Talons [Songs for Babes]

Ein paar wörtlich zu nehmende Anekdoten, eine Ansammlung von Frauennamen und ein Repertoire an eigentlich ganz alltäglichen Hintergrundgeräuschen zaubern ein Album zusammen, das berauscht – und viel verrät.

"There is a lot in these songs that is recorded and then mixed just below the level of being audible. I hoped it would have some unconscious effect, but it probably is just inaudible."
(mike talon)


1. Natalie
Von Genres halte ich nicht besonders viel. Aus diesem Grund möchte ich das Album mit einer Genrebezeichnung betiteln, die sich von üblichen abhebt, und die ich auf einem Blog namens slowcoustic.com fand: Bedroom folk. Denn Folk ist nicht gleich Bedroom folk, und es steht außer Frage, dass Mike Talons kleines, zusammen geschnippeltes Album zum Thema (Ex-)Freundinnen keiner besseren Bezeichnung gerecht werden könnte, ist es doch auch größtenteils in einem Schlafzimmer geschrieben und aufgenommen worden. Eigentlich kann "Songs for Babes" nirgendwo anders hinpassen.

2. Maddy
Auf dieser Platte findet sich eine ganz neue Definition von Musik: Wurde unter diesem Begriff bisher doch das Zusammenspiel verschiedener Instrumente und Gesang verstanden, schneidert Mike Talon gemeinsam mit Freunden Musik aus einer ganzen Bibliothek von Sounds. Hier wird Musik mit markanten Polizeisirenen – wie in Maddy -, dem Rauschen vorbeirasender Züge, Regenprasseln, Möwenschreien, Meeresrauschen und allerlei anderen Nebengeräuschen gemacht, die nicht immer mit Absicht dort gelandet sind, wo man sie im Endeffekt hören kann.

3. Erin
So hört man ganz versteckt, ganz fern, in Erin jemand anderen ein anderes Lied singen – sein Freund Keith nahm einen Stock unter ihm ebenfalls ein Lied auf, wie Mike Talon in einer kleinen Stellungnahme verrät. Auch erfahre ich, dass das Lied Erin einer Frau mit selbigem Namen, die er auf einem Konzert kennenlernte und die ihn faszinierte, gewidmet ist, der er aber aus verschiedenen Gründen nicht nach Hause folgen konnte. „Oh Erin, I wish I would have followed you home“ - und ein mysteriöser Hinweis auf den elften September.

4. Angela
Ganz offensichtlich ist Talon ein Mann, der seine Musik nicht unkommentiert lassen kann. So gibt es ein Dokument zu lesen, in dem zu jedem einzelnen seiner bisher veröffentlichten Songs eine Erklärung niedergeschrieben steht. Ich erfahre, dass die Geschichten hinter den Liedern auf "Songs for Babes" alle wahr sind – Mike Talon verwendet nicht einmal Metaphern.

5. Rachel
Langsam sollte klar geworden sein, dass "Songs for Babes" rezensieren auch Mike Talon porträtieren heißt. Dass Künstler in einer direkten Verbindung zu ihrem Werk stehen, muss hier nicht gesagt werden, aber selten geschieht das auf so bewusste und konfrontale Weise wie auf diesem Album.

6. Mich
Mike Talon will nicht, dass irgendjemand dieses Album hört, ohne nur an ihn zu denken – denn er will über Wahrheit singen, sagt er selbst, „also war der leichteste und schwerste Weg zugleich, über mich selbst zu schreiben“. Demnach ist Talon ein Einzelkämpfer und sein Album ein wandelndes Selbstporträt. Dennoch stecken hinter diesem Album mehr Köpfe noch als bloß dieser eine.

7. Juice
Der Song Juice zeigt dies besonders deutlich. Nicht nur widmet sich dieses Lied einer jungen Frau, die die „Creative Community“, in der Talon sich in Akron, Ohio, bewegt, stark beeinflusst; es wurde ursprünglich auch für eine andere Band, Black Clover, geschrieben, in der er sich hin und wieder, aber niemals fest, bewegte. An diesem Lied sind außerdem, wie an vielen anderen des Albums auch, seine Freunde beteiligt. Keith Freund (ja, so heißt er wirklich!) hat sich mit Klavier und Gitarre dazugesellt.

8. Sam
Der obligatorische Vergleich mit bekannteren Künstlern soll hier nicht wegfallen, aber kurz gehalten werden: "Songs for Babes" erinnert im Stil an Neil Young und Will Oldham.

9. Taz
Veröffentlicht wird Songs for Babes am zweiten September bei Own Records. Innerhalb der USA ist es beim Label „Bark And Hiss“ bereits erschienen, welches auch schon einige andere Platten wie das Debutalbum "Falls' Chagrin" aus dem Jahre 2005 an den Mann brachte. Mike Talon rät auf der Website von Bark and Hiss dazu, die Platte "Rustic Bullshit" zuerst zu hören – einen Grund nennt er nicht, aber es könnte angenommen werden, dass es sich hierbei einfach um das beste Album handelt. Meiner Beobachtung entsprechend ist es das bisher vielfältigste und facettenreichste Album, das Mike Talon aufgenommen hat. Verschiedene Demos für selbiges sind, wie das Album auch, zum freien Download verfügbar.

10. (Ni)'cole
Sowieso scheint Herr Talon traurig zu sein, dass ihm die Veröffentlichung von "Songs for Babes" im Internet von Own Records noch vorenthalten wird – er stellt stattdessen ähnliche Versionen der Lieder online. Jeder, der ein wenig Zeit investiert, kann hier deutlich eine Entwicklung feststellen. Mike Talon ist stilsicherer geworden, seine Musik hat an Konsistenz – wenn dieser Begriff im Bereich Musik zutreffen kann – gewonnen.

11. Lula
Besonders das Albumkonzept von "Songs for Babes" sei hier noch einmal hervorgehoben: Es ist das erste Album von Talons, das so offensichtlich ein Ganzes bildet, das nicht funktioniert, wenn ein Track fehlt. Aus diesem Grund finden sich in dieser Rezension auch die Songtitel und ihre Reihenfolge wieder. Das Lied Lula wirkt hier besonders, denn es enthält noch einmal alle Stilmittel und Melodien, die die anderen Lieder ausmachen. Talons bezeichnet es selbst als eine Art Collage des Albums, die eigentlich am Schluss gestanden haben sollte.

12. Sommer
Doch es kam anders, denn die einzige junge Dame, die immer noch an Mike Talons Seite steht, ist Sommer Miller – offensichtlich kam diese Entwicklung für Mike überraschend. Sie ist Künstlerin und ist für das großartige Artwork des Albums verantwortlich. Allerdings war sie bestimmt nicht begeistert, als sie erfuhr, dass Mike in Gedanken noch an so vielen verschiedenen Frauen hängt. Mit denen muss sie sich jetzt eine Platte teilen.
foto:


talons'
"songs for babes"
own records, 2009 cd
talons