, assoziierte sie diese ebenfalls mit den jungen, experimentierfreudigen Dichtern des 18. Jahrhunderts. Zufall?



"i float around in circles and i walk on to the end of the peer."
(ballad of joy)


Wenn wir die Musik als das betrachten und bereit sind zu verstehen, was sie in ihrer primären, einfachsten und rudimentärsten Form ist, nämlich rein musikalischer Text, so sind wir als Hörer in der Lage, harmonische Zusammenhänge, rhythmische Bezüge und Stilmerkmale zu erkennen, einzuordnen und zu evaluieren. Wir finden Schlüssel und Schlupflöcher, können plötzlich rein analytisch nachvollziehen, warum uns ein Motiv als besonders reizvoll, eine Melodie als besonders eingängig erscheint.

Was wir so nicht vermögen, ist hinter die Musik zu blicken, uns zu den Anfängen der Entstehung einer Text- oder Notenzeile durch zu fühlen und zu hören. Um das zu ergründen, müssen wir ein Empfinden entwickeln um Assoziationen entstehen zu lassen, um aus der Musik keinen universellen Sinn, sondern einen persönlichen, rein subjektiven Gehalt zu ziehen.

Genau dieser Inhalt, mit dem jeder Rezipient ein Musikstück füllt, ist das tiefe und erfolgsbegründende Wesen der Popmusik. Und anders als in Autor-negierenden Ansätzen in der Literaturwissenschaft darf der Urheber, der Musiker in dem Diskurs um Bedeutung und Aussage kräftig mitmischen.

Auch bei My Sister Grenadine darf und sollte man nach dem Mann hinter der Musik und nach seinen Einflüssen fragen. Vincenz Kokot wohnt in Berlin, sieht gut aus, ist jung und hat eine imaginäre Schwester namens Grenadine, die ihn inspirierend durch die Songs seines Debutalbums "Shine In The Dark" begleitet und ein etwas seltsames, unentschlüsseltes Gegenbild zu dem Musiker darstellt, der sich als Rahmen seiner Arbeiten an die Bedingungen eines klassichen Singer/Songwriters hält. So begnügt er sich mit Gitarre, Stimme und der für ihn charakteristischen Ukulele. Ein Instrumentarium, dass den Songs von vornherein Bombast, gewaltige Klangmassen und hochtrabende Experimente verweigert, und das, zum Glück und zum Genuss des Hörers.

Kokots Lieder sind geprägt von dem unglaublich feinen Gespür für die Wirkung musikalischer Parameter und dessen Ausführung auf zweifellos hohem musikalischen Niveau. Er experimentiert mit einer breiten Palette von Stimmfarben, Lautstärken und Tempi, malt und schmückt aus und bleibt dabei doch schlicht. Alle Songs wirken leicht, fast sommerlich und im Grunde optimistisch, driften jedoch nie in eine jackjohnsonesk gleichgültige Fröhlichkeit ab, sondern bewahren stets eine gewissen Schwermut, einen melancholischen Gedanken. Dabei verfällt Kokot weder in eine selbstzerstörerische Conor Oberst-Manier, noch drückt er auf die Kitschdrüse des leichten Popsongs. Die dringlichen, vorwärts treibenden Pickings, die verworrenen, nie enden wollenden Harmonien sind alles andere als Pop-verträglich. Keine Musik zum mitsingen, sondern zum nachdenken. Nicht für den anonymen Hörer, sondern für jemand Vertrauten gemacht. Da plätschert keine Note, kein Ton wird der Eingängigkeit wegen wiederholt, es gibt weder Refrains, noch Strophen, die dem verwöhnten Ohr das Hören leicht machen könnten. Denn Vincenz Kokot macht nicht Musik um zu gefallen, sondern, wenn sich hier und dort Analogien zu José Gonzales einschleichen, macht sich diese musikalischen Vorlieben zu eigen und bleibt in seiner jugendlichen Unruhe immer authentisch. Man bleibt mit dem Gefühl zurück, noch lange nicht angekommen zu sein, wo auch immer die Reise hingehen soll. Neben uns sitzt Grenadine, grinst und schaut dann wieder aus dem Fenster, an dem die Bäume und Felder wie im Zeitraffer vorbei fliegen.
foto: anja conrad




my sister grenadine
"shine in the dark"
solaris empire 2008 cd
my sister grenadine

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Nicolas Mahler [Die Zumutungen Der Moderne]

In der Fortsetzung zu "Kunsttheorie Vs. Frau Goldgruber" hält Mahlers Comic Alter-Ego wieder Einzug in die minimalistisch gestaltete Welt mit den sperrigen Strichzeichnungen und trockenen Bemerkungen.


"hell is also life."
(jyrki heikkinen)


Erneut kehrt der österreichische Comiczeichner und Autor Nicolas Mahler mit seinen auto- biographischen Anekdoten zurück, die schon in "Kunsttheorie Vs. Frau Goldgruber" zu überzeugen wussten und an deren Erzählung sich der Band "Die Zumutungen Der Moderne" anschließt. Wieder erzählt Mahler aus dem Leben eines Comicautors im Allgemeinen und seinen persönlichen Erfahrungen auf Comicmessen, Trickfilmfestivals, Kunstausstellungen und ein ums andere Mal bei skurrilen Telefongesprächen, im Besonderen. Dabei lässt er nicht nur die Kollektiverfahrung von und für unterschätzte Künstler aufleben, sondern macht diese in nachvollziehbaren Zügen auch für Außenstehende erfahrbar. Wieder begegnen wir in den minimalistischen Zeichnungen den windschiefen, augenlosen Figuren mit ihrem kugelrunden oder spindeldürren Äußeren, die absurder Weise vielleicht gerade aufgrund ihrer mimischen Beschränktheit und ihrer urwüchsigen Hässlichkeit an Ausdrucksstärke und Plastizität gewinnen.

Nun sind die latent kauzigen Geschichten, die Mahler in seinem episodenhaften Stil entwickelt nicht grundsätzlich witzig, doch sicherlich komisch. Wenigstens in mindestens einer der beiden Verwendungen des Wortes, und eben dieser Moment des deadpan Komischen in der Beobachtung von Alltagsbanalitäten scheint mir die große Gabe des Österreichers zu sein, welche er mit wenigen Strichen und Worten zu Papier bringt. Das weiß er sicherlich, weshalb sein langnäsiges, immer in schwarz gekleidetes Comic Alter-Ego auch fast ausschließlich als Beobachter auftritt. Meist verharrt er stoisch, wie ein ausgedienter Leuchtturm im hektischen Treiben um ihn herum und löst sich nur selten aus seiner Passivität, etwa wenn er aufgeregt den Kunstdiebstahl – eines seiner Werke! - an der Rezeption des Hotels Schweizerhof meldet. Ansonsten erfahren wir nach einem kurzen Rückblick in die Jugend des Herrn Mahlers, Portraitskizzen dessen, was ihm nach dem Erfolg von "Kunsttheorie" und seiner Animationsfilmadaption von "Flaschko" als jetzt renommierten Künstler widerfährt: er begegnet Finnen mit übermäßigem Alkoholkonsum – die in den Anmerkungen mit „You did a very good portrait of our country, it is us“ von Mahler zitiert werden –, Craig Thompson und Marjane Satrapi auf Festivals, teilt in einem Traum mit H. R. Giger ein Hotelzimmer, wird ad hoc für zehn Tage als Artist in Residence zum Fumetto Comix Festival nach Luzern eingeladen und wir lernen, dass sich Trickfilm zu Film verhält, wie Comic zu Literatur.

Durch das Belegen von Details, das Ergänzen durch Fußnoten und Materialien am Ende des Buches, wird dem Leser eine Authentizität der Geschichten vorgespielt – in "Kunsttheorie" hieß es im Vorwort noch plakativ "Dennoch ist kein Wort frei erfunden, alles ist genau so passiert" -, der man gern gewillt ist zu glauben. Wohlweislich, dass es sich hier um eines der verführerischsten Medien von allen handelt, denn die suggestiven Wort-Bild-Verschmelzungen scheinen sich einer rationellen Argumentation zu entziehen: Wie können wir schließlich bezweifeln, was uns vor Augen geführt wird?

In den "Zumutungen der Moderne" fasst Mahler seine scheinbar wahllos zusammengewürfelten Beobachtungsfragmente, die sich meist über vier bis acht Panels erstrecken, unter diesem zunächst kryptisch anmutenden Titel zusammen. Erst im Verlauf seiner Erzählungen stellt sich heraus, was hiermit gemeint ist und man muss auf zwei höchst befremdliche Dinge zurückgreifen, um die Bezeichnung nachvollziehbar zu machen: DJ Bobo und den Eurovision Song Contest. Aufklärende Wirkung in diese seltsame Verflechtung bietet ein im Anhang abgedruckter Zeitungsartikel vom 21. April 2007 mit der Schlagzeile "DJ Bobo darf singen": "Der Bundesrat will und kann den Song 'Vampires Are Alive' von DJ Bobo nicht verbieten. Dies schrieb die Landesregierung in ihrer Antwort auf eine Petition der EDU (Eidgenössisch-Demokratische Union, Anm. des Verf.). Der Entscheid, welcher Song die Schweiz am Eurovision Song Contest vertrete, werden von einer Jury gefällt. Die EDU ist von der Antwort enttäuscht und schreibt von einer 'Kapitulation des Bundesrates'." Der campy Umgang der wertkonservativen und bibeltreuen Partei mit dem Thema Pop führt schließlich in erwähnter Petition zum titelgebenden Zitat. Dort schrieb man empört bezüglich des boboschen Vampir Songs: "49000 Leute haben genug von den gottlosen Zumutungen der Moderne". Durch den Blick des Beobachters Mahler wird in seinem Buch diese Perspektive geschickt dekonstruiert, entblößt Mahler seinerseits jene konservative Haltung als an ihn, im Alltäglichen immer aufs Neue herangetragene Zumutungen der Moderne, welche er in seinen Beobachtungen porträtiert, sammelt, katalogisiert. Vielleicht hat im Nachhinein auch einer der Petitionsunterzeichner aufgrund dieser "Beflegelungen" Mahler wütend angerufen und ihm, wie der anonyme Anruf eines in Wien lebenden iranischen Monarchisten, der sich bei Mahler über Satrapis "Persepolis" beschwerte, mitgeteilt: "Ich habe das Buch gelesen und ich habe mich darüber so aufgeregt ... ich habe Blut geschissen!" Sollte dies so sein, werden wir es hoffentlich als Randnotiz im nächsten Band der mahlerschen Reihe gelungener Selbstportraits erfahren.
portrait: ulli lust/ zeichnung: die zumutungen der moderne



nicolas mahler
"die zumutungen der moderne"
reprodukt verlag 2007
nicolas mahler

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Beatpoeten [Unterwegs]

Man stelle sich Mozart mit einer Groovebox und Schiller mit einem Mikrofon vor. Dazu erschießt Che Guevara im Hintergrund eigenwillige Bauern auf Kuba, während Adorno und Horkheimer sich beängstigende Blicke zu werfen. Glaubt keiner? Die hier schon…



"und das plakat ist wie ein spiegel deiner selbst;
zerrissen und kaputt und die reste treibt der wind.
"
(menschliche fackel)


Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine Revolution“ – Emma Goldmann wusste schon vor knapp einhundert Jahren, dass das Tanzen zu einem Wandel einfach dazugehört. Den Körper bewegen während etwas Neues angestoßen wird, das eine Welle in Kraft setzen kann, die das Alte wegspült und die frisch gesäten Samen sprießen lässt. Benennen wir die Welle als Beat und die Samen als Worte, so brauchen wir nur etwas Zeit und wir haben eine neue Pflanze geschaffen: Elektrolyrik. So nennt es sich auf dem Papier, doch steckt dort viel mehr dahinter als nur ein Genrebegriff. Jan Egge Sedelies und Costa Carlos Alexander sind Bastler der neuen Generation. Der Erste ist Autor und Zeitungsredakteur, der andere hat vor den DJ-Status ein großes „Ex-“ gesetzt und frickelt heutzutage lieber an elektronischen Instrumenten herum. Beide zusammen sind seit 2006 unter dem Namen Beatpoeten ein musikalisches Duo, das eine Fusion aus ihren beiden Leidenschaften geschaffen hat: Worte treffen auf Beat, werden tanzbar.

"Unterwegs" ist die Quintessenz dieser Zusammenkunft. Ein Album, das nicht lange wartet, bis es nach dem Einlegen in den CD-Spieler sein wahres Gesicht zeigt. Zu Zeiten in denen sich Poetry Slams sogar bereits auf eine Bekanntheitsebene der Öffentlichen-Rechtlichen Fernseh-Kanäle hoch gekämpft haben und man irgendwie immer im Hinterkopf hat, wie man doch am liebsten und in welcher Art und wo die Betonung und überhaupt die Worte um die Ohren geschlagen bekommen haben will, ist schon das erste Stück Leben im Bücherschrank die Abwechslung auf die man gewartet hat. Ein mit Effekten gespickter Beat ertönt neben Jan Egge Sedelies Worten, die nicht den Fehler machen zu überragen. Sie passen sich an. Die Stimme beherrscht die Stücke einfach nicht mit der sonst gewohnten Autorität, sondern unterliegt stattdessen eher dem vorgegebenen Rhythmus, wird von ihm geformt, angepasst und ausgespuckt. Die Beatpoeten vertonen keine Texte, sie spielen solange mit ihnen, bis der Körper sich bewegen, die Ohren zuhören und der Kopf verarbeiten will.

Die textliche Qualität der Stücke zeugt von Jan Egge Sedelies langjährigen Erfahrungen im Bereich des Poetry Slams: sozialkritisch, politisch, ironisch, humorvoll, realitätsnah. Mit Dorothy Gale bei Pantheon Rococo ist ein ideales Beispiel für zeitnahe Lyrik, die weder die Hand im Schritt noch die Tränen im Knopfloch hat. Stattdessen gibt es das gute alte Mann-trifft-Frau-Spiel auf Diskoebene mit allem, was der Alkohol, die dröhnende Musik, die Hitze und die links orientierte politische Haltung dazu beizutragen haben: „Du starrst sie an. Schwitzt. Sie hält kurz inne. Spürt deinen Blick. Öffnet die Augen. Atmet durch. Lächelt. Konzentration. Konzentration? Konzentration ist ein Begriff der Privilegierten. Was hätte der Che jetzt getan? Mh. Schlechtes Beispiel. Vermutlich auf eine Zigarre auf die bevorstehende Revolution eingeladen. Zumindest hätte er es so gesagt, vieldeutig zwinkernd und seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen. Und wenn sie dankend abgelehnt, erschossen – wie die eigenwilligen Bauern auf Cuba. Ganz schlechtes Beispiel.

Hier fehlt der Platz und vor allem die Zeit, um das ganze Maß der textlichen und musikalischen Grenzen, die die Beatpoeten brechen und wieder neu aufziehen, detailgetreu und repräsentationsgerecht widerzuspiegeln. Allerdings sei eines erwähnt: Es braucht Zeit. "Unterwegs" ist kein Album, das man einlegt, wenn man einfach nur tanzen will. Im Ganzen ist es vielmehr ein Eintauchen in ein Experiment, das geglückt ist. So merkt man spätestens beim letzten Stück, Gleichgültige Gleichzeitigkeiten, das einen subjektiven Blick auf die Weltgeschichte von 1980 bis heute wirft, wie viel Seriosität doch in diesem Album steckt und es deswegen keineswegs als verspielte Elektrogefrickel-Trend-Platte abgestempelt werden darf. Das hätte es nicht verdient. Sonnenblumen pflanzt man schließlich auch nicht einfach neben Brennnesseln ein.

Deine Geschichte ist Vorgeschichte. Vorgeschichte ist Weltgeschichte. Weltgeschichte ist Vorgeschichte. Die Genesis liegt noch vor dir. Du grübelst über Spuren und versteckte Wegweiser und stolperst über einen Ernst-Bloch-Satz zu Krimiromanen: 'Etwas ist nicht geheuer, damit fängt es an'.
foto: felix seuffert




beatpoeten
"unterwegs"
sprechstation verlag 2008 cd
beatpoeten

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Sonntag Nachmittag [Juli 2008]










fotos: manuel kaufmann

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Haldern Pop [Rees-Haldern, 07.-09.08.2008: Vorschau]

Kann Pop altern?
Ein Vorgucker auf die Dinge die da kommen.



"ich galube, ich kenne jemanden, der das weiß."
(festival motto 2008)


Auf runden Geburtstagen kommen immer besondere Freunde, wir überlegen drei mal, wer uns besuchen und zweideutige Kommentare zum neuen Lebensjahr in die Runder werfen darf. Runde Geburtstage sind dazu da, wehmütig in die Vergangenheit und erwartungsfroh in die Zukunft zu blicken. Das gilt für Menschen wie auch für Festivals. Man lässt kurz vor dem Jubiläum die Glanzstunden der alten Tage wieder hochleben, erinnert sich folgenschwerer Patzer, die in der Rückschau nicht minder wehtun als in Echtzeit. So muss es Stefan Reichmann und seinem Haldern Pop Team in den letzten Monaten, Wochen und Tagen ergangen sein. Das Maß an Geschichtsträchtigkeit des Haldern ist ungleich höher als bei anderen Musikfesten seiner Größe und Qualität, und folgerichtig auch unter längerer, ständiger Beobachtung spitzfindiger Musikfreunde, die die Entwicklung des Festes Jahr für Jahr haarklein in Foren auseinandernehmen und sich über zwölf Monate Bands wünschen, diskutieren, nervös werden und im letzten Moment Karten kaufen. Und kaum ist der letzte Akkord im Spiegelzelt verklungen wird sich selbstverständlich schon aufs nächste Mal gefreut, denn das Haldern hat Suchtcharakter. Dieses Jahr wird es älter als viele seiner Besucher - stolze 25 Jahre. Und wo andere Veranstalter die Jahre nutzen um ihre Festivals kommerziell auszuschlachten pocht und besteht das Haldern-Team auf die Konstante Exklusivität.

Das Konzept ist nach wie vor: Teilweise meilenweit von Mainstream entfernte Bands, die ihre große Zeit oft noch vor sich haben gepaart mit einer für alle Seiten erträglich großem Publikum. Statt der Jagd auf Number-One-Hits und Stilikonen forschen die Organisatoren lieber nach handverlesenem und innovativem, schließlich sind sie nicht in erster Linie Veranstaltungsmanager, sondern Musikliebhaber.

Ihren Dank für diese Konzepttreue und die charakterliche Stärke, die zweifellos hinter dem Unterfangen steht, zeigt das Publikum mit Vertrauen in das Line-Up und einem familiären, und angenehm „normalen“ Verhalten. Während sich auf anderen Festivals bierselige Grüppchen mit lautstarker Eigenbeschallung, die sich mehr für Reibereien mit Zeltnachbarn und Grillgut interessieren als für die Musik wie Löwenzahn vermehren, ist die Camp-Gemeinschaft auf den Kuhwiesen des Haldern angenehm homogen und friedfertig geblieben. Man pilgert zusammen zum Eiswagen oder hilft sich großzügig mit Heringen und Klopapier aus. Da verwundert es auch nicht, dass zwischen den Zelten und Autos bis in die Abendstunden Kinder rumwuseln und Fussball spielen. Später sieht man sie dann auf Papas Schultern mit Ohrenschützern vor der Hauptbühne im Takt mitwippen, und die Haldern-Kiddies aus dem Dorf helfen sogar beim Getränke verkaufen. Trotz seiner Familienfreundlichkeit ist das Haldern Pop Garant für jugendliche Hipness, ohne aufgesetzt zu sein, wie eine Art Talentschmiede werden jährlich neue Bands von neugierigen, wissenshungrigen Musiknerds heiss erwartet und unter die Lupe genommen, anstatt genau zu wissen was einen erwartet gehen die Besucher gerne das Risiko ein, sich auch mal überraschen zu lassen.

Neben Programm und Menschen bietet der Veranstaltungsort im beschaulichen Rees weitere Vorzüge. Es gibt da beispielweise einen Bahnhof mit kostenlosem Abholservice, zwei auf Festivalbesucher eingestellte Supermärkte, viel flache und idyllische Landschaft und es gibt den beinahe sagenumwobenen See.

Zum Geburtstag gibt’s dieses Jahr wie immer kleine Geheimtipps und ein paar gefeierte Kracher auf den Bühnen. Unter dem Motto „Ich glaube, ich kenne jemanden, der das weiß“ wird dieses Jahr von 7. - 9. August den ganzen Tag Musik gehört und gesehen, die Karten sind schon ausverkauft, also bleibt nur noch zu sagen: Hofft auf gutes Wetter und zählt die Tage!
foto: marcus beine

haldern pop

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Lite [Phantasia]

Der Nerd und der Bully sind am Ende vereint.
Mit mathematischer Präzision und diskreter Härte spielen die vier Herren aus Tokio ihr zweites Album in voller Länge ein.



"thanks for the recommendation but i already do love them a lot."
(eintrag in einem postrock forum)


Betrachtet man zeitgenössische Kompositionen der letzten eineinhalb Dekaden aus dem Land der aufgehenden Sonne, wird nicht nur der darin aufgenommene Einfluss westlicher Kulturen deutlich, der mit traditionellen Elementen spielend, zu einer neuen Synthese verschwimmt. Der exaltierte Umgang mit der zur Verfügung stehenden Zeit fällt ebenso ins Auge, respektabel ins Ohr. Nicht nur in der klassischen Musik werden Musiker immer mehr zu handwerklichen Großmeistern in der Beherrschung ihrer Instrumente, wandern Finger schneller über Klaviertasten, Bögen hastiger über Geigensaiten, so dass dem Auge nur noch ein verwischtes Bild zu erfassen übrig bleibt. Auch im großen Konglomerat Popmusik zeichnen sich ähnliche Entwicklungen ab. Solche Beobachtungen lassen sich selbstverständlich gut in das bestehende Bild des stereotypen Japans als emsigen Workaholic Arbeitsstaat einbinden.

Wo andere Bands wie Kinski oder Crashing Dreams ihre instrumentalen Rockkompositionen langsam in kraftvollen Mustern entwickeln, herrscht bei dem japanischen Quartett Lite eine distinguierte Hektik. Vom ersten impulsiven Gitarrenriff des Eröffnungsstückes Ef an, wird dem Zuhörer kaum die Möglichkeit zum Verschnaufen eingeräumt. Mit enormer Geschwindigkeit tragen die vier Herren ihre von zwei Gitarren getragenen Stücke vor. Was bei anderen Künstlern nach Kollektivimprovisationen im Studio klingt, scheint im Falle Lites präzises und bis ins kleinste Detail kalkuliertes Songwriting zu sein. Improvisation würde am Ende Zeit benötigen, zum Denken, zum Anpassen und Reagieren, was in den supersonischen Arrangements als kaum möglich erscheint. Doch dieses technisch versierte Spiel, der hoch komplexe, oft durch Sollbruchstellen und ad hoc neu einsetzenden Rhythmen und Harmonien getragene Stil, verlangt vom Zuhörer ein hohes Maß an Konzentration. Allein die verschachtelte Rhythmik, die ein ums andere Mal auf das etablierte Viervierteltaktmuster des klassischen Rock verzichtet und an dessen Stelle stakkatohaft malträtierte Drumpattern im asymmetrischen Sieben- oder gar Dreizehnachteltakt stellt, bewegt die liteschen Stücke auf dem schmalen Grad zwischen avantgardistischer Genialität und unhörbarem Kauderwelsch. Was dem Metalhead zu diffizil mathematisch daherkommen, dem Indiegitarrenfanboy hingegen zu hart und rau konzeptioniert anmuten mag, muss sich eine Nische im Zwischen-den-Stühlen der Rockgenres suchen.

Den beiden Gitarristen Nobuyuki Takeda und Kozo Kusumoto gelingt es innerhalb der elf Stücke beinahe dialektische eine Synthese aus repetitiven, statischen Gitarrenmotiven und dichten, dynamischen Spannungsbögen aufzubauen, welche durch eben dieses Zusammenspiel – oder Gegeneinanderarbeiten, wie man will - der beiden Instrumente charakteristisch für die Band wird. Ganz gleich ob über staubtrockene Beats (Infinite Mirror), zu dem elegischen Spiel eines Cellos (Sequel To The Letter) oder brachial stampfend in dem fünfeinhalb Minuten Monster Shinkai. Das zart besaitete Interlude im Zentrum des Albums separiert "Phantsia" dann auch - wenn man die Analogie mit der Mathematik weiterspielen möchte - wie die Achse in einem Koordinatensystem in zwei sich gegenüberstehende Flächen. Zwei Seiten einer Münze, wenn man so will. Überwiegt in der zweiten Hälfte doch das eher organische, harmonische Spiel etwa im hiesigen Kontext beinahe als fragil erscheinenden, behände tänzelnden Ghost Dance – in welchem der Schlagzeuger seine unfassbare Geschwindigkeit unter anderem an einem Woodblock demonstriert -, dem sich hier fast als zeitlupenhaft entfaltenden Solitude, oder dem zwischen düster-grimmigen und erhellend-fröhlichen Momenten oszillierendem Fade.

Dieser technokratische Aspekt, das fraktale Moment im kalkulierten Spiel von Variationen und Spiegelungen, findet sich auch in der grafischen Gestaltung von "Phantasia“ wieder. In der pastellfarbenen Unörtlichkeit des Covers blicken zwei Gesichter zueinander, die mit nervös arrangierten Mustern aus Hochhaussilhouetten und Blütenkelchen überlagert sind. Das Spannungsfeld von Natürlich-Organischem und Artififziell-Technischem greift vielleicht auch das dualistische Verhältnis von uralter Tradition und High Tech Kultur auf, welches man Japan selbst zuschreibt. „Alles, was irgend ist, ein Konkretes ist und in sich selbst Unterschiedenes und Entgegengesetztes.“ Dieser hegelsche Gedanke drängt sich am Ende des Albums auf. „Was überhaupt die Welt bewegt“, so folgert dieser schließlich, „das ist der Widerspruch“.
foto:




lite
"phantasia"
transduction records 2008 cd / lp
lite

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September Malevolence [After This Darkness, There's A Next]

Wiedereinmal ist Göteborg Ausgangspunkt einer musikalischen Reise, die ihre ganz eigene Geschichte zu erzählen weiß, dabei aber nicht vom melancholischen Kern der Musikszene dieser südschwedischen Metropole abweicht.



"oh my god, it's been ages, look at you now."
(i shut doors and windows)


Wie in Jules Vernes "Voyage Au Centre De La Terre", der Reise zum Mittelpunkt der Erde, in welcher unterirdische Kulturen, niemals den Himmel sehend, in unvorstellbar großen, Vorhöllen gleichen Höhlen existieren, erscheinen die Nomaden auf dem sepiagefärbten Cover des zweiten Albums der Schweden mit dem vorsätzlich düsteren Namen. Auf Pferden und Kamelen bewegt man sich in einer utgardschen Verlorenheit mit riesenwüchsigen Stalagmiten, die sich aus dem Höhlenboden empor winden. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, dass das Übel von noch größerem Ausmaß sein könnte, man sich tatsächlich auf unserer nicht wieder zuerkennend verdunkelten Erdoberfläche befindet, der Himmel von schwarzen Wolken überspannt, und es tatsächlich leuchtturmdicke Tornados sind, die sich aus einem See heraus bedrohlich in die Höhe schrauben. Keiner der fliehenden Reiter wird dieses harmagedonische Szenario in irgendeiner Weise überleben. Und selbst wenn, hält der Titel eine weitere Hiobsbotschaft für diese bereit: "After This Darkness, There`s A Next".

Das ausweglos Klaustrophobische ist der rote Faden, den September Malevolence durch ihr Werk ziehen; geflochten aus Stillstand, Resignation und das sich selbst Aushändigen ins Unausweichliche. Nach der kritisch fragenden Veröffentlichung aus dem Jahr 2005 mit dem Titel "Tomorrow We'll Wonder Where This Generation Gets Its Priorities From", artikuliert man sich dieser Tage tatsächlich mit Worten. Das postrocksche Schweigen des Debüts wird durch den immer irgendwie im Abwesenden stehenden Gesang von Bassist Martin Lundmark gebrochen und es sind düstere Visionen, für die er hier Worte findet. Wie die Nicht-Örtlichkeit eines finsteren Utopia, scheint auch die Nicht-Vordergründigkeit dieses Gesangs das vorliegende Album zu prägen. Gerade dieses Unpräzise, Unperfekte an der Stimme Lundmarks gibt den Stücken ihre Stärke, auch wenn das sich antithetisch aus dem Momenthaften, Konkreten speisende "Anprangern von gesellschaftlichen Misständen" (aus dem Pressetext stolz in beinahe allen Rezensionen aufgenommen) vielleicht nicht das geschickteste Thema für eine solche Veröffentlichung zu sein scheint. Agitprop, wenn man ihn ernst nehmen soll, geht anders, das weiß man.

Die musikalische Interpretation dieser ins Unendliche potenzierten Tristesse versucht alle Register des Prätentiösen und Pompösen zu ziehen, die einer Gitarrenband zur Verfügung stehen. Und doch erscheint die aus den donnernden Crescendi mittels warmer Lap-Steel Gitarre und zierlichem Glockenspiel aufblitzende Melancholie geradezu wie ein zweischneidiger Hoffnungsschimmer aus dieser paralytischen Welt. "Trust and betrayal / there's a hope, a crude light / and alone at last / I succumb to all my fears / with eyes wide shut." (Exxon Valdez, betitelt nach dem 1989 eine der größten Umweltkatastrophen verursachenden Öltanker.) Gerade hier finden sich die besten Momente der Platte, hält man mit weit aufgerissenen Augen den Atem an. Die überwiegende Auswahl an Songideen weiß zu überzeugen, man bewegt sich in bekannten Gefilden; für die Band, als auch den Zuhörer. Sowohl die langsam anschwellenden Hymnen wie Moments, als auch die kurzen, innehaltenden Versatzstücke wie Brandskar sind vertreten und man weiß solide mit den Themen umzugehen. Bereits bei dem eröffnenden Stück Who Watches The Watchmen? (Eine Hommage an Alan Moore?) und dessen irgendwo aus dem Off kommenden Klavierklängen wird klar, dass man dieses Album laut hören muss, um dessen viele Perspektiven auf die allgegenwärtige Verzweiflung alle Ehre zu erweisen; Erst dann fühlt man sich so verloren wie im cartesischen Strudel, bei dem man weder an die Oberfläche noch auf den Grund zu reichen mag. Und das ist, so vermute ich, das adäquate Gefühl diesem Monster gegenüber.
foto:



september malevolence
"after this darkness, there's a next"
a tender vision records 2008 cd
september malevolence

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Those Dancing Days [Those Dancing Days]

Nase rümpfen gilt nicht.





"I wanna know how i think and what i’m feeling, what i want my life to be."
(hitten)


Schweden gilt ja schon seid langem als die Brutstätte hochwertiger, hausgemachter und unabhängiger Musik, als Heimat von Gitarrenhelden und Popmädchen, und scheint sowieso in jeglicher Hinsicht Garant für unkonventionelle und legitime Hipness geworden zu sein. So steht der skandinavische Staat nicht nur dank seiner Bands, sondern seines gesamten Lifestyles im allgemeinen für den guten Geschmack des jungen Indiehörers der Jetzt-Zeit. Schließlich kommt Ikea aus Schweden, die Sprache klingt witzig, und die Menschen sind nachdenklich und sehen besser aus als wir. Wer etwas auf sich hält, fliegt zu Konzerten in die schwedische Hauptstadt oder belegt zumindest einen Sprachkurs in der Uni. Soweit das Klischee.

Doch der Hype ist nicht ganz unbegründet. Tatsächlich scheint der Pop, der uns aus Richtung Norden erreicht irgendwie tiefer empfunden, innovativer und musikalisch geschickter als vergleichbares aus westliche Gefilden. Im Kopf klingeln Namen wie Tiger Lou, Jens Lekmann und Anna Ternheim und nur zu leichtfertig wird bei neuen Bands Nationalität mit Qualität gleichgesetzt. So sehr Bands wie Those Dancing Days von diesem Bonus und der Vorarbeit anderer profitieren, so sehr muss der Hörer aufpassen, unvoreingenommen an die Sache, bzw. die CD heranzugehen, bzw. hineinzuhören.

Erstmal die Fakten, fünf blutjunge Mädchen an klassischen Popinstrumenten machen klassischen Indiepop. Einfache Melodien, eingängige Rhythmusmuster, Teenietexte. All das untergebracht auf einer fünf Song-EP ergeben das musikalische Endprodukt der zweijährigen Zusammenarbeit der Schweden, die in erster Linie Freundinnen und nicht Musikerinnen sind. So weisen die Songs wenig an musikalisch Neuem oder technisch anspruchsvollem Material auf, das etwas zu hektische Schlagzeug ist bisweilen unrhythmisch und die Gitarre schrebbelt noch etwas uninspiriert auf seinen Akkorden herum.

Doch darf man auch nicht 18-jährige mit Endzwanzigern oder Dreißigern messen, dessen Anspruch doch ein ganz anderer ist und auch sein muss als der, den diese im wahrsten Sinne des Wortes „Anfängerinnen“ mitbringen. Hier geht es darum eigene Songs zu gestalten, auf den vorhandenen Fähigkeiten, die es in der Zufunkt noch auszubauen gilt.

Es geht um Popkultur und die Mode die eigenen Hör- und Tanzvorlieben zur Musik zu machen. So lässt sich auch die etwas hochnäsige und selbstbewusste Attitüde der Mädchen erklären, die einfach empfänglicher für Hype und Klamottenestile sind, als die mit mehr Lebenserfahrung ausgestatteten, abgebrühten "Oldies" im Musikgeschehen (und Oldie wird man hier immer schneller). Dass man hier der momentanen Mode um das Bild vom süßen Indiegirl mit Vintage-Kleidchen, Intelligenz und Gitarre aufsitzt, ist ebenso verständlich wie normal, und nicht unsympathisch. Noch nicht. Und tatsächlich haben die Songs, besonders Hitten (schwedisch: Hit) das Potential zu kleinen Popschlagern einer gewissen, und ganz bestimmt sehr jungen Klientel, was im ganz besonders hohen Maße der wahrlich außergewöhnlich interessanten und angenehm tief gefärbten Stimme der Sängerin Linnea zuzuschreiben ist. Schon jetzt ist die junge Band auf dem besten Weg zum internationalen Hype, wir warten brav vor dem Radio und verfolgen gespannt was da ganz bestimmt noch spannendes kommt.

Those Dancig Days sind schnell, gehen vorwärts, und sind unruhig. So wie Jugend sein soll.
foto: motorfm



those dancing days
"those dancing days"
wichita 2008 ep
those dancing days

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Sonntag Nachmittag [Juni 2008]






















fotos: manuel kaufmann

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Destroyer [Trouble in Dreams]

Wenn man bedenkt, dass mich mein 15 Jahre jüngerer Großcousin beim Kinderkniffel um Längen schlägt und ich Kreuzworträtsel nur mit Fantasiewörtern fülle, weil mir die richtigen Lösungen nicht einfallen wollen, dann gehören Knobeleien aller Art nicht zu meinen Stärken.

A blind doe learns to work the rig /
A once-thin man turns into a pig /
The endless groves wherein my soul
pukes the night away

(Shooting Rockets)


Doch weil ich mir diese Schande nicht eingestehen will und sie mich wie ein schlechtes Omen Tag für Tag verfolgt, habe ich mir heute das schwierigste aller Rätsel vorgenommen. Mein Lehrmeister sei in diesem Fall Daniel Bejar, Mastermind und Kniffelkönig der kanadischen Band Destroyer. Dieser hat mit „Trouble in Dreams“ ein wahrlich kryptisches Meisterwerk veröffentlicht, für dessen Entschlüsselung man eine eigene Dechiffriermaschine entwerfen müsste.

„Trouble in Dreams“ ist kein Kreuzworträtsel im herkömmlichen Sinne, sondern die bereits 10. Veröffentlichung der kanadischen Band Destroyer und ihres Heads Daniel Bejar, der nicht nur in Vancouver für sein unorthodoxes Songwriting und seine herausfordernden Lyrics bekannt geworden ist. In der alten Welt werden ihn einige durch seine Kollaborationen mit The New Pornographers kennen (man denke nur an das wunderbare Myriad Harbour oder an das etwas bedächtigere Entering White Cecilia auf dem letzten New Pornographers-Album “Challengers“). Doch nicht nur bei den Pornographers hat Bejar seine Spuren hinterlassen: zusammen mit Spencer Krug von Wolf Parade engagiert er sich bei der Merge-Allstar-Band Swan Lake und unterstützt seine Freundin Sydney Vermont bei den hauptsächlich akustisch gehaltenen Hello, Blue Roses. Destroyer, Bejars Hauptband, bleibt leider noch immer hinter den vielen erfolgreichen kanadischen Exportschlagern zurück. Nichtsdestotrotz haben sie sich mit Merge Records eine wirklich förderungswillige Plattform gesucht, auf dem auch schon Arcade Fire ihr Portfolio hinterlegt haben.

Abseits der vielen Referenzanalysen und Kollaborationsketten öffnet Daniel Bejar mit “Trouble in Dreams“ wieder einmal seinen ganz persönlichen Rubik Cube, in dem alles von seiner markanten Stimme umgeben ist. Dieser Zauberwürfel besteht – um zu dem eigentlichen Rätsel der Band Destroyer zurückzukehren –aus verschiedenen Klangfarben, die ständig miteinander kombiniert werden. Der rote Faden im Destroyer-Kosmos ist Bejars charismatische Stimme, die sich wie ein Teppich über die Musik legt. Variabel, jedoch nicht unbeständig füllt er den Raum aus und erhebt sich mit seiner poetischen Tiefe zu schier unendlichen Assoziationsketten. Die Songs auf „Trouble in Dreams“ sind allesamt aus mehreren Blickwinkeln betrachtbar. In The State beispielsweise berichtet Bejar auf der einen Seite von einer animalischen Staatsmacht, die dem Erzähler die Augen mit ihren Nägeln auskratzt, auf der anderen Seite jedoch wird diese Allmacht zu der Metapher einer sich langsam auflösenden Beziehung, die nur noch durch Verlustängste zusammengehalten wird.

Nachzulesen sind diese und andere Interpretationsansätze auf dem hauseigenen Destroyer-Wiki (Destroyer-Wiki) – einem Wikipedia-Clon, der sich mit der Dechiffrierung der Destroyer-Texte befasst. Im bekannten Wiki-Design kann man sich durch einen Großteil der Lyrics manövrieren und wird durch Querverweise zum Diskussionsforum geführt, dass neben textlichen Analogien zur griechischen Mythologie auch populärwissenschaftliche Ansätze möglich macht. Außerdem findet man eine Übersicht des bisher veröffentlichten Destroyer-Backkatalogs und ein wirklich gut sortiertes Rezensionsarchiv. Und dank des bekannten Wiki-Prinzips kann jeder seinen Beitrag leisten. Herausragend sei in diesem Sinne auch der Ansatz der Betreiber der Seite: „This is an attempt to annotate Destroyer lyrics. However, no attempt is made at describing what a song is about. I don't know what any of them are about." Wie Recht sie doch haben.

Ob es letztendlich eine richtige Auslegung von „Trouble in Dreams“ gibt, weiß nur Daniel Bejar selbst. Hat es überhaupt jemals die eine universelle Antwort auf eine Frage gegeben? Vielleicht führt er uns alle nur an der Nase herum und denkt sich irgendeinen diffusen Kram aus, den niemand verstehen kann oder aber er versucht einer einseitigen Textaussage durch eine vorzeitig angelegte Universalität zuvorzukommen. Vielleicht liegt die Antwort auch näher als vorerst angenommen: letzte Woche habe ich erneut mit meinem kleinen Großcousin geknobelt und wieder haushoch verloren. Danach habe ich ihm Destroyer vorgespielt. Er verstand den „komischen Onkel mit der leiernden Stimme gar nicht so richtig", aber zur Musik hat er sich dennoch geäußert: „Englisch haben wir erst nächstes Jahr, aber dazu kann man bestimmt schön tanzen.
foto:

Destroyer
"Trouble in Dreams"
Merge Records, 2008, CD
Destroyer bei myspace
Destroyer-Wiki

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