Objects in the rearview mirror, may appear closer than they are.
Lemon Jelly veröffentlichen ein retroperspektivisches Album, welches sich von den Jahren 1964 bis 1995 nährt, und setzen es in einer futuristischen, computeranimierten Welt visuell um.
"in an alternate universe, '64 - '95 would be our best-of album."
(nick franglen)
Die beiden Londoner Fred Deakin and Nick Franglen, die hinter Lemon Jelly stecken, sahen ihr Musikprojekt zunächst als einen Feierabendjob an, waren sie doch beide beruflich bereits etabliert, als sie damit begannen. Während Nick als Produzent und Sessionmusiker bei unterschiedlichsten britischen Popstars arbeitete, hatte Fred sein eigenes Design Studio Airside aufgebaut, und legte nebenbei Platten in diversen Clubs auf. "Erst ab einem gewissen Punkt kam uns in den Sinn, dass Lemon Jelly vielleicht ein neuer Weg werden könnte, etwas mit unserem Erlernten und dem musikalischen Wissen anzufangen. Schließlich will niemand für den Rest seines Lebens dasselbe machen. Obwohl wir beide wirklich glücklich waren mit dem, was wir vorher gemacht haben", erklärte Fred einmal in einem Spex Interview.
Das integrative Verbinden von Design und Musik ist von Begin an zu einer Prämisse von Lemon Jelly Veröffentlichungen geworden. Beruhte der Design Ansatz bei den ersten beiden Veröffentlichungen noch auf den bunt designten Plattencover und Booklets, die in ihren stilistischen Graphiken ohne viele Worte die Musik zu beschreiben vermochten, sind die beiden Herren auf ihrer neuen Veröffentlichung "’64-’95" noch einen Schritt weitergegangen. Fred Deakins Designbüro Airside hat es sich zur Aufgabe gemacht, jeden der zehn Tracks mit einem individuellen Video zu visualisieren, und somit die Idee hinter Lemon Jelly einen Schritt weiter zu führen. Machte man bereits erste Gehversuche mit Promovideos für die Singleauskopplungen des letzten Albums "Lost Horizon", hat man jetzt jeden einzelnen Song versucht in seinem Kern visuell zu interpretieren. Ein kunterbuntes Panoptikum an Ideen.
Die zehn Stücke auf "’64-’95" basieren in ihren reichhaltigen Trackstrukturen jeweils auf einem einzelnen Sample, bzw. Auszug, bei welchem der Albumtitel den Zeitraum beschreibt, aus welchem eben diese ausgewählt wurden. Plattensammlermusik. Und die Auswahl ist so vielseitig wie in ihrer Konfrontation spektakulär. Basiert die erste Singleauskopplung I Wanna Stay With You noch auf dem gleichnamigen Pop Klassiker des Singer/Songwriter Duos Gallagher & Lyle - der ersten Band auf dem zerbrochenen Beatles Label Apple, welche mit When I´m Dead And Gone einen Welt Hit hatten, der später durch ein Fury In The Slaughterhouse Cover auch in Deutschland späten Ruhm einstrich - so ist der Opener Come Down On Me dem Stück The Blue Garden der Heavy Metal Heroen Masters Of Reality entliehen. Lemon Jelly gelingt es jedoch, ganz gleich welche epochale Idee hinter dem jeweiligen Stück zu erkennen ist, die Musik in einem für sie typischen Downbeat Gewand erscheinen zu lassen. Insgesamt lässt sich bei den neuen Stücken eine weitere Entwicklung der Band erkennen, welche von der ersten EP "In The Bath" von 1998 her anrührt; freiere Beatgestaltung, vielschichtige Sounds, die auftauchen und verschwinden, um später in einem anderen Kontext ein neues Gesamtbild zugenerieren, und Trackarrangements, die gänzlich ohne Popsongstrukturen im eigentlichen Sinne auskommen.
Erscheint Come Down On Me zunächst noch wie die Visualisierung von Musik über die heimische Jukebox am PC, bemerkt man schnell, dass diese Bilder mit denen zweier Balletttänzerinnen einhergehen, und in ihrer Bewegung ein Supernova Feuerwerk umsetzen, dass einem James Bond Intro gar nicht so unähnlich zu sein scheint. Das herrlich verspielte Slow Train hingegen ist eine Computer Animation, in welcher sich kleine Züge in regenbogenfarben, wie Schlangen durch eine völlig weiße Umwelt bewegen. Den Rhythmus dazu liefert ein vertrackter Auszug aus Albert Hammonds I’m A Train aus dem Jahr 1974. Zwei headbangende Figuren auf einem alten Zettel, die im Stil den Kugelschreiberkritzeleien ähneln, die manche Menschen während dem Telefonieren ersinnen, sind die Protagonisten der brutal daherkommenden Umsetzung des Stückes The Shouty Track, welches Elemente des ’79er Punksongs Horror Show von den Scars enthält. Dem kontrastierend gegenüber steht die fluoreszierende Pflanzen und Insekten Welt im Stück Make Things Right - einem, mit Lemon Jelly bewährter Akustikgitarre unterlegtes R’n’B Stück von Monica, in der auch Einkaufswägen und ein Pottwal durch ein psychedelisches Meer schweben, und ein ums andere Mal an Neon Reklame Schilder erinnern. Das letzte Stück, schlicht Go betitelt haben Fred Deakin und Nick Franglen gemeinsam mit William Shatner aufgenommen, was nicht überraschend ist, haben die beiden Elektroniker doch bereits auf seinem wundervollen Album Has Been einen Track beigesteuert.
Ohne Ecken und Kanten, jedoch nicht als profane Künstelei gehen die zehn Filme in einander über, und bieten dabei jedoch für jeden Track erneut eine völlig eigenständige, überraschend inspirierte Idee. Gerade das freie Spiel mit den unterschiedlichsten Genres aus dem gewählten Zeitraum lässt den gesamten Film als ein abwechslungsreiches und stets farbenfrohes Erlebnis werden, besonders in einer Zeit, in welcher Musikfernsehen so uninspiriert ist wie nie zuvor.
foto: graeme stuart
lemon jelly
"'64 - '95"
beggars group 2005 cd / dvd
lemon jelly
Lemon Jelly ['64 - '95]
Dass sich Lemon Jelly, die ich das erste Mal in 2001 wahrnahm, als mich ein wunderbar designtes "LemonJelly.ky" Album nicht vorbeigehen lies, ganz herzerfrischend als anspruchsvolle Konsens-musik verwenden lässt, habe ich nicht nur auf einer mehrstündigen Fahrt nach Hamburg, mit ein paar Freunden, von denen der größere Teil ihre musika-lischen Vorlieben leider überwiegend aus den größten Hits der 80er, 90er und dem Besten von Heute speist, bemerkt. Sogar bei der Thronjubiläumsfeier von Queen Elisabeth in 2003, wurde erwähntes Album zwischen Sets von Elton John und Phil Collins gespielt.
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