Jim Jarmusch [Broken Flowers]

Vielleicht ist es der eingängigste all seiner Werke, doch mit Broken Flowers nähert sich Jim Jarmusch nur oberflächlich einer romantisch turbulenten Komödie an und bietet zusätzlich eine vielschichtige Betrachtung zwischen spätem Trost und der Ruhe des Zens während man begreift, vielleicht doch alles verpasst zu haben.


"nichts ist wirklich, außer dem zufall."
(paul auster, stadt aus glas)

Die Handlung ist schnell zusammengefasst; Der Privatier und Altdandy Don Johnston (Bill Murray) erhält eines Tages einen Brief, in welchem die anonyme Schreiberin ihm eröffnet, dass nach ihrer Trennung vor rund zwanzig Jahren ein Sohn geboren wurde, der sich jetzt auf die Suche nach seinem Ursprung aufgemacht hat und seinen Vater womöglich ausfindig machen wolle. Nicht mehr nicht weniger. Ungewissheit breitet sich bei dem Alleinstehenden aus, eine Verwirrung in seinem ansonsten so klaren Alltag, dessen Aufkommen sich höchstens durch die verschiedenen Farben seiner Fred Perry Trainingsanzüge unterscheiden. Sein Nachbar und Hobbydetektiv Winston (Jeffrey Wright) ist sofort interessiert an der Auflösung dieses ihm in die Hände gespielten Falles und schickt Johnston auf eine Reise durch die Zeit, Emotionen und Beziehungen.

Es interessiere ihn nicht, so Jim Jarmusch, wie seine Figur dahin kommen konnte, wo sie sich zu Beginn des Films befindet, und er wisse auch nicht, was nach dem Ende mit ihr geschehen wird. Er wolle sie lediglich in der kurzen Zeitspanne ihrer Suche begleiten.

Trotz der romantischen Verstrickungen, denen die Darsteller in "Broken Flowers" ausgesetzt sind, Johnstons episodenhafte Begegnungen mit seinen ehemaligen Affären (großartig: Sharon Stone, Tilda Swinton und Jessica Lange), ist der Film weit von einer romantischen Komödie oder Tragödie im Sinne Hollywoods entfernt. Kaum mehr als ein Motiv, einen erzählerischen Rahmen, stellt das Leben von Don Johnston dar, mit welchem Jim Jarmusch sich einem ganz anderen Bereich anzunähren scheint. In dem 1995 von Regisseur Kollegen Wayne Wang gedrehten Film "Smoke" traf er bereits auf den amerikanischen Schriftsteller Paul Auster, der zu besagtem Film das Drehbuch geliefert hatte. Und ähnlich dessen 1987 erschienen Roman "New York Trilogie" bedient sich Jarmusch in seinem aktuellen Werk dem Moment des Zufalls als alles verbindendes Element. Zwar schenkt Winston im Laufe der Geschichte jedem noch so kleinen Indiz seine Aufmerksamkeit, versucht, wie in seinen begehrten Krimis allen Spuren zu folgen und die Zusammenhänge herauszustellen, doch verliert er immer wieder die mögliche Belanglosigkeit eines profanen Zufalls aus den Augen. Und auch wenn Johnston ihm immer wieder mit einer realistischen Auffassung entgegentritt, so sieht er sich selbst zum Ende hin dem Spiel mit der Ungewissheit ausgeliefert, blickt er in der letzten Einstellung gedankenverloren in die Kamera. Jarmusch gelingt es so auch den Zuschauer aus seiner sicheren Distanz heraus in ein Spiel mit seinen eigenen Erwartungen zu verstricken.

Der am 21. September 1950 in Illinois geborene ironische Anarchist William James Murray sollte schnell im medialen Hype der amerikanischen Comedywelle Saturday Night Live an seiner eigenen Courrage straucheln, um dann später durch frühe Blockbuster Erfolge wie Cadyshack und Ghostbusters vom Hollywoodkino gleichgeschaltet zu werden. Doch viele Jahre später überdauert Murrays minimalistische Coolness alle Versuche Hollywoods ihn umgänglicher zu machen. Kaum ein anderer zeitgenössischer Schauspieler in den USA scheint derzeit in der Lage zu sein diesen charakteristischen Humor mit einer solchen Ernsthaftigkeit darzubieten, wie es Murray in seinen letzten Filmen gelang. Es ist die Kunst, alles auf sich wirken zu lassen. Murray scheint keine Rollen in Filmen zu spielen, sondern die Rollen und Filme scheinen sich an seiner selbst zu spiegeln. Es ist eine in letzter Konsequenz wohlwollende Akzeptanz einer unaufhaltsamen Niederlage, das Wissen des Scheiterns im Leben, welches seine Figuren und nicht zuletzt die Person Murray selbst in einer selten erreichten Klasse erstrahlen lässt. Nicht umsonst weiß Jim Jarmusch über seinen Hauptdarsteller zu behaupten, er sei "very fucking smart".

"Broken Flowers" stellt mehr Fragen als er beantwortet, und genau darin könnte die Kunst des Filmes liegen. In unserer von Statistiken und Rückblicken geordneten Welt, geben wir uns pragmatischen Betrachtungen hin. Wir haben verlernt uns mit dem Diskurs zu begnügen, wenn er nicht zielstrebig und ergebnisorientiert geführt wird. Die Gegenwart verliert zunehmend an Bedeutung und verkommt immer mehr zu dem Zweck einer Pause vor dem Eintritt des nächsten großen Dings. "The past is gone. The future isn’t here yet, whatever it’s going to be. So until then, there’s the present", philosophiert Don Johnston im Film und erkennt darin das Dilemma.
foto: tobis


jim jarmusch
"broken flowers"
2005