Seit 1992 lässt Mike Mignola seine Gruppe paranormaler Ermittler im Dienste einer geheimen US-Behörde auf das Unheimliche in der Welt los. Im Zentrum dieser Geschichte steht der horngestutzte Hellboy.
"don't mess with me lady. i've been drinking with skeletons."
(hellboy)Von Beginn an, als Mike Mignola seinen Charakter Hellboy auf der San Diego Comic Convention 1992 vorstellte, beeindruckte dieser außerordentlich und vor allem nachhaltig. Dies begründet sich, so scheint sich die Fachwelt im Nachhinein einig, in zweierlei Aspekten: Zum einen weiß Mignola – in der ersten Episode noch maßgeblich von Kollege John Byrne unterstützt – seine Geschichten gekonnt mit geschicktem Wortwitz und sich sorgsam entfaltenden Spannungsbögen zu erzählen. Er bemüht sich, seine Charaktere langsam und sorgsam zu entwickeln und gibt ihnen, sich selbst und den Lesern die nötige Zeit dazu. Zum anderen ist sein holzschnittartiger, mit Schlagschatten versehener, kontrastreicher und kantiger Zeichenstil ein wahrer Augenöffner. In seinem kreativen Ideenreichtum wird er gar von Altmeister Alan Moore mit Jack Kirby und dessen wegweisenden Illustrationen verglichen. In der Welt der Comicindustrie ist Mignola als Autor und Zeichner seiner eigenen Reihe durchaus untypisch. Doch ist dies nur die mit Anerkennung überschwänglich gelobte Form, die ohne den mit ihr verknüpften Stoff nicht erdenklich ist: Hellboy. Der schöpferische Akt der Kreation dieses Antihelden im Dienste des geheimen US-Amerikanischen Bureau for Paranormal Research and Defense – kurz B.P.R.D. - samt dessen skurrilen Welt kann nicht hoch genug gelobt werden. Im eingespielten, von Marvel und DC dominierten Markt, ist das Etablieren einer eigenen Figur und ihrer Welt, der Schaffung eines neuen urabnen Mythos im Stile Bat-, Super- oder Spidermans und deren kohärenter Sekundärwelt, eine Seltenheit. Selbst wenn Dark Horse, der publizierende Verlag, der drittgrößte auf dem US-Amerikanischen Markt ist, beträgt deren Anteil an Veröffentlichungen und Umsatz verschwindend geringe vier Prozent. Hellboy bleibt damit ein Phänomen, welches Moore lobend einen „Juwel von beachtlicher Größe und überraschendem Glanz“ beschreibt. Für Mignolas Talent und der Begeisterung an seiner Schöpfung spricht letztlich auch, dass sein hellboy vom Empire Magazin auf Platz 35 der „Top 50 Greatest Comic Book Characters“ aller Zeiten gesetzt wurde. Binnen gut 15 Jahren ist er bereits in der Lage Spawn, Green Lantern und gar New Yorks blinden Rechtsanwalt Daredevil auf die Plätze zu verweisen.
Der über zwei-Meter große, hühnenhafte, rothäutige, gelbäugige, gehörnte, rauchende, fluchende, fürchterlich starke und kaum klein zu kriegende Hellboy fand seinen Ursprung in „unserer“ Welt – so erzählt es sein Mythos im Prolog zu "Seed of Destruction" - als winziges Geschöpf, welches aus einer anderen Dimension in die unsere gelangte. Ein Unfall, so erscheint es zumindest zunächst, der von einer kleinen Gruppierung von Nazis am Ende des Ersten Weltkrieges verursacht wurde. Ein halbes Jahrhundert später ist der ausgewachsene „Vorfall“ teil eben jenes streng geheimen B.P.R.D. und widmet sich der Aufgabe, paranormalen Aktivitäten nachzugehen. „When things go bump in the night, we are the ones who bump back.“ Hellboy und die weiteren obskuren Agenten der Behörde – wie der Fischmensch Abe Sapiens oder die pyrokenetisch begabte Liz Sherman – agieren dabei als eine Mischung aus dem nach archäologischen und mystischen Geheimnissen suchenden Indiana Jones – vgl. auch die Nazi Schergen - und den sich mit parapsychologischen Phänomenen herumplagenden Agenten Mulder und Scully.
Mignola verzichtet beim Erzählen weitgehend auf einen kontinuierlichen Storyverlauf und unterbricht die gegenwärtigen Ereignisse der Fabula immer wieder durch kurze, in der Zeit springende Erzählungen und Rückblenden und nährt sich hierüber langsam der Geschichte und Gegenwart der einzelnen Charaktere und deren Konstellationen an, ohne dabei die Kohärenz seiner Welt aufs Spiel zu setzen. Durch den daraus resultierenden episodenhaften Stil einzelner One-Shot Stories gelingt es Mignola außerdem, seine Liebe für Pulp Geschichten, Lovecraft'schen Horror, Poe'sche Düsternis, sowie Märchen und Folklore in die eigenen Werke einfließen zu lassen. So findet sich der große rote Kerl im knittrigen Trenchcoat immer wieder in intelligenten Interpretationen zahlreicher Volksmythen wieder und wird mit Sagengestalten aus aller Welt konfrontiert, wie der slawischen Baba Jaga, die bei Mignola sowohl die Figur der bösen Hexe als auch der esoterischen Auffassung als Muttergöttin in sich vereint.
Gerade vor dem Hintergrund, dass ein wesentliches Erfolgsmerkmal der Reihe die einprägsamen und charateristischen Zeichnungen sind, hat sich der deutsche Lausch-Verlag auf ein heres Wagnis eingelssen: der Verarbeitung der mignolschen Erzählungen als Hörbuch. Neben den franchise Verarbeitungen wie Del Torros jüngste Blockbusterverfilmungen und der dichter an den Comics angelehnten Animationsfilme, ist dieser Ansatz ein originär Neuer. Dass die Macher durchaus einen ambitionierten Ansatz verfolgen wird nicht zuletzt durch die hauptsächlich orchestrale Musikuntermalung und durch den Gewinn der gesamten Synchronsprecherriege, die den Charakteren auch in eben erwähnten Filmen ihre Stimmen verliehen hat. Was das rein akustische Medium per definitionem an bildlicher Sprache einbüßen muss, versucht es durch die atmosphärische Klanggestaltung wett zu machen. Was im Comic durch zwei, drei Panel angedeutet wird und sich der Leser induktiv erschließen muss, wird hier sowohl musikalisch als auch sprachlich artikuliert. Man ist bestrebt die original Dialoge zu übernehmen, die inneren Monologe der einzelnen Charaktere glaubhaft zu inszenieren und schmückt lediglich jene Passagen der Erzählung detailreich aus, welche im Original nur Angedeutet oder durch kurze Verweise hervorgehoben werden. Dies gelingt überraschend gut, wenn auch einige kleine Unstimmigkeiten übersehen wurden; So dient Hellboy etwa auch an den Stellen als Erzähler, von denen er als Hellboy schlichtweg nichts wissen kann. Doch die Artikulation ist oftmals zu präzise, schließt jene Leerstellen, die Mignola mittels seinen Zeichnungen bewusst eröffnet. Dem Medium Comic gelingt es in dieser Hinsicht dem Betrachter oft unterschätzte Projektionen jenseits der Sprache anzubieten und es scheint mir naiv zu glauben, man könne mit Worten eben all jenes nicht nur adäquat, sondern gar klarer und deutlicher ausdrücken. Ebenfalls fraglich ist, weshalb die bislang veröffentlichten Erzählungen „Seed Of Destruction“ und „Wake The Devil“ jeweils als zwei Teile separate verkauft werden, wo eine Doppel-CD sicherlich käuferfreundlicher gewesen wäre.
Die Hörspiele sind vielleicht ein interessanter Einblick in Mignolas Werk für all jene die den Funny-Books distanziert gegenüberstehen, dem Medium Hörspiel gegenüber jedoch offen sind. Doch ist die Comic-Reihe selbst eine klare Empfehlung. Oder, um es mit Alan Moore zu sagen: „Sit down and knock it back in one, then wait for your reading experience to undergo a mystifying and alarming transformation. Hellboy is a passport to a corner of funny-book heaven you may never want to leave. Enter and enjoy."
foto: christine mignola / illustration: mike mignola
mike mignola
"hellboy"
dark horse comics
cross cult verlag
lausch 2008
mike mignola
Mike Mignola [Hellboy]
600 Wörter [Achtjährige sind die ewigen 68er]
Achtjährige sind die ewigen 68er – was wir von Ihnen lernen können
ODER: Jetzt oder nie: Anarchie!Die Welt ist schlecht. Soweit nichts Neues. Politiker sind korrupt, Manager gierig, Frauen immer schon vergeben. Gegenstrategien versprechen statt Veränderung höchstens Lob fürs Engagement und wenn’s schlimm kommt einen Platz in der Neon-Liste der 100 wichtigsten Deutschen. Geschenkt. Zeit sich zu besinnen. Wir feiern in diesem Jahr 40 Jahre 68, jener kruden Phase der Politikentschlossenheit, einer wie auch immer gearteten Kulturrevolution, eine Jahreszahl, die für mehr Assoziationen herhalten muss als manche Jahrhundert. Wie viele Bilder assoziieren wir mit dem 13. Jahrhundert?
1968 gab es in den USA einen Revoltefachmann namens Jerry Rubin. Er trug die Haare lang, nahm Drogen, setzte sich für die Black Panther ein. Ein agitierender Bud Spencer an der Seite von LSD-Guru Abbie Hoffmann. Zwar schnitt er sich nach dem Ende des Vietnamkriegs den Bart ab, wurde vom Yippie zum Yuppie, Börsenmakler an der Wall-Street und später vom Auto überfahren (Leben und sterben auf der Straße, sic!), doch eine Parole seines Agitprop-Bändchens „Do it – Scenario für die Revolution“ ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. „Unsere Führer müssen die Achtjährigen sein!“
Nun gut, nicht jeder Kevin-Leon und jede Britney-Jaqueline hätte das Zeug zum Che. Dennoch hat dieses Bild etwas Faszinierendes. Denn ja, die waren Anarchisten sind acht Jahre alt. Erinnern wir uns: Wir, ein paar Kinder aus dem Plattenbau, zusammengewürfelt wie Gemüsesorten beim mütterlichen Reste-Reis-Risotto. Wir stopften uns mehr Kaugummi in die Münder als hineinpasste, stahlen Smarties im Edeka Wucherpfennig („Wer so heißt, muss beklaut werden!“) tranken Cola bis wir durch die Nase sprudelten und rülpsten. Überhaupt rülpsen. Wir rülpsten in Supermärkten, wir rülpsten in der Fußgängerzone, rülpsten an Straßenbahnhaltestellen. Autoritäten waren uns fremd. Wenn wir nicht rülpsten spuckten wir, warfen mit Süßigkeiten und hauten „Ich muss um acht zu Hause sein“-Jochen eine rein. Nur zum Spaß. Wir traten Mülleimer um, warfen mit verfaulten Äpfeln und abends, wenn es dunkler wurde und Jochen sich ins holunderfarbene Bettzeug verkroch, gingen wir auf die Laternen los. Ein Knallen, ein Krachen, ein Kinderlachen!
Wir hatten Waffen, Bomben, Kriegspläne, wir hatten nichts zu verlieren. Wir versenkten unsere Köpfe in Wassermelonen und kruden Ideen, wir bauten aus Moddermatsch Panzer und aus Überraschungseierhüllen mit wenig Wasser und Backpulver kleine Sprengkörper. Wir waren nicht aufzuhalten. Wir waren Großstadtindianer und Häuserschluchtsoldaten, Panzerknackerrubbelbildträger und Barbiepuppenfrisöre, wir waren Kellerspielkinder und Straßentennisweltmeister, wir waren die bessere BMX-Bande (Nicole Kidman mit roten Locken ging ja mal gar nicht) und die Skatebordjugendgang, die immer zu laut war, wir waren Dosenfußballkoryphäen, Kaugummiautomatenkiller, Stromleitungsbewerfer und Telefonzellenpinkler, wir waren Autospiegelabtreter und Wandbeschmierer und vor allem waren wir nicht verantwortlich. Wir lebten Anarchie, unsere Träume, die Freiheit.
Unsere Eltern glaubten uns zu kontrollieren, dabei kontrollierten wir sie, bestimmten über ihren Tagesablauf, ließen uns von ihnen chauffieren. Die Politiker gaben uns Geld, allein weil wir Kinder waren, schafften Einrichtungen, in denen wir uns mit anderen Kindern zusammenschließen konnten, und versicherten immer wieder: Kinder sind unsere Zukunft!
Wir hatten längst gewonnen. Wir waren frei. Die Welt mochte schlecht sein, unsere war es nicht. Wir waren selbst korrupt und gierig genug, um alles zu bekommen, was wir wollten. Frauen? Sie küssten uns, schmusten und betonten immer wieder, wie groß wir schon geworden wären. Wir hätten sie alle haben können.
Zurück ins Jahr 2008. Rubin hatte Unrecht. Die Achtjährigen müssen nicht unsere Führer sein, sie sind es längst. Und uns Älteren bleibt nur die Kooperation. Wir können uns einschleimen und ihnen nacheifern.
Das macht die Welt vielleicht nicht besser – aber spannender. Leben wir unsere Träume, versenken wir unsere Köpfe in Wassermelonen und kleben wir uns Panzerknackerrubbelbilder auf die Arme. Und wenn uns 1968 und dieser kleine Erinnerungstrip etwas lehrt, dann das Frauen auf Outlaws stehen. Auf zum Klingelstreich!
Matthias Glasner [Der Freie Wille]
Ein Film von Matthias Glasner über Theo und Netti. Über Einsamkeit und Zweisamkeit. Zwischen triebhafter Brutalität und liebevoller Hingabe, menschlichen Abgründen und ersehnter Normalität. Ein Film über zwei Menschen die gemeinsam bis zum konsequenten Ende gehen.
(theo)In "Der freie Wille" spielt Jürgen Vogel den Sexualstraftäter Theo Stoer, der nach neun Jahren Maßregelvollzug in der Normalität des Alltags Fuß zu fassen versucht und trotz aller Kraft und Bemühen letztlich an sich selbst, seiner Angst und seinem Trieb zu scheitern droht.
Für mich ist dieser Film einer von den Guten, den wirklich Guten. Ein Film der dem Zuschauer nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern ihn ebenso packt, fordert und vielleicht sogar auch herausfordert. Diese Idee der Herausforderung erscheint einem sogleich einleuchtend, sobald man sich die Anfangssequenz anschaut. Theo überfällt tagsüber in einer abgelegenen Dühnengegend eine junge Radfahrerin und vergeht sich sexuell an ihr.
Nein... eigentlich müsste man es so bezeichnen, wie es dem Zuschauer tatsächlich auch präsentiert wird: er vergewaltigt sie. Er dringt triebhaft plump in die junge Frau ein, spuckt sich zwischenzeitlich auf Zeige- und Mittelfinger um es seinem Treiben zu erleichtern und schlägt ihr sogleich mehrmals kräftig ins Gesicht. Völlig gedankenlos und losgelöst von jeglichem menschlichen Verstand vergeht er sich an ihr. Und ich muss sagen: all diese Worte können nicht ansatzweise das Gefühl beschreiben, welches der Zuschauer wohl empfinden mag, wenn er mit dieser Szene konfrontiert wird.
Nach neun Jahren in einer Maßregelvollzugsanstalt und drei vergewaltigten Frauen wird Theo in eine betreute Wohngemeinschaft entlassen, mit dem ehrlichgemeinten Ziel für sich und sein bisheriges Leben einen Neubeginn zu wagen: „Ich will zeigen, dass es möglich ist ein gesundes, normales Leben zu leben, auch wenn man mal falsch angefangen hat.“ Dem Zuschauer begenet Jürgen Vogel als Theo Stoer nach seiner Entlassung mit einem völlig veränderten Auftreten. Nicht nur die ins Gesicht hängenden Haare, die Bomberjacke und Jogginghose sind weg, sondern auch der bezeichnend schwere, beinah nach vorne fallende Gang ist verschwunden.
Der scheinbar „neue“ Theo wirkt auf den Zuschauer wie ein normaler junger Mann, der bereit ist eine Arbeit zu finden, ihr gewissenhaft nachzugehen und auch sonst ein ganz normales Leben zu führen.
Doch trotz festem Job, festem Wohnsitz, einem zeitweilig guten Freund als Ansprechpartner und einer Kampfsportart zum inneren Ausgleich, spürt Theo immer mal wieder seinen Trieb, das gewisse Verlangen. Dennoch beharrt er darauf alles in den Griff zu bekommen und ist beinahe besessen davon, das zu werden, was er sich als Ideal gesetzt hat: ein stink normaler Mann mit einem stink normalen Leben. Weg vom Trieb, hin zum Leben!
Zeitgleich schafft es Netti (Sabine Timoteo), die Tochter von Theos Chef, sich nach 27 Jahren von ihrem besitzergreifenden Vater zu lösen. Eines Tages lernen sich Netti und Theo persönlich kennen und verlieben sich einige Zeit und Probleme später auch ineinander. Doch zunächst sind sich beide mehr als suspekt und gehen keineswegs menschlich aufeinander ein. Netti will Theo klar machen: „Pass auf, das hier bringt nichts. Ich mag Männer nicht und ich will auch keinen in meinem Leben. Wir können uns also die ganze Unterhaltung sparen!“ „Trifft sich gut, ich mag Frauen auch nicht so besonders“, setzt Theo ihr entgegen und macht dem Zuschauer gleichzeitig klar, dass mit dieser kurzen Konversation ihre gemeinsame Geschichte nun beginnt. Die Zeit zwischen den beiden scheint beide völlig zu verändern. Sie gehen aufeinander ein, wirken wie ein ganz normales, verliebtes Paar, dass eine harmonische Beziehung zu führen scheint. Doch Theo und Netti müssen sich schnell eingestehen, dass sie beide gebrannte Kinder sind. Theo, der sich stets mit seinem Verlangen auseinandersetzen muss und Netti, die versucht über die psychischen Misshandlungen ihres Vaters hinwegzukommen. Zusammen ergibt ihre Beziehung eine komplizierte, aber für den Zuschauer zugleich romantische Liebesgeschichte, die beiden Figuren zunächst Halt und Wohlbefinden schenkt.
Doch als Theo erneut seinem Trieb erliegt und eine weitere Frau brutal vergewaltigt, erkennt er, dass es nie aufhören wird, er immer und ausausweichlich mit seinem Verlangen konfrontiert sein wird. So sehr er sich auch um Besserung bemüht, er fühlt sich gefangen in seinem eigenen Körper und zu schwach, um gegen sich selbst anzukämpfen. Theo entscheidet sich dazu, Netti seine bisher verschwiegene Vergangenheit zu erzählen. „Bevor ich hierher kam, da war ich neun Jahre weggesperrt. Ich hab drei Frauen vergewaltigt. Erst hab ich sie verprügelt und dann hab ich sie gefickt. Eine hab ich ausgezogen und auf'n heißen Herd gesetzt. Ich wollte, dass alles gut ist zwischen uns. Dass es aufhört. Aber das is’ hier drinnen. Immer. Immer. Und es hört nicht auf, das weiß ich jetzt. Hörst du das? Ich weiß, dass es nie aufhört.“
Mit dieser Ankündigung trennt sich Theo von Netti und lässt sie weinend und schreiend hinter sich. Er will sie aus ihrem Leben streichen und seine Liebe zu ihr unterdrücken. Für ihn scheint das realisierbarer als sein Verlangen nach Frauen zu unterdrücken, an dem er sich gescheitert fühlt.
Es läuft einem kalt den Rücken und das Herz hinunter, wenn man sich vorstellt, dass Nettis Liebe so eine Große ist, dass sie Theo gehen lässt. Bevor er sich selbst verliert, verliert sie lieber ihn. Den jungen Mann, der an sich selbst gescheitert ist und mit dem Gedanken nicht leben wollte, dass es niemals ein Ende nehmen wird. Netti war die erste Frau, bei der Theo nicht primär auf der Suche nach sexueller Befriedigung war. Er suchte Nähe, menschliche Nähe, und fand diese bisher ungespürte Zuneigung bei ihr, die sie ihn bis zu seinem Ende spüren ließ. Seine Erfüllung war, dass es einen Menschen in seinem Leben gab, der für ihn zutiefst bedeutsam war.
Dieser Film ist alles was ich mir wünsche: Alles und nichts zugleich. Schockierend und beeindruckend. Schonungslos und konsequent. Erlösend und fast unerträglich. Er ist einer von den Guten!
foto:
matthias glasner
"der freie wille"
2006
K&F Records
Noch ist Dresden nicht der Folk-Nabel der Welt. Aber das könnte sich schon bald ändern, denn das junge Dresdner Independent-Label K&F Records bietet talentierten Singer/Songwritern eine musikalische Heimat und schielt dabei ungeniert über den großen Teich.
"k&f records heißt nicht, dass hier die ganze zeit ein einzelner mann zur akustischen gitarre
weint, sondern bezieht auch breitwandigere bandformate mit ein."
(mario cetti und lars hiller)Nach dem großen weiten Amerika soll der Label-Sound klingen: anmutend, episch, countryesk und sich zuweilen in den Unweiten der Electronica verirrend. Das jedenfalls haben sich Mario Cetti und Lars Hiller vom Dresdner Independent-Label K&F Records groß auf die Fahnen geschrieben. Hervorgegangen aus einer Künstler- und Kreativ Gemeinschaft, welche bereits seit einigen Jahren als Bookingagentur und Veranstalter von Dresden aus die Fäden zieht, will man zukünftig auch das Label „K&F“ wachsen lassen, dabei aber die regionalen Wurzeln nicht aus den Augen verlieren. Gleichzeitig möchte man sich aber auch nationalen wie internationalen Künstler nicht verschließen, sondern stattdessen Türen und Ohren offen halten. Die ersten beiden Band-Veröffentlichungen des Labels, die in Zusammenarbeit mit Broken Silence erschienen sind, stammen von The Poem is You und Garda.
Letzt genannte Formation setzt sich aus einem bunten Musikerkollektiv um Sänger und Texter Kai Lehmann zusammen. Gardas Grundidee, minimalistische Songs zu schreiben, die allein durch Lehmanns zerbrechliches Organ und einer Akustik Gitarre getragen werden, wurde schnell verworfen und die Stücke im Studio mit Streichern, Piano, Bläsern und Klarinette arrangiert. Das Schöne daran: Die Songs würden immer noch mit spärlicher Instrumentalisierung funktionieren, denn Lehmanns Stimme kann flüsternd schreien, so wie das vor ihm in jüngster Vergangenheit nur Damien Rice und Conor Oberst perfektioniert haben. Und so dürfte es dann auch kein Zufall sein, dass die Musik von Garda durchgehend wie eine geniale Mischung aus Bright Eyes und Damien Rice klingt. „Die, Technique, Die!“ gehört auf jeden Fall mit zu den besten Herbstplatten des Jahres 2008 und es ist eigentlich eine Schande, dass diesem wunderbaren Album nicht die mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde, die sie verdient gehabt hätte.
Anders, aber kein bisschen schlechter, klingt die sechsköpfige Multi-Kulti-Truppe von The Poem is You, die auf „The Promised South“ feinsten Neo-Folk-Rock zelebriert. Hier werden zu lebensbejahenden Cowboyhymnen sympathische Verlierertexte gedichtet und die Vocals auf charmante Weise abwechselnd von beiderlei Geschlechtern vorgetragen. Elf verschrobene Kleinode sind so in kürzester Zeit entstanden, die in ihrer Gesamtheit süßer nach Western schmecken als eine honigverschmierte Bärenpfote.
Noch in den Startlöchern bei K&F Records steht eine Formation mit dem idyllischen Namen „bergen“, in der u.a. die beiden sympathischen Label-Betreiber selber zu Klampfe und Trompete greifen und rumpelnd warmen Folkpop zum Besten geben. Musikalisch wie textlich wandert man hier eng auf den Pfaden der großen Element of Crime. Für uns jedenfalls Anlass genug, um mit den beiden Labelbetreibern und Musikern ein kleines Gespräch zu führen.
Was hat euch beide dazu veranlasst, in Zeiten der globalen Musikkrise allen Unkenrufen zum Trotz in diesem Haifischbecken als Labelbetreiber aktiv zu werden? Und wofür steht in diesem Zusammenhang eigentlich die Abkürzung „K&F“?
Mario Cetti: "Die Unkenrufe haben wir zunächst einfach ausgeblendet. Wir sind in Sachen Musik leicht bekloppt und wussten einfach, dass wir das mit dem Label jetzt einfach angehen müssen. Von so was träumt man als selbst musizierender Mensch ja schließlich schon seit Blockflöten-Musikschul-Tagen."
Lars Hiller: "Das mit Haifischbecken hatten wir uns übrigens gar nicht so schlimm vorgestellt, wie wir es nun erleben. Wir waren selbst überrascht, wie wenige Platten heutzutage tatsächlich nur noch verkauft werden. Ich bin allerdings auch immer noch der Meinung, dass da etwas grundlegend schief läuft und sich vielleicht auch irgendwann wieder einrenkt. Musik zu produzieren und zu veröffentlichen kostet etwas und eine MP3, die man mit zwei Klicks kopiert hat, spiegelt da beim Konsumenten einfach keinen Wert wider.
Das Hauptproblem ist aber, glaube ich, ein anderes. Es gibt zu viele Bands. Die erste Generation Rock-Musiker ist ja gerade erst dabei abzutreten. Seither kamen kontinuierlich weitere dazu, mehr jedenfalls, als aufgehört haben. Die Kunstform ist überbevölkert. Es ist schon schwer, sich aus der Flut neuer Veröffentlichungen überhaupt herauszuheben.
Da wir beileibe auch kein großes, umsatzstarkes Label sind müssen wir da aber auch nicht so viel erreichen. Allerdings ist es schon ein wenig frustrierend, in welch geringem Maße man von den etablierten Musikmedien wahrgenommen wird. Das Album von Garda könnte tatsächlich viel mehr Menschen, als nur einen kleinen Kreis Eingeweihter glücklich machen, aber Qualität allein reicht leider nicht, um in der Musikpresse berichtet zu werden. Da sollte man nach gerade mal einem Jahr Label-Arbeit aber auch nicht zu viel erwarten."
MC: "K&F entlehnt sich im Übrigen von unserem Mutterschiff, den 'Kumpels and Friends“' Das ist eine Art Kreativgemeinschaft, die ursprünglich aus dem Erzgebirge kommt und heute im Dresdner Raum Booker, Bands, Grafiker, Filmemacher, Comic-Zeichner oder Werbemenschen vereint. Man kennt und mag sich untereinander und hilft sich gegenseitig und kostenfrei beim Umsetzen diverser Projekte."
LH: "Die Reduktion des Namens soll das Ganze einerseits offener, irgendwie neutraler klingen lassen, so dass eher die veröffentlichte Musik den Namen langsam mit Bedeutung füllt. Schließlich gibt es kaum etwas nichts sagenderes, als zwei Buchstaben als Name einer Sache. Außerdem wollten wir auch ein Stück weit weg von dem ursprünglichen Kumpels-Gedanken, eine Linie ziehen zwischen reiner Freundschaft und Kunst. Das ist wichtig für die Qualität auf dem Label. Idealerweise jedoch sollte beides zusammenfallen."
Viele Independent-Labelbetreiber werden vom Idealismus angetrieben, Musikkunst unter das Volk zu bringen, was ihnen dann beim Kreditgeber der hiesigen Bank zumeist nur ein gequältes Lächeln einbringt. Wie schwierig war es einen finanzkräftigen Partner für K&F Records zu finden, oder läuft die Finanzierung derzeit noch komplett über private Mittel?
LH: "Leider gibt es hierzu nicht allzu viel zu sagen. Es ist der pure Idealismus, finanzkräftige Partner sind weit und breit nicht in Sicht. Das Ganze finanziert sich aus privaten Ersparnissen. Die Idee ist auch nicht die, davon irgendwann reich zu werden, es würde auch schon reichen, beständig schwarze Zahlen zu schreiben. Das ist ja auch heute noch ein realistisches Ziel."
K&F Records ist im Großen und Ganzen für Singer/Songwritermusik reserviert, wie es auch aus eurem Pressetext sehr schön zu entnehmen ist. Gibt es in Deutschland, oder wo auch immer, ein vergleichbares Label, dass musikalisch eine ähnliche Philosophie fährt wie ihr und an dem ihr euch orientiert?
LH: "Ganz so sklavisch folgen wir der Singer/Songwriter-Idee dann auch nicht, aber es lässt auch nicht verhehlen, dass wir beide ruhigere Musik ganz gerne haben. Eine weitere Grundidee ist die, dass es auch in Deutschland Bands geben sollte und geben darf, die diese Art von Musik spielen und dabei glaubwürdig klingen. In Skandinavien ist das akzeptiert und sogar erfolgreich, in Deutschland rümpft man da eher die Nase, wenn eine Band zu amerikanisch klingt. Aber gerade an diesen urbanen deutschen Wohnzimmer-Folkpop kann ich selbst auch nicht so richtig ran."
MC: "Ich schon eher. Ich spiele in einer solchen Band. Zum Thema andere Labels fällt mir ein bisschen Glitterhouse ein, wenngleich die sich gefühlt ja eher an die alten Zausel und Familienväter wenden. Und das meine ich hier durchaus positiv. Uns verorte ich da doch ein gutes Stück jünger. Von der Organisation her mag man vielleicht noch Sinnbus nennen. Die machen musikalisch zwar was komplett anderes, wurzeln aber in einem ähnlichen Kollektiv-Gedanken."
Worauf basiert eure Affinität zu Genres wie Folk, Americana und Country? Gab es ein konkretes Erlebnis, das euch zu dieser Art von Musik brachte oder wie kam es dazu?
LH: "Die Nähe zu den besagten Genres resultiert daraus, dass wir beide schon länger in Bands spielen, die solche Musik machen. Dort haben wir mit der Zeit Freunde gefunden, eine Art Zuhause."
MC: "Das hast Du schön gesagt! Außerdem hast du mir vor Jahren mal ein Mixtape gemacht, das meiner musikalischen Sozialisation nochmal einen ganz neuen Impuls gegeben hat. Gebe ich ungern zu, war aber so."
Das Herzstück jeder Labelarbeit ist die Auswahl der „richtigen“ Künstler, welche im Idealfall dafür sorgen, dass durch die Veröffentlichung der Alben über die Kostendeckung hinaus ein Ertrag erwirtschaftet wird, um weitere Releases realisieren zu können. Wie geht ihr im Bereich A&R vor und nach welchen Kriterien entscheidet ihr, was gesignt wird und was nicht?
MC: "Nachdem wir mit den Kumpels and Friends ja auch viele Herzens-Bands beim Booking betreuen, fragen wir da auch manchmal gleich unverschämt nach, ob die nicht auch noch Lust auf ne Platte mit uns haben. Bei Garda oder The Poem is You war das zum Beispiel so. Ansonsten ist uns große musikalische Eigenständigkeit wichtig. Wir mögen keine Bands, bei denen uns beim ersten Hören bereits dreiundzwanzigeinhalb Referenzgruppen einfallen."
Zum Abschluss möchte ich mit euch noch einen kurzen Ausblick auf das Jahr 2009 wagen. Laut Pressetext werden im kommenden Jahr die (Debüt?-)Alben von „The Green Apple Sea“ und „Rumen Welco“ erscheinen. Sind weitere Veröffentlichungen in 2009 geplant? Wird darüber hinaus „The Sound of Bronkow – Vol. 2“ erscheinen, oder wie sind eure Compilation-Ambitionen?
LH: "2009 beginnt mit einem Album der Band bergen, auch von hier aus Dresden. Dann wird es ganz sicher ein zweites Album von The Poem is You geben, denn die sind unglaublich produktiv und da muss man auch einfach zügig hintereinander weg veröffentlichen.
Ganz besonders freuen wir uns darüber, dass The Green Apple Sea ihr nächstes Album bei uns rausbringen wollen. Das ist eine Band, die das, was wir hier machen wollen, in Deutschland so ziemlich als erste gemacht haben. Zusammen mit Missouri haben sie uns ganz maßgeblich beeinflusst in unserer musikalischen Entwicklung, dem Wunsch auf Tour zu gehen, egal wie klein der Laden ist und wie wenig Gäste an dem Abend da sind und eben darin, dass Songwriter-, Americana-, Folk was auch immer nicht zwangläufig aus Amerika kommen muss, um gut zu sein. Das Split-Album von Missouri & Green Apple Sea 'By The Time I Get To Phoenix' ist schon ewig eine meiner Lieblingsplatten."
MC: "Auf Rumen Welco freuen wir uns auch sehr. Schon seit vielen Jahren meine Lieblingsband hier in Dresden. Das ist dann deren Debüt auf einem Label und die Platte wird ganz sicher großartig. Leider brauchen die eine gefühlte Ewigkeit, um das Album fertig aufzunehmen, was uns aber irgendwie auch hilft, mit dem Budget zu haushalten."
LH: "Zu Sound of Bronkow: Wir werden über das Jahr Beiträge sammeln, sind da auch immer sehr offen für randständige, völlig unbekannt Künstler und wenn genug beisammen ist, dann veröffentlichen wir auch Volume II. Das wird wahrscheinlich jedoch eher erst Anfang 2010."
foto: frank grätz
kumpelsandfriends
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the poem is you
the green apple sea
rumen welco
Sidney Lumet [Tödliche Entscheidung]
“May you be in heaven for half an hour before the devil knows you’re dead.”
Sidney Lumet entfacht in der jüngsten Inszenierung seines über 50 Filme umfassenden Opus ein so turbulentes wie blutiges Spiel mit dem Teufel.
die menschen machen selbst die höll' einander heiß."
(friedrich rückert, die weisheit des brahmanen, XVI-III, 21)Mit "Tödliche Entscheidung" haben es sich die deutschen Übersetzer einmal mehr zum Hobby gemacht, eine gänzlich adäquate Bezeichnung ("Before The Devil Knows You’re Dead") in einen nichtssagenden Filmtitel umzuwandeln – doch glücklicherweise tut das der Qualität des Films keinen Abbruch an.
Im besten Tarantino-Stil beleuchtet die Geschichte des 1924 geborenen Regie- Altmeisters Sidney Lumet die Vor- und Nachwirkungen eines fehlgeschlagenen Verbrechens, deren Protagonisten durch die Brüder, Andy und Hank Hanson respektive Philipp Seymour Hoffmann und Ethan Hawke, sowie deren Vater Charles Hanson (Albert Finney) verkörpert werden. Andy Hanson hat einen gut bezahlten Job als Immobilienmakler, jedoch befindet er sich in einer Krise mit seiner Frau Gina (Marisa Tomey), die sich durch seine Vernachlässigung weder geliebt noch begehrenswert fühlt. Aufgrund von Depressionen ist Andy Heroin- und kokainabhängig. Zu allem Überfluss hat er auch noch Firmengelder veruntreut, und das Finanzamt ist im Begriff, ihm auf den Pelz zu rücken. Sein Bruder Hank hingegen hat andere Probleme: Er kommt mit den Alimentszahlungen für seine Tochter nicht hinterher, zudem wird er von allen Beteiligten als Versager betrachtet. Die Brüder beschließen, ihre finanziellen Probleme zu beseitigen, indem sie den Juwelierladen ihrer Eltern ausrauben wollen – mit erheblichen Konsequenzen.
"Before The Devil Knows You´re Dead", um den wunderbaren Titel des Originals zu verwenden, beleuchtet in schockierender Manier das Böse, welches im Menschen steckt. Die intelligent herausgearbeiteten Charaktere sehen sich, jeder auf seine Art und Weise, mit Entscheidungen konfrontiert, die ihr Gewissen auf eine harte Probe stellen, sei es nun Betrug, Verrat oder die Verletzung mehrerer christlicher Gebote. In diesem Sinne schafft der Film interessante Kontraste. Einerseits durch den zerbrechlichen Hank, der im Grunde genommen lediglich ein gutes Verhältnis zu seiner Tochter schaffen möchte, sich aber durchaus der Tatsache bewusst ist, dass selbst die ihn als Verlierer ansieht. Andererseits durch seinen Bruder Andy, der, oberflächlich betrachtet, das genaue Gegenteil von ihm darstellt: erfolgreich, selbstbewusst und unantastbar. Im Verlauf des Films wird jedoch deutlich, dass auch Andy erhebliche Selbstzweifel hat und droht, an diesen zu zerbrechen.
Die schauspielerischen Leistungen sind gleich auf dreierlei Weise gut. Erstens ist die Besetzung exzellent gewählt – Marisa Tomey als die schöne, aber frustriere Ehefrau, Ethan Hawke als abgebrannter Verlier, Philipp Seymour Hoffmann erfolgreicher Geschäftsmann, der in einen Strudel von Betrug und Lüge gerät. Zweitens bleiben die Charaktere stets in ihrer Rolle, wirken jedoch zu keinem Zeitpunkt stereotypisch oder gar oberflächlich. Drittens schaffen es die Darsteller, im Verlauf der Geschichte eine eigene Entwicklung zu durchlaufen, ohne aus der Rolle zu fallen.
Zu guter Letzt muss auch noch Erzählstil hervorgehoben werden. Die Handlungsstränge sind sinnvoll miteinander verknüpft, die Entscheidungen der jeweiligen Protagonisten bestimmen den weiteren Verlauf der Geschichte, was insbesondere dadurch an Wert gewinnt, dass diese aus den Augen dreier vollkommen verschiedener Menschen, namentlich Andy, Hank und Charles Hanson dargestellt werden. Nach und nach werden dem Zuschauer immer mehr Häppchen an Informationen serviert, bis die einzelnen Handlungsstränge in einem grandiosen Finale zusammenlaufen.
"Before The Devil Knows You’re Dead" ist ein clever erzähltes, action-reiches Familiendrama. Hervorragend wird das Thema des Bösen im Menschen dargestellt und die seelischen Abgründe der Charaktere exploriert. Letzten Endes hat sich jeder, wenn auch unterschiedlich motiviert, die Finger schmutzig gemacht. Philipp Seymour Hoffmann brilliert einmal mehr, und auch der Rest der Besetzung liefert eine überzeugende Darbietung ab. Das Prunkstück des Films ist jedoch die Art und Weise, in der er erzählt wird – da dies im Kontext dieses Artikels nur bedingt dargestellt werden konnte, möchte ich ihnen raten, sich eine eigenes Bild zu machen.
foto:
sidney lumet
"tödliche entscheidung"
(before the devil knows you're dead)
2007
Gemma Ray [The Leader]
Düsterer Blues-Folk mit einer Prise Soul von einer 27-jährigen Singer/Songwriterin aus Essex/Südengland, die in ihren stärkeren Momenten so geheimnisvoll und intensiv klingt, als hätte Kate Nash sich zu nächtlicher Stunde auf dem Friedhof verirrt.
"ich wünsche den frauen dort einen langsamen, schmerzhaften tod.
das hat mich lebenslang für einen herkömmlichen beruf verdorben
– vielleicht haben sie mir damit ja einen gefallen getan."
(gemma ray über ihre zeit als auszubildende in einem essexer reisebüro)Als junge, aufstrebende Sängerin hat man es dieser Tage nun wirklich nicht leicht sich gegen die permanenten Amy-Duffy-Vergleiche zur Wehr zu setzen. Erst recht nicht, wenn man sich musikalisch der Vintage-Schublade bedient, adrett aussieht und von der britischen Insel stammt. Warum aber derlei Gleichnisse dann ausgerechnet bei Gemma Ray aufgefahren werden, bleibt schleierhaft, zumal der versponnene Blues-Folk von Fräulein Ray so rein gar nichts mit dem Retro-Soul einer Amy Winehouse zu tun hat. Wenn es überhaupt so was wie einen kleinen gemeinsamen Nenner zwischen den beiden Damen gibt, dann ist es die Soundästhetik der 1960er-Jahre auf „The Leader“, dem Debütalbum der jungen Britin, die ursprünglich mal Reiseverkehrskaufrau werden wollte, was ihr aber von garstigen Kolleginnen ordentlich vermiest worden war. (Ein kleinwenig bizarr ist die Vorstellung ja schon, dass dieses morbide wirkende Geschöpf mit den viel zu dunklen Augenringen tatsächlich mal in der Welt der gut gebräunten Sekretärinnen gearbeitet haben soll.) Ray hat Arrangements komponiert bei denen immer an der richtigen Stelle das Glöckchen klingelt, die Melodica laut dazwischenfährt, oder sich eine leicht verzerrte E-Gitarre ihren Weg bahnt. Nicht nur einmal denkt man beim Hören des Albums an Nancy Sinatra in ihrer Lee Hazlewood-Phase, PJ Harvey oder gar den frühen Nick Cave. Coproduziert wurde das Album übrigens von Michael J. Sheehy, der einst Frontmann der erfolglosen britischen Band Dream City Film Club war.
The Sick Sessions
Womit wir auch schon beim Wesentlichen angelangt sind, der Musik: Von dem kurzen, aber sehr eindringlichen Interlude Yes I Am... wird der Hörer genau da abgeholt, wo ihn seinerzeit Nancy und Lee auf der Straße haben stehen lassen, ehe man auch schon in die Klang-Hemisphären von „Hard Shoulder“ eintaucht. Dumpfe Pauken, Akustikgitarre und die niedliche, aber ebenso starke Stimme Gemma Rays nehmen einen unweigerlich in Beschlag. Die vorhin beschworene Melodica darf sich immer ein kurzes Stelldichein geben und hier und da ist Gemma als ihr eigener Hintergrundchor zu hören. Ist Hard Shoulder eine noch eher ruhige Einstiegsnummer, die sich sogar auf dem Soundtrack zu einem Tarantino-Film oder gar Gorillaz-Album wieder finden könnte, überzeugt Dry River mit eingängigem Ohrwurmrefrain. Bring It To Me lebt vom aggressiveren, schnelleren Tempo, das durch den ausdrucksstarken Gesang harmonisch abgerundet wird. Mit Rise Of The Runts hat Ray gar eine wahre Pop-Perle aus dem Hut gezaubert, die genug Potential haben dürfte, um es in die hiesigen Radiostationen zu schaffen. Nachdem man sich an dieser Stelle, durch die zuckersüße Melodie bedingt, fast schon ein kleinwenig in vorweihnachtlicher Stimmung wähnt, wird es bei On Your Own wieder richtig spooky und geheimnisvoll. Wie zuvor schon bei Dry River, bestimmt auch hier wieder die x-malige Wiederholung des Titels im Refrain das Programm und man fühlt sich in eine grotesk lustige Bestattungsfeier im New Orleans der 1970er Jahre versetzt. Metal In The Morning bewegt sich wiederum weg vom Blues & Soul hin zum Gospel-Pop. Sakrale Lollipop-Stimmung verbreitet gar das wunderbare Eyes And Ears, ehe einem der yellow Pick-Up Truck in die heiße Wüste von Nevada, oder halt eben auch nur vor die Haustüre von Michael Stipe verschleppt. Klingen die darin enthaltenen Harmonien doch verdächtig nach Suspicion vom 99er R.E.M.-Album „Up“.
Weshalb diese Scheibe in ihrer Gesamtheit so herrlich schräg und düster geworden ist, kann man nur mutmaßen. Zwei Jahre lang kämpfte die Sängerin angeblich gegen eine mysteriöse Krankheit und verbrachte den Großteil dieser Zeit überwiegend im Krankenhaus. 50 Tracks sind dabei entstanden, die Ray dann scherzhafter Weise „The Sick Sessions“ benannt haben soll. 13 dieser „kranken“ Stücke sind auf „The Leader“ zu hören. Wenn man so will, das starke Destillat dieser schwierigen Zeit, eine Art „Best Of“ aus den vergangenen drei Jahren. Mangels fehlender Hit-Single und aufgrund des insgesamt für den Mainstream zu sperrigen Songwritings dürfte der kommerzielle Erfolg leider ausbleiben, was die musikalische Größe des Albums aber in keinster Weise schmälern soll.
foto:
"the leader"
bronzerat records, 2008
gemma ray
3 Kurze [Jacob Faurholt, Nina Kinert, Pen Expers]
Wohingegen sich unsereins auf mittelprächtigen Weihnachtsmärkten den fiebrigen Körper mit Glühwein und heißer Schokolade aufwärmt, machen die Skandinavier in der heißen Grippephase das, was sie am besten können: Sie nehmen Platten auf und streuen diese unters Volk. Einige Glanzlichter hier in der Kurzkritik.
i'm in my valentine shirt."
(pen expers)Jacob Faurholt - "Hurrah Hurrah"
Mit Beta Satan, The Broken Beats und den isländisch anmutenden Under Byen eröffnen sich neue musikalische Wege in Dänemark. Hinzu tritt Jacob Faurholt, der sich wie ein Fabelwesen durch die internationale Popgeschichte wälzt und von Album zu Album immer andere Kolorite ausprobiert. 2005 erobert er mit seinem Projekt Jacob Faurholt & Sweetie Pie Wilbur die dänischen Alternative-Charts. In diesem Jahr stellt er nun endlich sein zweites Album „Hurrah Hurrah“ vor, das sich wie eine Melange aus Anti-Folk und Bedroom-Pop in den Ohren festsetzt. Dazu kommen eine skandinavische Schwermütigkeit und die obskursten Instrumente/Gegenstände. Faurholt wuselt mit so ziemlich allem herum, was er in seiner Wohnung finden konnte und zeigt, dass man auch mit Küchenutensilien eine ziemlich intime Atmosphäre schaffen kann. Gut so!
Pen Expers - "Baby’s Gone Straight"
Alexander Arvman – Sänger der schwedischen New Wave-Epigonen Pen Expers – ist schon durch so manche Hard Times gegangen: Suff, Verbitterung, Lovesick, Weltverdruss. Grund genug für ihn diesen Themen mit „Baby’s Gone Straight“ ein zutiefst betrübtes Denkmal zu setzen.
“The days that light up here are wasted” heißt es beispielsweise in “Valentine Shirt”. Wenn man das vor dem Hintergrund hört, dass hier nicht etwa versucht wird eine ironische Kunstfigur im Stile Charles Bukowskis zu schaffen, sondern dass Arvman sein Ideal im leidenden Künstler gefunden hat, möchte man dem Schweden behutsam auf die Schulter klopfen und sagen, dass alles wieder gut wird. Doch nein: vor der Therapie liegt immer noch das Suhlen im Selbstmitleid und die Teenage Angst in ihrer urigsten Form: rau, ungeschliffen und so verdammt angepisst von der bösen, bösen Welt. Ganz klar können da im direkten Vergleich nur der frühe Nick Cave und Ian Curtis mit all ihrer Tragik mithalten. Musikalisch ist das ganz großer, eklektischer New Wave-Pomp mit einem Galle spuckenden Sänger, dessen Stimme eine solch dunkle Klangfarbe hat, wie man sie heute selten findet.
Nina Kinert - "Pets and Friends"
Ane Brun und Nina Kinert sind Buddies, das hört man nicht nur an ihrem leicht folkig-verspielten, fast schon transzendentalen Songwriter-Pop, sondern auch an dem Fakt, dass beide hin und wieder gerne gemeinsam auf Tour gehen. Das Problem dabei ist nur, dass man nicht eindeutig ausmachen kann, wer hier eigentlich wen supportet. Sicherlich hat Ane Brun mit ihrem rauchigen Vibrato den eindeutig größeren, weil bekannteren, Namen, aber dennoch spielt Kinert so langsam in der gleichen Liga wie die ehemalige Straßenmusikerin Brun. Und das mit gerade mal 25 Jahren und vier veröffentlichten Alben.
jacob faurholt
"hurrah hurrah"
quartermain rec 2008 cd
jacob faurholt
pen expers
"baby’s gone straight"
i-ration records 2008 cd
pen expers
nina kinert
"pets and friends"
another 2008 cd
nina kinert
Chase The Dragon [Replacing Space]
Während Siegfried die Tarnkappe der Zwerge poliert, um sich an die Schätze der Drachen dieser Welt heranzuschleichen und den mythologischen Echsen das Schwert der Vergessenheit in die Kehlen zu rammen, machen sich zwei Magdeburger als Drachenkämpfer gleich daran, zu zeigen, dass österreichische Berghütten doch ihren Sinn haben können.
from the heights that we don’t know.“
(the lasting)Jage den Drachen! So hätte auch damals ein weiser Rat von Mr. Miyagi an sein Karate Kid lauten können. Die Suche nach dem Drachen im eigenen Ich, der sich immer wieder einschleicht und ganz in der Element of Crime-Manier wie ein Tier alles zerstört, was man sich vornimmt, sodass man nur noch gerne wüsste, wer man wirklich ist. Oder aber auch ein umgangsprachlicher Begriff für das Inhalieren von erhitztem Heroin. Welcher hobby-philosophischen Spielerei man nun in gewohnter Wikipedia-Google-Tradition nachgehen will, bleibt jedem selbst überlassen, denn hier dreht es sich nun um Musik. Chase The Dragon, sprich Robin Kellermann und Mathias Schieweck aus Magdeburg. Die Beiden sind weder mit einer bekannten Affinität zu Karate Kid noch zur Drogenszene beseelt, aber dennoch steckt hinter ihrer zweiten EP „Replacing Space“ in der dreijährigen Bandgeschichte eine Klangsphäre, die sich ähnlich wie ein Drachenjäger ihren Weg durch die alltäglichen Hindernisse kämpft.
Den Anfang macht The Names Of The Lands We Had Crossed. Besattelt mit einem leisen Zusammenspiel aus Synthesizerklängen und Klaviermelodie wird schon hier direkt der Weg in den Pop geebnet. Nicht in diesem abwertenden Sinn, wie man ihn heutzutage nur zu oft verwendet. Eher wie die Hoffnung auf einen besseren Tag, während draußen der Regen jeglichen Sonnenschein untergräbt, die Passanten auf der Straße das Lachen auf einen anderen Tag verschieben und selbst die dicke Decke einen nicht wärmen kann. „We decided to break up with our past to find the true one inside“.
Fast schon als wäre diese subjektive Assoziation gewollter Pathos begrüßt einen The Lasting mit Vogelgezwitscher, als der besagte bessere Morgen, an dem man noch einmal neu anfangen kann. Vielleicht aber auch nur ein kurzer Einblick in die friedlichen Anfänge der Tage, die Robin und Mathias während der EP-Aufnahmen auf einer österreichischen Berghütte erlebt haben müssen. Wenn man auf den alten und knarrenden Holzdielen mit einem frisch gebrühten Kaffee aus erhitztem Bergwasser und Instantpulver steht und man eigentlich nicht drum herum kommt, sich mit den eigenen Dämonen auseinander zu setzen.
Musikalisch wie ein Wechsel aus Sonne und Schnee, um dann beim dritten Stück Could We vollends in den Gedanken versunken zu sein. Melancholie in ihrer Reinform: „Could we all just apologize for the things we never did for ourselves“, während der eigene Fall über die ganzen vier Minuten aufgebaut wird, um zum Schluss mit einer vorwurfsvollen Aggressivität in den oben zitierten Worten den Sturz nur noch zu beschleunigen. Kein Happy-End in Sicht. Auch nicht in den Streets Of My Hometown, die genau das heraufbeschwören, was man sich unter dem Titel vorstellt: Ein Zurückkommen an die alten bekannten Orte der Heimat, an denen das Gehirn knuspert und alte Erinnerungen projiziert, ohne auf längst verheilte Wunden Rücksicht zu nehmen, die nun schmerzhaft wieder aufgekratzt werden. Geigen aus dem Off, ein Leiden in der Stimme und die Moll-Akkorde vom Klavier als die nötige musikalische Untermalung, um danach der siebtgrößten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns in Goodnight Güstrow die ersehnte Nachtruhe zu wünschen. Ein perfekter Abschluss, wenn dann im Hintergrund wieder Alpenvögel zwitschern und ein Bachlauf der Atmosphäre den richtigen leise, matt-glänzenden Schliff verpasst. „Bend your head and lay down“. Resignation und ruhiges Durchatmen nach fünf musikalischen Stücken, die wenig durch ihre Texte als viel mehr durch die Musik Geschichten erzählen, über die kleinen großen alltäglichen Kämpfe mit den Drachen in uns selbst.
So ist „Replacing Space“ ein Stück Musik, ohne jegliche Allüren etwas Besseres sein zu wollen. Immer mit dem nötigen Maß an Hoffnung im Blick, sei es in der Stimme, im Text oder in den Tönen. Chase The Dragon erfinden hier nichts neu, fordern nicht heraus und werden niemals Trend werden. Alles Gründe, wieso man diese EP in das eigene Herz schließen sollte. Und sei es nur, um einmal sagen zu können, man hätte die Welt durch den Klang eines österreichischen Bergbachs ein Stück besser verstanden.
foto: confidence records
chase the dragon
„replacing space“
eigenvertrieb 2008 ep
chase the dragon
Hellsongs [Hymns In The Key Of 666]
Sie sind die Pioniere des "Lounge Metal" und ihr Band-Name mindestens so aberwitzig wie irreführend: Hellsongs. Auf ihrem Debütalbum mit dem nicht minder abstrusen Titel "Hymns In The Key Of 666" tauschen die drei Schweden E-Gitarren und Schlagzeug gegen Piano, Akustikgitarre und Tambourine ein - und unterziehen Heavy-Metal-Klassikern einer erfrischenden Zell-Kur.
"wir finden, dass der begriff ’lounge metal’ unsere musikalische synthese am besten charakterisiert."
(hellsongs)Neu ist die Idee des frivolen Grenzgangs nun wirklich nicht: Nouvelle Vague packten vor nicht allzu langer Zeit 80er-Jahre-Klassiker ins Lounge-Gewand, Helge Schneider wagte sich einst gewohnt jazzig an Jimi Hendrix’ Hey Joe heran und Mambo Kurt interpretierte bereits vor zehn Jahren AC/DC-Hits auf seiner Heimorgel. Doch das schwedische Trio Hellsongs setzt dem ganzen nun die Krone auf. Allein schon das quietschbunte Cover erinnert eher an selige Hippie-Zeiten als an düsteren Metal. Legt man dann die Scheibe in den Player, ist man zumindest als Ahnungsloser erst mal vollkommen irritiert: Statt heftigen Heavy Metal bekommt der Hörer feinsten "Lounge Metal", wie die drei Göteborger ihre Musik treffend bezeichnen, serviert. „Heavy Metal Klassiker interpretiert als entrückte Folk-Nummern“, könnte man das ganze auch nennen, wäre dann aber nicht ganz so schön griffig formuliert wie mit dem eigens dafür gewählten Begriff der Schweden.
Eigenwillige Interpretation von Heavy-Metal-Klassikern.
Getreu dem Motto "Weniger ist mehr" kommt Iron Maidens Run To The Hills dann auch standesgemäß als lyrischer Folk-Song auf der Wandergitarre daher. Black Sabbaths Paranoid als schmachtende Piano-Ballade mit Streichern, Metallicas Blackened als Hippie-Folk-Nummer, Slayers Seasons In The Abyss als Klavier- und Streicherstück, was nur noch von AC/DCs psychedelischem Thunderstruck übetroffen wird. Einzig Megadeths Symphony Of Destruction verliert im Boogie-Woogie-Gewand an Klasse und will nicht so ganz zum Rest der ansonsten sehr gelungenen Folk-Platte passen. Von dem einen Aussetzer mal abgesehen, sind die zehn Songs durchgehend homogen arrangiert und funktionieren auch als Nicht-Cover-Versionen sehr gut. Will heißen, wer die Originale nicht kennt, wird sie auch nicht zwingend vermissen. Jedes Stück auf der Platte kann für sich allein stehen und versprüht individuellen Charme. Umgekehrt dürfte obgleich der eigenwilligen Interpretationen der Stücke zunächst große Verwunderung bei jenen vorherrschen, die die Stück im Original kennen, was sich dann aber schnell in Wohlgefallen auflösen sollte.
Im Jahr 2004, so besagt es die Legende, spielen Sängerin Harriet Ohlsson (die im Gegensatz zu ihren beiden musikalischen Mitstreitern keine Metal-Vergangenheit nach sich zieht, aber ganz gerne zu Highway to Hell die Wohnung fegt), Keyboarder Johann Bringhed und Gitarrist Kalle Karlsson irgendwo in der tiefsten schwedischen Provinz ihr erstes Konzert. Im Gepäck haben sie ausschließlich Heavy-Metal-Klassiker von Iron Maiden, Black Sabbath, Saxon, AC/DC und Metallica. Und jetzt kommt der Clou: Sämtliche Stücke wurden auf ihre melodische Grundstruktur reduziert und mit akustischer Gitarre, sanften Keyboards und Harriets glockenklarem Gesang vorgetragen. Man kann sich die verdutzten Gesichter ihres damaligen Landeier-Publikums bildhaft vorstellen. Von ungläubigem Staunen bis hin zu enthusiastischer Begeisterung soll dann auch alles dabei gewesen sein. Dieses erste Konzert ermutigte das Trio, ihr eigenwilliges Konzept fortzusetzen: „Wir sind alle Heavy-Metal-Fans. Unsere Herangehensweise an diese Songs ist sehr liebe- und respektvoll. Wir haben zwar einen gewissermaßen spielerischen Ansatz, aber wir nehmen die Songs sehr ernst und sind todernst, bei dem was wir tun“, so Karlsson. Auf jeden Fall wolle man vermeiden, dass ihre Musik als eine Art Ironisierung von Heavy Metal aufgefasst werden könnte. Das Gegenteil sei der Fall. Vielmehr sehe man in dem Album eine Art Huldigung der großartigen Songs dieser Zeit. Hunderte von Konzerten haben sie seither gegeben. Das größte Highlight sei dabei ein Auftritt mit den Göteburger Philharmonikern in der Göteburger Stadthalle gewesen. „Das war unglaublich“, schwärmt Harriet Ohlsson immer noch. „Wir waren sehr überrascht, wie aufgeschlossen und freundlich die klassischen Musiker auf unsere Musik reagiert haben. Sie waren überhaupt nicht egoistisch, wie man es so oft in der Popwelt findet.“
„Hymns In The Key Of 666“ ist jetzt sicherlich kein musikalischer Meilenstein, der die Popwelt auf den Kopf stellen wird. Diesen Anspruch an sich selbst hat die Scheibe auch zu keinem Zeitpunkt. Vielmehr ist die Zusammenstellung das, was Easy Listening auszeichnet: Gemütliche Chill-Out-Musik für die Party nach der Party. Und das ist auch gut so.
foto:
hellsongs
"songs in the key of 666"
bodogmusic 2008 cd
hellsongs