LipService [Cardboard Robots]

Wider die Bedeutungslosigkeit?
Auf dem Cover ihres Debütalbums rollt das Quartett metaphorisch eine überdimensionale Bowlingkugel durch die Straßen einer Stadt, deren Bewohner ihre Köpfe unter ausdruckslosen Pappkartons verstecken.



"saturate this migrane with gasoline, i'm coming clean."
(red shift)


"Read my lips: no more taxes!", versprach George Bush Senior 1988, als er den Wahlkampf gegen seinen demokratischen Kontrahenten Michael Dukakis antrat, gegen welchen er später auch mit einem deutlichen Sieg gewinnen sollte. Natürlich konnte er sich während seiner Amtszeit nicht an sein Versprechen halten.
Lippenbekenntnisse.

Wenn sich eine Band mit genau diesem Namen schmückt, dann muss dahinter schon eine toughe Attitüde stecken. Es geht also um Rock . Die maskuline, testosterongesteuerte Ausgabe eines abgegriffenen Genres, welches - so lehrt uns bereits Philip Seymour Hoffman als Journalist Lester Bangs in Cameron Crowes Film "Almost Famous" - vorbei ist, und von dem man 1973 lediglich noch den letzten Atemzug erleben konnte. Die vier Herren aus Trier entfalten auf ihrem Debüt Album "Cardboard Robots" - eine Anspielung auf den ehemaligen Bandnamen, den die Musiker bis Februar 2005 trugen – gut produzierte, Gitarrenriff getragene, solide Rockmusik und werden im Pressetext, der "pop-induzierten Punkrock" zu erkennen weiß, über alle Maßen gelobt. Besonders die Live Darbietung wird gesondert hervorgehoben, und auf dem vorliegenden Videomitschnitt kann man die "physikalisch geerdeten" Emotionen der Band, welche maßgeblich von ihrem Sänger transportiert werden, beobachten. So scheint es kaum verwunderlich, dass sich dieses Energiebündel während dem Stück enthusiastisch auf den Boden wirft, um seinen Gefühlen Nachdruck zu verleihen. Auf den liebevoll als Waschzettel jargonisierten Pressemitteilungen ist diese Lobhudelei natürlich keine Seltenheit, wird doch stets der nächste große Wurf skandiert, welcher die Musikwelt in den Grundmauern erschüttern wird, nur um kurz darauf festzustellen, dass immer heißer gekocht wird, als gegessen.

Im Falle von LipService entschied man sich gegen die blanke Selbstdarstellung und bat die Macher vom Onetake.de Magazin sich der Aufgabe anzunehmen, die Musik der Band in Worte zu fassen. "Das Musikbusiness ist", so wird dort von Daniel Hecktor eingeleitet, "eine kleine billige Hure, die mit jedem in die Laken steigen würde, wenn der Preis stimmt. Nun, in einer perfekten Welt würde sie für LipService mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht die Beine breit machen […] und ich bin mir sicher, dass die kleine, billige Hure auch dann noch lächelt, wenn von LipService nur noch das Kleingeld auf dem Nachttisch übrig ist." Eine durchaus fragwürdige Utopie, diese hier ersonnene "perfekte Welt", in welcher man die "kleine billige Hure" mit etwas Kleingeld nach dem bezahlten Geschlechtsakt glücklich machen kann. Eine chauvinistische Perspektive, die hier im Bezug auf das überstrapazierte Rockklischee mit Sexismus kokettiert, und nur schwerlich als flapsige Metapher für Gut geheißen werden kann.

Auch der letzte Song des Albums, Uma, welcher sich als einziges Stück über die 3-Minuten-Grenze hinaus wagt, bedient diese oberflächlichen, patriarchischen Strukturen, wenn Sänger Mick Buonaz darin leicht prollig "I met a girl by name of Betty / and this babe Betty so pretty she was / I met a girl by name of Jane / and this chick named Jane was into pain", singt. Übrigens verfliegt der Hauch von objektiver Betrachtung durch ein unvoreingenommenes Medium recht schnell, wenn man sich vor Augen führt, dass "Cardboard Robots" als Eigenproduktion bei Onetake Records erschienen, und Onetake Magazin Chefredakteur Daniel Hecktor die Band resümierend als "verfickt gut" zu loben weiß.

Zusammenhangslos und isoliert erscheint dann das thematisch eher politisch einzuordnende Stück El Cortito, in welchem kurz César Chávez angesprochen wird, der US amerikanische Gewerkschaftsgründer, welcher Mitte der Siebziger Jahre das Verbot der Benutzung einer sehr kurzen Hacke, der Cortito, in der Landwirtschaft durchsetzen konnte, da diese eine enorm gebeugte und gesundheitsschädliche Körperhaltung provozierte. Erfreulich zu beobachten, dass man sich mit gesellschaftswissenschaftlichen Themen auseinandersetzt, aber weshalb mit einem längst verjährten Thema? Und in welchem Zusammenhang steht dann die potentielle Wut, die sich in Zeilen wie "the sound of quarreling neighbours / makes me fuckin sick! / through their window I will throw a big fuckin red brick!" (The Wet One) entläd?

Was am Ende bleibt sind elf, zumindest in der zeitlichen Dimension, Punk orientierte Rock Stücke, die auch bei der ab und an aufblitzenden ambitionierten Melodieführung und den soliden, leider pragmatischen und wenig innovativen Songstrukturen letzten Endes an der aufgesetzt wirkenden Attitüde scheitern und deren Vergleiche mit den eher ironisch daherkommenden Foo Fighters oder gar den Queens Of The Stone Age (Allschool Network) nur hinken können.
Lippenbekenntnisse.
foto: lip service



lip service
"cardboard robots"
one take records 2005 cd
lip service