Die Zimmermänner [Fortpflanzungssupermarkt]

Wer behauptet, Popgeschichte sei unvermeidlich durch Existenzdauern von allerhöchstens einem Jahrzehnt geprägt, wird durch einen Blick in die Band der „Zimmermänner“ Lügen gestraft.


"selbst gott im zorn rspektiert paderborn."
(paderborn)


Nach über 20 Jahren Enthaltsamkeit in Sachen gemeinsamer musikalischer Projekte kommen Timo Blunck und Detlef Diederichsen derart entstaubt und ambitioniert daher, dass wohl erkannt werden muss, dass für die beiden gebürtigen Hamburger andere Gesetze gelten. Denn so zeitlos wie die Macher lässt sich auch ihr neuestes Produkt beschreiben, so ist „Fortpflanzungssupermarkt“ durch und durch eine Popplatte und dies im allerbesten Sinne. Sie ist das Ergebnis einer nicht ganz unvermittelten Zusammenarbeit, die 25 Jahre nach dem Debütalbum "100 Wege Sex Zu Machen, Ohne Daran Spaß Zu Haben" der damals noch Ede und die Zimmermänner die alten Prinzipien beibehält und dennoch eine erstaunliche und höchst erfreuliche Frische aufweist. So texten und singen die Zimmermänner wie gehabt auf deutsch und bedienen sich auch weiterhin der Problematiken des normalen Durchschnittsbürgers: die Tücke des Alltags, unbequeme Wahrheiten, und - natürlich - Frauen.

Altbekannte Themen also, aber im Gegensatz zu jugendlich überschwänglichen und unreifen Auseinandersetzungen verfügen die Zimmermänner durch über 40 Jahre Lebens-, und Liebeserfahrung über eine angenehme Distanz, die es ihnen ermöglicht, sich unverhohlen und ironisch zu vermeintlich vertrackten Themen zu äußern und Klischees auf eine herrlich subtile aber entschiedene Art und Weise Parole zu bieten. So kritisieren Blunck und Diederichsen an allen Ecken und Enden, vermögen dies jedoch hinter ihrem süffisanten Charme gekonnt zu verbergen und schaffen es dank einer unverkrampften Leichtigkeit stets sympathisch und authentisch zu wirken.

Überhaupt ist das ganze Album ein Manifest unangestrengter Natürlichkeit und ehrlicher Freude am Musik und Quatsch machen, ein Attribut welches den Schulfreunden von einst seid jeher zugeschrieben werden kann. In all den Jahren, in denen sich Blunck und Diederichsen als Musikproduzent und Journalist etablierten und es in der Öffentlichkeit leise um sie wurde, resignierten sie keinesfalls, man blieb musikalisch aktiv und holte 1999 schließlich den Produzent Christoph Kaiser an Bord um an neuen Songs und Konzepten zu feilen. Das Ergebnis dieser ersten Zusammenarbeit sollte richtungweisend sein für die weitere Zukunft, "Fortpflanzungssupermarkt" verfügt über ein Songkontingent aus über 10 Jahren Kompositions-, und Mischerfahrung, die Rahmenbedingungen sprechen für sich: Die Zimmermänner von heute sind mit allen Pop-Wassern gewaschen!

Auch der musikalische Stil des Zwei-Gestirns unterzog sich im Laufe der Jahre einer Entwicklung die besonders durch den technischen Fortschritt begünstigt wurde. Der Einsatz von elektronischen Sounds wurde zur Basis allen musikalischen Schaffens, die Songs verfügen über knifflige und temporeiche Rhythmen, sowie komplexe Arrangements. Zur Unterstützung ihres Materials greifen die Zimmermänner jedoch auch stets auf einige "außerordentliche Mitglieder" zurück, die mit Bläsersätzen oder Gesangseinlagen das musikalische Bild komplettieren und hörbar aufwerten. Nun führt der Weg uns also in den "Fortpflanzungssupermarkt" und schon die Songtitel des Albums lassen auf dessen Intention schließen, denn Überschriften wie Warum Schmust Du Nie Mit Meinem Gehirn lassen wohl kaum auf einen allzu ernstgemeinten Inhalt hoffen.

Der Opener des Albums Levitenlesen in A- Dur kommt direkt aus 1999 und offeriert gleich das Anliegen des Duos: Timo Bluncks Art zu singen, in einer gelassenen, vertrauenerweckenden und fast schon schlager-artigen alles-ist-gut Manier trifft auf einen Diskurs über Brüderlichkeit, Gemeinschaft und Konformismus. Schlagwörter, die durch den ironisierenden musikalischen Kontext als hohl und bedeutungslos entlarvt werden.

Die Neigung zu Parolen und zum Gebrauch von „großen Worten“ zieht sich durch das gesamte Album und gibt die augenscheinlich ernsten Themen der Popmusik- verletzte Gefühle, unerhörte Liebe- mitunter der Lächerlichkeit preis oder raubt ihnen zumindest eine gewissen Tiefe.Und trotzdem verweilen die Zimmermänner stets in diesem Metier und widmen sich neben Frauen-Geschichtchen wie Christiane Paul oder Tiefs auch der Gefangenheit in spießbürgerlichen Verhältnissen und in der alltäglichen Langeweile. Ein tristes Thema, verpackt in tanzwürdige Rhythmen und reißerisch anmutende, höchst zynische aber best-gelaunt gesungene Textzeilen lässt Songs wie Paderborn und Letzter Tango In Bad Ems – gesungen von der einstigen Mitnamensgeberin Rica "Ede" Blunck - entstehen.

Neben all diesen zeitlosen Themen machen die Zimmermänner auch vor der Verarbeitung des modernen Zeitalters nicht halt. In Nirwana zeichnen sie das Bild einer ratlosen, konsumorientierten Gesellschaft der nichts schnell genug gehen kann; ein Song, der Kritik und sogar etwas Wehmut impliziert - vielleicht mit einem verstohlenen Gedanken an vergangene Zeiten.

In Gute Nachtfreunde, dem letzten Titel des Albums erleben wir gereifte, wahrlich erwachsene Zimmermänner, die mit Klischees aufgeräumt und sich mit Gegebenheiten arrangiert haben und nach all dem Trotz und Humor leise und sorgsam Worte auswählen um letztlich mit all seiner Schlichtheit ein zufriedenes und dankbares Lied zu schreiben.

Der "Fortpflanzungssupermarkt" hält Überraschungen parat, fasst alte Phänomene neu an und verzichtet auf übertriebene und affektierte Bekundungen. Die Zimmermänner sind zu gestandenen Männern und Musikern avanciert und ihre Songs sind ohne falschen Ernst, endlich darf wieder nach Herzenslust gestichelt und auch gelacht werden. Und trotzdem - die CD fordert heraus, will nicht nur Zeit zum hören, sondern auch zum nachdenken, die Texte sind kein bloßes blabla, sondern wollen ganz bewusst ein wenig ärgern und auffordern. Über allem liegt der Schein der Belanglosigkeit der die Band so einzigartig und liebenswert macht. Die Musik bleibt immer dort, wo sich ohne Zweifel auch ihre Väter befinden: in der Realität, eine Wirklichkeit ohne rosarote Brillen aber auch ohne schwarz-malerische Zukunftsvisionen. Sie proklamieren keine Wahrheiten sondern projizieren durch profane Mittel ihre eigene Sichtweise. Bei den Zimmermännern ist der Name Programm: bodenständige Kreativität gepaart mit handwerklichem Können, und all das aus tiefstem Herzen. Gewollt und gekonnt. Was sie uns zeigen ist ein unverfangenes Bild von einer bisweilen grausamen Harmonie des Alltags, ihre persönliche Stellungnahme mit einem Augenzwinkern. Eine Realität à la Zimmermänner, das ist etwas für diejenigen, die satt sind von seichtem Popgeplätscher ohne Sinn und Verstand.

Kaum zu glauben was Blunck und Diederichsen nach über 20 Jahren aus dem Hut zaubern. Aber wahr. Glücklicherweise, denn so bescheren sie uns ein kleines Stück feinster Popgeschichte, die sich nicht um den ganzen angelsächsischen Zirkus schert und uns völlig unabhängig begegnet, nur da um eben da zu sein für sich und für uns. Es gefällt, oder um mit ihren Worten zu sprechen: Mein Körper ist zufrieden, die Seele jubelt auch, ganz besonders gut geht’s meinem Bauch!
foto: what's so funny about



die zimmermänner
"fortpflanzungssupermarkt"
what's so funny about 2007 cd / lp
die zimmermänner