Eine Liebesgeschichte.
Der italienische Illustrator Manuele Fior bebildert in seinem poetischen, ersten Comicalbum die Liebe zu Berlin, zu Italien, zu Freunden, Freiheit, Entschlossenheit, Erwachsenwerden, Musik, dem Leben und sich selbst.
(fausto)
In die Reihe dieser Laudatoren stellt sich auch der 1975 in Cesna, Italien geborene und mittlerweile in Norwegen lebende Manuele Fior, mit seiner ersten albenlangen Geschichte, in welcher er der Stadt einen intimen Blick widmet. "Als Hommage an seine Wahlheimat", heißt es im Klappentext: "die Geschichte einer typischen Gruppe von Italienern im Ausland – mit einigen autobiografischen Zügen". Ganz so typisch erscheinen die wenigen eingeführten Charaktere gar nicht, wenn man sie etwa im scharfen Kontrast zur Außenbeobachtung von Jan Weiler und seinen Antonio Büchern sieht; Deutlich weniger grell, und lautstark, doch mit genügend Leidenschaft und einem innigen Heimatgefühl zu Bella Italia.
"Menschen am Sonntag" erzählt von dem jungen Italiener Fausto, der sich dazu entschlossen hat Berlin zu verlassen, um in seine Heimat zurückzukehren. Und auch wenn dieser Entschluss fest steht, schildert Fior in seinen eindrucksvollen schwarzweiß Zeichnungen die innerliche Zerrissenheit, beschreibt die letzten Stunden Faustos mit seinen Freunden und vor allem seiner ehemaligen Freundin Nina in Berlin Friedrichshain. Zwölf Stunden erhalten wir Einblicke in das Leben der Gruppe junger Italiener in Berlin, von der einbrechenden Nacht in einem "Das Loch" betitelten Club in der Rigaer Strasse bis zum anschließenden Mittag.
Der junge Architekt und Illustrator weiß verschiedene Mittel dezent einzusetzen, um die Geschichte auf den 48 Seiten zu modellieren. Mit einem geschickten Wechsel der Erzählperspektive vom Ich- zum auktorialen Erzähler auf den ersten Seiten, gelingt es ihm nicht nur den Leser näher an die Geschichte heranzuführen, sondern auch ein zaghaftes Verwirrspiel mit den fiktionalen Ereignissen und seiner realen, autobiografischen Person einzuleiten. Er weiß zu den richtigen Augenblicken seine Liebe zum Detail auszukosten, wenn Nina und Fausto etwa auf die Nachtlinie 20, "das Rettungsboot" menschen am sonntag zwischen Friedrichshain und Prenzlauer Berg warten, oder Nina sich traurig, eine Zigarette anzündend in ihrem Zimmer findet; Sie legt "Closer" von Joy Divison auf und Love Will Tear Us Apart erfüllt den Raum. Es sind diese Details, von denen "Menschen am Sonntag" lebt.
Fior beweist ein feines Gespür dafür, wie er neben den Zeichnungen und dem sparsamen Text besonders durch die Form der bildlichen Darstellung zu erzählen weiß; Wird die Handlung im Verlauf hektischer, so werden analog dazu auch die Panel immer skizzenhafter. Kommen sich an anderer Stelle Fausto und Nina noch einmal näher, werden aus detailreichen Zeichnungen immer schemenhaftere Bilder, werden die reinen, passiven Beobachtung des Lesers zu induktiven Schlüssen und wird somit die intime Zweisamkeit der beiden Figuren gewahrt. Diese Art der szenischen Konzeption stellt zugleich aber auch einen Makel dar, verwirrt und irritiert sie den Betrachter doch unter Umständen in seinem Gefühl für Ästhetik. Im schlimmsten Falle wirkt dieser Schritt auch der homogenen Struktur, der Geschlossenheit der bildlichen Umsetzung und dem wieder erkennen der Figuren entgegen. Missversteht man dieses Stilmittel und gibt der Geschichte nicht genügend Zeit - denn auch gerade aufgrund der wenigen Textpassagen ist man geneigt dazu die Darstellungen viel zu schnell zu überblättern - ist dies dem eigentlichen Genuss nicht dienlich und wird dem Comic nicht gerecht.
Vielleicht kommt dem Zeichner auch sein Architekturstudium dabei zu Gute, einen sehr intensiven Blick für Menschen, Gebäude und deren wechselseitige Beziehung zu haben, den er in seinem Album prägnant wahrt. Das Spiel mit den Kontrasten von Tag und Nacht, Licht und Schatten, adaptiert der Künstler zu seinem eigenen zeichnerischen Stil, seiner Weise den bittersüßen Kontrast zwischen Liebe und Enttäuschung, Abschiedsschmerz und Entschlossenheit visuell zu konturieren. Leichtfüßig stellt er so die Offenheit der ungebundenen Lebensweise der jungen Erwachsenen in seinem fingierten Berlin, dem inneren Zwang sich entscheiden und das eigene Leben strukturieren zu müssen, gegenüber. Am Ende soll es aber der italienische Musiker Paolo Conte auf den Punkt bringen: "Via, via, vieni via con me! It’s wonderful, good luck my baby".
manuele fior
"menschen am sonntag"
avant verlag, 2006
manuele fior
Manuele Fior [Menschen Am Sonntag]
"sieh mal alice, wie gut man die stadt von der warschauer brücke aus sieht."
Was die Stadt Berlin zwischen szenebewusster Weltmetropole, obligatorischem Großstadtmoloch und geschichtsträchtiger Identifikationsfolie ausmacht, wird in seiner Vielschichtigkeit auch dann deutlich, wenn man die subjektiven Betrachtungen einzelner Bewohner der fast dreieinhalb Millionen Einwohner zählenden Stadt anschaut; Berlin ist für mich nationale Selbstverständlichkeit; Berlin ist für mich ein Treibhaus; Berlin ist für mich mit der U-Bahn zu fahren, einen Kaffee trinken zu gehen, meine Familie und Freunde in der Nähe zu haben und öfters gestresst zu sein von all der Hektik; Berlin ist für mich nach wie vor the place to be; Berlin ist für mich in erster Linie ein Phantasieraum, ein Raum, der nicht von der Realität der unmittelbaren Erfahrung losgelöst ist, der aber Freiheit lässt, und in den Wunschphantasien, aber auch Angstphantasien einströmen können. Beliebige Reaktionen von Politikern, Künstlern, Angestellten und Blogschreibern auf die Google Suchanfrage "Berlin ist für mich".
foto: comic salon / zeichnung: menschen am sonntag
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