Mogwai [Mr. Beast]

Auto Rock.
Der Feierabend-Prolet mit dem Ramones Shirt von H&M und das Gucci Girl haben eines gemein: den inflationären Gebrauch des Begriffes Rock. Die Industrie hinterlässt fade Beliebigkeit und übersieht was sich jenseits von Trends tatsächlich dahinter verbergen kann.


"what happened after the storm? is everyone ok?"
(acid food)


Der Schwebezustand wird nur kurz anhalten. Es ist ein knappes Durchatmen. Weit aufgerissene Augen, erwartungsvoll gekräuselte Lippen. Die Spannung in der Luft wird sich gleich wieder vollends entladen, aber für den Moment regiert eine fast zaghafte Melodie, schmerzlich aber dennoch zielstrebig. Fünfundzwanzig Sekunden.

Mogwai mitbegründeten jenes Genre, welches man heute im Feuilleton als Postrock bezeichnet. Die laut / leise Dramaturgie inszeniert bis heute niemand exzessiver als die fünf Schotten. Zwischen einem startenden Jet und dem fallen der sprichwörtlichen Stecknadel schwangt die Lautstärke und ist dennoch mehr als bloßer Krach. Es geht um Schönheit und Leid. Als versuche man mit einem Presslufthammer Mona Lisas Lächeln nachzuziehen, mit einem Megaphon Werthers Leiden zu rezitieren. Was sich hier zu einem Ensemble zusammenfügt ist der Lärm eines nebulösen Schmerzes. Schwermut mit drei ohrenbetäubenden Gitarren. Was bleibt ist die Kapitulation. Man empfindet diese bittersüße, konturlose Anmut, die kaum eine andere Band lauter zeichnet. We’re No Here ist ein solch dröhnender Behemoth, der sich erst langsam dann schnaubend zur vollen Größe entfaltet.

Die Zeit der ausufernd angelegten Hymnen scheint jedoch vergangen. Kein elfminütiges Like Herod, kein über zwanzigminütiges My Father, My King mehr. Als würden die lauten Epen zu nicht minder intensiven Haikus gebündelt; selbst wenn Tetsuya Fukagawa, Sänger der japanischen Hardcore Band Envy, in I Chose Horses mehr als die siebzehn Lautsilben benötigt, um dem Stück einen ganz eigenen, monologischen Zen-Charakter zu verleihen. Dass man, dem Japanischen nicht mächtig, kein Wort des Textes verstehen wird, scheint nur konsequent. Worten räumte man bei den Schotten noch nie übermächtige Bedeutung ein. Auch wenn auf "Mr. Beast" letztlich auffällige drei der zehn Titel mit mal gesprochenen mal gesungenen Worten bedacht sind, werden die Texte nicht im Kopf des Hörers bleiben. "Meistens ist es so, dass der Song fertig ist, aber nicht so klingt, als ob er fertig sei. Dann fügen wir noch Gesang ein, quasi als letztes Stilmittel."

Mit Acid Food hat man sogar so etwas wie einen Popsong erschaffen, bei dem eine Steel Guitar mit einem verzerrten Drumloop Hand in Hand geht und vielleicht am ehesten an The Jesus And Mary Chain erinnert. Letztlich aber doch zu kantig für bunten Pop. Das Piano hat man ebenfalls für sich entdeckt und gleich in der ersten Singleauskopplung tritt es in den Vordergrund und bestimmt Friend Of The Night mit elegischer Pracht und winterlicher Düsternis.

Sie wollten laute Stücke aufnehmen erklärt die Band, was zunächst sehr banal klingt. Noise und Weight sind die Vokabeln mit denen der kleingewachsene Stuart Braitwaithe hantiert, um zu erläutern was ihm wichtig erscheint. Seine wachen Augen funkeln. "Wenn ich an eine Platte mit Gewicht denke kommt mir 'Songs Of Love And Hate' von Leonard Cohen gleichwohl wie das letzte Album von Sunn O))) in den Kopf.“ Das traurige Moment, die Melancholie als erfüllendes und aufmunterndes Merkmal überwiegt letzten Endes sogar die lauten Ausbrüche. "Es ist, als wenn man ein schönes Bild betrachtet – it makes your day a bit better."

Emergency Trap ist ein solches Stück, was mit wenigen Stilmitteln eben jenes Gewicht mit sich bringt. Von einem Piano und einigen Sounddrones getragen, bringt es eine zarte Gitarrenmelodie auf den Punkt. Anschwellende Rückkopplungen im Hintergrund wähnen den Zuhörer kurz vor einer Explosion die nicht stattfinden wird. Man wird sich der Stille erst bewusst, wenn der erwartete Lärm ausbleibt.

Phlegmatischen Pathos dichtet man ihnen fälschlich an was augenscheinlich wird, betrachtet man die fünf Herren hinter den Lärmleinwänden. Wie aus dem Marvel Universum entrissen ist zumindest der Name ihres kürzlich angemieteten neuen Studios in Glasgow; Castle Of Doom. Eine Reminiszenz an alte Tage, in denen sich die Bandmitglieder noch hinter nichts sagenden Pseudonymen versteckten. Cpt. Meat und DEMONIC etwa. Die Einrichtung ist spärlich, ein schmales Treppenhaus verbindet die Mischpulte mit Aufnahmeräumen. Man trinkt Tee und isst Bagels und Hummus. "Carfeful as you walk in! Mics behind the door!", warnt die schnell geschriebene Notiz an der Tür. "No drinks on piano, please", eine andere. Wir sind weit entfernt von einem anrüchigen Schloss der Verdammnis. Das alte Studio in welchem sich die Band seit ihrem Debüt an entwickelte, musste einem Wohnblock weichen. Das neue Studio ist angemietet auch wenn man über einen späteren Kauf nachdenkt. Belle & Sebastian haben sich bereits für Aufnahmen angemeldet.

Auch die kryptischen Songtitel sind alles andere als konspirative Codes die darauf warten dechiffriert zu werden. We’re No Here ist ebenso wenig wohlüberlegt und durchdacht wie es viele seiner Vorgänger waren. Martin Bullochs kleiner Bruder John verstand diese Worte missverständlich im Zusammenhang mit einem Sprechchor, welcher tatsächlich den Namen des Glasgow Celtics Trainers Martin O’Neill rief, erklärt Stuart Braitwaithe "Er verstand We’re no here, was tatsächlich absoluter Nonsens ist auszurufen. Wir dachten aber, es sei ein guter Song Titel." "Mr. Beast" bedient sowohl die prominenteste Spielweise der Band als auch die eher minimalistischen und ruhigen Stücken mit elektronischem Einfluss, wie sie seit "Rock Action" in das Repertoire von Mogwai Einzug hielten. Folk Death 95 ist ein gutes Beispiel für erste, Team Handed für letztere Art. Selbstverständlich gibt es mehr Facetten zu entdecken als diesen Stereotyp. Stagnation auf höchstem Niveau nennt es das Intro. "Fakt ist, dass niemand von uns etwas anderes kann. Es ist nicht so als hätten wir unser Architekturstudium kurz unterbrochen und könnten dort irgendwann weiter machen." Braitwaithe unterstreicht: "Wir wussten von Anfang an, dass wir dies für eine lange Zeit machen würden und dass wir lohnenswerte, wichtige Musik schreiben wollten, bis zu dem Tag, an dem unsere Hände nicht mehr mitmachen." Das lässt weiter hoffen.

Die fünfundzwanzig Sekunden sind verstrichen. Der Schwebezustand ist vorüber, Pupillen fokussieren die Bestie. Die Glasgow Mega Snake bricht wieder los. Unbändig wächst sie heran, gespeist von getretenen Overdrive Pedalen, labt sich an den enthusiastischen Blicken des Publikums und windet sich um die parallel laufenden Melodien die sie heraufbeschwören. Bis sie nach gut dreieinhalb Minuten so plötzlich verschwindet wie die unerwartete Illusion eines Zauberers.
foto: steve gullick



mogwai
"mr. beast"
pias 2006 cd / cd+dvd / lp
mogwai